Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1900. Oktober (Jahrgang 27, nr. 8145-8170)

1900-10-24 / nr. 8164

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Oktober 1900.­­ Pränumerationen und Anferate übernehmen außer­dem Hauptbureau, Heltauer­­gasse Nr. 23, in Kronstadt Heinrich Zeidner, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Fritz Teutsch, Bistritz Arthur v. Schankebank, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos H. Graef, Reps Johanna Guiesch, Buchhandlung, Wien Haasenstein & Vogler (Otto Maas), Rudolf Mosse, A. Oppelik, M. Dukes, Nachfolger, Hein­­rich Schalek, J. Danneberg, M. Zitters Inseraten­­bureau „Die Annonze“, Budapest A. W. Gold­­berger, B. Eckstein, J. Blockner, Frankfurt a. M. G. L. Daube & Co. Insertionspreis : Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile fostet beim einmaligen Einraden 14 9., das zweite­­mal je 12 9., das drittemal je 10 9. AXVI. Lahrgang. Der Kanzlerwechsel in Deutschland. Aus der Reihe der Auflage, mit denen die uns zugänglichen deutschen Zeitungen den Wechsel auf dem höchsten Beamtenposten des Deutschen Reiches begleiten, greifen wir zum Bwed der teilweien Wiedergabe zwei Aufläße der Berliner „täglichen Rundschau“ heraus, eines Blattes, dad uns durch seine ganze Haltung auch in diesem Fall die beste Gewähr einer von Parteistand­­punkte umbeirrten, unbefangenen Beurteilung der in Frage flehenden staats­­männlichen P­ersönlichkeiten bietet. In ihrer Nummer vom 19. d. M. midmet die „Tägliche Rundschau“ dem­­ scheidenden Sanzler die folgenden Abjiedsworte: „Süfft Hohenlohe zahlt der Natur seinen Tribut, wenn er sich von seinem schtoeren verani­wortungsvollen Amte zurückzieht; daß aber dieser Wechsel ich vollziehen kann ohne Erschütterung, eine Schwankung, daß gereicht dem s­eidenden Staatsmann zum Verdienst. Vor sechs Jahren braten fast die­­selben Oktobertage den nationalgesinnten Breifen des deutschen Volkes ein Auf­­atmen von jeäwerem Mißmut und ernster Sorge. 5 mehrten sich die An­­zeigen, daß der unselige Kurs des Abirrend von den bewährten Bahnen Bismarckiger Staatsweisheit endlich verlassen werden sollte. Wenige Tage darauf rief der Wille des Kaisers den greisen­­ Fürsten Hohenlohe an die Stelle des Grafen Caprivi. LUmm­ere schnelllebige Zeit hat von Halb und halb vergessen, welche schwere Aufgabe dem in der Mitte der Siebziger stehenden Bürsten aufgebürdet wurde, welches Mak von Baterlandsliebe, Selbstlosigkeit und innerer Freiheit von gewöhnlichem Ehrgeiz dazu gehörte, um eine solche Aufgabe auf sich zu nehmen. Der in diplomatischen und parlamentarischen Geschäften ergraute Staatsmann stellte sich dem thatkräftigen, impulsiven Monarchen zur Verfügung, obwohl er wußte, daß der Kaiser sein eigener Kanzler sein wolle. Er trat an die Stelle, wo noch­ wenige Jahre vorher der größte Staatsmann des Jahrhunderts gemaltet hatte, und er b­at das, nicht ausgerüstet mit dem unbefangen­en Dilettantismus seines Vorgängers, der alles machen zu können glaubte, was „befohlen“ war, sondern mit der Haren Er» fennt und dem­ erfahrenen Bolititerd, der selbst als Mitarbeiter Bigmards ihn bewundern gelernt hatte. Er sollte die Hoffnung des Patrioten auf die Befreiung gründlich ver­­fahrener Zustände rechtfertigen