Pester Lloyd, September 1912 (Jahrgang 59, nr. 219-230)
1912-09-17 / nr. 219
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Auch die Partei der nationalen Arbeit. Mit dem wesentlichen Unterschiede jedoch, daß die Majorität die einzige Partei des Parlaments gewesen ist, in deren Sonferenz aus dem Munde des Ministerpräsidenten trot alledem und alledem noch immer ehrliche und aufrichtige Friedenswünsche erklangen, während in den Beratungen der unterschiedlichen Slubs des oppositionellen Blods nur die Vorschläge des Vollzugsausschusses der vereinigten Opposition vom 10. September nicht nur eine angenommen, sondern auch unter den famosen „Schuß der Marteitreue“ gestellt wurden. Wer ez also wagen sollte, anderer Meinung sein zu wollen als der sich allmächtig dürfende Vollzugsaus dus, um den ist es ein für ‚allemal geschehen, der muß als geächteter Verräter den betreffenden Parteiverband for fort verlassen. Die Opposition arbeitet also mit den Mitteln der stärksten Pression auf ihre Mitglieder, um jeden Widerspruch von vornherein zu ersuden. Anders war, die einmütige Beschlußfassung des heutigen Abends offenbar nicht herzustellen. Nimmt man noch dazu, daß gerade am heutigen Tage Graf Julius Andrasfy einem journalistischen DSutervierver gegenüber das vollste Einverständnis mit dem Beschlüsse des Vollzugsausschusses anvertraute, dann ersscheint die ganze Gesellschaft wieder in teauter Gemeinschaft beisammen, die einst in der selig zusammengebrochenen Koalition sich vereinigt hatte. (Es fehlt kein, einziges teueres, Haupt mehr. )3 ij4 Dieselbe lose Gemeinschaft der auch Damals vereint gewesenen Fraktionen, mit Dem Unterschiede jedoch, daß die Parteiverbände bisher ‚etwas strammen beisammengehalten wurden als damals, da man si auf ein gemeinsames Regierungsprogrammt einschwören mußte. So weit. hält ‚diese politische Gesellschaft mit beschränkter Haftung noch ‚nicht und sie wird, so Hoffen wir im Interesse Ungarns, überhaupt nicht und gewiß nicht so, bald als ‚sie selber meint, vor die Notwendigkeit gestellt-sich sehen, wieder ein Regierungsprogramm Für den eigenen Hausgebrauch zu zummern. Im dem Totalbilde findet sich jedoch ein Wesenszug, der die Aehnlichkeit mit dem früheren Gebilde fremdartig beeinträchtigt. Diesen Zug bilden die Sozialisten an den Rockhößen der Koalition. Auch Diese Partei der ‚Opposition i gegen das Zustandekommen des Friedens ihr geistreichster und gebildetster Führer Hat in einer gestern stattgefundenen Versammlung das füge Geheimnis verraten, weshalb. Es ist ein Interesse.. seiner Partei, ‚sagte ‚der Mann, daß der parlamentarische Friede nicht zustande komme, denn ein Wahlrecht, das nach fünfahren kommt, wird dem Kampf der sozialdemokratischen Partei liefer.dienen, als ein Wahlrecht von morgen. Das it ein ehrliches Bekenntnis, dafür man dem Sozialistenführer Dank wissen muß, Was wir vor einigen Tagen an dieser Stelle nur an Vermutung ausgesprochen hatten, das liegt nun als offenes Eingeständnis vor uns. Was der Mann sonst in seiner Rede von Drohungen tafelte, das mag er mit seinen gegenwärtigen Kampfgenossen austragen. E&3 wäre doch gar zur nett, unter der Aegide des gräflichen Dreigertiens Andrásjy—Apponyi— Károlyi die Revolte aufführen zu sehen, bei der den hochgeborenen Herren wohl nichts anderes übrig bliebe, ala die Carmagnole mitzusingen und mitzutanzen. Nun erscheint auch das Bündnis mit der Sozialdemokratie ganz begreiflich. Auch ihren politischen Genossen ad hoc wäre die Wahlreform nach fünf Jahren, wenn auch aus anderen Gründen, ganz gewiß lieber als eine Wahlreform von norgen. Ministerpräsident Ladislaus v. Lufacs hat in der heutigen Abendkonferenz der Majorität das Problem der Wahlreform gerade im Hinblick auf die Einbeziehung der industriellen Arbeiter