Die neue Zeitung, Juli-September 1933 (Jahrgang 4, nr. 555-633)

1933-09-15 / nr. 620

234 + Nr, 620 Schriftleitung : Bersscnstedt, Zen. Mosoisgalle­­ Kleine Erde) Nr. 4 / Fernsprecher Dr. 7 Verwaltung : Sporergalle Dr. 13. Bezugspreis für ein isnai 55 Lei, mit Zustellung 65 Lei, Einzelnummer 3 Lei, Bezugspreis fürs Poitschekkom­i: Leipzig 8937, Ausland 119 Lei monatlich. Wien 93133, Prag 79629. Anzeigen Übernehmen unsere Denngleichstellen und alle Anzeigenagenturen des In- und Auslandes. Für bestimmte Plätze und Termine kann keine Verantwortung übernommen werden, werden auf keinen Fall zurückgerchtet. Lu 2, ye: ye eyyNu EEEN Hermannstadt, Freitag den 15. September 1933 Unverlangte Manuskripte 4. Jahrgang Tageblatt für die deutsche Gewölkerung Rumäniens Deutschland. Der deutsche Standpunkt von unserem Berliner Korrespondenten Die Annäherung, die seit dem vorigen Jahr zwischen Frankreich und Rußland festzustellen ist hat auf franzö»­sisher Seite von Anfang an fisslich die Bedeutung eines Schachzuges vor allem gegen Deutschland gehabt. Das französische Werben um Rußland wurde besonders lebhaft und eindringlich, als der italienische Borschlag eines Viermädtepaktes die Revision gewisser Beitragss­bestimmungen auf das Programm der europäischen Boe­tik zu jehen versuchte. Der Paktvorschlag wurde das­mals zur Idee eines Direktoriums der Großmächte übers­teigt und gegen die ständigen Interventionsbefürchtungen der Sowjetunion ausgespielt, dies von der gleichen Presse, die in den vorangegangenen Jahren die politische Verständigung und wirtschaft die Zusammenarbeit Deutsch­lands mit der Sowjetunion als eine Gefahr für Europa dargestellt hatte. Durch den Abschluß der Londoner Off­­z pable, die die Normalisierung der Beziehungen zu: Form der Definition des Angreifers bezweckten, wurden die französischen Erwartungen auf die Einbeziehung Q Rußlands in eine breite Antirevisionsfront neu belebt. Tatsächlich Hat sich, sagt die Deutsche Diplomatische Korrespondenz in einer längeren Darstellung, zwischen Rußland und Polen, um nur den größten unter den europäischen Randstaaten zu nennen, eine im Interesse der Seitigung des Friedens jeder bemerkenswerte Ders­chejterung der gegenseitigen Beziehungen vollzogen, jedoch scheint diese Ausführung zweier der gemeinsame Erinn nerungen eng verbundenen Länder nicht ganz die Ten­­denz zu haben, die die Berireler der Versailler Orthor dorie erwartet hal­en. Die Halbamtliche Annäherungss­million, die Karl Radek kürzlich in Warschau zu er­­füllen hatt­e, hat ihren publizistischen Niedertrag in einem jüngst von der „Iswellija“ und der „Bazela Polska“ veröffentlichten Artikel gefunden, der die Stel­­lung der Sowjetunion zur Revisionsfrage fast mit den aleichen Worten definiert, Die’ der deutsche Reichskanzler in seiner großen Friedensrede vom 17. Mai im Namen der deutschen Politik gebrängt hat. „Die Sowjetunion“, so erklärt Radek, „i­ weit davon entfernt, die Grenzen, die der imperialistische Krieg gezogen hat, als Gößen- Symbol zu betrachten; sie weiß, wieniei Völker unter dieser Brenzzieh­ung leiden, aber gleichzeitig if sie der Ueberzeugung, daß ein neuer Weltkrieg die Zösung dies­ser Frage nicht herbeizuführen vermag.“ Es ist kein Wunder, daß man in Frankreich selbst allmählich von den lange gehegten Illusionen hinfigtlich der suffischen Außenpolitik abkommft. Der proletarische Staat hat gewiß das Bestreben, sich mit allen Ländern, insbesondere mit den Großmächten, friedlich zu verfläne wie möglich zu gelfallen, schon um bei außenpolitischen Verwicklungen eine Nückendeckung zu haben, aber es wäre eine Berkennung seiner Mentalität und seiner Ak­­tionsmöglichkeiten, von ihm die Beteiligung an irgend­­welchen europäischen Abenteuern zu erwarten. Im einer Betrachtung, die der Pariser „Temps“ der Orientierung der russischen Außenpolitik widmete, kam diesbezüglich eine starke Resignation zum Ausdruck. Das offizielle fran­­zösische Blatt warnte vor übereilten Schlußfolgerungen, in dem es si­binfitiih