und erkannte doch mit voller Klarheit die Grenzen, die ihm seine eigene Kraft und die eigentümlichen Verhältnisse in der Regierung Preußens und des Reiches zogen. Freilich untersrügten­ ihn dabei seine Hohe gesellschaftliche Stellung und seine verwandtschaftlichen Be­­ziehungen zum Saiserhause ; andererseits erlwuchsen ihm in seinen Beziehungen zu dem führenden heutsen Staat auch dieder Schwierigkeiten daraus, daß er in seinen besten Mannesjahren außerhalb des preußischen Staates gewirkt hatte. Sahen doch die intransigenten Preußen von der Rechten, die sein maß­­volles staatsmännliches Wesen nur nach ihrem Geschmach fanden, in ihm stets den „süddeutschen Liberalen“. Fürst Hohenlohe hat es durch alle die Schwierigkeiten nicht abhalten lassen, seinem kaiserlichen Herren seine lechten Kräfte zur Verfügung zu stellen. Mit behutsamer Hand wußte er, ohne viel Aufhebens davon zu machen, das­­ Reichsschiff wieder in den Bismarcschen Kurs zurückzusteuern, manche ungünstige Wirkung der rasch zugreifenden Art des Monarchen ab,ufhmwachen und troß des Auseinanderstrebend der wirk­­samsten Kräfte in der Regierung doch almählich dem politischen Regiment eine gemeiste Art von Stetigkeit und Einheitlichkeit zu verleihen. Wenn von seinem Wirken oft all einer „Kunst des Verhinderns" gesprochen wird und noch­ jet die „Köln. 8.“ vorzugsweise seinen „dämpfenden“ Einfluß herber­­hebt, so ist das zwar richtig, aber man darf nicht meinen, daß darin nur ein negatives Lob ausgesprochen ist; er hat dur die vornehme Eigenart seiner Persönlichkeit unzweifelhaft auch in positivem Sinne fördernd und lehrend gewirkt. Almäsli allerdings machte das Alter seine Forderungen geltend und seine persönliche Thätigkeit trat mehr und mehr an da in den Hintergrund, wo das Amt entschieden nit nur eine Mitwirkung im Stillen, sondern auch ein persönliches Hervortreten forderte. Und dag muß man dem greisen B­ürften danken, daß er auch jebt ed ganz und gar dem Faiser überließ, den über kurz oder lang notwendigen Uebergang vorzubereiten. Seit die Leitung des Auswärtigen Amts in die Hände des Grafen Bülow übergegangen ist, trat dieser als Vertrauensmann des Kaisers in der auswärtigen Politik des Reiche in demselben Maße in den Vordergrund, ob­ Fürst Hohenlohe sich zurückzog. Seit längerer Zeit is überhaupt von einer Polität des Reichs­ fanzlers bei und nicht mehr die Nebe gewesen, Sondern nur von einer Politik des Kaiferd und des Grafen Galem,. U­äter gewissen Verhältnissen würde darin ein sch­werer Vorwurf für Hohenlohe liegen, und der Vorwurf ist that, fählich oft genug, sowohl in Bitterem Exaft, als auch in gehäfsigem Spott erhoben worden. Aber vieleicht sah Fürst Hohenlohe Maier in unseren politischen Verhältnissen, als seine Tadler. Daß er, um eine Persönlichkeit wie Graf Bülow sich in den ihm zufallenden politischen Aufgaben vollkommen einleben zu lassen, e8 über sich gewann, stroß der die Kritis so starf heraus­­fordernden Verhältnisse der Form und die Amtsführung beizubehalten, daß er also gewissermaßen aus freiem Entschluß „Seinen staatsmännischen Ruhm überlebte”, wo doch jeder Gedanke vom ehrgeizigem Kleben am Amte aus­­geschlossen is, das zeugt von einer Größe der Gesinnung, die sie selten ge­­funden wird. Er stellte seine