in Die politischen Gerechtsame in ganz anderem Tone, im Tone der erniterten Durchdringungieses «Gedankens, besprochen. Ohne ich auf Einzelheiten einzulassen, hat der Ministerpräsident mit großem Nachdruck die Gründe auseinandergeseßt, aus welchen die industriellen Arbeiter dank ihrer Intelligenz und dank ihrer namhaften Beteiligung an der Ableistung der Staatslasten das volle Anrecht erworben haben, mit den politischen Rechten ausgestattet zu werden. Gerade dieser Parsus in der Rede des Kabinettachefs war von einer Wärme duchjegt, der man in den Auseinandersegungen dieses Fühl erswägenden Staatsmannes nur in Ausnahmefällen begegnet. Eine maßlose Agitation. Seit Monaten skrupellos betrieben, trägt offenbar die Schuld daran, Dab so ernste Worte aus gewichtigen Munde entweder gar nicht an jene Aöreise gelangen, an die sie gerichtet waren, oder wenn ihre Schalkraft doch so weit, reicht. Dort nicht verstanden werden, weil man sie derzeit nicht verstehen will, Man . Tann es der Führer, ‚der l sich án die Gemeinschaft mit Der gegenwärtigen Opposition eingelassen.. hat, mit der ÚGw in Der Hand auf die Stunde prophezeien, Wann sie als dem Wahne erwachen werden, daß ihre Derzeitigen Kampfgenossen das allgemeine Stimmrecht nach ihrer Vaslon wirklich einführen wollen. Die Enttäuschung kommt so gewiß, wie der morgige Tag. Sie behaupten, oder sie verbreiten wenigstens ‚über fuh, sie seien Realpolitiker und wollten daher überhaupt nicht mehr, als wirklich Duccgeseßt werden darn, weil die speziellen Verhältnisse Ungarns die Realisierung des allgemeinen, gleichen und geheimen Stimmrechtes in seiner akademischen Idealität ausschließen. Nein, sie sind vielmehr Illusionspolitiker, denen noch die Erfahrung mangelt, wieviel man von politischen Verheißungen (Hoc lebe Maria, Maria sie lebe Hoch, Hoch lebe Maria und der sie geschaffen !) Eigenartiges Wild,dieses Volk auf der Piilgerfahrt zur Madonna.Einst zogen ihre Ahnen auf diesen Straßen in Sturmhasube"«und Eisenwehr hinter den Adlern der Legionen, um die Welt zu erobern, und heute ziehen sie mit der gleichen Ausdauer Hinter dem hohen Holzkreuz her, um sich den Himmel zu verdienen. Da zieht an der Spibe der Kompagnie, wie man die Gruppen nennt, der Dorfälteste, ein Greis mit tiefgetrümmten Rüden, während der Priester, wenn ein solcher überhaupt die Kompagnie begleitet, auf seinem Maultier im Nachtrab nit den Schwachen und Kranken, die gleichfalls Nesttiere benüsen, folgt. Dem Aelterten wogt der bunte Haufe der Frauen nach, alle in der topischen Tracht der „Civeiaren“, das Mieder über der weißen Bluse, in kurzen, vielgefalteten Nöckchen, mit farbigen Strümpfchen und den , Ciocen", den Sandalen, der ganzen Gegend südlich von Rom den Namen „Cioceria“ gegeben haben. In den Ohren tragen die Frauen große goldene Ringe oder Gehänge, um den Hals, die Korallenschnur und auf dem Haupt das vielgefaltete Tuch, das meist von einem Korb mit den Lebensmitteln für die Reife gekrönt ist. Je nach der Gegend sind die Sandalen verschieden geformt: die größten, mit langen, aufrechtstehenden, juigen Schnäbeln tragen die Pilger aus dem „Königreich“, wie heute noch die Berwohner des ehemaligen Kirchenstaates die Nady dann im Neapolitanischen oder in den Abruzzen bezeichnen. Weiße Sternöpfe mit angenähten Ledersohle tragen die Frauen aus Filettino, einem Dorf in weltabgeschiedener, romantischer, tiefer Einsamkeit mitten in den Hohen Felsbergen der Abruzzen, andere Dorfichönen tragen ihon den als Lurusgegenstand geltenden Stiefel, aber man sieht, wie schwer sie in der ungewohnten Fußbekleidung an der Seite ihrer Sandalen tragenden Genossinnen fortkommen. Es sind manche wirklich, schöne Typen unter diesen Frauen und Mädchen, aber nur kurze Zeit Dauert dieser Schimmer Elaffischer Schönheit, dann macht sie Die harte Arbeit und die Gluthiße früh verwerfen. Auch die Männer, die die in der Mitte der Kompagnie schreitenden Frauen geleiten, tragen die Sandalen, während sonst ihre Kleidung außer den breitrandigen, weichen Filzhüten wenig Spiel aufweist ..