bemühte, die französische russische Annäherung als eine durch verschiedene vorübergehende Umstände begünstigte Erscheinung zu charakterisieren. Die Ausführungen des „Temps“ sind auch deshalb interessant, weil sie in einem Atem die Sowjetunion als revolutio­­näre Mat mit dem allgemeinen Umsturz als Endziel verurielfen und diese gleiche Zacht vor der Gefahr warn­­ten, die neben der japanischen Expansionspolitik des nas­­ionalsozialisä­tige Deutschland für je bedeute. Aus alledem spingt eine gewisse Verlegenheit der maßgebenden Kreise Frankreichs. Man würde diesen Ton nicht anfragen, wenn man noch glaubte, eine auf die Dauer berechnete Entente nach Art des Bündnisses mit dem zaristischen Rußland herbeiführen zu können. Auch Ministerreifen dürfen nicht überschägt werden. Der Besuch Herriots, dessen persönlies Interesse an der Entwicklung in der Sowjetunion bekannt ist, hat privaten Charakter, und der Flug des Luftfahrtministers dient dem geschäft­­lichen Zweck der Einführung französischer Luftfahrzeuge auf dem Sowjetmarkt. Im französischen Kabinett sind hin­­sichtlich der weiteren Rußlandpolitik mehrere Strömungen vorhanden, deren Argumente sich in den zwiespältigen Ausführungen des offiziösen Blattes deutlich widerspiegeln. u-so vorteilhart Dazu kommt der schleppende Verlauf der Wirtschaftsver­­handlungen, bei denen immer noch das Problem der Borg­kriegsschulden der Stein des Anstoßes zu sein scheint, ein Problem, das für die Sowjetregierung gegenüber ihren proletarischen Maffen eine ebenso grundlegende Prestige­­frage bildet wie für die französischen Minister gegenü­ber den Rentiers und Sparern unter ihren Wählern. Was Deutschland vor allem interessiert, meint die Deutsche Diplomatische Korrespondenz abschließend, ist das ezaz Der Mederwinder von Herbert Scheffler In Preußen gärt es. Napoleon hat den Bogen über­spannt, der Ausgang seines russischen Abenteuers hat die demütig gelenzten Köpfe plöglich wieder aufgerichtet. Aber so tief ist body die Unumstößlichkeit seiner Siege und seiner Herrschaft eingegraben, daß Oesterreich an den Ruf, der von Preußen heriberf halt, noch nicht zu glauben wagt. Es ist ein Warten in Wien, ein gespanntes Abwägen. Inzwischen musiziert man: Die Stadt Glucis, Mo­­zarts und Haydns ist gläubig und froh, so lange es geht, und manchmal noch ein brächen darüber hinaus. Aber lebt fi­ bag Leben unter diesem zarten Himmel nit auch besonders schön? Gelbst Beethoven, obgleich man gerade hier seine Eroica ausgelacht, seinen Fidelio äh! beiseite geschoben hat, selbst Beethoven ist dem Zauber erlegen und glaubt an seine Wiener, weil er an Wien glaubt. Er, der nur aus Mufit und Willen besteht, Kämpfer von Natur und Kämpfer noch weit über seine Natur hinaus, er wirbt wie ein troßiger Berliebter um diese Stadt, die eine Kaiserstadt ist wie keine sonst in Europa, voll Hin­gender Architektur, losgelassener Lebensfreude, und einer Kandidaft ringsherum, aus der die Lieder quellen wie Blumen. Wieder trägt er heute seine Liebe an. Ein Klavier­­konzert ist fertig geworden, im Theater an der Wien drängen sich die Menschen, um die erste Aufü­hrung des Wertes mit dem Komponisten am Flügel mitzumachen. Denn mitgemacht muß man haben, so einen merkwürdigen Kauz wie den Beethoven darf man nicht verpassen. Allein schon wie er dirigiert! Beim Pianissimo riet er in sich zusammen, als ob er hinter dem Pult Berfted spielen wolle, und beim Fortissimo redt er sich mit flatternden Armen hoch, daß man Angst bekommt, er könne sicher das Bult weg ins Orgester fallen. Und dann — aber hier verlieren selbst die lautesten Spottvögel die Freude an ihren Witen — er hört ja nur noch halb. Ueber kurz oder lang wird der arme Kerl stodlauch sein. Irgendwann, plöglic unter der aufgereihten Menschenmenge denkt einer, worum gerade er, der Mufiter, warum nicht ich, der Steuereinzieher, der Zuhtunternehmer, der Privatmann ? Scheinbar ruhig steht Beethoven hinter dem Vorhang einer Loge und­­ haut in den wispernden Raum. Die Lippen sind hart aufeinander