Pflicht weit über die Sorge um seinen Ruhm.” Dem neuen Kanzler dagegen midmet das Blatt zwei Tage später in der „Wochenschalle der Sonntagsnummer die nachstehende Begrüßung: „Einen neuen Kanzler gab diese Woche dem Deutschen Reiche und, mie natürlich, wanken sich an seine Persönlichkeit nun unzählige Vermutungen, Hoffnungen, Befürchtungen, bestrahlt ihn die Sonne vertrauender Verehrung und­­chwirren auf ihn such­ten die Pfeile gründlichter Abneigung, wenn deren giftigste auch so sorgsam im Köcher zurückbehalten werden, bis der neue Mann erst auf den Kampfplan beraubgetreten. Sie werden nur zu bald auf ihn Losziechen,­ denn der vierte Kanzler des Deutschen Reiches, Graf Bernhard von Bülow, wird ein Kanzler des Kampfes sein, wie sein erster und zweiter Vorgänger, und die Milde, die das Parlament dem Fürsten Hohenlohe er­wies, wird er dem Grafen Bülow nicht erzeigen, schon deswegen nicht, weil er sich bei den parlamentarischen Beceichlachten nicht wie sein Vorgänger mit der Rolle des Hörenden Bureauers­­ begnügen, sondern als Vorkämpfer und mein möglich als Beherrscher des Nedekampfes sich ins politische Feuer begeben wird. Er wird er in anderer Weise thm­ als Fürst Bismard, denn bdessen wichtige Argente, dessen vulkanische Ausbrüche eignen nicht der Natur des Diplomaten Bülow, und auch anders als der General­­ Saprivi, der mit dem­ Erns und dem berei­hen Pflicht­­gefühle eines altpreußischen Soldaten eine Position verteidigte, die oft nicht die feine war und dabei seinen Eifer­riß zur persönlichen Berriffenheit steigerte. Graf Bülow wird mehr über den Dingen stehen, als Caprivi, und doch in ihnen leben, wie Bismard; denn er wird seine Politik verteidigen, die er mit der faiserfiden hebt; und er wird diese Verteidigung mit dem Ernste und der Hingabe führen, die das Fundament seines staatsmännischen Wirkens sind; aber er wird zu sehr Staatsmann, zu sehr der Mann des weiten Ge­­sichtefeldes sein, als daß er si so leicht verankern und festbeigen könnte, wie Gaprivi eö gethan hat. « Von seinem unmittelbaren Vorgän­ger und Freunde,dem Fürsten Hohens­lohe,dessen Lebensanschauung mit der seinigen sonst viel Gemeinsames hat, unterscheidet ihn die größere Bethätigungslush dasichwellendesrastgefühh das sich mit der Rolle des Reichsbkemsers nicht zufriedengeben wird und das die Würde des Kanzleramtes in ihrem vollen Umfange tragen und ausfüllen will. Graf Bülow nennt si gerne einen Schüler des Fürsten Bismarc, und er wird Bismarc sicher darin ausfolgen, daß er der­­ Reichskanzlershhaft auch wieder gegenüber der inneren Politik zu ihrer entscheidenden W Bedeutung ver­­hilft. Bisher hielt fi Graf Bülow von der inneren Politik in kluger Zurück­­haltung fern; nunmehr aber ist er als Reichskanzler und preußischer Minister­­präsident verpflichtet, auf diesem Gebiete zu leiten, und Graf Bülow ist niit der Mann, andere für sich ihm­ zu Laffen, was ihm selbst zukommt. Ob sich aus dieser Eigenschaft nicht bald Schwierigkeiten mit anderen Mitgliedern des Staatsministeriums, die unter Hohenlohes mit dem Regiment Hug und geschmeidig ist, aber nicht an seinem Amte Met, über das eigentliche Maß ihres Amtes hinausgewachsen sind, ergeben werden, ist eine andere Frage, deren Beantwortung wir in einem über kurz oder lang