Bukarester Gemeindeblatt, 1928 (Jahrgang 20, nr. 1-53)

1928-01-01 / nr. 1

Dahrgang XX Sonntag, den I. Hanuar 1928 Bukarestet* Qemeindebtatt Schriftleitung: R. Honigberger Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei, Str. Lutherana 12 Do. I Neujahrsgedanken. x II Kor. t 17. \ Der erste Tag eines neuen Jahres fordert uns zur Selbstbesinnung auf. Zunächst sind! es all die Pläne und1 Sorgen unseres Berufslebens, die prakti­schen Fragen dies Alltags, die uns bewegen, aber auch die Fragen' unseres Innenlebens, die Fragen der Weltanschauung und der Religion m'elden sich, und vielleicht tun wir gut, in erster Linie ihnen un­sere Aufmerksamkeit zuzuwendlen. Wollen wir näm­lich auf die Gestaltung der Welt wirklich Einfluss gewinnen, so müssen wir vor allem1 mit uns1 selbst im| Reinen sein, Herz und Gemlüt in die rechte Ver­fassung bringen, denn nur von innen her kann die Welt ausser uns geändert werden. Das eigentlich Grosse, Weltbewegende in Jesu Bot­schaft war ja, dass er uns dies so recht klar ge­­macht. „Tut Busse, denn das Himlmjelreich ist nahe herbeigekomlmien!” Dies war sein erstes in der Oef­­fentlichkeit gesprochenes Wort. „Tut Busse” heisst aber nichts anders als: Werdiet andere Menschen, ändert euch, erneuert euern Sinn, denn nur so kann das Himlmielreich zu euch komimén. Von Jesus haben die Apostel diese Botschaft übernommen, sb vor allem! Paulus. Er bezeichnet es geradezu als das Kennzeichen des1 Christseins, dass mian ein anderer Mensch geworden ist. „Ist jetriand in Christo, so isi er eine neue Kreatur.” Für einen solchen Menschen ist das Alte vergangen, alles ist neu geworden, er selbst ist eine anderer geworden, und! nun muss sich für ihn auch die Welt umlwan­­deln und! neu werden. Wahrlich ein grosser Gedanke, dem! nachzu­gehen es sich besonders an wichtigen Wendepunk­ten der Zeit — und jedes Neujahr ist ja für uns kurzlebige Menschen solch ein wichtiger Wen­depunkt — wohl lohnt. Aber sofort erhebt sich die Frage: Kann mian eine „neue Kreatur” werden? Wie kann jemand neu geboren werden? Wir kennen die Sage vom! jenem1 Jungbrunnen, aus dem! alle, die in ihn gestiegen sind, als verjüngte, wie neugeborene Menschen wie­der emlporsteigen. Aber das ist eben nur Sage, nur Märchen. In der Wirklichkeit — so imleint nfan — ist das nicht möglich. Nun, so lange wir diabei nur an unser körper­liches Dasein denken, gewiss1 nicht. Die sich häu­fenden Verjüngungsversuche, die in unserer Zeit die Menschen imlmier wieder aufhorchen lassen, werden bestenfalls eine Verzögerung des1 Alterns bewirken, nie aber „neue Kreaturen” schaffen. Ganz anders steht es1 jedóch, wenn wir an Unser sittlich religiöses Leben denken. Wir kennen Zumj minde­stem zahlreiche Beispiele solch eines Neugeboren­werdens! Vor allernl den Apostel Paulus! selbst. Was er zu Damlaskus erlebt, war für ihm ein völliges) Ver­­wandeltwerden. Und ähnlich war es! eigentlich bei den ersten Christen überhaupt. Mit dem! Augen­blick, da sie sich durch die Taufe dem Heiland ge1- weiht hatten, waren sie tatsächlich neue Kreaturen geworden. Nicht äusserlich natürlich! Ja nicht einmjal ihre besondere persönliche Eigenart ging völlig unter. Sie behielten auch nachher ihre ei­gene Note. Aber sie waren igewiss|ermlas's'en in ihrem! ganzen Wesen verjüngt, verklärt, selige Menschen geworden, Menschen, die seither nicht m!ehr im Finstern, sondern im Licht wandelten. Wer die Ge­schichte kennt, der weiss, dasä doch durch dieslej Menschen wirklich auch die Welt umlgewandelt worden war. Es war kein blosses Phantom1, wenn sie sagten : „Siehe,, es ist alles neu geworden.” Die; Weltgeschichte ist mit Jesu Erscheinen tatsächlich in neue Bahnen gelenkt worden. Mit gutem1 Sinn zählen wir seither eine neue Epoche, mit Recht be­ginnen wir unsere Zeitrechnung mit Jeisu Eintritt in die Welt. Uns Christen ist jedes neue Jahr ein Hinweis auf diesen Ungeheuern weltgeschichtlichem Vorgang, der seinen Anfang in den Herzdn der jün­ger nahm! und damit zugleich die Aussenwelt völlig umKvandelte. Und was dereinst an so vielen Menschen ge­schehen, an schlichten, einfachen, wenig gebildeten Menschen, sollte diasl heute nicht taleihr möglich sein? Wir sehen uns in unserem! eigenen Erfah­rungskreise um! und fragen: Haben wir nicht auch schon solche innere Erneuerung an uns selbst er­lebt? Vielleicht gar im abgelaufenen Jahre? Gewiss, miancher gute Vorsatz, den wir viel­leicht vor Jahresfrist gefasst, ist nur Vorsatz gehlie­ben, war bestenfalls ein Anlauf, d!er bald! ins! Stocken geraten war. Aber manchen hat doch auch das vergangene Jahr vorwärts, Seiner Bestimmung näher gebracht. Sollte wirklich niemiand unter uns sein, der von sich Sagen könnte, dass er in ihm] etwas gelernt, dass er alte Fehler abgelegt, dass1 er sich geübt hat in Geduld1, widerstandsfähiger gegen Versuchungen, vielleicht gar frömfner und zuver­sichtlicher geworden sei? Nicht, als1 ob das1 schon genüge. Aber es zeigt doch, dass wir nicht verur­teilt sind, iirJm!er iimf alten Trott unser Dasein zu führen, sondern dass1 auch für uns eine Umkehr, ein Anderswerden möglich ist! Darin liegt aber ein wunderbarer Trost für uns alle. Denn so klein und unscheinbar diese Anfänge auch sein mögen, so T

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