Pester Lloyd, März 1914 (Jahrgang 61, nr. 65-75)
1914-03-17 / nr. 65
- — "«, — - — — WN .«" ·Diskisxägx.-N7.YMTM.1113 Türkische Erwartung. Von unserem Korrespondenten Konstantinopel,13.März. s»Das ganze Interesse der Türkenko 115e 11 triert sich fort·.yes»stzta·uf die große Frage,wann die sehnsüchtig erwarteten 700 Miillionen aus Frankreich endlich hier ein— treffen werden. Alle anderen Probleme treten vor dieser Geldfrage zurück. Und das ist ganz natürlich, denn von der Anleihe erwarten viele Tausende von türkischen Familien die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. — . Die Opfer der Finanznot waren und sind in erster Linie Die Beamten und Offiziere, die ihr Gehalt seit länger als einem Jahr mit sehr unregelmäßig bezogen haben und denen der Staat noch mehrere Monatsgehälter schuldet. Die meisten dieser Familten sind aran: Sie haben die Monate der Not mit bewundernswerter Geduld ertragen und sogar noch ansehnliche Gaben für Heer und lotte gespendet, der es ist jeit höchste Zeit, daß diesen Yantiien Die Rückehe zu normalen Verhältnissen endlich ermöglicht wird. Sie haben nach der monatelangen Belegenheit, die sie zur äußerten Einschränkung der täglichen Bedürfnisse zwang und als unfreiwillige Schuldenmacher von der Gnade der Hausbesiber ı und Kreditgewährenden Kaufleute abhängig machte, eine lange Stift der Ruhe und Ordnung reichlich verdient, Rein Wunder, daß Diese Bedauernswerten sich für ‚die Stage, ob Chios und Migtilene griechisch oder tűrt ‚bleiben werden, in diesem Augenblick nicht allzu sehr interessieren und auch den Wahlen mit geringes Irterfe entgegenbringen. Die Leute, die jehhr noch eine kriegespisteke Stimmung in der Türke zu Tonstatieren wähnen, rennen das wahre türtische Bolt nicht, sondern urteilen leichtfertig nach dem Getafel ruhmrediger Hitköpfe, falls ihre Mlarberichte nicht überhaupt eigener Kombination oder sensationglüsterner Erfindung entspringen. Wer Gelegenheit hat, die wahre Stimmung des türkischen Volkes zu erforsschen, muß zugeben, daß augenblicklich niemand hier von einem neten Krieg etwas einer ersten Wiedererstarrung ihres Satlandes verzweifeln, auch ziemlich groß it, so findet man hier dort andererseits vielfach ein beinahe verblüffendes Wostbewußtsein. Sind exit einmal geordmete Verhältnisse wiederhergestellt, so wird die pP neuer patriotischer Begeisterung vermutlich nicht schwerfallen. Den in der Seele jedes Türken und jeder Türkin schlummert seit dem unglücklichen Kriege leidenschaftliche Rachsucht, Die bei der ersten Gelegenheit zeifellos ermwachen wird. Es ist Daher im Interesse dauernder Ruhe auf dem Balkan dringend zu wünigen, daß jede Möglichkeit neuer Konfliktstimmung beseitigt werde. Man kann gespannt darauf sein,welchen Ausdruck die Volksstimmung demnächst in der neu gewählten Bank merfinden wird.Prophezeiungen,vor denen man sich in diesem Lande der Ueberrascchungen nbgenuglhüten kann,sind in dieser Richtung ganz unmerslich.T sie Gegner der jungtürkischen Regierung tuns allerdings so,als könne von richtigen Wahlen überhaupt keine Rede sein. Sie behasupfem dien zum Abgeordneten seien nicht gewählt,sondern von der Regierung oder,was bei der augenblicklichen Lage so ziem niccht dasi gleiche,besagt,vom Komitee,Einheit und Fortschritt"zu Departierten ernannt. Judier Tast bietet die Art,wie die Wahl sei diesmal hier vorgenommen werden,zu berechtigters Kritik Anlaßs genug Abermann1 urteilt doch vorschrielt,wenn man die Kammer,wosch sehe sie ganz gewählt und zusammengetreten ists, als eine unverantwortliche Gesellschaft zur bedingungslosen Gutheißung s aller Regierungsmaßnahmen bezeichnet, Mandäte besser,sich auf Uebemthchmngen gefaßzt zu machen. In den Kreisen der jungtürkischen Politiker rechnet man auf jeden Fall mit der Möglichkeiit solicher Ueberraschung.Der Generalsekretär