Pester Lloyd, Dezember 1908 (Jahrgang 55, nr. 287-299)
1908-12-01 / nr. 287
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Mezei, Rud. Mosse, Jul. Tenzer, Jos. Schwarz, In Wien: bei Ed. Braun, J. Danneberg, M. Dukes, Haasenstein , Vogler, ‚Rud. Mosss, Rafael & Witzek, H. Schalek, 7 Im Auslande: Berlin: Rudolf Mosse, Daube & Co.; Paris : John F. Jones & Co. Einzeln : Morgenblatt in Budapest 12 Heller, in der Provinz 14 Heller. Abendblatt in Budapest 6 Heller, in der, Provinz 8 Heller, Redaktion und Administration: V., Mária Valéria-utcza 12. — Manuskripte werden in , Italien bei der Zeitungsfirma Saarbach, keinem Falle zurückgestellt. —' Unfran- News Exchange in Mainz. kierte Briefe werden nicht, der 55. Jahrgang Budapest, Dienstag, den 1. Dezember 1908 Az. 287, EEE Budapest, 30. November. Die Volkspartei will von der Koalition abrücken und eine selbständige Parteistellung beziehen. Das ist nun auch für das blödeste Auge klar erkennbar." Darauf deutet nicht bloß die Auflehnung ihrer Abgeordneten im Reichstage gegen bestehende Gesete und gegen die Entscheidungen des obersten Gerichtshofes; das darf man auch nach den Interpellationen vermuten, die zwei ihrer Matadore inmitten einer unsäglich schwierigen Situation nach außen über die Frage der Annexion im Schilde führen. Das mechanische Gebilde der Koalition, sofern es durch Die Flucht der Volkspartei in die Brüche ginge, wäre uns herzlich gleichgültig, wenn es „nicht, als Regierung "diesem bedinternsmwerten Lande «noch ‚auf dem Nacken säße.“ Die Volkspartei hat die fast schon dreijährige Teilnahme an der Regierung weislich dazu bewüßt, sich unter den Fittigen der Macht im Lande zu organisieren, und was sie durch die werbende Kraft ihrer Schlagworte nicht zu erreichen vermochte, das suchte sie doch den Terror im Parlament und in der Oeffentlichkeit sich zu erzwingen. Nun scheint sie der Meinung zu sein,daß sie genügend erstarkt sei, um die Fesseln der Koalition abzustreifen und, befreit von dieser lästigen Behinderung, sich uneingeschränkt entfalten zu können. Eine andere Deutung läßt der Aufruf nicht zu, den vierundzwanzig Abgeordnete dieser Fraktion erlassen haben, um die gesamte katholische Bevölkerung, wie sich die Kurie in ihrem Urteil ansprüht, zum Ungehorsam gegen das Gesetz zu ermchtern. Es ist gar nicht nötig, sich in harten Ausdrücken zur Charakterisierung dieses Aufrufes zu ergeben, denn seine Urheber haben etwas so Unerhörtes geleistet, daß jede nähere Kennzeichnung die Eigenwirkung der Tatsache nur abschwächen würde. In dem Artikel des Abendblattes wurde die Rechtslage des Falles, der jenen Aufruf veranlaßte, in objektiver Weise dargestellt. Es ist über die juristische Seite des Kasus kaum mehr ein Wort zu verlieren. Der oberste Gerichtshof hat einen Geistlichen, der die Gläubigen, seiner Pfarre, zur Nichtachtung, einer Verfügung des Geseßes über die Standesregister aufrief, zu einer Geld- und Freiheitsstrafe verurteilt. Selbst wenn es wahr wäre, was die Abgeordneten der Volkspartei behaupten, waß jener "Senat des obersten Gerichtshofes sich in einem Rechtsirrtum befunden hätte,“ berechtigt das die Mitglieder der Gesetzgebung noch immer nicht. Durch eine Massenaufforderung zu demselben Delikte die höchste Autorität des Rechtes im Staate anzufechten, die unverständige Menge zum Ungehorsam gegen das Geseß zu bestimmen. Das Urteil des obersten Gerichtshofes ist aber gar nicht anfechtbar. Es sagt in seiner Begründung mit klaren Worten, daß das Geseß eine Ausnahme feststellte, als es die Eventualität der Verweigerung einer Unterschrift des Standesregisters vorsah, daß es im übrigen aber imperativ von den Parteien und von den Zeugen fordert, jene Protokolle in den Matrikeln zu unterfertigen. Das ist in der Tat der einzige Sinn des Ge fees, das nur für den Fall des Gemissenszwanges eine Ausnahme zuließ. Nun gibt es aber Millionen staatstreue Katholiken in diesem