Bukarester Gemeindeblatt, 1913 (Jahrgang 9, nr. 1-53)

1913-10-27 / nr. 44

Sonntag, 27./9. November 1913. No. 44. Bukarester „= Gemeindeblatt 1 Bryan des Synodalverbandes der deutschen evangelischen Gemeinden an der unteren Donau Die siebenbürgisch-sächsische Volkskirche. Im Laufe der lezten Jahre haben mehrere bedeutende Kirchen­­männer Deutschlands der siebenbürgisch-sächsischen Kirche ihren Besuch abgestattet. Wir erwähnen unter ihnen die Herren : Harnau, Nip­­pold, Tröltsch, H. von Schubert, Baumgarten, Hartung, Niebergall, Rade. Sie alle haben in außerordentlich anerkennender Weise über die siebenbürgisch-sächsischen Kirchenverhältnisse geurteilt. Ihnen schließt sich nunmehr auch H. von Lüpke, der Herausgeber der „Dorfkirche“ an, der im August dieses Jahres eine Studienreise in unsere be­­nachbarte Landeskirche unternommen hat. Aus seinem beachtenswerten ausführlichen Berichte bringen wir im Nachfolgenden zwei Abschnitte, die unsere Leser gewiß interessieren werden.­ ­ Nach langer Fahrt durch die große ungarische Tief­­ebene kommt man zuletzt höher und höher steigend, in eine Hochebene, die rings von hohen Randgebirgen umgeben und am Ende mit gewaltigen Hochgebirgsmassen nach Norden, Osten und Süden verriegelt ist, und wie eine ungeheure natürliche weit vorgeschobene Festung die öster­­reichisch-ungarische Welt gegen das Völkergewoge des Bal­­kans abschließt. Tief in die schwarzen Gebirgsriesen ein­­gebaut, liegt im äußersten Winkel, am letzten Tor, das herrliche Kronstadt. Noch einen Einsc­hnitt glaubt man zu erspähen, ein Tal, einen Ausweg nach der andern Welt, die dahinter liegt, doc kaum ist man hineingebogen, da vertritt aus dem Hintergrunde ein Riese, furchtbarer als alle bisherigen, in ganzer Breite drohend den Weg und hinter ihm holt ein zweiter und dritter aus : Zurück ! Du bist am Ende! Um diese natürliche Festung haben von jeher die Völker von Osten und Westen sich geschlagen, hierhin beriefen vor 700 Jahren die ungarischen Könige deutsche Bauern aus der Luxemburger Gegend als festesten Wall „zum Schuß der Krone“, zur Sicherung des ganzen Reiches, gaben ihnen Land und Rechte und Freiheiten, soviel sie brauchten, und ließen sie ihre eigene Welt sich bauen aus reinstem deutschem, freiem Bauerntum. Und in den ungeheuren Völkerkämpfen, die Jahrhundertelang mit all ihren Screenissen über diese eben angebaute Welt hinzogen, ward jedes Dorf zu einer Festung gleich dem ganzen Land. E35 sind die Kirchenburgen, die noch heute Geschäftsstelle , Gemeindekanzlei, Str. Luterana 10, der ganzen Landschaft das Gepräge geben, mit riesigen Ring­­mauern z. T. dreifach umzogen, mit Wassergräben, mit Spießscharten und Pechnasen und vielen Ecktürmen, von Wehrgängen zum Ausgud gekrönt, bergen sie noch heute in sich all die Kornbehälter und die Vieh- und Speck­­kammern für das ganze Dorf, in die es einst alle seine Habe flüchtete, ja mitunter erhebt sich wie in Rosenau hoch an felsigem Berge auf kleinstem Raum in Minimal­­format zusammengedrängt noch einmal das ganze Dorf, das unten im Tale liegt mit Ställen, Wohnungen, Schule, Pfarrhof, und über allem die Kirche, als eine einzige Dorf- oder Bauernburg, ein ganzes Dorf im Festungs­­stil. Die Burgen auf den Höhen liegen in Trümmern, die Kirchenburgen im Tal aber stehen. Sie dienen keinen Kriegszwecen mehr, aber noch einmal hat das ganze Land all sein Bestes in sie geflüchtet. Als alles politische und staatliche Leben im ungarischen Staate aufgehen mußte, da hat es unter dem genialen Bischof Teutsch seine Kirchen als leiste Burgen seiner Seele, seines deutschen Volkstums und seines evangelischen Glaubens ausgebaut. Und wie eine Krönung der ganzen Natur und Geschichte dieses merkwürdigen Landes erhebt si­cn und über dem alten Gemäuer eine wahrhaftig festungsartig angelegte Organi­­sation des Geistes, deutschen, evangelischen Volkstums, in der Hut und Freiheit, zugleich aber der straffsten Zusam­­menfassung der allumfassenden Kirche. Das ist für uns das heutige sächsische Siebenbürgen. Wir sind vielleicht im Deutschen Reiche in jeder andern Beziehung für Siebenbürgen die Gebenden, die große geistige Quelle, aus der es immer aufs neue sein ganzes Dasein zu tränken, das höchst gesteigerte und differenzierte Leben in Kunst und Wissenschaft herüberzuleiten sucht, in einem Punkte aber ist dieser ferne, kleine deutsche Stamm von 220.000 Seelen für uns von klassischer Bedeutung und wir sind unbedingt die Nehmenden. Und dieser Punkt ist nicht ein Spezialgebiet, sondern die große Frage, wie man alle geistige Kraft wieder dem Volksganzen und dem Volkstum zu seiner Erhaltung, Kräftigung, Wiedergeburt und Heiligung zuführt und damit alle zu einer Einheit des Lebens auf dem tiefsten religiösen Grunde zusammen­­schiedet, die allen Stürmen gewachsen ist. Das ist aber gerade das Arbeitsfeld unserer „Dorfkirche“. Schriftleitung : Pfarrer R. Honigberger. [=] | u | sl) -

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