Bukarester Gemeindeblatt, 1923 (Jahrgang 15, nr. 1-52)

1923-01-07 / nr. 1

Jahrgang XV. Sonntag, den 7. Januar 1923. Bukarester Gemeindeblatt. Schriftleitung R. Honigberger. Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei, Str. Lutherana 10. Ho. i. Allerlei vom Weihnachtsfest. I. Seit wann'gibt es ein Weihnachtsfest? Je inniger unser gesamtes Volks- und Fami­lienleben mit dem Weihnachtsfest verwachsen ist, um so mehr muss uns die Tatsache verwunderlich erscheinen, dass weit über dreihundert Jahre lang die christliche Kirche überhaupt kein Weih­nachtsfest gefeiert hat. Allein diese Tatsache erklärt sich aus einem Blick in das Leben der christlichen Gemeinden in den ersten Jahrhunderten. Die aus dem Judentum stammenden Christen hielten an den ihnen bisher gewohnten Feierta­gen fest; auch Paulus reiste, wie die Apostelge­schichte erzählt, zum jüdischen Pfingstfest nach Jerusalem. Einzig und allein der Sonntag war den ersten Christen ein Tag besonderer Be­deutung, weil er der Gedächtnistag der Aufer­stehung Jesu ist. Eine Erinnerung daran hat sich in der russischen Sprache erhalten, in der die Bezeichnung für den Sonntag (wosskressenje) wörtlich übersetzt , «Auferstehung» bedeutet. Es hat sich aber im Laufe der Zeit von selbst erge­ben, dass der auf das jüdische Passahfest folgende Sonntag als Jahrestag der Auferstellung beson­dere Wichtigkeit gewann. Um die Mitte des zwei­ten Jahrhunderts hat es jedenfalls schon ein O sterfest gegeben, wobei nur die Frage offen blieb, ob es auch im Einklang mit der Berechnung des jüdischen Passahfestes, d. h- am ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond, begangen wer­den sollte, oder im bewussten Gegensatz dazu erst an dem danachfolgendem Sonntag. Das im Jahre 32ö unter Vorsitz des Kaisers Konstantin in Nicaea abgehaltene Konzil legte das Osterfest dahin fest, dass nach dem jüdischen Vorgang der erste Sonntag nach dem ersten Frühlingsvoll­mond dazu bestimmt wurde. Damit ergab sich der Termin für das Pfingstfest von selbst. Es fiel 7 Wochen später. An einem Weihnachtsfeste hatte jedoch die christliche Kirche der ersten Jahrhun­derte gar kein Interesse; im Gegenteil, sie stand einer Feier der Geburt jChristi feindlieh gegenüber. Der grosse KirchenlehrerOrigenes (245) wies darauf hin, dass in der Heiligen Schrift nur von gottlosen Menschen berichtet werde, dass sie ihre Geburts­tage festlich begangen hätten: Pharao (1. Mose 40, 20), der bei dieser Gelegenheit den obersten Schenken wieder in sein Amt einsetzte, während er den obersten Bäcker töten liess, und Herodes, der an diesem Tage auf Bitten seiner Tochter Befehl gab, Johannes den Täufer zu enthaupten. Aber abgesehen davon lebte die christliche Kirche der ersten Jahrhunderte in steter Gefahr der Ver­folgung und unter dem Druck des täglich drohen­den Todes ihrer Mitglieder. Da entstand dann die Meinung, die wahren Geburtstage der Christen seien die Todestage, an denen sie in das wahre Leben eingingen, wofür sich die biblische Be­gründung in dem Worte: «Der Tag des Todes ist besser denn der Tag der Geburt» finden liess. Darum wurden auch die Todestage der Heiligen und insbesondere der Märtyrer als ihre Geburts­tage festlich begangen, und es wurde an solchen Tagen Gottesdienst bei den betreffenden Grab­stätten abgehalten. Die zahlreichen' Heiligentage, die wir noch heute in unserm Kalender finden, bezeichnen stets ihre Todestage. Nur der Weih­­uaehtstag, der 24. Juni und der 8. September, sind Geburtstage, nämlich Christi, Johannes des Täu­fers und der Jungfrau Maria. Dagegen ist in den ältesten Zeiten der christlichen Kirche allerdings zunächst in den Kreisen der Sekten, die es auch damals schon gab, der Tauftag Jesu, etwa seit dem Jahre 300, am 6. Januar gefeiert worden, ohne dass es uns klar ist, aus welchem Grund gerade dieses Datum gewählt ist. Es war das Fest der Erscheinung oder der offenbarwerdenden Herxäichkeit des Herrn. Dieser Tag wurde ur­sprünglich in Beziehung zu der Taufe Jesu am Jordan durch Johannes den Täufer gesetzt als dem Beginn seiner Wirksamkeit als Messias. Spä­terhin wurde mit dieser Feier der Taufe Jesu die Erinnerung an sein Kommen in die Welt über­haupt verbunden. Als durch Kaiser Konstantin den Grossen die Christenverfolgungen eingestellt wurden und die Zeit der Drangsal für die Christenheit vorbei wax*, entfiel auch der oben angeführte Grund zur Ab­neigung gegen eine Feier der Geburt Jesu. So steht es denn fest, dass im Jahre 353 odei1 späte­stens 3o4 in Rom zum ersten Mal das Weihnachen fest kirchlich begangen ist. Von hier aus hat se sich allmählich im ganzen römischen Reich seints- Platz erobex’t. In Konstantinopel ist es im Jäher 379 zum ersten Mal gefeiert worden. Von dort drang es nach Kleinasien vor. In Aegypten ist es seit 432 bekannt. Zuletzt ist es in Palästina angenommen worden. Das hatte seinen Grund darin, dass am 25. Dezember bei*eits der Gedächt­nistag der Familienangehörigen Jesu, nämlich des Stammvaters David und des Bruders Jesu, Jako­bus, der in der ersten Chi’istengemeinde eine

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