Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1893. Juni (Jahrgang 20, nr. 5919-5943)

1893-06-25 / nr. 5940

Redaktion und Administration Heltauergasse 23. eint mit Ausnahme des auf Sonn­ und Fast folgenden Wochentages täglich. Abonnement für Hermannfadt: monatlich 85 Er., vierteljährlich 2 fl. 50 fl., Halb­­jährig 5 fl., ganzjährig 10 fl. ohne Zustellung in’3 Haus, mit Zustellung 1 fl., 5 fl., 6 fl. 12 Abonnement mit Postversendung: Für das Inland: bierteljährig 3 fl. 50 Er., halbjährig 7 fl., ganz­­jährig 14 fl. N Für das Ausland: bierteljährig 7 AM. oder 10 Fred., halbjährig 14 AM. oder 20 Fred., ganzjährig 28 AM. oder 40 Fre Eine einzelne Nummer tostet 5 fl. 5. W. Unfrantirte Briefe werden nicht angenommen,­­ Veanusfripte nicht zurückgestellt. Siebenbürgisch-Deulsches: Nr. 5940, XX. Jahrgang Hermannstadt, Sonntag 25. Zum­ Pränumerationen und Anferate übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauer> Wafse Nr. 23: in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresswandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz G. Wachsmann, Sächsisch-Regen Carl Fronius, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Batzoni, Zehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein - Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Heinrich Schalek, J. Dannen­berg, Budapest A. V. Goldberger, B. Eckstein, Frankfurt a. M. G­. L. Daube & Co., Hamburg Adolf Steiner, Karoly­n Liebmann. Aufertionspreis: Der Nam­ einer einspaltigen Garmonbzeile fortet beim einmaligen Einraden 7 fr., das zweites mal je 6 fr., das drittemal je 5 kr. d. ®. ex­­clusive der G Stem­pelgebühr von je 30 fr. 1893. „Gewichtige Gründe“ in Bifrik. (Eine Anfrage an unsere Zeitungen und an unser Volk.) Als am 12. April I. Z. in Bistrik die Vizegespanzstelle belegt werden sollte, da richtete sich von vielen Seiten unseres Sachssenlandes gespannte Auf­­merksamkeit auf den Nösnergau. Man war sich dessen von vornherein bewußt, daß es sie um eine ganz besondere Frage handelte, die nicht durch den Kiel bloßer Neugier, sondern aus tief gefühltem Interesse wichtig für jeden Sachsen war. Handelte es sich doch darum, daß dieser gewichtige Posten mit einem Sacsen beseßt werden sollte, und was das bedeutete, war jedem Har. Handelte es si doch darum, daß sein geringerer, als der Abgeordnete U. Bay, für diesen P­osten von der Majorität in Aussicht genommen war. Da Fam eine Ueberraschung nach der anderen. Der Abgeordnete U. Bay zieht in zwölfter Stunde sein Gesuch zurück. Große Bestürzung bei den Bistrikern. Sie einigen sich auf einen vom Obergespan vorgeschlagenen Mann, der si als ein Stroh­­mann erweist. Als unwohlerzogener Strohmann tritt er in dem­­ entscheidenden Moment zurück, ebenso der andere vom Kandidationsausschuß aufgestellte Be­­werber, und nun proklamiert der Obergespan ungeachtet des berechtigten Pro­­testes der erdrüdenden Majorität zum Vizegespan den „einhellig gewählten“ Grafen Lazar. Derselbe Graf wird sofort beeidet. Die Majorität verläßt pro­­testierend den Saal mit dem festen Entschluß, zu refurmieren. Diese Vorgänge bildeten mit Recht in den verschiedenen Freien unseres Volkes den Gegenstand lebhafter Erörterungen und allgemein erwartete man von den Biftrngern eine That, die beweisen sollte, daß sie nicht gewillt seien, ih ihr Recht raubhen zu lassen. Das Erwartete erschien, der Rekurs, in dem 81 Kongregationsmitglieder gegen den „Gewaltakt”, gegen die „Mißachtung des Gesäßes”, gegen die „"Rechtsverlegung"“ Einsprache erhoben, erschien. Diese