Der Nachbar, 1909 (Jahrgang 61, nr. 1-52)

1909-09-19 / nr. 38

Zum 15. Sonntag nach Trinitatis. Joh. 11, 4 Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes, da der Sohn Gottes d­adurch geehrt werde. W­ illst du gesund werden,so hörten wir am letzten Sonntag den Herrn den Kranken am Teiche 5) Bethesda fragen und so fragte er auch uns; und wir alle kamen zu ihm als die Kranken, denn auch­ wer von seinem körperlichen Zustand jagen dürfte: Von der Fußsohle bis zum Scheitel ist kein Zeh! an mir — ist doch krank am Herzen, sein Herzleiden ist die Sünde. Wenn wir heute den Herrn von Krankheit reden hören, wollen wir sein Wort im einfachsten und nächsten Sinn nehmen, wollen wir an leibliche Kranken­ denken. Denn der Nachbar besucht allwöchentlich viele Tausende von Kranken; und wenn du, lieber Leser, auch heute noch Gott preifen kannst: Leben und Gesundheit hast du mir gegeben — mer weiß, wie bald auch du darnieder siegst; es ist also mehlgetan, wenn du in gesunden Tagen dich mit dem ver­­solgst, was dich in Krankheitsnöten trösten kann. Trost in Krankheit bietet uns der Aufschluß, den der Herr uns hier über den Zweck der Krankheit gibt; ihr Zweck ist Gottes Ehre; wann erreicht sie diesen Zweck? und wie gen­­reicht das uns zum Segen! In den vielen stillen Stunden, die langsam am Schmerzenslager eines Kranken vorüberschleichen, quält er sich oft damit, Antwort zu finden auf die Frage: Warum muß ich hier krank daniederliegen ? Wir sollten die Frage nach dem Warum, die uns hienieden nicht beantwortet wird, auf sich beruhen lassen, und vielmehr fragen: Wozu ist mir diese Krankheit gesandt? Als die Jünger mit Jesu einen Blindgebornen antrafen, fragten sie ihn nach dem Warum; aber der Herr gab ihnen dafür die Antwort auf die Frage nach dem Wozu: Daß die Werke Gottes offenbar würden an ihm. Nicht anders spricht er auch hier. Die Jünger bringen ihm von Lazarus die Nachricht: Herr, siehe, den du lieb­haft, der liegt krank. Sie wollen damit sagen: Konntest du als sein Freund ihn nicht durch deine Liebe vor dieser Trübsal bewahren ? warum mußte das friedevolle Zu­­sammenleben des Bruders mit seinen frommen Schmeittern so traurig gestört werden? Der Herr aber erwidert darauf: Die Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Ehre Gottes. Das gilt nicht allein von der Krankheit des Lazarus, son­dern von jeder Krankheit. Denn jede Krankheit wird von Gott gesandt, und was Gott schickt, kann nie seinen legten övek im Tode haben. Alles was Gott tut, soll ihn uns offenbaren, und wo er sich offenbart, tritt seine Macht, Weisheit und Güte ins Licht; alle Fügungen Gottes ge­­reichen­ zu seiner Ehre. Aber wir müssen Augen haben für seine Offenbarung, und die Augen werden uns aufgetan durch seinen Sohn, ohne den niemand zum Bater kommt, ohne den Gott uns groß und unbekannt bleibt. Die Ehre Gottes wird uns erst dann kund, wenn wir den Sohn Gottes als solchen kennen und ehren. Die Ehre des Vaters und die Ehre des Sohnes fallen zusammen; ich suche nicht meine Ehre, sondern des, der mich gesandt hat, spricht der Herr, aber auch: Wer mich sieht, der siehet don Vater. Wir sollen also nicht mit unsern schweren Gedanken bei der Krankheit und bei all dem, was sie zur Folge haben kann, stehen bleiben, sondern wir müssen unsern Herrn und Ma­­­nn an

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