Bukarester Gemeindeblatt, 1928 (Jahrgang 20, nr. 1-53)

1928-07-22 / nr. 30

178 BUKARESTEK GEMEINDEBLATT Nr 30 Absicht, eine Strassenbahülinie hierher zu leiten; die Höfe werden immer enger, die Häuser daran Sdhmal hinein in die Tiefe immer niedriger, die Schenken 'weniger einladend, das Volk, die Kinder zahlreicher, heruntergekommener und unsauberer. Ueber die Şoseaua Pandurilor hinaus beginnt der Orient, dessen Vorzug an Luft und Licht gegenüber den Arbeiter- und Kleinbürgervierteln der europäi­schen Grossstadt nicht verkannt sei, der aber mit Staub und Gestank den geläufigsten Reinlichkeits­voraussetzungen immer böse widerspricht. Ueber die vom Nordbahnhof nach Filaret führende Ei­senbahnlinie hinweg kommt man in die letzte Aermlichkieit, und der Friedhof rechts* endlich er­reicht, wirkt wie eine Erlösung, wenigstens in der Befreiung vom Eindruck der Kleinheit. Eiin grosses, ziemlich regelmässiges Rechteck; das Holz­gitter davor und der Holzzaun daran stimmen die Erwartung mit dem Einblick in feine innere Unge­pflegtheit freilich wieder herab. Aber das Fried­hofstor ist immerhin breit und tief, ein Eingang, der Feierlichkeit beabsichtigt, und der Blick auf die in den Massen mächtige Kapelle, die breite ge­schotterte Allee entlang, erweckt Hoffnungen!. Rechts und links Familiengrabstätten, Handels­leute, Geistliche, einmal ein Gymnasiallehrer, die Plätze umgittert, die Denkmäler charakterlos und gewöhnlich, Photographien daran, künstliche Krän­ze hinter Glasscheiben in Kästen aufbewahrt zur Seite, hier und da grell bunte Blumen auf den Gräbern, aber eigentlich nirgend Spuren einer Ge­isamtpflege und Erhaltung, wenn mah von dem kümmerlich mit Begonien besetzten, rasenumsäum­­ten Streifen den Hauptweg entlang absieht. Diese Hauptallee ist von Linden beschattet, Seitenstras­sen, sehr breit, mit den scheusslichen verkrüppelten Akazien gesäumt. Um die Kapelle stehen ein paar Pappeln, von nah ist der architektonische Reiz ge­ring. Geht man um sie herum, erschliesst sich nackt der Sinn dieses Friedhofs: jeder Schein von Pflege hört auf, Unkraut, Wegelosigkeit, Unebenheit des Bodens, Hunderte von dichtgedrängten Holzkreu- Zen mit drauf gemaltem oder geschriebenem Na­men und Todestag zu Häupten schmuckloser, fri­scher und schon zusammenfallender Grabhügel, höchstens eine Scherbe, ein alter Emailtopf dabei für ein Totenflämmchen. In diesen Gräbern wird man verscharrt und vergessen, jede Heuchelei der Erinnerung und Ewigkeit fehlt. Hier ist der Tod nur noch eine Funktion des Lebens, der selbstver­ständliche Abschluss für alles Alte und Kranke, Was nicht mehr weiter leben kann, der Unterschied zwischen Tier und Mensch nur der, dass letzterer nicht mehr rechtzeitig und restlich verwertet wer­den kann, sondern eben beiseite geschafft werden muss. Die sparsame Begleitung kehrt von hier aus, Wenn sie die Notwendigkeit, den Toten zu beseiti­gen, erfüllt hat, in die kleinen elenden Häuser der Vorstadt zurück und lebt weiter, wie sie immer gelebt hat, von dem Tag in den Tag, aus der Hand in den Mund, höchstens die einen etwas erleichtert, die andern einer letzten Hilfe beraubt, alle weiter welkend im dürren Sonnenbrand des Lebens, wie Gras und Unkraut auf diesem Friedhof. Die Namen auf den Holzkreuzen sagen nichts, auch nicht die drei vier Jahre, die die kleinen Holzstücke Zusammenhalten. Kaum ein Mensch kommt je zu diesen Gräbern mehr, von Pflege fast keine Spur. Nur ein Narr wie ich empfindet die naturalistische Elendspoesie dieses Totenackers, der das ewige Leben predigt, versteht die grosse Wahrheit, die in all diesen gleichgültigen Namen geschrieben steht, dass erst das namenlose Leben ,das' still er­lischt, und der Tod ,der gleich vergessen ist, das yon Gott zu seinem Zweck gewollte wirkliche Le­ben der Menschen ist. Von ihm, der die Menschen lasset sterben und spricht: Kommt wieder, Men­schenkinder ! Wohl weckt dieser Friedhof auch noch andere Eindrücke. Ueberrascht war ich, bei der aTgemei­­nen Stillosigkeit der Denkmäler, dem Durcheinan­der der Säulen,Kreuze,Stämme,Troitzen,Tafeln, Bü­sten, Engel, Gitter, u.s. w., die zu Seiten des vor­deren Hauptweges ihr banales Dasein führen, ei­nen Grabplatz von zw;ei drei Grabstel'en dicht vott etwa zwei Meter hohen jungen Tannen eingeschlos­sen jzu finden und durch den schmalen, nicht ge­schützten Eingang auf der einen Seite nur ein paar grosse bunte Blumen zu sehen, die da heimlich wuchsen. Kein Name sichtbar, aber doch von Erinnerung, von Pietät umwobetn; ganz im Ge­schmack, wie neuere deutsche Friedhöfe Trauer und Wehmut individualisieren wollen. Und ir­gendwo, in einem Revier schon hinter der Kapelle, dessen Tote nach einigen noch erhaltenen Kreuzen vor vier, fünf Jahren gestorben waren, ganz einsam und fern der Welt eine Frau, durch Schluchzen ver­raten, hinter einem kleinen Grabmal knieend, es umschlingend, an ihm ordneind. Auch hier also gibt’s Tod ,der mit dem Leben nicht erlischt, über das Leben hinausreicht, in eine andere Ewigkeit weist als die des Lebens. Den Luxustod, der sich selbst gefällt, sich schmückt, an eine Unsterblich­keit glaubt. Und auch er ist wahr wie der andere, der proletarische. Denn alles Gefühl und alle Ein­sicht haben nur relative Geltung, auch auf dem Friedhof. Zwei weitere Ueberlegungen drängen sich auf.Der Gheneea-Friedhof ist offenbar ein jünge­rer Friedhof, wohl kaum älter als 2 3 Jahrzehnte. Ein alter Friedhof darf verwahrlost werden und kann doch sehr schön sein, gerade in seiner Verges­senheit. Aber Kinder muss man reinhalten und putzen. Wer für den Gheneea-Friedhof zu sorgen hat, weiss ich nicht; vermutlich die Stadtverwal­tung. Und da muss gesagt werden, dass sJie, wenn ihr solche Verantwortung obliegt, ihr beschämend oder empörend wenig gerecht wird, wie ja so man­chen andern sicher noch dringenderen Aufgaben, als da etwa sind Strassenpflasterung, -reinigung und -beleuchtung. Der Zustand, das Aussehen des

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