Thatsache war für viele im Sachsenland­ eine Erlösung von einem gemissen Drud, der eisern und schneidend die Gemüter belastete. Die 81 Stongregations­­mitglieder aber, die auf der Wacht standen, die ihr Necht haben wollten, das man ihnen genommen hatte, standen in einer Art Gloriole da. Und viele gute Winde gingen mit dem Rekurs aus Bittung und dem ganzen Sachssenlande mit — ab, es waren bloß fromme Wünsche. Denn fie, in der bescheidenen Rolle einer Lokal­orrespondenz erschien — man kann sicher sagen, daß sie nicht von allen bemerkt wurde — eine kurze Notiz mit den trockenen Inhalt! „Am 23. Mai I. 5. erstattete die in Angelegenheit des Resurfes entsendete Deputation vor der Vollversammlung der Unterzeichner des Nekurses einen Bericht über die Durchführung ihrer Mission und stellte dann den reif­lift erwogenen, auf schwermwiegende Gründe si stoßenden Antrag auf Zurückziehung des Rekurses. Im Anbetracht der angeführten gewichtigen Gründe beschloß die Bersammlung einstimmig, der Rekurs solle zurückgezogen werden, ı0a3 either auch geschehen ist." Daran wird in einer Art von Nefrolog der Sab gefügt: „So hat man denn wieder von sächsischer Seite den guten Willen zu einem friedlichen Einvernehmen in der entgegenkommendsten Weise an den Tag gelegt.“ Requiescat in pace! Der müßige Zeitungslefer num, der etwa diese Notiz in jener Korre­­spondenz aus Bistrit gelesen hat, denkt wohl bei sich: Das müssen wahrlich gewichtige Gründe ge­wesen sein, die diese Vollversammlung dazu haben bewegen sollen, einen berechtigten Rekurs zurüczuziehen. Dieser BZeitungsleser begnügt si aber vielleicht mit der Feststellung dieses Saches und geht zur Tages­­ordnung über. ‚Der aufmerksame Zeitungsleser m wird aber bei jener Notiz stußig. Bei seinen Augen treten die wohlerwogenen Säbe jenes Nefurfes auf, der mit so eindringlicher Sprache für die Beseitigung des Gewaltaftes redete und zeugte, und indem er vieleicht jene wuchtige Schrift mit diesem kurzen Bericht vergleicht, denkt er bei sich: es ist doch sehr schade, daß man diese gewichtigen Gründe nicht erfahren kann. Der Bettungsleser aber — und ed giebt auch solche — der die Vorgänge im unserem öffentlichen Leben verfolgt, und mit umso größerem Interesse verfolgt, je mehr er im sich jäh­fliches Blut fühlt, das bei Gewaltakten auch in berechtigte Wallungen geraten darf und sol­­der wird sich nicht nur wundern, daß ein in so bedeutender Art verkündigtes Er­­eignis, wie der Nefurs­e3 war, in seiner Erledigung so kurz, so­­ beiläufig in einer Rubrik, wo font auch Marktberichte erscheinen, abgethan wird, sondern es wird sich fragen: Sollte e8 denn nicht nötig gewesen sein, daß, diese Voll­­versammlung in Bistrip den anderen Sachen doch auch irgend­etwas von den gewichtigen Gründen in einer Zeit von mehr als 20 Tagen habe bieten müssen? Denn es scheint ja nicht ein zu großes Unrecht zu sein, wenn die anderen Sachsen ss um ein so wichtiges Ereignis befümmern. Oder soll es wirklich so weit schon gekommen sein, daß man in dem einen Komitat nicht darnach fragen darf, was die Stammesbrüder im anderen Komitat leiden und thun und nicht thun? Soll es wirklich so weit schon gekommen sein, daß die öffentliche Meinung, die hier ein brennendes Bedürfnis hat, mit einem­ so nichtöragenden Wort: gewichtige Gründe, abgespeist wird? Nein, das gebt offenbar nicht, daß man eine solche Angelegenheit versch­weigt, und zwar geht es darum nicht, weil die Bittunger Frage eine solche ist, die das ganze Sachsen- Land betrifft. Was dem Glied