Lande, die, nicht nur ohne Gewissensskrupel, sondern im Bewußtsein der Erfüllung einer geweglichen Pflicht ihre Unterschriften nicht verweigern, und diese Millionen sollen nun wissentlich auf Abwege geführt, der Strafe anheimgegeben werden. Abgesehen von der Gewissenlosigkeit eines solchen Versuches ist es auch die angemessene Kühnheit desselben, die eine energische, unzweideutige Zurückweisung heischt. Es manifestiert sich in diesem Unterfangen ein Uebermut, der es wagt, sich über alle Schranken hinwegzufegen und Millionen Andersdenkende herauszufordern. Nach den Berichten der Zeitungen soll der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses Stefan v. Rakovsky in den Wandelgängen gesagt haben, daß dieses Abgeordnetenhaus seinen der Unterfertiger dieses Aufrufes ausliefern werde, falls ihnen der Prozeß gemacht werden sollte. Das kann einer der ersten "Dignitäre des Parlaments unmöglich gesagt haben. Das "Diktum verriete zwar eine tiefe Kenntnis der Psychologie unserer derzeitigen B Vzirksvertretung, allein es ließe auch die Deutung zu, daß man den Aufruf nur unter dem Schuße der Immunität riskiert habe, weil man die Nichtauslieferung, mit Sicherheit voraussah. Eine solche Imputation ist Dent , Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses gegenüber einfach unmöglich. Dagegen klingt es viel wahrscheinlicher, was der Abgeordnete Beniczky getagt haben soll, der den Aufruf mitgefertigt und erklärt hat, daß er selbst seine Auslieferung vom Abgeordnetenhause verlangen würde. Auch dagegen ließe sich nach der öffentlichrechtlichen Doktrin von der Immunität einwenden, daß dieselbe nicht das Recht des einzelnen Abgeordneten sei und das Haus die Auslieferung auch dann verweigern könne, wenn der betreffende Deputierte sie verlangt. Doch das ist vorderhand ein müßiger Streit. Es wird keinem dazu berufenen öffentlichen Funktionär beifallen, gegen die Hochmögenden Herren vom " Parlament einen, von vornherein "aussichtslosen und überdies eminent politischen „Prozeß “ einzuleiten. Die frommen Herren können ruhig schlafen. Kein ‚Staatsanwalt wird ihren Schlummer : Hören. RENEN ; "So ist es denn mir die politische Seite des Falles, der einst in Erwägung gezogen werden muß. Nach dem Geschehenen erscheint uns der weitere Verbleib der Volkspartei in der Koalition unmöglich. Es ist gleichgültig, ob einige Herren dieser Fraktion, und unter diesen ihr Präsident, der Minister am königlichen Hoflager Graf Aladár Zichy, den Aufruf nicht unterschrieben haben. Denn es sind nur zwei Fälle möglich. Einmal, daß der Herr Minister mit dem Vorgehen seiner politischen Freunde nicht einverstanden ist, dann muß er sich, da es sich um eine große und um eine eklatante Sache handelt, von ihnen zurückziehen und dann ist er auch nicht mehr ihr legitimer Vertreter in der Regierung. Oder der Minister am königlichen Hoflager teilt die Auffassung des von seinen Freunden verfaßten Dokumentes, dann wird es fraglich, ob jene seiner Ministerkoliegen mit ihm noch die Solidarität bekennen werden, die den beobachteten Vorgang, wie man sagt, auf das härteste verurteilen. Das Dilemma ist schwierig, aber gegeben. Wenn in Ungarn noch normale, klare Verhältnisse bereichen würden, gäbe es sein Entrinnen aus, solchem Dilemma. Und was für das Kabinett gilt, gilt auch für die Parteien. Nur fehlen die normalen und die klaren Verhältnisse und darum muß man noch mit der Möglichkeit rechnen, daß selbst die Unerhörtheiten bei uns zur Regel werden. Gleich bei dem ersten Auftauchen des Zwischenfalles beszeichneten , wir die „Aktion der Volksspartei als einen Bruch der, Solidarität, die sich die Parteien der Koalition für die, Dauer des Ueberganges zugesichert ‘haben. Wenn sich die Übrigen, numerisch ungleich stärkeren Majorität3varteien, mit dem Bruch abfinden, ist und bleibt das ihre Sache. Wir wollen uns auch nicht weiter in diese" häus liche Angelegenheit der Koalition mischen. Man muß sich auf die jedem Staatsbürger offen« stehende Domäne zurückziehen: auf die Kritik eines öffentlichen Ereignisses, das seinem innersten Wesen nach als politisches Sprengmittel vorbereitet wurde, das aber auch tiefe Spuren im Denken und Fühlen der Massen zurücklassen wird. