Pester Lloyd, September 1915 (Jahrgang 62, nr. 258-272)
1915-09-16 / nr. 258
FS evé pg ei MORGENBLATT Budapest, Donnerstag, 16. September 1915 Vb 44 4 <== - ZA Budapest, 15. Septem! Umbrauft und erschüttert von toteinn Stürmen ragt das Werk vom Haag in die Nacht hinaus, die sich herabsenfte auf alles, was aus internationalen Einverständnissen hervorgegangen ist. Eine Kraft, die das Böse wollte und dennoch Gutes schaffte, hat den ersten Anstoß zu seinem Werden gegeben: der Zar, der vor dem russisch-japanischen Krieg Friedensgefühle heucheln wollte, hat mit der Einberufung der ersten Haager Friedenskonferenz auch jener Konferenz den Weg geebnet, die später berufen war, die Konvention betreffend die Gehege und Gebräuche des zivilisierten Landkrieges festzustellen. Ehrliche Gesinnungen, starkes und aufrichtiges Wollen haben tatsächlich geschaffen, was der Zar nur als verhüllende Jusion geplant hat und das Werk vom Haag ist auch heute, vielfach erschüttert, gekniet und zerrissen, in seinen Ueberresten auf jene Gebiete verwiesen, wo diese aufrichtigen Kräfte stets wirksam waren: auf die Gebiete der Zentralmächte. Während die Mächte des Vierverbandes das Völkerrecht mit Füßen treten und nur dort neue völkerrechtliche Prägungen erfinden, wo sie glauben, die internationale Rechtsidee zur Berichtung der Neutralen bewußen zu können, hat heute die österreichisch-ungarische Monarchie ihre Fahne auf den umwitterten Wällen des Völkerrechts wieder hochgezogen. Die Prinzipien, nach denen Die k. und k. Militärverwaltung in den „besetzten Gebieten“ Polens wirken soll, die heute veröffentlicht wurden, sind : eine Standarte des Völkerrechts, die aufgerichtet ist auf dem Trümmerhaufen, in den der Vierverband die einst stolz ragenden Bauten des Völkerrechts verwandelt hat, von „dem Zusammenbruch“ erreicht wurden, in dem die geschichtliche Gerechtigkeit jehr ihr Urteil spricht, hatten sie auch Gelegenheit, in besetzten Gebieten zu zeigen, wie sie es mit dem Völkerrecht halten: Sie haben in den Städten Galiziens wie Mörder, Räuber und Diebe gehaust und in ganzen Städten feinen Nagel ungekrümmt gelassen. Sie haben das Gut der friedlichen und bürgerlichen Bevölkerung gestohlen und mutwillig vernichtet. Sie haben die körperliche der Bewohner, wenn sie es gewagt hatten, aus ihren Verstehen hervorzukommen, fürderlich geschädigt. Sie haben die friedliche Bewohnerschaft in den galizischen Städten in der Ausübung ihrer Religion gehindert, die Kirchen der Katholiken verbrannt und bejubelt, die jüdischen Einwohner mit Leib und Leben, Haus und Hof als freie Beute behandelt. Sie ‚haben in den galizischen Städten die Familienehre der unbewaffneten Bürger mit Füßen’ getreten und die Rechte der Freizügigkeit, der Sprache, der politischen Ueberzeugung völlig außer Kraft gelegt. "In galizischen Städten wurde die russische Amtssprache dekretiert, in katholischen Kirchen die orthodoxe Geistlichkeit eingeführt und die jüdischen Waisenhäuser wurden in Pferdeställe umgewandelt. Die Gebräuche des Landkrieges,die in dem Werke vom Haag festgestellt sind, garantieren die Sicherheit des Privateigentums, der Familienehre und des Lebens der unbewaffneten Bevölkerung, sie garantieren die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und, bis zur definitiven Regelung durch den Friedensschluß, die Geltung des heimischen Rechtslebens.. Von " alledem ist in Galizien gerade das Gegenteil: geschehen. Die Russen haben alle Güter, vor denen das internationale Recht seine schüßenden Schranken aufgerichtet ‘hat, ru<hlos angegriffen, ' geschädigt und vernichtet.