eines Körper wichtig und notwendig it, das ist für den ganzen Körper wichtig und nötig und das ganze Volk hat ein Recht, muß ein Recht Haben, die Bittrnger Vorgänge zu fennen. Man erinnere si einmal, mit welcher Heftigkeit die öffentliche Meinung unserer Vaterlandsgenossen, der Magyaren, bei der geringsten Veranlassung losbricht. Berserker scheinen reine Karthäuser gegen sie. Nun ist freilich nicht zu unwünschen, daß wir Sachsen eine ähnlie Heftigkeit entwickeln. Uebrigeng liegt uns auch Heftigkeit viel zu fern. Unser Blut ist viel zu ruhig, unsere Art ist zu nüchtern. Aber, weder Ruhe noch N­üchternheit ist bereit, solche Er­­eignisse in der­ Art zu behandeln, wie wenn man ein Sachtuch einsteht; es scheint vielmehr etwas anderes zu sein, das in dieser Ruhe und Nüchternheit steh­t und da3 es möglich gemacht hat, daß ein Ereignis, wie die Einreichung und die­­ Zurückziehung des Nefuries, wo die erste berechtigt war, die andere aus sogenannten gewichtigen Gründen basiert sein sol, daß ein solches Er­­eignis schon einen Monat gelebt hat, ohne daß man darüber spreche. Was ist dies Etwa? Zuerst tritt man für das Recht ein; man will einen Rekurs; man hat das Recht auf seiner Seite: Gerechtigkeit soll geschehen! Dann — sollen „gewichtige Gründe“ — die vorher nicht da waren? — den Nachzug deben ? Wer erinnert sich nicht, irgend­einmal die Abbildung einer Sphyng ge­sehen zu haben, eine von den merkwürdigen Gestalten griechischer Einbildungs­­kraft, deren Spur immer haften bleibt. Man kann stundenlang vor einem solchen Bild stehen, und immer wird der starre unbewegliche Ausdruck bleiben. Nichts von Leben, nichts von Negung. Ebenso starr, ebenso regungslos steht das Wort „gerichtige Gründe” vor einem: sein Anhaltspunkt, Fein Aufschluß. Nun sollen die Sphyngen gefährlich gewesen sein, nach den Märchen der Alten für jedermann gefährlich. Es ist sehr zu befürchten, daß dieses Wort „gewichtige Gründe“ nicht weniger gefährlich wird für jeden, der nach der Wahrheit trachtet, und da er sie, scheint er, nicht erhalten kann, sich in Vermutungen einläßt. Nach einem Märchen der Alten war eine Sphyng ganz besonders gefährlich und grausam. Eine entjegliche Verwirrung hatte si durch sie über das ganze Land gebreitet; alles Lebte in Angst und Ungewißheit des Todes. Endlid­ kam der Retter Oedipus, der durch die Schärfe und Uiederlegenheit des Geistes die Verwirrung und ihre Ursache zwang. U, auch wir sind im Bustand der Vers­wirrung; unsere Hoffnungen und Erwartungen liegen nieder, unser Handeln ist das der Angst und Ungewißheit, — wo ist der, der uns rette? Und es ist dringlich, daß er komme, denn wahrlich wir haben „gewichtige Gründe“ dafür, daß das Wort der Erlösung gesprochen wird: Wohin treiben wir? Mag man sich drehen und wenden wie man will, der Bann, den diese geheimnisvollen Worte angüben, läßt nicht frei. Dabei scheinen sie sprechen zu wollen und schweigen doch so tief, wie das Grab nur schweigen fan. Weil sie mun aber nicht? jagen künnen, so ist doch der Versuch zu machen, ob nicht das Schweigen, das Verschweigen etwas aussagen Fan. Das ist doch auch zu prüfen. Wer erinnert sich nun nicht, in dem Nekord gelesen zu haben, daß die 81 Kongregationsmitglieder sie auf mehrere gejegliche Bestimmungen berufen ? Wenn sich nun der Rekurs und die Deputation, wie anzunehmen ist, mit Recht auf diese Bestimmungen beruft, so kann der Minister der Deputation vielleicht gesagt haben, daß sie irgend­eine Gefiegesbestimmung übersehen oder nicht recht interpretiert