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist dieser Aufruf von vierundzwanzig Abgeordneten der Volkspartei das Stärkste, und das Außerste, was man diesem in allen Beziehungen zerrissenen und zerklüfteten Lande noch bieten konnte. Das ist ‚ein unüberlegter Weckruf zum Kulturkampf, eine Herausforderung der Millionen, die anderen Sinnes sind, eine ‚Beleidigung der höchsten Magistratur im Staate, eine bewußte Misdeutung des Gejetes. (CS ist die erste Etappe in dem frisch anhebenden Kampfe und eine Revision der kirchenpolitischen Reformen, die vor vierzehn Jahren eine Aureols um das Haupt desselben Dr. aueraner Wekerle woben, der um jene Zeit ebenso Ministerpräsident von Ungarn war, wie er,es deute it. Wir wollen vorerst ruhig abwarten, was der Mann dazu sagt, dent. seine Genossen von heute den Ruhmeskranz ‚von damals Herabreißen wollen. Auch wollen wir zusehen, ob auch diese Herausforderung nicht imstande ist, die schlafenden Geister im Lande wochzurütteln. ; a H: Der Vorstoß der Volkspartei. Budapest, 30. November, Die Zweifel, welchen wir im Abendblatte hinsichtlich der Möglichkeit eines Widerstandes der Liberalen gegenüber dem Pronunciamiento der Volkspartei Ausdruck verliehen, haben sich nur allzubald als gerechtfertigt erwiesen. Selbst das bisschen Bewegung, das sich vormittags da und dort zeigte, hat sich über Mittag verflüchtigt, und als es Abend geworden war, da war es, wohl zu ihrer größten Weiterraschung, nur mehr die Volkspartei, welche die Frage auf dem Tapet erhielt. Von den liberalen Mitgliedern der Unabhängigkeitspartei brachte nur eines, der Vizepräsident der Partei Bela Batabás, so viel Mut auf, sich über Schopenhauer mit Bewunderung studiert und ehre ihn noch heute als großen Sprachmeister und als einen unserer tiefsten Denker. In der Politik aber ist Wessimismus immer vom Uebel, weil er hier mit der Schwächung des Lebensmutes auch die Tatkraft lähmt, weil er unmännlich und unfruchtbar ist.“ „In der Po. . . - Feuilleton: „Fürst Bülow als Redner. Nun liegen bereits zwei Bände von „Reden des Fürsten Bülow nebst „urkundlichen Beiträgen zu seiner Politik“*) vor uns. Wie mannigfaltig sind doch die Gebiete, über die sich diese Reden erstreen ! Militärische Fragen, auswärtige Politik, soziale Reformen werden darin behandelt. Der Reichskanzler kämpft in den Reden, die er in den lebten Jahren gehalten, gegen die Sozialdemokratie, dissentiert höchst prosaische Dinge, wie wasserwirtschaftliche Fragen und Handelsverträge, streitet, gegen die Polen im Geiste Bismarcs, betreibt Kirchenpolitik, motiviert die Aufhebung des Jesuitengeseßes, eilt von Problemen der Landwirtschaft und der Zuderfonvention, zu dem von Marokko und Elsaß-Lothringen, bespricht einzelnes und allgemeines, auch: ewige Wahrheiten, prägt auch gute Worte. Er schwebt zwischen Ostmarkenfrage und Berggefegnovelle, macht Historische Ausflüge in den Polenaufstand von 1848, begibt sich in die tiefen Schächte des Ruhrkohlenbezirkes, fliegt ein wenig zu den schwarzen Hereros hinüber, tauft ein Linienschiff, löst einen Reicchstag auf und hat daneben noch bezeichnende Worte für die Kantsche Philosophie, für die Weihe eines Beethovenhauses oder gar für Semmeringfeste — denn der Kanzler ist wiederholt auf dem Semmering gewesen. An Professor Kehrbach, den Herausgeber von Kants, Herbarts und Fichtes Werken, schreibt er anläßlich der ihm mitgeteilten Absicht der Berliner „Philosophischen Gesellschaft, für Errichtung eines Fichte-Denkmals.. zu wirken, erfreue sich des Gedankens,daß das Bild des großen Patrioten, der nach Goethes Wort eine der tüchtigsten Persönlichkeiten