Bukarester Gemeindeblatt, 1929 (Jahrgang 21, nr. 1-52)

1929-09-15 / nr. 37

I 1 Dahrgang XXI Sonntag, den 15. September 1929 Do. 3? Buharester Qemeindeblatt Schriftleitung: R. Honiflberfler !j Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei, Str. Lutherana 12 Phanariotenbildung. Wie man im Leben immer aufs neue die Er­fahrung macht, dass die Menschen nie ganz so gut oder so schlecht sind, als man angenommen, so lehrt die geschichtliche Betrachtung dieselbe Be­scheidung vor- manchem gewissermassen als aner­kannt feststehenden zeitlichen oder völkischen Ge­samtbegriff. Auch über sie umzulernen soll man stets bereit sein. Was für eine Vorstellung verbin­det man nicht gemeinhin mit dem Worte „Pha­­narioten”! Und nun lese man die Briefe, die eine Phanariotin, Ruxandra Mario, geh. Sutzo, vor et­was mehr als hundert Jahren an ihren Sohn Mi­chael Mano geschrieben hat, und man wird staunen vor einer Herzenskultur, wie sie unserer Zeit im allgemeinen sehr abgeht. Die Briefe sind abge­druckt in den „Documente din secol, al XVI-lea— XlX-lea, privitoare la familia Mano”, Bukarest 1907, und mit einer rumänischen Uebersetzung der griechischen Originale begleitet. Die Schrei­berin war, als sie den ersten schrieb, eine 72-jäh­rige Frau, den letzten schrieb die 86-jährige. Wenn der Herausgeber des Werkes, der frühere rumäni­sche Gesandte in Konstantinopej (1912—1916) Constantin O. Mano, die Aufnahme der Briefe, die des historischen Interesses entbehrten, damit ent­schuldigen zu müssen glaubte, dass sie als Beispiel für den damals in der phanariotischen Gesellschaft üblichen Stil bezeichnend seien, so ist das eine schöne und verständliche Bescheidenheit, hinter der sicii das Verwandtschaftsbeuusstsein und ein berechtigter Stolz verbirgt. Es ist über die ge­pflegte stilistische Ueberlieferung hinaus soviel natürlich menschliches und frauliches Empfinden in den Briefen, dass sie als wahre Kunstwerke anmuten. Die-Schreiberin war am 11. Juni 1742 in der kleinen rumänischen Stadt Fokschani als Tochter des Postelnik (Ministers des Aeusseren) Dimitrie Sutzo und seiner Gattin Constanza, géb. Karadja, geboren; ihre Eltern gehörten also dem besten phanariotischen Familienadel an, dessen Mitglie­dern die geistlichen und weltlichen Würden der orthodoxen ökumenischen, also der griechisch-ka­tholischen Kirche in Konstantinopel, die Fürsten­throne Munteniens (der Walachei) u. der Moldau von des Sultans Gnaden und die hohen Beamten­stellen dieser beiden Fürstentümer Vorbehalten waren. Ein Oheim, Michael Sutzo, war 1783 Fürst von Muntenien, ein anderer der 1793 verstorbene Patriarch Joanitius Karadja in Konstantinopel, ihr Taufpate der Fürst von Muntenien Konstantin Mavrokordat. 1757 wurde sie standesgemäss mit dem späteren Gross-Postelnik und Kaimakam (Statthalter) von Krajowa, Georg (oder Jordake) Mano vermählt, der 1777 starb, nachdem er in den Friedensverhandlungen von Kutschuk-Kainar­­gi 1774 mit Russland Stellvertreter des Gross-Dra­­gomans der Pforte gen esen war. Sein Testament kann gleichfalls als ein Zeugnis wahrer Charak­terbildung und einer in sich einheitlich gefestigten Kultur gelten und verdient darum ebenfalls mit­geteilt zu werden. Die Witwe überlebte ihren Mann um ein gutes halbes Jahrhundert, sie starb um 1828. Ihre Briefe, die im folgenden aus dem Rumänischen übersetzt werden, waren an ihren Sohn, den Gross-Vornik (Innenminister) Michael Mano gerichtet. Testament Georg Mano’s. (Nach der französischen Uebersetzung.) Mit Gutheissung des Patriarchen. Der Mensch ist bestimmt zu vergehen. Von Geburt an, wachend und im Schlaf, ist er auf dem Wege hin zu dem Ziel, das da Tod heisst. Denn der Fluch und Ratschluss Gottes, der infolge des Ungehorsams unserer Voreltern im Paradies er­gangen und durch sie leider auf das ganze Men­schengeschlecht vererbt worden ist, verdammt je­dermann zu einem gewissen Tode. Daher müssen wir alle, aus Erde geworden, wieder zu Erde wer­den, weil wir von unserm Schöpfer, gegen den wir als Nachkommen Adams schuldig geworden sind, dazu verurteilt sind. So spricht denn auch unser aller Herr und Gott, der uns zum Heile Mensch wurde, und, um die Herrschaft des Todes zu bre­chen und durch seinen zeitlichen Tod uns ein ewiges Leben zu verschaffen, den Tod für uns er­litt ,im Evangelium mit deutlichen Worten zu uns: „Seid1 wachsam, denn der Tod kommt wie ein Dieb.” Und also habe ich, von solchen Gedanken geleitet und das unerbittliche Herannahen des Todes fromm und fest im Auge, um so mehr, als ich heut von schwerer Krankheit befallen bin und meine Hoffnung auf Heilung: zweifelhaft und un­sicher ist, im Vollbesitz all meiner Geisteskräfte beschlossen, über das zu verfügen, was mein eigen ist. — Zunächst, dem göttlichen Gebot gemäss, das befiehlt: „Vergebet, so wird euch1 vergeben”, ver­zeihe ich aus tiefstem Herzensgründe allen meinen christlichen Brüdern und bitte sie, auch ihrerseits mir von ganzem Herzen zu verzeihen und aufs wärmste zum Himmel tun Vergebung meiner vie-

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