Der Nachbar, 1907 (Jahrgang 59, nr. 15-52)

1907-09-15 / nr. 37

Zum 16. Sonntag war Trinitatis. Evang. St. Lukas 7, 17. Gott hat sein Bolt heimgesucht­­ e, die es miterlebt hatten, wie der Herr den­­ darauf, daß Jesus den rechten Weg ging, um diesen Leid­­tragenden zu begegnen. Zufall war das nicht, sondern die Fügung seines himmlischen Vaters, der ihm für jeden Weg die rechte Stunde, für jede Stunde den rechten Weg zeigte. Finden wir den Heiland nicht immerdar auf dem rechten Wege, nämlich auf dem Wege zu den Mülhjseligen und Be­­ladenen, zu den Leidenden und Kranken, zu den Zöllnern und Sindern? Auch für uns ist der Here auf Diesem rechten Wege, nämlich auf dem Wege, unter Berlangen nach Hilfe und Trost, wag Vergebung und Frieden, nach Licht und Kraft zu befriedigen. Wahrlich, der treue Seelen­­hirte schlägt seinen verkehrten Weg ein, wenn er dir taufendfältig zurufen läßt: Ich will dich erquiden, geh du ihm nur nicht aus dem rechten Weg, sondern antiworte ihm: Du sollst sein meines Herzens Licht, und wenn mein Herz in Stade bricht, sollst du mein Herze bleiben. Die beiden Heere treffen im­ Stadttor zusammen, das eine, 048 der Tod regiert, Das andere, in dessen Mitte der ist, den wir als den Lebensfürsten fennen. Wird es begeg­­neten einander der Herr und die Witive, und er sah sie an mit dem Bild der Liebe, und ihn jammerte der Witive. Der Sohn Gottes ist nicht in ungestörter Seligkeit und Herrlichkeit durch die leidende Welt dahingestrichen, gleich einen Sonnenstrahl, an den sein Ständchen haften bleibt, sondern er auch auf sich unsere Schmerzen — das war seine Menschheit, daß er den Menschen all ihr Weh nachempfand. Und aus dieser Tiefe seines Mitgefühls stam­mt das Wort, das er zu der Witive Spricht: Weine nicht! Darum ist es das rechte Wort. Es könnte ja auch grausan sein, einer M­einenden die Tränen zu verbieten; wir haben wohl ein­ dahingeschiedenen Süugling zu Nain seiner Mutter wiedergab, fam Furcht an, so erzählt der Evangelist, nämlich das Mark und Bein durchdringende Gefühl, Zeugen einer Macht, und Gnadentat des leben­­digen Gottes geb­eten zu sein; diese Furcht sprechen sie aus in den Worten: Gott Hat sein Bolf Heimgesuc­ht. In dies Wort laßt uns von Herzen einstimmen, denn auch wir erfahren es an unserm äußeren und inneren Leben, daß Gott zu uns kommt in dem Herrn und Heiland, der stets den rechten Weg geht, das rechte Wort spricht und die rechte Tat vollbringt. Durch das Stadttor von Nain besvegt sich ein Trauer­­zug, in seiner Witte die Leiche eines Jünglings, nach der Sitte des Morgenlandes auf offener Bahre, und die ver­­hüllte Gestalt seiner Mutter. Zwei Hellscheinende Lichter hatten hienieden in ihr Leben hineingestrahlt; das eine war erloschen, als sie ihren Mann hatte hergeben müssen; man war auch das zweite Licht erloschen, nun war es in ihrem Leben ganz dunkel geworden. Diese befragenswerte Mutter wird gehofft haben, so lang noch Atem in ihrem Kinde war — nun war alles Hoffen vorbei; wenn jeßt der größte Arzt gekommen wäre, jest hätte er sagen müssen: Zu spät! Zu spät? Für Gottes Barmherzigkeit gibt es dieses Wort nicht; Gottes Not verfehlt nie die rechte Stunde. Die rechte Stunde schlug, als Jesus und seine Begleiter dem Trauerzug im Stadttor zu Nain begegneten. Viel Volks ging mit ihn. Es war, wie wenn zwei Heere aufeinander trafen; welches Heer wird den Sieg davontragen? Aber davon sol noch nicht die Mode sein; zunächst achten wir

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