gewesen, die man je gesehen, unter den Deutschen würde aufgerichtet werden „als eine €. . ; A) Mit Erlaubnis des Reichskanzlers , gesammelt und Herausgegeben von Johannes Bendler, Berlin, Verlag Georg Reimer, Mahnung für die kommenden Geschlechter, seiner Lehre "getreu die sittliche Aufgabe der Bekämpfung der Selbsttat, und der Hingebung an den Staat in dem Bewußtsein und Willen festzuhalten“. Und er preist den deutschen Philosophen als den „mutigen Bekämpfer nationaler Verzagtheit, der auf ie Gefahr des Todes zu Deutschen sprach, als andere schwiegen, die Jugend mit dem eigenen festen und gewissen Geist erfüllend, und der so durch die innerliche Erneuerung des Geschlechtes, das zu seinen Füßen saß, die zuversichtliche Hoffnung einer neuen glorreichen deutschen Geschichte verwirklichen half“. Fürst Bülow ist wohl belesen in den Klassikern der deutschen Philosophie und weiß sie bei passender Gelegenheit gut zu zitieren. Mehr als Kant noch und Fichte ist ihm Schopenhauer vertraut. Dieser ist sein Leibphilosoph, wie der Kanzler denn selbst bei allem Optimismus im Handeln Pessimist in seiner Weltanschauung ist. Der Philosoph des Pessimismus ist vom Kanzler von seinen Frankfurter Knabenjahren her persönlich in Erinnerung. Schopenhauer galt in Frankfurt als ein Sonderling. Der Vater des Reichskanzlers war Bundestagsgesandter in Frankfurt. Der Arzt des Bülowschen Hauses sprach, wenn wir eine einmal ins Gespräch vorgebrachte Erinnerung des Fürsten Bülow richtig im Gedächtnisse haben, von Schopenhauer wie von einem Narren — ja, der Arzt war es, der, wenn „wir nicht irren, dem Hause Bülow die Mitteilung überbrachte, daß „der Narr“ (1860) gestorben wäre. Also wie eine Reminiszenz aus den Knabenjahren ragt die Figur Schopenhauers in das Dasein des Kanzlers. Und der Kopf des großen Denkers mit dem wirren, weißen Haar, gemalt von Lenbach, schmüct das Kanzlerhaus in Berlin. Der Fürst betrachtet jedoch den Frankfurter Philosophen nur als seinen häuslichen, keineswegs als seinen politischen Heiligen. „Der Bellimismus“, äußerte er sich einmal, „mag als metapyhysis<es System “seine „Berechtigung haben, Ic, selbst habe in jüngeren Jahren litik“, hat Thiers mit Recht gesagt, „gehört die Zukunft den Optimisten.“ Bülow wird nicht müde, vor Pessimismus zu warnen. Er geißelt es, wenn gewisse Schwarzseher mit Verzweiflung über Deutschland sprechen. Er läßt an sich die tausendjährige Geschichte des deutschem Volkes vorüberziehen und nimmt wahr, daß auf heroischer Anspannung Müdigkeit folgen, den Kopf oben behalten und fallen. Nur Völker und die Schichten, kommen vorwärts. Und ‚selbst, wenn, Wolken am Horizont stehen, was in Deutschland sich nicht so Frankfurt des stand sein zur Seite, besser, als Kassandra.“ Er konnte als anderswo, sich Hektor zum Vorbild zu wählen in den Fußstapfen Bismarcs, wenn auch nicht fristloser, Bewunderer des ersten Reichskanzlers, dessen große Gestalt jon in seine früheste Jugend hineinragt, als seines Vaters, dänischen Bundestagsgesandten, auswuchs, den Vertreter Preußens sehen, wenn dieser den Kollegen besuchte. Und als Bernhard v. Bülow ein Mitarbeiter, dem Fürsten auch in den Tagen, als dieser unfreiwillig hatte aus dem Amte scheiden müssen und ihn nun am meisten diejenigen schmähten, die ihn einst am meisten verherrlicht hatten. An die Bürger des Siegerlandes, die gerade in dem Augenblice, als Bülow zum Reichskanzler ernannt wurde, das Denkmal seines gewaltigen Vorgängers enthüllten, schrieb er "Kaiser übertragenen Amtes seine Blide, „auf die große - die Versicherung, daß bei der Führung des ihm von Stern Er ist die glauben, am Main, als Perioden „Gerade in ist es immer noch Bilows Politik ein, Vater Dankbar geht neidloser von solchen Tagen in höherem Grade der Fall ist, wo er im Hause gedachte er Bismarcs Zeiten sicherZweifel und heißt es Knabe im nicht in Pessimismus veran ihren die RAR junger Mann war,