« verleugnen kann,die man im unverantwortlichen Stande der Opposition gemacht und an deren Verwirklichung man im Stande der Verantwortlichkeit gar nicht gedacht hat. Von alledem abesehen,verbürgt den Sozialdemokraten dafür,daß idieinorität von heuta suhq"wirklich schon demnächst in die Mehrheit verwandeln"wird.Wenn sie" eine Erweiterung des Wahlrechtes wirklich anstreben,die von Realpolitikern gefördert werden kann, dann Haben sie sie wahrhaftig an die falsche Adresse gewendet. Es fällt ung nicht bei, einen Lockruf an sie ergehen zu lassen. Sie haben über ihre Taktik allein zu entscheiden. Da deucht ung, daß sie noch eine schwere Schule der Enttäuschungen ‚durchgumachen haben werden, bis sie wirklich zu Realpolitikern herangereift sein werden. Umso realer sind die Ziele, nach denen die vereinigte Opposition strebt. Sie will in den Besit der Macht gelangen. Das ist der Wille und der Wunsch jeder politishen Partei. ES kommt jedoch alles darauf an, mit welchen Mitteln das Ziel erreicht werden will. Die oppositionellen Fraktionen haben sich offenkundig zu dem Zivede vereinigt, um durch gemeinsames Tun wieder in den heißersehnten Besiß der nur allzu rasch ihnen entglittenen Macht zu gelangen. Und geht es nicht auf dem geraden Wege der politischen Gesinnung der Massen, so muß mit den Mitteln der Pression versucht werden. Auf Diese Formel kann 3wed und Ziel der oppositionellen Politik zurücgeleitet werden. Die Parteien der Opposition befinden sich in diesem Belange in einem schhweren Irrtum, den der Ministerpräsident im seiner heutigen Rede mitgebebt und analysiert hat. Sie sind der Meinung, daß die Majorität des Parlaments des Friedens bedürfe, während sie doch nur im Interesse der Wahrung parlamentarischer Grundlage von dem Wunsche erfüllt it, daß der Frieden in das Parlament einziehe. Kommt er nicht gleich, wird er am Ende doc dahin gelangen. Denn die Maje rität verfügt nunmehr über die geweglichen Mittel, ihren Willen an einer zum Weißersten entfihloffenen Minorität gegenüber durchzufegen. Der weitaus größere Teil dieser jede bemerkenswerten Rede des Ministerpräsidenten war überwiegend retrospektiven Inhalts und sollte an der Hand der Tatsachen eindringlich darstellen, was die Führer der Majorität im Verlaufe des Sommers alles aufgeboten haben, um der Opposition Das Entgegenkommen zu beteigen. Hereb. Lutács wiederholte alle seine Anerbietungen der jüngsten Zeit, selbst in diesem fetten entscheidenden Augenblick, da alles bereits zum Sampfe gerüstet steht, mit dem Beifügen, daß er die Schaffung jener Garantiegesebe immer noch dünfte, von denen er in bezug auf die Immunität der Abgeordneten und auf Die Revision der Geschäftsordnung wiederholt gesprochen hat. Das heißt in der Tat die Friedfertigkeit bis zum Aeußersten treiben. Und es erscheint symptomatisch besdeutungsvoll für die entschlosfene Haltung der Majorität, daR jubelnde Zustimmung ihren Konferenzsaal, gerade sozialdemokratischen Partei,die« Feuilleton, Bei der Amadonna von Genazzano. Bon 9 % Graf dr. Boltolini. Endlich it der große, langersehnte Tag da, der Festtag Mariä Geburt, der Tag der Madonna von Senazzano. Am Tage vorher legt der Bergbauer des südlichen Latium und der angrenzenden neapolitanischen Landesteile die schwere Hade, mit der er jahraus, jahre in den felsigen Berghängen im harten Kampf ums Dasein sein dürftiges Brot abringt, aus der Hand, die Frauen und Mädchen verlassen ihre Biegen und Hühner, und bald steigen alle im Feiertags-Heide auf rauhen Saumwegen