Die neue Zeitung, Januar-März 1936 (Jahrgang 7, nr. 1272-1284)

1936-01-05 / nr. 1272

»Es | nt Er — Gonntan, 5. Januar 1936 — Nr. 1272 Die neue Leitung A) Die Parodie im Mittelalter von Felig von Repel (Dresden) Die lateinische Literatur des Mittelalters voller Entlehungen und Nachahmungen. Aus ihr gen uns die Gedanken, Bere, Bhrafen und Wörter der Antike, der Bibel, der Kirchenväter, der ofzidentalen und orientalischen Schriftsuüce verschiedener Seb­en und Gattungen entgegen. Teils bewußt, teils unbewußt hat man die Autoritäten von Kirche und Schule immer wieder sprechen offen. Über­trog der häufigen Imitation, ja häufig gerade dur­fte, haben die mittelalterlichen Schrifte­nteller viel Großes geleitet und Schönes gespendet, es fest erinnert an die Fransengeschichten Gregors vom Tours, an Bedas quellt eine Erzählung von den W Anfangs» fajldialen der evangelischen Christenheit oder an Cin bartg „Leben Karls des Großen“. Zusammenfassen k­ann man sagen, daß die Geschichte aller mittelalterlichen Literatur und des lateinischen Scrifttums im Abendlande für mehrere Jahrhunderte eine Geschichte der Aufnahme, Verarbeitung und Nachahmung fremden Gutes nach teilweise hochstehenden künstlerischen Prinzipien ge­­wesen ist. Der Münchener Gelehrte Prof. Paul Lehmann hat das Wesen und die Geschichte der mittelalterlichen Liter­­atur vor einigen Jahren in einem höchst lesenswerten und auffehlußreichen Buche geschildert (Dreimastenverlag), das in der Bibliothek seines Gebildeten fehlen sollte. Lehmann foßt das Wesen der mittelalterlicen Barocke zusammen in die Worte: „Man muß unter ihe alle literarischen Er­zeugnisse verfichen, die irgendeinen als bekannt vorang­­efegten Zeit oder Anschauungen, Gilten und Gebräuche, scheinbar wahrheitsgetreu, tatsächlich aber verzerrend, um« fehrend, und mit beabsiutigter, bewußter Komil formal nachahmen oder zitieren“. Es werden nun zum­­ Beispiel Spielermessen gefildert, vorgeführt um die Spielwut zu bekämpfen. Die Spieler bilden eine „Satansu­che”, deren Kardinäle die Spieldämonen und Kartenhändler, deren Kirche die M­irtshäuser sind, vol von Schlemmern und Dirmen . . . Und interessant ist die Literaturgeschichte. Ude Fesistelung, daß man sich derartige Dinge und Zitate mittelalterlicher Barodien im Mittelalter auf der Kanzel erlauben durfte, und daß der dwed auch die Mittel der Barodie heiligte ... Busammenfassend wird in dem meisterhaften Buche von Lehmann gesagt, das der Kampf gegen die Rurie die Barocken des Mittelalters zu wirksamen Waffen machte. Jahrhundertelang bediente man sich dieser Schwerter, Pfeile und Nadeln, Bäpfe und Kardinäle, der ganze, riesig angewachsene Beamtenhaufe Roms besamen sie zu fühlen und mit ihnen die hohe und niedrige Geistlichkeit und das Ordenswesen. Mancher mittelalterliche Men hat die Parodien, von ihnen getroffen, als rufige Sticheleien hingenommen. Aber jeden Endes hat doch die Verspottung zermürbend und zerfeßend auf Kirche und Gesellschaft gewirkt. Und die Parodie des Mittel­alters hat schließlich die Firichen Umwälzungen der Menz­zeit mit vorbereitet, silhouettenhaft im unergründlichen Geheimnis der Vor­­bestimmung eines unabänderlichen Schicksals. Das ewige Gesetz­ des Werdens und Vorgehens ist im besonderen Maße der Kontrapunkt im Leben der kleinen Viktoria. Von hier aus allein vermag der Film die ihm erwachsenden, künstlerischen Probleme des hammunschen Stoffes zu bewältigen, €r muß die Spärlichkeit der Handlung durch die Symbolisierung der Natur ausgleichen, in der das Einzelschicksal