Bukarester Gemeindeblatt, 1922 (Jahrgang 14, nr. 1-53)

1922-01-01 / nr. 1

No. 1 Bukarester Gemeindeblatt Muskelkraft erforderte, als dem schmächtigen jungen Mann eigen war. Dieser Beruf hat ihm jahrelang die Mittel zu seinem bescheidenen eingezogenen Leben geliefert und durch sein Bedürfnislosigkeit war Ter­­steegen im Stande, reichlich Armen und Kranken zu helfen. Daneben unterrichtete er eine Zeitlang die Kinder eines seiner Brüder und bald begann er auch eine ausgehnte Schrifstellerei, natürlich auf dem Ge­biete, das ihm am Herzen lag und das seiner Gemüts­art entsprach. Zunächst schrieb er für diesen Unter­richt ein kleines Büchlein in Frage und Antwort; .Unparteischer Abriss christlicher Grundwahrheiten“, gab dann einige Uebersetzungen französischer religö­­ser Schriftsteller heraus und stellte 1727 unter dem Titel „Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen“ einen Teil seiner Lieder zusammen, ein Buch, das noch zu seinem Lebzeiten sieben Auflagen erlebte. Zu dieser lebhaften schriftstellerischen Arbeit kam von 1725 an eine leitende Stellung in den sogenannten „Uebungen“ Es waren dies allwöchentliche Versammlungen religiös interessierten Leute und Tersteegen selbst hatte fast von Anbeginn seines Aufenthaltes in Mülheim an ihnen teilgenommen und dankte ihnen viel. Er sprach oft in diesen Uebungen und nach einem gleichzeitigen Bericht wurden viele „von der durchdringenden Kraft seiner Rede so bewegt, dass sie zu einer gründlichen und dauerhaften Bekehrung gelangten“. Die Bewegung ergriff weitere Kreise, es wuchs die Zahl derer, die mündhch oder schriftlich Tersteegen um Rat oder Zuspruch angingen und so sah er sich schliesslich genötigt, seinen Beru\ als Bandwirker aufzugeben und ga iz sich der Tätioq keit, als Seel­sorger hmzugeben die er nicht gesucht, die ihm aber entgegengttragen war. Freunde, die ihm viel verdank­ten, stellten bescheidenen Summen zur Verfügung, die erbei seinem immer gleichmässig anspruchslosen Leben nötig hatte. Bald dehnte sich Tersteegens Einfluss über seinen Wohnort aus, ein ausgedehnter Brief­wechsel verband ihn mit Gleichgesinnten im gesam­ten Westen Deutschlands. Seit 1732 reiste er regel­mässig nach Holland; nach Schweden, Dänemark, ja bis nach Nordamerika gingen seine Briefe. Sie sind zum Zeil erhalten und späterhin gedruckt. Sein Ziel, ein auf lebendigen Glauben und warme Nächstenliebe gegründetes Gemeinschaftsleben zu schaffen, suchte er in einer klosterartigen Stiftung, die Pilgerhütte genannt, zu verwirklichen ; die Ueberreste dieser Ge­meinschaft bestanden bis ins 19. Jahrhundert und das Haus mit seiner inneren Einrichtung und einigen Bil­dern und Büchern ist bis heate erhalten. Auch Ter­steegen bescheidenes Dachstübchen ist no h zu sehen. Seine ganze warme Liebe wandte er den Kranken zu. Und in ihrer Pflege erwarb er sich tüchtige me­dizinische Kenntnisse, die er seinen Pf’eglingen ohne Unterschied der Stellung und des Glaubenbekennt­nisses zu gute kommen lies. Auch Juden wandten sich an ihn und zum Dank sollen sie, als er selbst einmal krank war, eine Betstunde für seine Genesung gehalten haben. Für viele war schon seine Gegen­wart eine Wohltat, halbe, auch ganze Nächte brachte er bei Kranken zu. (Fortsetzung folgt) 2 Aus Mainuslia. Als mich einst unsere jetzige Königin, die da­malige Kronprinzessin Maria, bei einem Empfange unsrerseits in dem Städtchen Mangalia fragte, woher denn die Deutschen der Gemeinde Sarighiol gekom­men seien, da konnte ich ohne Bedenken antworten: „Aus Bessarabien“; denn von den deutsch-evangeli­schen Gemeinden Sarighiol, Cogealac, Tariwerde, Co­­geali und Catalui, sowie auch von den zwei deutsch­katholischen Gemeinden Kara-Murat und Coleli wusste ich genau, dass ihre Bürger bis auf wenige Ausna­men, alle von Bessarabien in die damals türkische Dobrudscha eingewandert waren. Anders war es_ mit der Gemeinde Mamuslia, die eine Tochtergemeinde jener beiden Gemeinden ist. Wohl hatte man von älteren Leuten erzählen hören, dass sie aus Altru­mänien in die Dobrudscha gekommen seien, aber et­was Sicheres darüber wusste man nicht. Ja, bei einer landwirtschaftlichen Ausstellung in Anadolkoi bei Con­­stanza, wo auch Mamuslier mit ihren schönen Pfer­den zugegen waren, bekam der dam-.lige Kön g Carol auf seine Frage, die er an einen Mamuslier Bürger richtete, wo denn seine Voreltern herstammten, die Antwort: „Ich weiss nur so viel, dass ich in Atmad­­scha geboren bin, mehr weiss i h nicht“. Nun finde ich in No. 36 des „Bukarester Gemeindeblatt“ in dem Aufsatz: „Beiträge zur Geschichte der Evangelischen Gemeinde P.oeşti tn Rumänien“ ganz genauen Auf­schluss über diese Frage. Denn die dort von Predi­ger Homm genannten Kolonisten aus Bessarabien, sind ohne Zweifel d eseiben Männer, die im Jahre 1848 das Dorf Atmadscha, und 1854 Tschukorowa gegründet haben. Die Namen Adam, Kühn, Martin Ponto, Blumhagen usw. sind heute noch in diesen Dörfern staik vertreten. Besonders lebhaft erinnert man sich an den alten Adam Kühn, der als der äl­teste Bürger v„n Atmadscha dort im hohen Alter von 99 Jahren gestorben ist. In der Nähe von Braila ist noch heute eine kleine deutsche Gemeinde die man Jakobsonstal nennt. Ohne Zweifel hat diese Gemein­de ihren Namen von dem damaligen Guverneur von Braila, Oberst von Jakobson, einem evangelischen Churländer, bekommen. Joh. Straub. Aus der Bukarester Gemeinde. Es gibt Strömungen, Forderungen der Zeit, die sich trotz anfänglicher Bedenken und Widerstände durchsetzen, weil t ben „ihre Zeit gekommen ist. Da­zu scheint die Feier der kirchlichen Festtage nach gregorianischen Stile zu gehören. Das Bedürfnis nach einer Weihnachtsfeier aijtem Tage, da die Glaubens­genossen in andern Ländern sie begehen, ist so stark geworden, hat wieder und wieder in der Gemeinde so lebhaften Ausdruck gefunden, dass ihm zunächst in der Form entsprochen werden musste, unter vor­läufigem grundsätzlichem Festhalten an der offiziellen kirchlichen Feier auch nach, neuem Stile am heiligen Abend eine liturgische Feier stattfinden zu lassen und

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