des Zentralkomitees der jungtürkischen Partei Midhabhükri Vej),früherer Deputierten von Serres,hat mir kürzlich miit einer Unterredung ganzl offen erklärt,daßs die Komiteepartei durchaus nicht aller Deputierten,die als»Jungtürken«gewählt wurden,sicherfein kann.JGrgsabs derueberzeugungs Ausdruck,daßr sich auch in der neuen Kammermsch eine Opposition bilden werde,und betontenseiter,daß seine gemäßigte Opposition der Regierungsngwillkommen sei. Ein anderes hervorragendes Mitglied der Komiteepartei hat Jischimir gegenüber jüngst noch viel freimütiger über die Lage ausgesprochen.Dieser Politiker,der selbst der neuen Kammer angehören wird,erklärte wörtlich:»Ich gebe ohne wseit er es zu,daß die Wahlen,die augenblicklich in der Türkei stattfinde11,seine Wahlen im europäischen Sinje sind Sichsürden mit Recht an meinem gesunden Verstand zweifeln,nun nichs das Gegenteil behaupten wollte.Bei der augenblicklichen Lage Klicbutts Jungtürk k wa«ber11ichts übrig,als so zu handeln.Aufuemparlamentarische Experimente können wächs in diesem ernsten Augenblick unmöglich einlassen. Unser Bolt it für den wahren Parlamentarismusnoch nicht reif.Jedder europäischee Ländern weiß das Publikum,wie es die Resden der Abgeordneten zu beurteilen hat.Beiuj isjv wird jedes Wort eines Deputierten,selbst wie inÜestoch so unbedacht ist,im Lande bluternst genommen und kann dazhcrs unter Umständen großes Unheil anstiften.Der Ursprung wseres ganzen Unglücks ist in einer Überzeugung nach in der früheren Kammer und dem umpatriotischen Verhalten der damaligen Opposition zu suchen. Wir konnten nach so bitteren Erfahrungen in die neue Kammer seine Opposition einziehen lassen, die von ersten Tage an Darauf ausgegangen wäre, aus parteipolitischen oder rein persönlichen Gründen nützliche Arbeit zum Wohl des Vaterlandes zu vereiteln.” E83 läßt sich nicht leugnen, Daß Diese Worte viel Wahrheit enthalten. Dan kann die türkischen Zustände nun einmal nicht nach europäischen Schema beurteilen. Und es it ass ein Korti «ort üßen, wenn man ‚gebende Politiker wie mein jungtürkischer Gewährsmann der vor zwei Jahren noch in der Friiflosen Medernahm, französischer Einrichtungen alles Heil für die Türkei errelihte, recht endlich auch zu Dieser heilsamen Einsicht gesommen sind. 4 Die Regierung scheint gewillt, die nur noch Furze Fıllt Bis zum Zusammentritt der neuen Kammer zur weiteren Festigung des jungtürkischen Regimes zu benügen. Die soeben erfolgten Verändeungen im Kabinett waren zwar seit langen Wochen geplant. Ihr Sinn ist aber troßdem die stärkere Betonung des jungtürkischen Aurses am Vorabend der Parlamentseröffnung. Denn der neue Finanzminister Djawid Bajdja ist bekanntlich einer der hervorragendsten Führer der Komiteepartei, während sein Vorgänger Riaat Bey ein Beamtenminister ohne entschiedene Parteizugehörigkeit war. Und Djemal Hajdja soll natürlich für die Marine das gleiche Reformwerk durchführen, das Enver Bajdja als Chef der Armee energisch eingeleitet hat. Weitere charakteristische Veränderungen werden für die allernächste Zeit erwartet. Von größter inmerpolitischer Bedeutung wäre es, wenn der jenige Corafminister Haiti Bey, eu entiiedener Vertreter der Komiteepartei, wirklich zur hohen Würde des Eceil-ul-Islam berufen würde (Bit, wie ein Telegramm aus Konstantinopel meldet, schon aeschehen. — Anmerkung der Redaktion des „Wester Lloyd“) und wenn der Ilema Abdul Azis Tihawid, der wegen seiner leidenschaftlichen Propaganda für D das jungtürkische Komitee von Kiamil Pascha verfolgt wurde, das Wichtige Amt des „Setwa-Emini“, des höchsten geistlichen Richters, erhielte. Diese Ernennungen würden nicht weniger bedeuten als den Beginn der Reform des mohammedanischen Kultuswesens im Sinne der Jungtürken und damit dem Bersuch, Die festejte Burg der alttürkischen Reaktion zu