zu erwartenden Ministerwechsel sehen. Herr von Miguel schä­bt den Grafen Bülow hoch und desgleichen weiß Graf Bülow die Vorzüge Miquels zu toßredigen; aber die Frage wird sich Doch ergeben, ob fs Herr von Miguel einrag von seiner Allmacht in der inneren Politik wird abhandeln haffen oder nit­ &3 ist ein Irrtum, wenn einige Bettungen in Miquel einen Mitbewerber Bülows um die Kanzlerwürde slehen wollten. Herr von Miquel hatte sich längst beschieden und die Seite seiner uns versprochenen Memoiren, in denen er über seine Kanzlerhoffnungen berichtet, längst mit dem schönen Spruche „Es war einmal“ abgeschlossen, aber­­ die Luft an der Nebenregierung hat er beibehalten, und Graf Bülow schwärmt nicht für Nebenregierungen, weder im Finanzministerium, no im Reichsamt des Sicheren, noch im Reichs­­­marineamt. Wir glauben, daß dem Kanzlerwechsel andere Wechsel folgen werden und glauben, daß dem Grafen Bülow eine sturmreiche Kanzlerschaft beschert sein wird, denn er hat nicht nur unsere Weltpolitik, sondern auch die Handels­­verträge zu vertreten. Sein staatsmännlsches Können wird si, daran zweifeln wir nicht, im erfreulichsten Maße entfalten, nun, da ihn seine Nachsichten mehr binden, und wir hoffen, daß nun, da die volle ungeheure Verantwortung de Amtes auf ihm loftet, an seine Persönlichkeit sich noch mehr entfalten und geltend machen wird. Graf Bülow, der eine der höchstgebildeten Persönlichkeiten ist, die wir besigen, und den zum staatsmännischen Berufe nicht gemeiner Ehrgeiz sondern das Verlangen, dem Baterlande zu dienen, geführt Bat, ihm, der ein reiches Leben im Palais Lafarelli unter ganzen Menschen und gejgmüct mit allen Künsten, nur mit schmerzlichem Entsagen dem Dienste in der Wilhelms­straße opferte, doch gewiß nicht die Aufgabe, des Kaisers erster dienstthuender Offizier wie Caprivi zu sein oder der Neid­ebremser wie Fürst Hohenlohe, sondern er will Kanzler sein in dem Sinne, wie die Berfaffung dieses erste Amt des Reiches nach dem Kaiser vorgesehen hat. Diese Aufgabe ist Heute , da Kaiser Wilhelm II. sein eigener Kanzler sein will, spmer er, als sie jemals war; aber wenn einer die Aufgabe Lösen kann, so ist er Graf Bernhard von Bülow, der des Kaisers volle Vertrauen und Höchste Achtung genießt und der Wir haben einen Kanzler, der eine große Vorstellung von seinem Amte hat und seine Thätigkeit als eine verantwortungsvolle sittliche Pflicht auffaßt. Möge ihm gute Fahrt beschieden sein!” politische Überfischt. Hermannstadt, 23. Oktober, Nngearn. Ein interessantes Urteil über die Verdrängung der deutschen Sprache an den hauptsäcblischen Schulen finden wir in dem seinestwegs deutschenfreundlichen, Khidistlichsozialen „PBreßb. Tgbl.“ Diesem wird aus Budapest geschrieben : „Die Unterrichtäkommission der Haupt- und Residenzstadt Budapest ist billig zu Lorbeeren gekommen; sie hat in einer ihrer jüngsten Eigungen mit der Erteilung des deutschen Sprachunterrichtes an den hauptstädtischen Elementar­­schulen sich befaßt und unter Ablehnung eines von fachmännischer Seite ge­­stellten Wareages: die Beifußfassung in dieser Angelegenheit bi zum nglebentreten des von der Regierung projektierten neuen Unterrichtsplanes zu befragen — die Eliminierung des deutschen Sprachunterrichtes an den betreffenden