Der Nachbar, 1912 (Jahrgang 64, nr. 1-52)

1912-09-15 / nr. 37

m. "Buleveler Gemeindeblatt. Zum 15. Sonntag nach Trinitatis. Gal. 6, 2. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gebet Christi erfüllen. Man wird wohl sagen dürfen, ohne viel Wider­­­­spruch zu finden, daß diese Mahnung des Apostels zu denen gehört, welche wenig in der Ch­ristenheit erfüllt, ja, auch bloß beachtet werden. Biel, gewöhnlicher ist es doch, daß die Leute an­­einander vorübergehen, ohne überhaupt an die Last zu denken, die et­wa der andere tragen mag. Oder wenn sie es tun, so finden sie entweder bloß, daß er es doch, recht betrachtet und genau genommen, immer noch leichter hat als sie, oder sie pfeifen sich glücklich, daß es ihnen so viel­­ besser geht und sie es leichter haben. Aber daß, wenn ein Glied leidet, die anderen mitleiden oder doch mitleiden sollen, daß wir einander helfen sollen mit liebevoller Sanft­­mut, die Lasten zu tragen, die Gott der Herr dem einzelnen auferlegt, daran denken die wenigsten. Sie meinen immer, sie hätten mit ihren eigenen Kreuzen genug zu tun, und es sei schwer genug, mit sich selber und feinem Leben fertig zu werden, als daß sie sich auch um die andern und mit den andern kümmern sollten. Nun wollen wir nicht verkennen, daß mitunter viel daran liegen kann, daß man das Wort des Apostels nicht recht versteht. Es gibt freilich Lasten, die mir gar nicht mittragen können, wenn sie fremde Schultern drücken. Denkt euch z. B. einen Kranken, der an langgierigem, hoffnungslosem Siechtum darniederliegt, — ja, wenn wir gesund sind, so können mir ihm doch nicht einen Teil feiner Schmerzen abnehmen, wenn wir es auch wollten. Vielleicht können wir ihn trösten, vielleicht ein Stück oder das andere der Arbeit, die er nicht mehr tun kann, fü­r ihn tun — aber die eigentliche Last, das Gefühl seiner Schwäche, die Schmerzen seines Leibes, die können wir ihm nicht tragen helfen, das muß er allein tun. Oder denkt euch einen, der in schwerem Kummer fitt, sei es um verlorenes Gut oder um verlorene Menschen, die ihm der Tod oder, was ja noch schlimmer ist, die Sünde geraubt — mie sollen wir dessen Saft tragen? Wieder, wir können ihn bemitleiden, freundlich mit ihm sein; aber den bohrenden Pfeil des Grames nehmen wir ihm nicht, und er muß alleine mit feinem Sammer fertig werden. Oder nehmt ein drittes, ein Herz, das mit feiner Lieblingssünde kämpft, bis aufs Blut kämpft und wird mit ihr nicht fertig. Hier am deutlichsten zeigt sich's, wir können seine Last nicht tragen. Ein Bruder kann ja den anderen nicht erlösen, es kostet zu viel, daß er’s muß anstehen lassen ewiglich. Das mag’s wohl sein, womit sich, viele vor sich selbst entschuldigen: ich kann ja doch nicht helfen. Er muß ichon zusehen, wie er selber fertig wird. Wirklich, mein Schrist? Kannst du nicht helfen ? Das gewiß ist die Meinung nicht, daß du dem Nächsten seine Last abnehmen sollst. Abgesehen davon, daß du das aller­­dings gar nicht Rannst, so hat sie Gott doch ihm auferlegt, um ihn zu sich zu ziehen, und nicht dir. Nähmst du sie ihm ab, du nähmest ihm freilich die Last, aber auch den Segen des Kreuzes ab. Aber ihm helfen, sie zu tragen, das Rannst du doch. Sie ihm erleichtern, wenn nicht durch tätige Hilfe, so doch durch teilnehmende Liebe, daß du dich zu ihm in die Arche fegest und er merkt, daß da ein Herz für ihn schlägt, das Mitgefühl mit feiner Not hat, das da 64. 75401 Mr. 37. Ver Nachb­ar Sonntagss pn ." |

Next