Bukarester Gemeindeblatt, 1934 (Jahrgang 26, nr. 1-51)

1934-01-14 / nr. 2

Jahrgang XXVI. Sonntag, den 14. Januar 1934. Bukarester Gemeindeblatt Nr. 2 Schriftleitung R. Honigberger Geschäftsstelle: Gemeindekanzlei. Str. Llitherana 12 Ulrich Zwingli zum 450.Geburtstag des Schweizer Reformators am 1. Januar 1934. Von Professor 1). Dr. Leopold Cordicr-Giossen. Christ sein heisst: in allen Dingen mit grossem Mut Grosses ausrich­­ten. Zwingli. Die evangelische Kirche hat keim' Märty­rerkronen zu vergeben, sie kennt auch keine christliche Heldenverehrung, aber sie darf in Dankbarkeit der Männer gedenken, die ihr Gott als Streiter seines Reiches geschenkt hat. Einer unter ihnen ist Ulrich Zwingli gewesen, der Al­tersgenosse Martin Luthers. Drei Umstände pflegen für den Lebenskampf eines Mannes entscheidend zu sein: der Lebens­boden, dem er entstammt, das Lebensschicksal, das ihm begegnet, die Lebenskräfte, von denen er sich tragen lässt. Diese drei Lebenszusam­menhänge erkennen, sich ihnen mit Bewusstsein stellen, hier Treue halten, das bedeutet „leben.“ Wir wollen Zwinglis Gedenken unter diese drei Blickpunkte stellen. Der streitbare Volksmann. Wie Martin Luther kommt Ulrich Zwingli vom Volk und steht er zu seinem Volk. Der jun­ge Pfarrer in Glarus zieht zweimal mit seinen Gemeindegliedern als Seelsorger' auf die italie­nischen Schlachtfelder. Der Pfarrherr von Ma­­ria-Einsiedeln dient seinen Volksgenossen da, wo fromme Einfalt am Wallfahrtsort das Herz der Gottheit darbietet. Der Leutpriester am Grossmünster zu Zürich arbeitet von Anfang an mit am Aufbau des städtischen Gemeinwe­sens. Der Eidgenosse Zwingli beschliesst sein Leben auf der Walstatt als Eidgenosse unter Eidgenossen. Nicht als hätte Zwingli Volkes Alt und Meinung einfach bejaht. Ganz im Gegenteil, er setzt sich wiederholt in Widerspruch zu ihr. Dem fremden Kriegsdienst der Schweizer, dem sogenannten Reislaufen und Pensionnehmen, hat er sich mit aller Entschiedenheit entgegenge­stellt. Vielleicht ist die Schändung seiner Lei­che auf dem Kappeier Feld solcher Soldateska zuzuschreiben, die er mit seiner Bekämpfung des Reislaufens in ihrem Handwerk gestört hatte. Der Pfarrer zu Maria-Einsiedeln wider­stritt sicherlich der religiösen Wiksstimmung, indem er die Menge von dim' Missbräuchen des Heiligendienstes und von äusserer Kirchlich­keit loszulösen versuchte. Der Leutpriester zu Zürich trieb hohe Politik — nicht immer unter dem Wohlgefallen seiner Landsleute, denen das Schicksal von Stadt und Land näher lag als die grossen Weltzusammenhänb'e. Zwineli wusste, dass die Sache seiner Heimat verloren sei, wenn sie die Sache Zürichs und der ihm verbundenen Kantone bliebe. So begab er sich auf den Bo­den der Weltpolitik. Er erstrebte einen geeinten Protestantismus an der Seite aller Gegner Habsburgs. Aber gerade hier haben ihn seine Landsleute und seine Zeitgenossen im Stiche ge­lassen. Sein Tod zu Kappel ist letztlich auf die­ses Versagen zuriickzuführen. Die Niederlage zu Kappel war „die erste der grossen Katastro­phen“ des deutschen Protestantismus, der fort­an der Enge der kleinstaatlichen Weltbetrach­tung verhaftet blieb. Zwingli war über seine Stadt, über seine Zeit hinausgewachsen. Hat er sich dabei in die Sphäre* der Politik verloren1? Das führt von der Betrachtung des Lebensbo­dens, dem er entstammte, zu dem Lebens­schicksal, dem er sieh gestellt und das ihn be­fähigt hat, Yätererbe schöpferisch weiterzubil­den. Humanismus und Deformation. Zwinglis Schicksal ist nicht das schwere Lebensschicksal Luthers. Er ist nicht durch das Kloster gegangen und nicht bis zum Rand der Verzweiflung geführt worden. Sein Leben weist nicht wie das Luthers die grossen dramatischen Wendepunkte auf, an denen eine ganze Welt beteiligt war. Er hat nicht wie Luther mit Kai­ser und Papst gestritten. Die Schicksalsfrage ist für Zwingli eine andere. Er kommt aus der humanistischen Gelehrtenschule, er ist begeister­ter Erasmusschüler. Von hier aus formt sich die ihm eigene Front des Lebenskampfes. Wie Lu­ther vom Kloster, so hatte sich Zwingli vom kirchlichen Humanismus innerlich zu lösen, und in beiden erfüllte sich damit in gewissem Sinne ihres Lebens Wende. Zwinglis Bruch mit dem Geist und der Frömmigkeit seiner humanistischen Lehrer ist gewiss nicht mit einem Male erfolgt. Er vollzog

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