Habe? Was hätte nun in diesem Fall die Deputation und die Bollversammlung jener 81 Mitglieder thun müssen? Sie hätte ihren Sertum eingestehen können, ohne daß sie so viel Schlechtes hätte nachsagen lassen müssen. Und wenn in dem Bericht über diese­legte Versammlung eine Er­­wähnung davon gestanden wäre, so hätte man einen ge­wichtigen Grund gefunden. Nun aber schweigt der sonst beredte und doch so kurze Bericht über diesen Umstand mit aller Hartnädigkeit, so daß gefolgert werden kann: Der Minister habe wohl den berechtigten Rekurs anerkennen müssen, — aber eine ganz eigenartige Sorte von andern gewichtigen Gegengründen ausfindig gemacht, um einen berechtigten N Rekurs rückgängig zu machen. Welcher Natur sind wohl diese Gründe? — Das ist die Frage, die sich durch alle diese Zeilen zog. Vielleicht Hilft der Nefrolog irgend­einen Schatten eines dieser Gründe zu ergründen. Er ist nämlich, was hiemit dankbar aner­­kannt werden soll — ausführlich. Er schreibt nämlich: „So Hat man von sächsischer Seite den guten Willen zu einem friedlichen Einvernehmen an den Tag gelegt." Wirklich zu einem friedlichen Einvernehmen? Ja, wenn es heißt, daß der eine befiehlt, der andere gehorcht, daß der eine dictiert, der andere vollführt, daß der eine lebt, der andere darum zu bitten hat, daß der eine nicht nur den Rad dem andern nimmt, sondern dieser andere auch den Mantel dazu giebt,­­ dann ist dieses friedliche Einvernehmen wirklich friedlich. Aber es heißt ferner: Man hat dieses Einvernehmen in der entgegen­­kommendsten Weise an den Tag gelegt. Gewiß­­tmas kann noch mehr entgegen­­kommend sein, al wenn man sein Recht aufgiebt. Uebrigens verhält es sich in der großen Welt so, daß, wer von Entgegenkommen gesprochen wird, sich dieses immer auf den Stärkern bezieht. Sind wir, sind die Bistriker hier die Stärkern gemesen? 3 Klingt die bittere Ironie, diesen Gedanken auszudenken und sich vorzustellen, wie den „Schwächern“ dieses entgegenkommende Vorgehen imponiert haben mag. Und was wird dann „guter Wille” genannt. Es scheint weder gut ge­wesen zu sein, noch scheint der freie Wille hier gesprochen zu haben, sondern etwas ganz anderes, was wir in jener „R­uhe und Nüchternheit“ früher zur finden gesucht haben. Doch sol nicht Bitterfelt vergällen, sie soll nicht die Gemüter vergiften, obwohl mehr als ein Umstand darauf angelegt zu sein scheint, da Gemüt zu erschüttern. Auch sollen nicht bloße Vermutungen den Blil verwirren, die Aussicht trüben, denn wahrlich wir­ haben gemwichtige Gründe, ein ruhiges und starres Denken und ein wahrhaftes Gefühl für Ehre zu wünschen! Wer aber zeigt und, wohin wir treiben? Wer zeigt uns den Weg, den wir zu wandeln haben mit solchen gewichtigen Gründen, daß alle ohne Ausnahme folgen können ? Nefern des landwirtschaftlichen Unterrichts. Im Ader­­bauministerium fand am 22. d.M. unter Borfig des Ministers Grafen Andreas Bethlen in Angelegenheit der Reform des Landwirtschaftlichen Unterrichts eine Enquete statt. An derselben nahmen außer dem vorfigenden Minister teil: Staatssekretär Edmund Miklos, Anton Lufacs, Alexander Bujanovics, Yuling Horvath, Alerius Perlaty, Emerich Jakabfy, Bela Tormay, Eugen Konfjay, Fidor Maday, Gabriel Nagy, Ludwig Dobosay, Michael Rosjonczy, Geza Forster, Karl­ Borois, Boltan Szilaffy, Josef Sandor, Anton Kodolanyi, Stefan Bernath, Koloman Forster, Arpad Balazs, Dr. Leo Liebermann, Ko­­loman Domoros, Dr. Eugen Rodiezky, Alexander Words, Alexander Czerhati, Stefan Molnar, Geza Hauer und Dr. Franz Lonyai. Der Minister