gelegt. Groß und herrlich baut sich die Stirn über dem Gesicht auf. Der Blick sieht ins Nichts, aber das Lodern der Augen verrät, daß dieses Nichts sein Alles sein muß. Die Haare umbranden den Kopf. Wie eine Herausforderung an die Welt stößt das Kinn vor. Wer hinter seinem Rüden eben­ noc gelacht hat, vor dem Gesicht flieht er wie ein ertappter Schul­­junge. Die Schelle lärmt, das Orchester hat Pla genommen, der Kapellmeister von Geyfried, liebevoll um seinen Bru­­der in Apoll besorgt, tritt in die Loge und legt dem Wartenden die Hand auf die Schulter. Beethoven nicht hastig. Mit kurzer Kehrtwendung läßt er das Publikum hinter sich und geht seinem Werk entgegen. Die Geräusche vergehen, eine gespannte Gu­lle senft sich über das Rund der Zuhörer. Der Konzertmeister gibt das Zeichen, das Orcester fegt ein. Über Beethoven am Klavier ist ja nicht irgend­ein Birthose, der eine fremde Arbeit als Handhabe seines eigenen Könnens bewußt, er ist der Schöpfer des Ganzen, ist es buchstäblich in diesem Augenblick wieder von neuem, wo der nebelhafte Klang des Orchesters die innere Musik zu einem ungeheuren Braufen ansteigen läßt. Ganz selbstverständlich dirigieren die Hände mit, kreuzen sich bei einer leiseren Stelle vor der Brust, fahren bei einem plöglichen Orte nach beiden Seiten auseinander . Ein furchtbares Geldfe. Die Musik zerbricht. Was ist? Veerhoven fühlt einen Schmerz an beiden Händen, aber schlimmer ist, was er siebt: Orchestermitglieder rennen von ihren Gfühlen, heben die beiden Leuchter, die er reif und links vom Klavier geschleudert hat, wieder cut, in dem Oval des Raumes sind die laufend Gesichter in Bewegung gekommen — bein Zweifel, daß der Ze­ihenfall Freude hat. Seyfried fühlt, daß schnell geban­­delt werden muß, löbt zwei Chorknaben antreten und gibt ihnen die Leuchter in die Hände. Das Orchester ist wieder obig und ernst auf seinen Piänen, des Pubite­kum beginnt sich zu schömen. In Raum zwei Minuten ist der peinliche Vorfall zu einer harmlosen Nichtigkeit herabgedrückt. Aber welcher Dämon rät dem einen Chorknaben, schon nach den ersten Takten näher ans Klavier zu tre­ten? Hält er die Beleuchtung auf seiner Seite für unge­­nügend, will er die Klavierftimme mitlesen? Und Beetho­­ven Hit­son längst wieder in sein Werk versunken, siebt nicht, hört nit, dirigiert mit, nimmt die Hände zum Seien der Dämpfung vor der Brust zusammen, schnellt je auseinander — ein Schrei, das Poltern eines geodje­ters, den der Chorknabe vor der Gewalt der unerwartes­ten Ohrfeige hat fallen sallen. Das Orchester will weitere spielen, es gebt nicht, es ti nichts zu hören, das Gelüde­ter treibt die Töne vor ji­ber, Überrennt sie, deckt sie zu, begräbt sie — Jubel über Jubel, der Prater ist über­­boten, das Gintrittsgelt hat sich herrlich gelohnt! Der ganze erste Sb des Klavierkonzertes ging verl­­oren, obschon Beethoven, durch den bösartigen Widers­tand des Schickals gereizt, wie ein Löwe !pielte, wie ein Niese, der gegen ein Heer von Göllern kämpft. Er zwang auch wirklich die Zubehrerschaft aus der Belufnti­gung wieder in die K­unst zurü­ck, aber er­­ war sich und Seyfried, nie wieder ein Konzert, und [chon gar nicht in Wien. Stumpfheit ist nichts gegen diese [häumende, bitt ir schmerzende, immer wieder wohbrandende Schaden­­reude. Zum Glük für die Aunft hielt er seinen Samur nit. Das nachte Konzert bratie die 7. Symphonie unter seiner eigenen Leitung. Der herrliche zweite Sat befreite die Zuhörer aus den kleinlichen V­erkeilungen des Tages, führte sie so weit über ihr Ich hinaus, daß sie in Dankbarkeit und Freude nicht ruhten, bis der Saß wiederholt wurde. Reinheit, Kraft und Größe führten zu einem Triumph, der in ein Sabr und eine Stadt ums faßte, sondern die Welt und die Jahrhunderte. Wenig später waren Preußen und Defferreich frei. Der Allesüberwinder Napoleon war von dem Opfermut, dem entschoffenen Kampfgeist des deutschen Menschen endlich und für alle Zeit überwunden, f “ = £ =

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