ins Tal hinab, schließen sih mit den Nachbarn und Freunden zusammen und treten die in vielen Fällen Tag und Nacht dauernde Wanderung, zu dem zwischen den Borbergen des Apennin lieblich auf grünem Weinberghügel gebetteten Heiligtum von Genazzano an. Da ziehen sie heran in hellen Oktaven auf der uralten Latitanischen Straße, dort auf der Brenettina, von den Bolster- und Herniferbergen steigt es hinab, Hunderte und Tausende, unberührt duch Die hier im Süden noch ‚mit voller sommerlicher Sunft herabbrennende Septembersonne, alle demselben Ziele zustrebend , Genazzani. Marche treibt ein besonderes Anliegen, die Gnade des wundertätigen Madonnenbildes anzuflehen, manche — und zwar die meisten — machen die Wallfahrt, weil eben schon die Ahnen, die Großeltern und Eltern sie alljährlich gemacht haben, und nach ihrem Glauben im Falle der ‚Unterlassung ‚des Himmels Segen, ihren Feldern und Fluren fehlen künne. Es ist aber nicht die stille Andacht der wohlgeordneten Prozessionen nordischer Länder, die auf dem Wege herrscht, sondern in dem bunt Durcheinander ‘flott dahinmarschierenden Haufen herrscht die derbe, Tindliche Fröhlichkeit dieses ‚Wölfchens, Sichertworte fliegen Hin und her, ‚heiteres Lachen ertönt, und it der Notenkranz, der im Rhythmus des Marsches gebetet wird, beendet, so ‚folgt mit rauhen Stimmen die fröhliche Weise der bis ins Unendliche immer wiederholten. Strophe: Evviva Maria — Maria evviva Evviva Maria — E chi la crec i ‚1. So geht es stundenlang auf der staubigen, , heilglühenden Straße fort, in gleichmäßigem Rhythmus ertönt das genannte Marienlied oder das dumpfe Gemurmel des Rosenkranzgebetes. Es it ein ‚Herrlich-Schönes Land, doch das die Pilger zwischen den steilen, mächtigen Abhängen der Abruzzen im Osten, den grünen Hügeln und den sanften blauen Linien der Bolsterberge ims Westen ziehen. Da liegt Balianos trogige Feste auf isoliiertem Bergeshang, einst der jtolge Cib des Türfenbesiegers Marc Antonio Colonna, des Triumphators von Zepanto, Dort Segni, das altersgraue Bolsterstädtchen, auf steilem Fels, das der Welt und der Kirche den großen Innocenz III. gegeben, unter dessen mächtigem Czepter das Rom der Päpste, das zweite Rom seine Epoche als Weltenbeherrscherin einleitete, von den weinbedeckten Höhen zur Rechten grüßt Dievano herab, dass Tustulum der deutschen Künstler, mit all seinen Erinnerungen an Scheffel und Lenbag, an Seil, Kaulbach und Cornelius, Erinnerungen an liederreiche, weinfrohe Stunden der Meister der Feder und des Pinsels. Aber die Pilger haben sein Auge für all diese Herrlichkeiten der Natur, nicht einmal für die riesigen STrauben und Feigen, die verlodend aus dem Dunkeln Laub der Gärten lugen, bis plößlich der Führer anhält und den heilerwarteten Freudenruf Eoviva Maria ausstößt, dem ein hundertstimmiges Echo folgt; er hat zum ersten Male zwischen den Hügeln und Bergen die altere grauen Mauern von Genazzano erblicht, und nach dem ersten Eovivar finden sie alle andächtig auf die nie und vers richten ein langes Gebet zu der Madonna von Genazzano. Wenn man sich dem von mächtigen Türmen flankierten Stadttor des Wallfahrtsortes nähert, wird die Straße immer belebter. Zu beiden Seiten derselben haben es alle Bettler der Gegend ein Stelldichein gegeben, da fißen Blinde, Taubstumme, Gelähmte, Berstümmelte, und alle rufen die Vorübergehenden mit dem hingehaltenen Hut an, erzählen mit näselndem Geschrei ihre Gebrechen und suchen dar, Gebärden das Mitleid der Pilger zu erwecken. Nicht umsonst ist ihr Geschrei, und wenn eine Kompagnie zu den Toren Genazzanos ihren Einzug hält, regnet er förmlich Kupfersoldi, in die armseligen Hüte, Bor, dem Z2or auf dem weiten Blat it eine förmliche apa REG TE zona lose ZeiZ ER.» 21012. UL ENGR FR Br RE WERL ent fr 135052 ce EL