zerstören, der Möglichkeit Ein blutiger Racheakt der Aladame Baillauz, Budapest, 16. März. Die Gemahlin des französischen Finanzministers Josef Caillaux hat gegen den Beleidiger ihres Gatten Gaston Calmette ein blutiges Revolverattentat verübt. Das ist mehr als ein ungeheuerlicher Gesellschaftsskandal, mehr als eine politische Sensation, das ist ein Ereignis, das in seiner erschütternden Tragik vor das Geschwomengericht der öffentlichen Meinung der ganzen Welt gehört. Wie der wilde Jäger ist Gaston Galmette, der Chefredakteur des „Figaro“, in unerbittlicher Parforcejagd hinter Gaillaug einhergeritten. Er wollte um jeden Preis den politischen M Widersacher zur Strebe bringen. Und da die Schärfe der loyalen politischen Waffen nicht reichte, als der politiker Kaillaur, der Stärksten einer, die Die große Nation heute zu den Ehren zählt, troß aller Angriffe noch immer aufrecht stand, da wurde der Pfeil gegen den Menschen Caillaur in Gift getaucht und auf den Bogen gespannt. Ein Politiker, der seine Ehre hat, ist tot. Man tötet also die Ehre, worin man den Politiker selbst nicht zu fällen vermag. Oajton Galmette war der Führer dieser fürchterlichen Hebe gegen die persönliche Ehre des französischen Finanzministers. Caillaur wurde in den Verruf gebracht, bei großen Negierungsgeschäften Provisionen genommen zu haben. Man imputierte ihm eine alles mehr denn einwandfreie Nolle in der berüchtigten Richettesaffäre. Und als das alles nichts fruchtete, stöberte Gaston Galmette die Billets dour auf, die Caillaur in Stunden schwacher Menschlichkeit geschrieben, und veröffentlichte sie im „Figaro”. Ernwühlte mit der Wollust eines polistischen Sadisten in den Herzfalten des Gegners, er wühlte und stöberte und stach, bis Die Gattin dem Gegyülten mit der Maffe in der Hand zu Hilfe eilte. Der Revolver it gewiß seine berechtigte Waffe im politischen Kampf. Aber weit der Dinne suchte, Der wenig mehr als einen frischten Willen zum Leben sein eigen nannte und seine Caches auf den Geist gestellt hatte, ging nach gewissenhafter Erledigung seiner Plichten in der großen Stadt Newport täglich hinaus nach dem Seifensumpf, wo er sich mit seinen beiden Händen aus Brettern ein windschiefes Haus zimmerte und paradieslich in Gesellschaft Hennen, Bäumen und guten Vorfäben lebte. Mar muß sich ihn in seiner Einfamkeit, in Eintracht mit feinem Sumpf oder im Kampfe gegen einen unnbotmäßigen Hühnerstall, gegen einen jüdischen Hammer, gegen sein eigenes aufrührerisches altes Ach vorstellen, will man sich zu feinen Säben einen Menschen denken. “ „Im New erje fand ich endlich ein Stil Wald, einen Eumpf, einen Quell und eine noble, breitärtiige Eiche. Unter dieser Eiche baute ich, Aber ich baute nicht um der anderen Leuten, überwacht, patronisiert, kritisiert, begutKorrektheit oder anderer Leute willen — ichh baute fir mich. Für öieles eine Mal verlangte ich vollkommene Freiheit, zur Stolpern, zu fehlen, zu irren, ohne von achtet oder beschlechtachtet zu t werden. Diese Freiheit hatte ich — and meine Irrtümer beging ich. Weitausladend — breithingenießend“ Leftman, und Schon beginnen Die Konturen eines Prachtmenschen aufzudämmern. Aber es kommt moch besser: „In dem Make, wie wir einem feineren und daher dauernderen Leben entgegenwachen, erden tot Die Ehrfurcht vor allem Lebendigen lernen und es in seiner Freiheit ungestört belassen, — weil wir es lieben. Einen Bogel aber, den wir gefangen halten, , lieben sie nit — Wie lieben nur unser Vergnügen, am Bogel. Die höchste Liebe an allem Lebendigen tikt, also ein Weg zum Leben selbst, Das wie aus tausend Batterien in uns zurücfließt, nicht nur aus Baum und Vogel und Infekt, — aus den zwirbelnden Schneefloden und Sturm und Meer!" ‚Wenn wur die Bäume als Brennholz betrachten oder als Material für Fäffer, werden toiv wenig von ihrem Leben bekommen. Aus dem Tiebenden Berfchmelzen mit Der Spee des Baumes wird nun Die Menschheit lernen, welch höherer Naben aus Wäldern zu ziehen it als der, den sie durch Bart und Brennholz gewinnt. Die Liebe wird ihre Jagen, wie die Wälder mit ihren umgeheuren Oberflächen von Milliardenzweigen, Melsen und Blättern ideale Leiter eines höchst geistigen Elements sind, das sie aklumulieren und an dem Menschen, seiner Fähigkeit, zu empfangen gemäß, abgeben !