Bukarester Gemeindeblatt, 1931 (Jahrgang 23, nr. 1-52)

1931-01-04 / nr. 1

2 BUKAREST ER GEMEINDEBLATT Nr, 1 rei? Es wäre müssig sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Nur hindeuten wollten wir auf die­sen Widerspruch. — Eines aber ist sicher! Die Zeit, die dem Weltkrieg gefolgt ist und die wir jetzt durchleben, hat mit ihren grossen Umwäl­zungen eine unübersehbare Fülle von Aufgaben Imit şich gebracht. Auf allen Gebieten: in Politik, int sozialen Leben, in Kirche, Schule, Familie und in der ganzen Führung dies Daseins. Solche Zei­ten aber verlangen mehr als andere ganze Men­schen, aufrechte Charaktere, tiefgegründete Per­­s'önlicbkjeiten, starke, in sich gefestete Seelen. Auch' in unserm! kleineren kirchlichen Leben werden wir sie nicht entbehren können. Doch da hören wir die Frage: Was soll uns solche Mahnung? Wir sagen’s uns ja Selbst, dass wir stark sein, sollen, aber wie bekofmjmen wir diese Kraft? , Sollen wir auf solche Frage antworten, dann müssen wir vor allen Dingen zu erklären suchen: Was ist Kraft, worin besteht ihr Wesen? Man hat geantwortet: Kraft ist Sammlung1! Und mit ‘Rechţ, denn auf Zusammen tässung, Konzentration kömmt es vor allem! an, wenn eine starke Wirkung er­reicht werden soll. Das gilt nicht nur in der Phy­sik, sondern auch vom' Leben der Seele. Der alte Fcklehard sagt einmal: „Jede verspreitete Kraft ist unvollkommen. Darum, will sie inwendig eine kräftige Wirksamkeit eptlalten, so muss sie alle ihre Kräfte Wieder heimrufen und sie aus den zer­streutein Dingen herausslapiimeln in ein inwendi­ges Wirken.” Zerstreute, zerfahrene Menschen, die sich nicht zu samimeln wissen, die bald* hier, bald dort etwlas versuchen, sich von allen möglichen Sthiimmgen und Meinungen hin- und! herzerren lassen, werden nie etwas Tüchtiges leisten. Nur wer sich auf seine eigensten inneni Aufgaben zu besinnen weiss und sich ganz ihnen hingibt, oh­ne zu weichen weder zur Rechten, noch zur Lin­ken, kann stark sein und Grosses erreichen. Daher Dehmels Mahnung in seinem Lied an seinen Sohn: „Sei d!u, sei diu!” Und Grillparzer lässt den Priester in „Hero und Leander” die Worte spre dheu 1 „Sammlung?? . . . . Du hast genannt den mächtigen Weltenhebel,, Der alles Grosse tausendfach erhöht Und selbst das Kleine näher rückt den Sternen. Der Heldleh Tat, dies Sängers heilig Lied, Des Sehers Schiaun, der Gottheit Spur u. Walten, Die Samlmlu|ng hats getan und1 häts erkannt, Und dlie Zerstreuung nur verkennts und spottet.” So erklärt es1 sich auch, dass alle Grossen der Geschichte immer wieder Zeiten dier Einsamkeit sudden, 'hm' sieh auf sich selbst zu besinnen lind sich zu sammeln. Jesus hat nicht nur nach der Taufe 40 Tage undl Nächte in der Wüste ge­weilt, sondern intimer wieder die Einsamkeit auf höhen Bergen, in abgelegenen Tälern und! verlasse­nen Hainen gesucht, um dort allein zu sein, „er selbst alleijn”. Ein gleiches tat Moses auf dem' Berge Sinai, ehe er die 10 Gebote niedlerschrieb. Der Apostel Paulus verlebte in aller Stille dfei volle Jahre in Arabien, ehe er seine Missionsrei­sen antrat, und erst in der Stille der Klosterzelle konnte auch Luthers weltbewegende Kraft heran­reifen. Map ív ersteht es, besonders wenn man lange in der Gros'ssfadf gelebt, dass ernste Männer je u'nd! je „in die Wüste” gegangen sind, um nichts mlelír von der Welt und den Menschen zu hören und so sich selbst zu finden. Es geschah dies nicht nur bei frommen Mönchen, sondern selbst bedeu­tende Künstler unserer Zeit haben es getan. Wie wertvoll wäre es, wenn wir manchmal \v enigstens die Möglichkeit hätten, aus dlem Trubel der All­tagsgeschäfte lierauszuko. amen, draussen in stil­ler, einsarher Natur frei und froh aufzuatmen, und uns dort auf uns seihst und unsere eigentlichen Aufgaben zu besinnen. Wie seiten sind die Men­­scbejh, die es fertig bringen, so in die Stille zu geh ein. Die meisten verbringen ihre Zeit, die ihnen der Beruf übrig lässt, iimi Theater, im Kaffee­haus, in Vereinen, in unruhvollen Gesellschaften, wo sie immer peuen Eindrücken preisgegeben wer­den; bestenfalls raffen sie sich zum' Lesen ihrer Zeituhg oder „interessanter’’ Bücher auf, aber an ihr besseres Ich, an ihre Seele, an das Ausreifen ihrer Persönlichkeit denken sie nicht. So kom­men sie nie zur fechten 'Samfmjlung, zu starker Kraftajnhäufung, und so gehen auch niemals starke,, bleibende Wirkungen von ihnen aus. 'Es kombiit bei ihnen nie zur innern Sammlung, zur festen Zit'Sgmp'ie'njfjasspng 1 So muss denn gerad'e auch angesichts des kommenden Jahres unser ganzes' Sinnen und Trachten dialiin gehen, inherlich stark zu Werden! Aber so wahr all das sein mag, die eigentliche Antwort auf die Frage, die wir uns gestellt, ist damit noch nicht gegeben. Niemand kann von sich' aus seiner Kraft irgend! etwas hinzufügen. Die letzten Quellen unserer Kraft ruhen schliess­lich doch nicht in uns selbst, sondern sie kom­men von oben her, von Gott selbst. Jeder ernst stre'befnde Mensch 'erfährt es bald!, dass1 es mit Unserer Macht nicht getan ist. Wie leicht versa­gen wir, wie leidht lassen wir uns niederziehen in den Staub1 Idles Alltags, wie leicht wird unsere Seele flügeP 'hm und matt. Wie der Riese Antjäus iniimer neue Kraft durch Berührung mit der Mutter Erde fand, so m!uss auch die Seele imlmer neue Bele­bung suchen in der Berührung mit den himmlischen Weitem, mit ihrem Gott. Und! dies kann nicht bloss auf dem zuvor angedeuteten Wege, auch nicht etwa durch blosses Kirchengehen oder durch das Mitsingen von Gesahgbuchliedern geschehen, son­dern nur durch wirkliche Gemeinschaft mit ihm. Gott ilnd die Seele, die Seele und ihr Gott! In

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