begrüßte die Erschienenen, betonte die Notwendigkeit dieser Reform und ersuchre die Mitglieder der Engquete sich bezüglich des ihnen schon früher zugesendeten Memorandums zu äußern. — Bela Tormay schilderte in einer sehr beifällig aufgenommenen Rede die Geschichte unseres landroirtschaft­­lichen Unterrichtes, wobei er auch die bezüglichen ausländischen Organisationen kennzeichnete. — Hierauf wurden die vom Ministerium vorgelegten Fragen einzeln verhandelt. Die­dee der Errichtung einer auf dem Niveau einer Universität stehenden Hochschule wurde allgemein gebilligt, besonders wurde bei Bremilleton. Bon der Kehrseite. Noman von Walter Besant und James Rice. M­utorisierte deutsche Uebertragung. (9. Fortlegung.) Zehn Jahre später. Anthony zählte secht zwanzig Jahre und war schon in das Geschäft eingetreten, um allmählich in den vermwidelten Geschäftsgang einer großen Firma eingeweiht zu werden. Sein Vater empfing eines Morgens einen an seine Adresse in der City gerichteten Brief, dessen Inhalt ihn sehr aufzuregen und zu betrüben schien. Er ließ unfern Anthony kommen und legte ihm denselben vor. „Geh’, Anthony,“ sagte er: „Hole den Jungen von dort ab und bringe ihn sogleich auf eine andere Schule. Aber seine Mutter darf sein Wort über die Veranlassung dieses Wechsels erfahren.” Auch von der neuen Schule kamen Klagen über­lagen wegen des schlechten Betragens des Knaben; er galt als das Muster eines schlechten Schülers. Er lernte gar nichts, jeder Ehrgeiz war ihm fremd, aie Ermahnungen und Vorhaltungen prallten wirkungslos von ihm ab. Anthony ließ von dem, was er erfuhr, seinen Vater möglichst wenig, seine Mutter nichts wissen. Das bedenklichste Anzeichen war, daß Stephen selbst unter seinen Mitschülern unbeliebt war und von ihnen gemieden wurde. Und doch sind bekanntlich Knaben stets bereit, einen Knaben, der sich je über die Schulregeln hinwegfest, den Schulzwang durchbricht und hin und wieder einmal „über die Stränge schlägt,“ gewissermaßen als Helden zu bewundern; er mußte also gegen Stephen etwas ganz Besonderes vorliegen, wovon selbst seine Schulzeugnisse nichts berichteten. Der Vater starb, während Stephen noch die Schule besuchte. Auch die Mutter verschied bald darauf, und Anthony erinnerte sich, mit welcher mütter­­lichen Zärtlichkeit sie es ihm auf ihrem Sterbebette and Herz gelegt, niemals seinen jüngeren Bruder zu verlassen, niemals, was auch geschehen möge ihm seine Verzeihung zu verjagen, seine Hilfe und Unterfrügung zu entziehen.“ „So habe mehr gewußt, als du glaubtest, lieber Sohn,” sagte sie: „Andere erzählten mir, was du mir verbargst, Er ist auf schlechte, o, auf Und nun übersprangen seine Gedanken einen Zeitraum von zehn Jahren, und er sah sich, — den alle Welt für einen Junggesellen, der auch voraus­­sichtlich ein solcher bleiben werde, gehalten hatte, — er sah si ein zehn­­jähriges Mädchen in sein Haus bringen und gestehen, daß er die Welt ge­täuscht habe; denn — melde Ueberraschung! — er sei ein Witwer und dieses Kind seine Tochter Alison, deren Mutter im Wochenbett gestorben sei. Noch Heute mußte er lächeln, wenn er daran zurückdachte, wie seine Ver­­wandtschaft die Angelegenheit, mit allerlei geheimungvollen Nebenumständen ausschmücke, wie sie tagelang von nichts anderem sprach), wie mar fam und die Heine Alison Liebtofte und sie auszuforschen versuchte, und wie enttäuscht jede Schlechte Wege geraten. Aber er ist noch jung und fan sich vielleicht bessern, und dafür, wenn es möglich ist, s­orge du, geliebter Sohn, und Gott gebe dir seinen Segen.