Neue Zeitung, 1992 (36. évfolyam, 1-52. szám)
1992-01-04 / 1. szám
NZ 1/92 Doppelidentität machte den Menschen trotzig... Es genügt nachzusehen, wie die Schwaben das Aussiedlungstrauma überlebten; jeder nach Hause geschriebene Brief war ein schmerzlicher Aufschrei wegen des Heimatverlustes. Bei der letzten Volkszählung vor dem Krieg bekannten sich die meisten — auch meine Eltern — zur ungarischen Nationalität mit deutscher Muttersprache. Am prägnantesten charakterisiert wohl folgender Ausspruch die allgemeine Einstellung: „Wir sind alle Ungarn, aber keine Magyaren.“ Für die heutige Generation, die sich noch zu ihrem Deutschtum bekennt, ist eher das Umgekehrte bezeichnend: Sie bekennt sich zur deutschen Nationalität, aber — wenn sie ehrlich ist — mit ungarischer Muttersprache. (Bei der letzten Volkszählung war ich wirklich im Dilemma, wie ich den Bogen ausfüllen sollte, dessen Fragen keine Auswahlmöglichkeiten boten. Mein deutsches kulturelles Selbstbewußtsein mußte ich mir wegen oben Ausgeführtem seit langem mit harter Arbeit zurückerobem; und wenn ich mich streng beurteile, so bin ich bis heute nur in anderthalb Kulturen beheimatet, nicht in zwei. Freilich weiteten die deutsche Literatursprache und die deutsche Kultur, bei deren Kennenlernen ich mich auf meine lückenhafte Muttersprache stützen konnte, für mich die Welt aus, in der ich seither als Vermittler der ungarischen Kultur aus- und eingehe. Hier zu Hause aber fühle ich mich als Vermittler der deutschen Kultur. Diese Perspektive, die Möglichkeit einer Art vermittelnder Brükkenrolle auf der Basis einer Doppelidentität, tut sich nun auch für das ungarländische Deutschtum nicht nur auf dem engeren kulturellen Gebiet, sondern in breiterer Sphäre auf, nachdem wir den Weg der Verbürgerlichung und der Öffnung nach Europa betraten. Die Frage ist, ob das Deutschtum von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, und ob das Land die Möglichkeit nutzt, die deutsche Minderheit in Ungarn bei der Entwicklung dieser Vermittlerrole zu unterstützen? * Auf der Plattform einer traditionellen Volkstümlichkeit kann die deutsche Minderheitenidentität jedoch nicht mehr hergestellt werden. Und das nicht nur wegen der Kontinuitätsunterbrechung, sondern auch wegen der ausgeprägten modernen Lebensformen und Zivilisationsmodelle. Zur perspektivischen Aufrechterhaltung der Minderheitenidentität muß diese auf moderne Weise formuliert und deren Anspruch kontinuierlich wachgehalten werden. Die Rehabilitierung des Muttersprachunterrichts, die Realisierung einer echten kulturellen Autonomie erfordert auch die Erziehung einer Gruppe eigener, selbstbewußter Geistesschaffender, die fähig sind zur Aufrechterhaltung des empfindlichen Gleichgewichts der Doppelbildung und die der Brükkenrolle modernen Sinn zu geben vermögen. Und das alles hängt von Bedienungen ab: auf Küchendeutschniveau kann diese Aufgabe nicht bewältigt werden... * Das in Vorbereitung befindliche Nationalitätengesetz, das sehr sympathisch die Minderheitenrechte akzentuiert, jedoch recht sparsam mit gesetzlichen und finanziellen Garantien umgeht, wird hoffentlich doch Katalysator positiver Veränderungen sein. * Beim katastrophalen Stand des Fremdsprachenwissens in Ungarn würde außer Unterstützung des Fremdsprachenlernens auch die Förderung des Deutschunterrichts auf jeder Ebene eine sich am schnellsten rentierende kulturelle Investition darstellen. Damit sich die Lage der Nationalitäten verändert und es wieder ein gutes Gefühl ist, in Ungarn Deutscher, Slowake, Jude usw. zu sein, bedarf es der toleraten und hilfreichenden Haltung des Ungartums und des Verstehens dessen, daß eine Doppelidentität