Bukarester Gemeindeblatt, 1935 (Jahrgang 27, nr. 1-53)

1935-01-01 / nr. 1

Jahrgang XXVII. Dienstag, den 1. Januar 1935. Nr. 1 Bukarester Gemeindeblatt Schriftleitung: R. Honigberger Geschäftsstelle: Gemelndekanziei. Str.Llifherana 12 Zum Jahreswechsel. Marc. 4, 35. Wieder einmal lag ein schwerer, langer Arbeits­­tag h nter dem Heiland. Der Abend war hereinge­brochen, die vielen Menschen, die seinen Worten gelauscht hatten, waren heimgekehrt, nun. ist — end­lich — der Augenblick der Stille gekommen. Der Heiland steht am Ufer des Sees Genezareth, um­geben von seinen Jüngern. Er schaut hinaus auf die nachtdunkeln Gewässer. Welle um Welle kommt heran, rauscht aut und verrinnt an der Sanddüne, droben flimmern die Sterne, die sich im Wasser spiegeln. Woran er wohl denken mag ? Was hatten die letzten Tage alles gebracht! Freude und Leid, Lust und Sorge, Erfolg und Misserfolg, vor allen Dingen Arbeit, viele harte und schwere Arbeit. Und was wird der neue Tag bringen? Freude und Leid, Lust und Sorge, Erfolg und Misserfolg — und zu­letzt? Ja was wird es sein ? Er sinnt und sinnt. Wer mag es ermessen, was in seiner Seele vorging! Doch die Zeit drängt. Er wacht auf, sieht die Jünger um sich stehen, und nun tut er den Mund auf und spricht die schlichten Worte: „Lasset uns hinüber fahren.“ Hinüber zur neuen Arbeit! Und sie steigen in ihre Nachen, und hinaus geht es in die dunkle Nacht. Erleben wir nicht Aehnüches? Nur einen kurzen Augenblick der Ruhe vergönnt uns der Jahreswechsel. Auch uns ist’s, als müssten wir einen Augenblick sinnend stille stehen, ehe wir die Weiterfahrt an­­treten in die dunkle Zukunft. Da wachen Erinne­rungen aller Art in uns auf. Es war ein schweres Jahr, das hinter uns liegt, ein Jahr voll Arbeit, und Mühe und Sorgen. Hie und da brachte es auch Freude, aber aufs ganze gesehen war es doch Zeit voll tiefen Ernstes. Wir denken an Menschen, die den Weg mit uns gezogen waren. Wieviele haben wir unterwegs verloren, vielleicht gar für immer! Dort draussen auf dem Friedhofe ruhen sie! Wieviel haben wir in den abgelaufenen Tagen erlebt! Und doch, war es nicht vor kurzem erst, dass wir vor Jahresfrist den Jahreswechsel feierten ? Und nun heisst es wieder: Weiter! Weiter! — Wohin? — Keiner vermag es zu sagen Unser Schifflein fährt hinaus auf die hohe See. Wird es uns sicher tragen ? Wie, wenn Stürme kommen, der Wind und die Wellen uns bedrohen? Wer einmal auf hoher See gefahren, der weiss, wie es uns zumute ist in solchen Stunden der Gefahr. Wie gar nichts sind wir da! Alles kommt da an auf den Steuermann, in dessen Hände wir gegeben sind. Wohl uns, wenn wir dann Glauben haben, das allein rettet uns vor Verzagen. Ja, solche Gedanken sind es, die wir um Neu­jahr erleben. Hinter uns die unabänderliche Ver­gangenheit, vor uns die dunkle Zukunft, die Ewig­keit, die wir nicht zu begreifen vermögen. Aber es ist keine Zeit zum Zaudern, der Ruf erschallt: Lasset uns hinüberfahren, und ob wir wollen oder nicht, wir müssen ihm Folge leisten. Sind wir gerüstet zur weiten Reise ? Wer solche Fahrt antrift, wird gut tun, zurück­zulassen, was zur weiten Wanderschaft nicht taugt. Wie vieles schleppen wir mit uns, das — statt uns zu helfen — uns nur darniederzieht. Eines vor allem : die Sorge ! Die Sorge mit all ihrem Gefolge, der Trauer, der Verzagtheit, der Verzweiflung. Wer aber seinen Weg in solcher Begleitung antritt, wird nicht weit kommen. Darum mahnt uns der Heiland: Sorget nicht! Sehet die Vögel unter dem Himmel, sehet die Lilien auf dem Felde: Gott ernährt sie. Wieviel mehr wird er euch, seinen Kindern, helfen ! Wirkticher Glaube überwindet alle Hindernisse. Dar­um seid zuversichtlich, habt Mut zum Glauben! Wie schwer ist das freilich. Wir meinen immer, nur unsere eigene Kraft könne es schaffen, dass wir glücklich hindurchkommen. Gewiss sollen wir sie brauchen. Aber letzten Endes kommt die Hilfe doch von oben. „Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuss gehen kann“. — Schlimmer noch ist der andere Ballast, den wir mit uns schleppen: unsere Schuld! Wieviel haben wir auch im letzten Jahre versäumt! Wie oft haben wir unsere Perlen weggeworfen, wie oft unsere beste Zeit ungenützt verstreichen lassen, schöne grosse Zie e aus den Augen verloren; wir sind verflacht, einfach stecken geblieben! Daher die grosse Unzufriedenheit mit uns selbst. Daher all die Reue, die uns so sehr quält. Solche Reue kann leicht zu einer ganz schweren Gefahr für uns werden. Aber wer sich an Jesus wendet, dem hilft er. Er nimmt ihm alle Lasten ab, die Sorge ebenso wie die aus der Reue fliessende Ermattung. Nur eines fordert er von uns, Glauben, frohen kindli­chen Glauben an Gottes Gnade, die in Jesus Christus uns so herrlich offenbait wurde. Aber ist nicht gerade dies wieder eine ganz grosse Gefahr? Dies, dass wir uns gar zu leicht mit Gottes Barmherzigkeit vertrösten lassen, statt selbst nach dem Rechten zu sehen ? Aber nein, dies gerade ist der Sinn der Gnade, dass sie neue Kraft zum Guten gibt. Erst dadurch werden wir wirklich emporgerissen und gerettet, dass wir durch Glauben und Vertrauen zu neuen Menschen werden.

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