Schulen befchloffen. Dort wo man all jene Elemente ad hoc beifanmen findet, denen der Chauvinismus als Schlagwort für materiellen Gewinn dient, hat die abderitische Kommission gent­­i Leidung „freudhaft“” berührt” und es fehlte nicht viel, daß die publizistischen Organe des Chauvinismus mit trikolarem Rand erschienen wären. Ausgreifende Nachfrage in jenen Kreisen, die durch die „hochnweife” Entscheidung der Hauptstadt, Unterrictskommission zunächst berührt werden, hat jedoch ein Resultat geliefert, das ganz ander Lautet als die unterschiedlichen Siegesartikel der haudie Feuilleton. Die Sıre von Sankt NKodus. Kriminalroman von Guftan Höder. (5. Sortjegung.) feug Doktor Gerth, der si nicht gleich erinnern „Angekündigt 2“ konnte. „Oder sagen wir: und überwiesen duch die Staatsanwaltschaft und überbracht durch einen Kriminalbeamten in Zivil.” „Und wer ist das junge schöne Mädchen, das ich soeben im Hofe der vierten Abteilung sah?“ trug Gerth. „Das ist sie ja eben“, erwiderte der Direktor. „Sie scheinen zu zweifeln ? Nun, es erging mir fast ebenso; denn was auch die Zeitungen über ihre äußere Exilreinung Schrieben, so einnehmend Hätte ich mir diese Konstanze Herbronn denn doch nicht vorgestellt.“ „Konstanze Herbronn!" wiederholte Gerth wie vernichtet. Er brauchte nicht mehr zu hören. Der Name hatte ihm alles gesagt, denn er nannte den Mordprozeßt aus der Zeitung. E 8 wäre übel angebracht gewesen, Hätte er sich seinen Empfindungen ganz hingeben wollen. Dennoch sagte er: „In mir sträubt sich jede Fibel, an die Schuld dieses schönen jungen Mädchens zu glauben.” Der Direktor zuete die Achsel. „Es ist ein rein pathologischer Fall, etwas Lügen» und P Versteiungskunst vielleicht abgerechnet. — Uebrigens mein aufrichtiges Bedauern über den Todesfall Ihres Heren Bruders“, fügte er Hinzu, dem jungen Arzte die Hand drüdend. „Sie befinden si­­egt in unabhängigen Verhältnissen. Muß ich fürchten, daß mir Sie verlieren werden ?“ Doktor GertH Hatte noch seinen festen Entschuß gefaßt. Dennoch gab er auf die Frage, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, zur Antwort: „Vorläufig denke ich um seine Veränderung.” .. . Im Laufe des Tages machte er der neuen Patientin seinen ersten Besuch. Man hatte ihr eine besondere Zelle ange­wiesen, doch nur für die erste Zeit; später sollte sie anderen Leidensgenossinnen zugetellt werden. Ob sie es als eine Vergünstigung betrachtet haben­­ würde, daß sie nicht Tag und Nacht die Gemeinschaft Verräcter teilen mußte, erscheint zweifelhaft, wenn sie gewußt hätte, daß diese Zelle der Schauplan eines gräßlichen Mordes ge­wesen war, indem eine frühere Bewohnerin derselben eine Wärterin hier erwürgt hatte. Als Konstanze den jungen Arzt eintreten sah, schlug sie die Heinen weißen Hände vors Gesicht. Mit dumpfer Gleichgiftigkeit hatte sie vorher die anderen Doktoren empfangen; sie mußten ja bereits, daß sie e8 mit einer Mörderin, mit einer Strfmnungen zu thun hatten; seit ihrer Verhaftung war Konstanze e8 gewohnt, dafür gehalten zu werden. Aber daß sie biefern Mann, welcher ihr das tiefe Leid aus dem Gesicht abgelesen und, wie sie wohl be­­merkt, ihr eine warme Teilnahme geschenkt hatte, nan an diesem Orte wieder treffen mußte, erschien ihr mie das Walten eines högnischen