Bukarester Gemeindeblatt, 1907 (Jahrgang 3, nr. 14-52)

1907-06-10 / nr. 23

2 wohner des Hofes sehr gut, kettet die Nach­barn an ihre Kirche. Sie verlieren kein Wort darüber, aber im Herzen sind sie stolz, dass sie ohne Kirche und Pastor ebenso „gut“ le­ben können, wie jene mit ihnen. In dieser At­mosphäre wachsen die Kinder heran. Der kurze Schulbesuch und die leider so sehr kurze Dauer des Konfirmanden-Unterrichts mit all den gu­ten Lehren ist bald vergessen. Die sinnlichen Triebe erwachen mit gewaltiger Kraft. Die glü­hend heissen Sommermonate beschleunigen den geschlechtlichen Reifeprozess. Die engen Wohnungsverhältnisse bieten die beste Gele­genheit zu unsittlichem Verkehr, und so kommt es häufig genug zu Mischehen oder wilden Ehen zwischen den Angehörigen der ortho­doxen und evangelischen Konfession, die dann der evangelischen Gemeinde die vorher halb­verlorenen Glieder meist ganz und ohne Wie­derkehr rauben mitsamt ihrem Nachwuchs. Das friedliche Nebeneinander des orthodoxen und evangelischen Bekenntnisses führt zu einem allzufriedlichen Durcheinander zum Schaden der evangelischen Gemeinden, welche so ihre an und für sich schon geringe Seelenzahl sich noch vermindern sehen. Doch ich will nicht ungerecht sein; auch die orthodoxe Kirche er­leidet dadurch Abbruch, freilich weniger spür­baren, weil ihre Seelenzahl mit der unsrigen nicht verglichen werden kann. Immerhin wur­den z. B. in der evangelischen Kirchengemeinde Galatz innerhalb der letzten fünfzehn Jahre Mischehen kirchlich eingesegnet: 8 Ehen, in denen die Frau, 3, in denen der Mann dem orthodoxen Bekenntnis angehörte, und in der gleichen Zeit wurden 10 Kinder aus solchen Ehen nach evangelischem Ritus getauft. Diese Paare gehörten zumeist dem Mittelstand an. Auch das kommt des öfteren und namentlich in den untersten Volksschichten vor, dass die Kinder orthodox getrauter oder in wilder Ehe zusammenlebender konfessionell gemischter Paare nach orthodoxem Ritus getauft werden, hernach aber den evangelischen Schul- und Konfirmandenunterricht besuchen und die Kon­firmation empfangen. Der Grund für diese Un­sitte ist ein rein äusserlicher: Nach orthodoxem Brauch sind die Paten im Fall eines frühzeiti­gen Todes der Eltern verpflichtet, für die Zu­kunft ihres Patenkindes zu sorgen; zudem tra­gen sie die Kosten der Taufhandlung und be­schenken Eltern wie Kinder reich. Die Gleichgiltigkeit vieler evangelischen Chris­ten gegenüber den konfessionellen Unterschie­den macht sich aber noch in anderer Weise bemerkbar. Ihrer Kirche je länger je mehr innerlich und äusserlich entfremdet, haben sie für die alte protestantische Einfachheit, in der gerade unsere Kraft ruht, völlig das Verständ­nis verloren. Die enge Berührung insonderheit mit dem orthodoxen Christentum hat sie aufs neue in einen verschlungenen Zeremoniendienst verstrickt. Für ihres Glaubens schlichte Innig- I keit und strenge Geistessammlung haben sie eine Fülle zweckloser Aeusserlichkeit einge­tauscht, wider die anzukämpfen oft ausseror­dentlich schwer hält. Einige Beispiele zur Illu­stration : Ein Paar, welches in wilder Ehe zusammen­lebt, wird, nachdem ihm bereits ein Mädchen beschert war, mit Zwillingen gesegnet. Wenn auch meine Bemühungen um eine nachträgliche Trauung umsonst waren, so wollten sie doch ihre Kinder nicht ungetauft lassen. Weil völlig mittellos, ist die heilige Handlung für sie mit keinerlei Geldkosten verknüpft. In feierlichem Zuge kommen die Eltern und Grosseltern mit den Kindern in die Kirche, voran schreitet ein Bruder der Mutter, er trägt — zwei blumen­geschmückte Wachskerzen von etwa einem Me­ter Länge und einem Durchmesser von 5 cm. Der Preis der Kerzen beläuft sich auf 10—15 frcs. Durch diese Spende hoffen sie ihre Ueber­­tretung (denn als solches haben sie ihr seit­heriges Leben erkannt, wozu brächten sie sonst die Kerzen 0 zu sühnen. Ich hiess den Jüng­ling seine Kerzen draüssen niederlegen mit der Weisung, sie hernach wieder mitzunehmen ; in meiner Taufrede aber führte ich den Eltern den vollen Ernst evangelischen Glaubenslebens eindringlich vor die Seele und habe sie seit­dem des öfteren schon zu meiner Freude im Gotteshaus gesehen. — Einen ähnlichen Fall erlebte ich bei einer Trauung. Audi da hiess ich den Kerzenträger mit seinen Kerzen hin­ausgehen und vollzog dann ohne jede Störung die heilige Handlung. Wie Mayer, ehemals Pfarrer in Braila und Bukarest, *) so habe auch ich die Erfahrung gemacht, dass die Krankenkommunion dem Sterbenden von seinen Angehörigen oft auf­gedrängt wird. Solange derselbe noch bei klarem *) cf. Meyer: Diaspora der deutschen evangelischen Kirche in Rumänien, Serbien und Bulgarien S. 24 ff.

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