Bukarester Gemeindeblatt, 1921 (Jahrgang 13, nr. 1-40)

1921-03-27 / nr. 1

No. 1 3 Bukarester Gemeindeblatt immer mehr überhand nehmende Grossindustrie brachte eine förmliche Revolution der Erwerbsverhältnisse mit sich. Die Daseinsbedingungen in den breiten Schichten des Arbeiter- und des Mittelstandes wur­den von Jahrzent zu Jahrzent schw eriger und die na­­natiirliche Folge war, dass die Männer erst viel spä­ter heiraten konnten, ja vielfach überhaupt nicht in der Lage waren, einen geordneten Haushalt zu errich­ten. So mehrte sich die Zahl der ledigen Frauen, so dass nun auch diese sich in noch viel höherem Masse selbständig zu machen suchten, indem sie sich nach einem eigenen Beruf umsahen, der ihnen den Lebens­unterhalt sichern sollte. Welch hohe Bedeutung seit­her die Berufsarbeit der Frau gewonnen hat, ist ja bekannt. Bereits 1907 waren z. B. im Deutschen Reich etwa 10 Millionen Frauen erwerbstätig, davon etwa 290 000 im öffentlichen Dienst oder in freien Berufen (Schriftstellerinnen, Advokatinnen, Künstler­innen, Apothekerinnen, Aerztinnen usw.J. Noch viel grösser sind diese Zahlen in Nordamerika u. England. Die Hauptsache aber ist, dass die Frauen sich in all diesen Berufen fast ausnahmslos vorzüglich bewährt haben. Das Märchen von der angeblichen „Inferiori­tät des weiblichen Hirns“ hat sich eben hiedurch als unhaltbar erwiesen. Es ist vor allem auch während des Weltkrieges widerlegt worden, ln unendlich zahl­reichen Fällen mussten da die Frauen die bis dahin von ihren Männern geleistete Arbeit übernehmen, und sie haben sie im Allgemeinen viel besser durchgeführt, als man mit Rücksicht auf die mangelnde Vorbildung erwarten durfte. In dem Augenblick aber, wo die Frauen in ver­schiedenen Berufen tätig sind, muss sie natürlich auch die Gesetzgebung, die sich vorwiegend auf das Er­werbswesen, Steuerwesen, Altersversorgung usw. be­zieht, interessieren; ja, es ensteht das Verlangen, selbst auf die Gesetzgebung Eninfluss zu gewinnen. Daher die immer lauter werdende Forderung nach Zu­­erkenung der staatsbürgerlichen und politischen Rechte Es ist auch tatsächlich nicht recht einzusehen, wie etwa der nordamerikanische Neger-Packträger im Genuss all dieser Rechte stehen soll, eine hervorra­gende, geistig hochstehende Aerztin oder Advokatin aber nicht! Unseres Erachtens kann es gewiss nicht lange währen, bis man dies allgemein eingesehen und den Frauen überall diese Rechte zuerkannt haben wird, die sie in einzelnen Ländern bereits besitzen und ge­wiss nicht zum Nachteil der betreffenden Staaten. Gilt das eben Gesagte aber für das politische und staatsrechtliche Leben, so natürlich, und vielleicht noch mehr für das kirchliche. Seit jeher haben Frauen in der Religion, besonders auch im Christentum, eine grosse Rolle gespielt. Ich erinnere etwa an die Jün­­germnen Jesu, oder an die Märtyrerinnen der alten Kirche, ferner an das, was fromme Frauen als Dia­konissen sowohl in der alten Kirche, wie auch inner­halb des Protestantismus unserer Tage geleistet. Be­kannt dürfte auch sein, dass neuerdings Frauen auch als Geistliche tätig sind. So gibt es in Nordamerika etwa 1300 Predigerinnen! In England ist eine Deut­sche, Gertrud von Petzold, als erste Inhaberin eines regelrechten Pfarramtes zu nennen. Und ist’s nicht fast überall so, dass die Frauen ein mindestens eben so starkes Interesse am religiösen Leben zeigen wie die Männer und dass sie besonderes in der chari­­tativen Betätigung fast eben so Grosses geleistet, wie sie? Es kann deshalb nur als recht und billig be­zeichnet werden, wenn sie auch das kirchliche Stimm­recht für sich fordern und wenn es ihnen auch vie­­lenorts bereits gewährt wurde. So besitzen sie bereits seit 1905 in Elsass-Lothringen das aktive und passive Wahlrecht. Auch in Finnland und vielen .nordameri­kanischen Gebieten, ebenso auch in manchen Aus­landsgemeinden wurde es ihnen zuerkannt, ln der Schweiz besitzen sie vielenorts wenigstens das aktive Wahlrecht, in Zürich merkwürdiger Weise nur das passive, so dass sie hier wohl in den Vorstand ge­wählt werden dürfen, aber nicht selbst wählen dürfen. Das bekannte Pauluswort (I. Kor 14, 34): „lasset eure Weiber schweigen unter der Gemeine“ muss eben dem andern Worte desselben Apostels (Gal. 3, 28) weichen: „Hier ist kein Mann noch Weib; denn hr seid allzumal einer in Christo.“ Jedenfalls ist es nicht unerhört Neues, wenn nun unsere Gemeinden, ähnlich wie auch die Siebenbür­­gische Landeskirche es neuerdings getan, unsern Frauen Tür und Tor zur freien, uneingeschränkten Betätigung für die Gemeinde öffnete. Was aber erwartet nun die Gemeinde von den Frauen? Es lässt sich mit einem einzigen Worte sagen Mitarbeit! Nicht als ob wir das unter­schätzen würden, was die Frauen bisher für die Ge­meinde geleistet haben. Auch bisher lag die religiöse und nationale Einwirkung innerhalb der Familien in ihrer Hand; auch bisher haben sie am gottesdienst­lichen Leben der Gemeinde eifrig teilgenommen, und wir hoffen, dass es auch künftig, und vielleicht in höherm Masse als bisher, der Fall sein wird; aber vor allem sollen sie nun sich auch in der Gemeinde­verwaltung und auf all den Gebieten des Gemeinde­lebens, die ihrer speziellen Veranlagung besonders entsprechen, in möglichst ausgibiger Weise betätigen. Hierher gehört in erster Linie der ganze Umkreis der charitativen Gemeindeaufgaben, die bereits bisher wenigstens teilweise von der Frauenabteilung der Evangelischen Armenpflege in Angriff genommen waren. Wir können gar nicht sagen, wie herzlich dankbar wir es empfinden, dass sich Frauen gefunden haben, die unserm Rufe zur Mithilfe in der Fürsorge für die Armen sofort Folge geleistet haben. Wie viel Linderung lässt sich doch durch hilfreiche Betreuung in unsern Armenheimen schaffen, wie viel Freude in verhärmte Häuser tragen durch die alljährlichen Weih­nachtsbescherungen, die die Frauenabteilung mit fleis­­sigen Händen herrichtet. Wiederholt wurden auc­­bei der häuslichen Pflege von Kranken wertwollsth Samariterdienste geleistet. Freilich müsste gerade diee Arbeitsgebiet möglichst erweitert und besser organis

Next