“ Und Anthony erinnerte ei des durch die lechten Thränen seiner Mutter geheiligten Versprechens, das er im jener ernsten Stunde feierlich ab­­gegeben hatte. Wieder eine neue Szene stand Anthony vor Augen. Er war im Ges­chäftshaus der Firma in der City. Seine Teilhaber kamen eines Morgens zu ihm; sie waren ernst und verlogen. Einer von ihnen erzählte mit zögernden Worten einen peinlichen Vorfall. Kaum war er allein, so ließ der ältere Bruder den jüngeren zu sich rufen. „Du mußt das Haus verlassen,“ sagte er: „Nach dem, was vorgefallen ist, kannst du unmöglich länger im Geschäft thätig sein. Die Sache sol unter und bleiben, aber du mußt gehen. Hier ist Geld, und wenn ich dich in hier Mochen wieder sehe, kannst du mir Hoffentlich mitteilen, wozu du dich ente ichlossen hast.“ Die Erinnerungen des Träumenden rücten der Gegenwart immer näher. Er erinnerte sich, wie Stephen, der sich angeblich gleichfalls dem Indigohandel zugewandt hatte, nach erlangter Volljährigkeit seinen Anteil an der väterlichen Erbschaft ausgezahlt erhielt, und wie man die für einen jüngeren Bruder immerhin beträchtliche Summe in kaum zwei oder drei Jahren verschmwand, so daßs Stephen sich wieder auf eigenen Erwerb und in Ermangelung dessen auf die Unterftügung seines älteren Bruders ange trefen sah, “ Stephen aussah, und wie finster er dreinschaute; denn er war nun nid mehr der voraussichtliche Erbe seines Bruders. „Eine so geheimnisvolle Vergangenheit des Chefs der Familie,” dachte Anthony vor sich Hin, „ja er war wirklich für die übrigen eine rechte Ueber­­raschung. Wäre er Stephen gewesen, so Hätte er niemals Erstaunen erregt. Über er, der wohlgeratene Sohn der Familie! Und hier,“ — er­öffnete das Manuskript, — „hier erwartet sie eine noch größere Ueberrashung. Sa, liebe Bettern, wie werdet ihr, am Montag Abend dreinschauen, wenn die Zeitungen berichten, daß Rahel Natherfole einen Verhaftungsbefehl gegen Anthony Hamblin ausge­wirkt hat!” Er sprach in bitterem Tone die rechten Worte; aber auffälligerweise fehlte in seinem Ausdruch noch immer das, was Rahel so sehr zu sehen ge­­­wünscht hatte, — Furt und Schreden. Das Manuskript war nicht sehr umfangreich und von Anfang bis Ende von einer Hand geschrieben, die er als diejenige Rahel Natherfoles fo»­fort erkannte, „Wie war es nur möglich,” sprach er lächelnd, „daß dieses Weib je denken konnte, ich sei in sie verliebt? Schon damals gab sie sich vielleicht nicht ganz, aber doch tat ebenso unsympathisch und abstoßend wie Heute; niemand konnte für ein solches Weib etwas empfinden. Arme Rahel! sie ist’ jet glücklich; sie glaubt, der Tag der Rache sei für sie gekommen. * Er zündete die Zigarre an, welche er in Gedanken neben fi auf den Tisch gelegt hatte, und begann zu lesen. „Meine Geschichte,” stand auf dem Titelblatt. Eine einleitende Erzäh­­lung von Rachel Natherjole selbst nahm den weitaus größten Teil des Manuskripts ein. „Es ist recht und billig,“ hieß es sodann weiter, „daß Sie erfahren, wie ich da genaue Datum und die begleitenden Umstände des Todes meiner hingemordeten Schwester erfuhr, — doch welche Fügung der Vorsehung ich zu dieser Entredung geführt und dadurch in den Stand gefeßt wurde, Punkt für Punkt das Material zu einer Anklage zusammenzustellen, die zu Ihrer Bestrafung hier auf Erden führen wird.“ Anthony Hamblin niete, nahm die Zigarre aus dem Munde und sehnte sich nachdenklich zurück. Nach einer kurzen Raufe lad er weiter: i­­ b:

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