Schidjald, und sie fam sich mie eine Entlarvte vor. Doktor Gerths freundlicher Zuspruch, das seine Tastgefühl, welchs er dabei befundete, indem er nichts sagte, was auf den Ort und die Verhältnisse, unter denen er sie wiederfand, Bezug haben konnte, schienen ihr wehlzuthun. Aber ihre Hand, die er tröstend ergreifen wollte, verweigerte sie ihm. „In den Augen der Welt ist diese Hand mit Blut befleckt“, sagte Konstanze Sie­fant auf den Stuhl und verbarg wieder ihr Gesicht, wie sie es bei Gerths Eintritt gethan. Trockenen Auges hatte sie vor ihren Richtern gestanden, denn es giebt einen Schmerz, welcher das Gefühl betäubt und das Herz erstarren macht. Was sie aber jegt empfand, brach si in einem stillen Thränenstrome Bahn.­­ »Ich sehe nicht mit den Augen der Welt«,entgegnete Gerth.»Sagen Sie mir, daß Sie das Opfer einer Verkettung unglückeliger Umstände sind,­­und ich glaube Ihnen.“ „Sie glauben an meine Unzurechnungsfähigkeit und entschuldigen mich damit”, fehlschzte das junge Mädchen. „Nein, ich glaube, daß Sie die That überhaupt nicht begangen Haben. Und wenn Sie mir die Hand reichen, die Sie mir vorhin verjagten, so ist mir das genug. Einer anderen Antwort bedarf ich nicht !“ Die im Tone ehrlicher, männlicher Mederzeugung gesprochenen Worte machten auf Konstanze einen tiefen Eindruck. Sie blidte auf und sah ihn mit ihren großen dunklen Augen forschend an. Dann strebte sie ihm ihre Rechte entgegen. Der Arzt ergriff diese,so fröwer verdächtigte Hand und drücte sie Life und zart; ja, er ihat noch mehr, er neigte sein Haupt und führte sie al. seine Lippen. Und auch das ließ sie willig geschehen. „Dank! Dank!“ flüsterte sie kaum hörbar und unter Thränen lächeln, und in diesem Lächeln lag die verklärte Glücseligkeit eines Kindes. „Giebt «8 keine Hoffnung, daß Ihre Schuldlosigkeit an den Tag kommen könnte?” trug er. „Reine! SH bin gerichtet, und Diese Mauern sind mein Gefängnis, welches sich mir niemals wieder öffnen wird.“ „Regt sic­ in Ihnen sein Verdacht auf irgend eine Verson?” frug Gerth weiter. „Um einen Raubmord hat es si nicht gehandelt. Wer konnte ein Interesse daran haben, das Leben eines so harmlosen Mannes wie Professo­r Georgi zu verkürzen ?“ Konstanze schwieg eine Weile. Sie schien mit sich zu kämpfen, ob sie diese Frage Beantworten solle oder nicht. „So fürchte, es giebt eine solche P­erson“, sagte sie endlich. „Und warum nannten Sie diese nicht ?* „Weil ich darüber schweigen muß.“ „Man zwingt Sie zu diesem Schweigen ?* „Nein, ich erlege es mir selbst auf.“ „Sie kennen also den Mörder”, begann Gerth nach einer kurzen Pause wieder, „und wollen Lieber Ihr Beben an diesem traurigen Ort verbringen, hier Ihre Jugend vergraben, als ihn nennen?” „Rein, ich fenne den Sterber nicht”, antwortete das Mädchen: „Es wäre allerdings ein seltsamer Zufall, wenn der Mord unabhängig von jener Person geschehen wäre; wer aber die That vollbrachte, darüber habe ich nicht die leiseste Vermutung.” Die Herzte der Anstalt durften nicht länger bei den einzelnen Kranken verteilen, als unbedingt nötig war. Gerths Zeit war um. Niemand durfte merken oder auch nur ahnen, daß ihm die Bewohner in dieser Belle etwas anderes als eine schwere Epileptikerin sei.

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