Die Karpathen, April-September 1912 (Jahrgang 5, nr. 13-24)

1912-09-15 / nr. 24

TB. Beft XXIV weites Septemberheft Die Karpathen Sonntagskinder. Novelle von Eugen Probst (Wien). (Schluß.) Als Melittas Verwandte von dem Geschehnis Kunde erhielten, waren sie tief betroffen. Sie hatten nichts weniger als­­ unerhörten Ausgang erwartet. Here von Enesku bereute die Fürsprache, die er für Mimi ein­­gelegt. Isabella bedachte die verheerende Wirkung der Botschaft in der Ge­­sellschaft ihrer Heimat, und vor allem die Folgen des abenteuerlichen Ent­­schlusses für das Glück und die Zukunft ihrer Schwester selbst. Nichts ver­­mochte die Ratlofe zu beruhigen. Melitta war ihr anvertraut, sie fühlte sich an ihrer vermeintlichen Verblendung mitschuldig. sie weigerte sich, Mimi als künftigen Verwandten zu begrüßen und drängte zur Abreise. Diesem Wunsch fügte sich Melitta gern. Es verlangte sie, sich ihrer Mutter mitzuteilen, der einzigen, von der sie hoffte, daß sie ihr scheinbar launenhaftes Gehalten als Ergebnis eines ersten, in seiner inneren Freiheit wen­­igen Wollens erkennen werde. Die Unterredung fand bald nach Melittas Ankunft in dem stillen Erker­­zimmer statt, das der Familie zu vertraulichen Zusammenkünften diente. Die würdige Frau die auf ihren Gütern noch die Zesten unbeschränkter Vorherrschaft der begüterten Kreise erlebt hatte und Standesstolz besaß, war von überliefertem Mißtrauen gegen alle besiglosen Altenschen erfüllt und verheichlte dieses nicht, „ag auch Jein Dater noch ein habiger Mann gewesen sein“, sagte sie, „wer bürgt dir dafür, daß sich der Sohn die Sinnesart eines solchen bewahrt hat? — Alle sagen, diese Wahl sei eine Laune von dir, und ich fürchte, es ist die bedenklich]te, welche die je das Herz bewegt hat“. „one, nicht auf alle!" antwortete Atelitta, die am Fenster lehnte, „es wäre denn, du wolltest ihnen mein Glück und L eben opfern. Ach, Mutter, du sag]t Verfall des Wohlstandes bedeute auch Verfall der Gesinnung. Es mag oft sein. Aber Mangel an Wohlstand [ schließt [so wenig ein adeliges Herz aus, wie Reichtum ein gemeines. Die Begierde nach Geld macht die M­enschen gemein, und um diese handelt es sich nicht“. „Wer bürgt dir dafür?“ gab die Mutter zur Antwort. „Mein Herz“, erwiderte Melitta, „das dies alles erlebt hat)" „Wer in deinem Herzen Bescheid wüßte!“ entgegnete die Mutter. „Wer gibt dir, wer uns die Gewißheit, daß dein Herz nicht ivet ?* „Die Zeit wird es tun“, verfegte Melitta. „Es soll bewiesen werden, die und allen, die daran zweifeln. Das ist mein­e Vorfaß, von dessen Er­­füllung mein Glück abhängt“. Sie schwieg. Plöglich trat sie zu der Mutter und legte den Arm um ihre Schulter. „Dazu sollst du mir helfen, Mutter“, sprach sie, „bei deiner Treue und 3

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