“ Dası durch Herstellung einer Kommunikation zwischen dem Leben des Individuums und dem des ls Das individuelle Leben eine Steigerung erfährt, ist einer der Mulfordichen Grundgedanken. Er fehlt immer wieder, Beridt stehe ich meine Seele dem Tod und öffne sie dem Leben, so strömt Dieses aus tausend Diurellen in sie ein. Die Seele ist ein empfängliches Neogens auf Einflüsse und Sindrüde aller Art; sie Schafft sich Den ebenbürtigen Körper, den mit allen äußeren Merkmalen der Sterblichkeit behafteten, oder Den zur Unsterblichkeit bestimmten. Unsere Gedanken — heißt es im ersten Kapitel des Mujordischen Buches — formen unser Antliß und geben ihm sein persönliches Gepräge. Unsere Gedanken bestimmen Gebärde, Haltung und Gestalt des ganzen Leibes. Die Gebete der Shönheit und der vollendeten Gesundheit sind identisch. Beide hängen völlig von dem Zustande des Beműntes ab, oder, mit anderen Worten, von Der Bescaffenheit der Gedanken, die am häufigsten von uns zu anderen und von anderen zu ung steömen. Häßlichkeit der Mienen entspringt stets aus der unbewußten Webertretung eines Sejebes, bei jung und alt. Sedes Zeichen von Beifall in einen menschlichen Körper, jede Form von Schwäche, alles, was Die persönliche Erscheinung eines Menschen für uns abstoßend macht, hat seine Made in der Dominierenden Stimmung seines Gemüts. Generationen vor uns it von Kind an eingeprägt worden, es sei unvermeidliche Notwendigkeit, es sei Geseh und von iwigfeit in Der Dong der Natur begründet, unseren Leib nach einer bestimmten Zeit verblühen, reizlos werden zu sehen, und auch der Anteilett müsse mit zunehmenden Jahren vere fiegen. Uns ist gesagt worden, der Geist hätte Feine Macht, dem zur Steuern, Feine Macht, den Leib zu regenerieren, ihn von inneren Kräften heraus immer neuer und lebendiger zur gestalten ! Es liegt aber ebenso wenig im umdelweiblichen Lauf der Natur, daß menschliche Körper vers fallen, wie sie bisher verfallen sind, wie es im Laufe der Natur liegt, daß die Menschen mur mit Der Molt fahren sollen, Statt im Automobil, oder daß Briefe nur mit Boten befördert werden können, Statt dire, den elektrischen unten. Es it Die Impertinenz einer Dumpfen Umwissenheit, Behauptungen darsüber aufstellen zu wollen, was im Gesäß der Natur liegt und was nicht! Es it der verhängnisvollste Fritum, auf das Etüdchen Vergangenheit, das uns offen steht, zurückzubilden als den untrüglichen Wegweiser für alles, was in Ewigfeit geschehen wird. So älter, je reifer die Geistigkeit, umso befähigter wird sie sein, der Leid zu beherrschen, ihn zu wandein nach ihrem Willen. Die Gedanken biegen unaufhörlich unsere Mustern nach dem Rhythmus der Gebärde, der aus dem Wesen des Charakters fließt. Jeden Tag solisieren wir uns in eine Daseinsphase, denken uns in einen anderen imaginären Charakter hinein. — Die dominierende Rolle, die wir am häufigsten spielen, wird Dem Leib, Der Maske Dieser Nolle, die Herrschende Linie verleihen. Wer den größten Teil seines Lebens gewohnheitsmäßig sagt, übellaunig sich selbst bejanniert, Digien der Mißstimmung feiert, vergiftet sich das Blut, ruiniert die Gesichtszüge und verdirbt rettungslos seinen Teint, weil in dem unsichtbaren Laboratorium des Geistes ein unsichtbares und giftiges Agens erzeugt wird. — Der Gedanke, Der in Aitionaeiekt das heißt gedacht, nad einen wvermeids bon ne ee ah re