‘ " Die Würfel sind endlich, gefallen und Rußland verliert das Spiel. Ges<lagen und in seiner Angriffskraft gebrochen, flutet das Heer des Zaren zurück. Galizien ist frei und an dem äußersten Streifen Ostgaliziens verteidigt die russische Armee hoffnungslos und verzweifelt die rechten Ueberreste der galizischen Herrlichkeit des russischem Kriegsruhmes.. Und während Rußland an den äußersten Grenzen Galiziens auf verlorenen Posten Fechten muß, dringen unsere Heere immer weiter in russisches Gebiet ein, sind die russischen Gebiete Polens in unserer Macht und unsere Here stehen auf dem Boden vor Wolhyniene Sr vierundzwanzig Kreisen: Russisch... Bolens hat sich das österreichisc-ungarische Generalgouvernement etabliert und mit Tomasow, Hrubiepow und Cholm“ vermehrt sich die Zahl dieser Kreise auf siebenundzwanzig. Im "Bewußtsein des Sieges, den gezshlagenen Feind rastlos verfolgend, von Tag zu Tag in kraftvoller Herrlichkeit vorwärtsschreitend und neuen Ruhm dem alten hinzufügend, richtet Oesterreich-Ungarn in den Gebieten, die Durch das deutsch-österreichischungarische Abkommen von Kattowig und Posen dem Wirkungskreise des österreichisch-ungarischen Generalgouvernements in Russisch-Polen zugewiesen sind, seine Haager Konvention betreffend die Gesete und Gebräuche des Landkrieges ein festes Bekenntnis zum internationalen Recht ablegt und erklärt, daß sie, wo keine zwingenden Hindernisse entgegenstehen, in den beseßten Gebieten die geltenden Gesäße in Kraft halten werde. In großmütigster Weise schüst die Monarchie in den besekten Gebieten durch eine entsprechende Organisation die wirtschaftlichen Interessen und die Verkehrsinteressen der Bevölkerung, die so viel gelitten hat. Die Gemeinden bleiben in ihrer bisherigen Gebietsabgrenzung aufrecht. Die Kompetenz der Gemeindegerichte ist unberührt. Der Gebrauch der Muttersprache ist der Bevölkerung im Verkehr mit den k. u. k. Kommanden und den diesen zugeteilten staatlichen Zivilorganen gesichert und uch die öffentlichen Kundmachungen berücksichtigen die Muttersprache der Bevölkerung. Im Gebiete der strafrechtlichen und der zivilrechtlichen Praxis bleibt die Role der Gesete des Landes gewahrt und als „oberster Grundtag“ der Administration im Dekkupationsgebiete sind „Gerechtigkeit und Unparteilichkeit“ proklamiert. Die Worte, in denen die Veröffentlichung der Grund- Pflagen unserer Verwaltung in Polen ausklingt, sind ein Manifest großmütiger und auf der Höhe der Zivilisation stehender Auslegung der Rechtssazung. dom. "Haag: „Keine politische Richtung soll verfolgt oder begünstigt, es soll nur objektiv amtiert werden.“ In der Bevölkerung soll „nicht nur die Ächtung vor der Rechtschaffenheit, vor der Autorität der Verwaltung, sondern auch das Vertrauen zu ihrem Wohlwollen und zu ihrer Gerechtigkeit gewedt und gesichert werden, damit schon die gegenwärtige Okkupation die Befreiung von drückenden Verhältnissen, den Einzug von Ordnung und Gerechtigkeit“ bedeute und als Wohltat für das Volk empfunden werde. é in den Anfa | ' Eh DT 0:4 En! - | ) . Feuilleton. Die Sage vom Weltkrieg. Von Theodor Horu (Wien). Das wird man in einigen tausend Jahren, zu einer Zeit, die von ung, so weit entfernt ist, wie beispielsweise der trojanische Krieg von der Gegenwart, wohl noch vom Weltkriege wissen? Dann werden vielleicht die Kulturzentren ji an Stellen erheben, an die wir heute ebenso wenig denken,“ wie der vielgereifte Odysseus an die Orte dachte, auf denen Heute Budapest, Wien und Berlin ehen. Als einzige Gesamtheit werden dem rüdbleidenden je wohl" alle die ungeheueren Geschehnisse erscheinen, in Deren Mitte wir seit mehr als einem Jahre stehen und deren volle Größe wir wohl ebenso wenig ermessen können, wie dies die Zeitgenossen früherer geschichtlicher Umwälzungen vermochten. Heute wird unser Geist doch immer wieder von