der Nation nur dienlich sein kann. Deren Vertreter sind gleichzeitig Botschafter des Ungartums im engeren und weiteren Europa und Botschafter der europäischen Kultur in Ungarn. Dafür muß aber anstelle des Schürens des ungarischen Nationalismus der Geist eines „verfassungsmäßigen Patriotismus“ zum Tragen kommen, der eine nationale Minderheit in sich einschließt, die an der ungarischen Nation und Kultur hängt, aber trotzdem selbstbewußt ihre eigene Identität bewahrt. Die Rolle der Massenkommunikation ist — ohne alles auf sie abwälzen zu wollen — praktisch einschätzbar bei der Herausbildung einer politischen Kultur, das Anderssein nicht nur duldet, sondern auch als Wert betrachtet. Und zwar nicht nur im politischen Bereich, sondern auch in ethnischer, nationalitätenbezogener Hinsicht. Dann dieses Anderssein, das sich aus der Doppelidentität nährt, schmälert die Gesamtheit nicht, sondern bereichert sie: Sie schafft nicht Geteiltheit, sondern — vielleicht auch in Konflikten erfochtene — schöne Harmonie. (Auszügeaus dem Vortrag von Josef Bayer, wissenschaftlicher Berater im Institut für Politikwissenschaft der Akademie der Wissenschaften) 3 Seit langen Jahren werden für ungarndeutsche Kinder sogenannte Leselager organisiert. In diesen meist zweiwöchigen Sommerlagern haben die Grund- und Mittelschüler nicht nur die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu üben und weiterzuentwickeln, sondern u.a. Sitten, Bräuche, Literatur, Kunst, Mundarten und Handwerk der Ungarndeutschen kennen- und liebenzulernen. Bis jetzt allerdings verlief die Arbeit in den Komitaten Branau, Tolnau, Batschka, Weißenburg, Komorn, Wesprim usw. ziemlich unkoordiniert, es kam viel zu selten und nur gelegentlich zu Problembesprechung und Erfahrungsaustausch. Um diese Lücke zu schließen, wurde in Wesprim auf Initiative der Deutschlehrerin Éva Szeitl-Békefi, die auch das Lager in Waschludt/ Városlőd leitet, und in Organisation des Verbandes der Ungarndeutschen eine Beratung der Lagerleiter abgehalten. Die anwesenden Lagerleiter: Éva Szeitl-Békefi, Theresia Rónai (Waroli/Väralja), Reiner Eckhard (Jink/Gyönk), Paula Menszer (Karas/Kárász), Franz Erdei (Moor/ Mór), Maria Birk (Rätka) stellten fest, daß die meisten Leselager die gleichen Zielstellungen aber auch die gleichen Probleme und Mängel haben. Großgeschrieben wird natürlich überall, woher man das Geld zum Finanzieren des Lagers nehmen soll. Wegen finanzieller Schwierigkeiten mußte beispielsweise die Tätigkeit des Lagers in Moor, wegen Mangel an Pädagogen und Jugendleitern die des in Rätka bereits vor Jahren eingestellt werden. Der Verband der Ungamdeutschen unterstützt zwar die Leselager mit einer bestimmten Summe, die aber bei weitem nicht die Kosten deckt, obwohl auch die Eltern ziemlich viel mit dazuzahlen. Darüber hinaus besteht noch die Möglichkeit, von der Stiftung für Nationale und Ethnische Minderheiten Geld zu bekommen, Sehr wichtig wäre, wenn die örtlichen und Komitatsselbstverwaltungen den Leselagern auch finanziell beistehen könnten. In Zukunft müßten sich die Organisatoren auch große Mühe geben, Sponsoren für die Sache zu gewinnen. Franz Heilig, Mitarbeiter des Verbandes, schlug vor, in Bälde einen detaillierten Entwurf für die Kosten aller Leselager anzufertigen, damit diese bei der Zusammenstellung des Budget-Entwurfes des Verbandes der Ungamdeutschen für 1992 konkret berücksichtigt werden können. Die Anwesenden haben sich vorgenommen, einander in den Leselagern regelmäßig zu besuchen, Erfahrungen auszutauschen, Probleme zu besprechen. Die nächste Beratung der Lagerleiter findet voraussichtlich im März 1992 statt. Erfahrungsaustausch der Leselagerleiter