dem Ganzen auf die Einzelheit hingelenkt; do< auch die gewaltigsten Schachten, deren Ausgang wir Gegenwartsgenossen , mit " fieberhafter Spannung erwarten, werden sich unseren Nachkommen doch nur als Episoden in diesem Weltbrande darstellen. Und wie viele Episoden haben sich in diesem Kriege ereignet, die man fast unwahrscheinlich nennen könnte, wenn sie nicht buchstäblich wahr wären: seltsame Zufälle, übermenschliche Heldentaten, Wunder an Tapferkeit und Entschlossenheit, kaum glaublich erscheinende Lebensrettungen. Man scheut sich heute schon einem en Gedanken Ausdruck zu geben, der ausgesprochen und geschrieben wurde, daß er oft pekanal klingt: „Hätte ein Dichter noch nor wenigen Jahren, dies. ersonnen, dann. hätte man seiner Erzählung vorwerfen können, sie trage den Stempel der Erfindung.“ Ist dies nun bei den einzelnen Episoden. der Fall, so trifft dies in weit höherem MaßeMenschengeschlechtes ‚zählt sicherlich der Mythos von dem Weltkriege, in dem Millionen und Millionen einander in blutigem Kampfe gegenüberstanden. Seltsam erscheint diese Sage wegen des an Absurdität grenzenden ungeheuerlichen Stoffes, — interessant, weil sie augenscheinlich eine Vermischung verschiedener Themen darstellt, die voneinander zu entwirren noch nicht gelungen ist. Wurden sie von einem gottbegnadeten Dichter “ersonnen ist diese Sage eine absichtslose Vermischung einzelner Basardengesänge durch den Volksmund? : Diese Fragen wird man wohl nie entscheiden. Jedenfalls lassen sich mehrere von einander scharf getrennte Motive in diesem Sagenkomplex unschwer erkennen . Das eine und wichtigste dieser Motive gibt uns Kunde von "gewaltigen Naturereignissen, europa einstmals heimgesucht wurde. Man wird nicht fehlgehen, wenn man diese Erscheinung als eine vorübergehende Vereisgnalepoche aufsakt, welche: die Sage durch ‚ir: Zusammenhange. filation von Naturerscheinungen missen ist ja eine bekannte Form aller Mythen. Der Eirese entsandte seine Söhne als den fernsten nördlich Zonen, selbst aus dem ewigen Winterlande Sibirien je die Kulturstätten; er hatte, wie die Sage erzählt, wo zu einer Zeit, da niemand an seine feindseligen Absic dachte, „gerüstet“, bis er mit aller Macht und Wu über die Grenzen drang. Das damalige Menschengeschlec scheint gegen diese Invasion sich in ähnlicher W zusammengetan zu haben, wie die Marsbewohner mit ihren Kanälen sich gegen Ueberschwemmungen schüßen. Stadt und Land taten sich zusammen, Burg und Dorf kämpften für dieselbe Sache. (Hinden-Burg und Hoepen-Dorf sind demnach nur als Begriffsnamen und nicht als wirkliche Persönlichkeiten aufzufassen.) Wie lange diese Periode des Vordringens gewährt hat, darüber fehlen uns natürlich „genaue Zeitangaben. Wir hören, aber, daß die Eisriesen aus Sibirien bis zu den Karpathen vorgedrungen sind, ehe sie — kaum daß je einen Streifen des Ungarlandes betreten hatten zuerst zum allmählichen Zurug weichen und dann zur vollen Flucht gezwungen wurden. Wenn“ dieser Rückzug auch naturgemäß früher begann, wird dennoch Der Höhepunkt des beginnenden Siegeszuges gegen die ES riesen mit sinnfälliger Absichtlichkeit auf einen 22. Suni (Sommeranfang) verlegt, an welchem Tage die sagenhafte Stadt Leopolis (Lemberg) endgültig dem Resite des Feindes entrissen wird und aus dem todesähnlichen Winterschlafe zu neuem Leben erwacht. .. S. Es ist selbstverständlich, daß diese gewaltigen Naturerscheinungen auf unserem Planeten nicht vereinzelt dastanden. Gewaltige Erdbeben im fernen Süden. und Meteorfälle in den Dardanellen (Granaten und Schrapnells von ungeheuerem Gewichte, wie die Sage erzählt) standen wohl mit den geschilderten Vorgängen auf die Gesamtheit | von denen Zentralund kosmischen Geigers I 4 | | ;