überlebensgroß zum allgemeingültigen Menschenschicksal wird. Eine glückliche Vereinigung deutsc­her Filmschaffender hat sich zu diesem Werk zusammengefunden:­ R. A. Stemmle und Rolf Meyer, die die filmische Konzeption des literarischen Stoffes ohne billige Zugeständnisse bewältigen, Karl Hoff­­mann, dessen starkes Empfinden für diesen Stoff, für die richtige Verteilung von Licht und Schatten ihn für die Regie besonders berufen erscheinen läßt, zumal er in jahrzehntelanger Arbeit an der Kamera ein Meister der Optik wurde, und Alfred Abel, einer der stillen großen Schauspieler und starken Persönlichkeiten, die sich durch eine harte Lebensschule kämpften, was ihrer Kunst das Bezwingende des Bekenntnisses gibt. Gerade darum bietet er, dem in diesem Film die Dialogregie zufällt, die künstlerische Gewähr für behutsamste Näancierung. Das Liebespaar Viktoria—Johannes sind Luise Ullrich und Matthias Wiemann. Luise Ullrich, deren ungewöhnliche schauspielerische Begabung und jungmädchenhafte Scheu sie zur berufenen Träger in dieser Rolle erscheinen ließ, hat bei aller Herzlichkeit und natürlichen frische doch jene Zartheit, die die von ihr dargestellten Figuren so überaus reizvoll macht. Soweit künstlerischer Ernst und menschliches Wollen für das Gelingen eines Werkes entscheidend sind, dürften in dem Ensemble des Minerva-Films der Tobis-Cinema „Viktoria“ alle Voraussegungen erfüllt sein. Ein litera­­rischer Stoff von besonderer Schönheit wurde im Film nachschaffend gestaltet, eine Aufgabe, die alle Beteiligten zu höchster Kraftanstrengung und fester Eingabe an das Werk verpflichtete, Il Gutachten! Wirkt selbsti. veraltet, Fällen.] Ent­ramfun im Film Zu dem Tobis-Cinema­film „Viktoria“ Die in Berlin und Bergen (Nlorwegen) gleich­­zeitig stattgefundene Uraufführung des Kunt framfun-Films „Viktoria“ mit Luise Ullrich und Matthias Wiemann in den Hauptrollen gestaltete sich in beiden Städten zu einem großen künstlerischen Erfolg. Der Gloria-Palast in Berlin und das Konzert- Palais in Bergen waren während der Premieren des von Carl Hoffmann, dem überall bekannten Pionier der Schwarzweiß-Kunst, inszenierten Minerva-Films der Tobis-Cinema durch Sonder­­telefonkabel in ständiger Verbindung. Luise Ullrich, Matthias Wiemann,­­der Regisseur Carl Hoffmann und der Berliner Korrespondent der Osloer Zeitung „Aftenposten“, Sigvard Abrahamsen, sprachen zu den Premierengästen in Bergen. Die Uebertragung wurde dank der verständnisvollen Mitarbeit der norwegischen Postverwaltung auch in technischer Hinsicht ein voller Erfolg. Die norwegische Kolonie Berlins war bei der Berliner Premi­re zahlreich vertreten, darunter auch Mitglieder der norwegischen Gesandtschaft. Anekdoten sind manchmal charakteristischer als lange Abhandlungen: Der Sohn des großen Björnsterne Björnsen, des hochverehrten Nationaldichters Norwegens, fuhr eines Tages auf einem skandinavischen Dampfer. Wohl der bessern Aussicht wegen ging er auf die Kommandobrücke; der Kapitän machte ihn aufmerksam, dass das Betreten Nr. 12 Zulfe Ullrich als „Vistoria” in dem gleichnamigen Film nach Hamsund Roman.­s. ,1Iqmcuwpa-Fus Nr. 11 „Bittoria und Johannes" die beiden Gauptfiguren in dem großen Kramsun-Film „Bittoria“ nach dem gleichnamigen Roman. Zuife­uffrih und Mathias Wiemann sind die Darsteller beg £iebenpaares, dessen aufwühlendes Schicsal der Film . XII is EM ee­nt wegen BR Kopfschmerzen, Ischias, Hexenschuß, Erkältungskranks . für Unbefugte verboten sei, und bat ihn sich zu entfernen. Gekränkt ging der jüngere Björnson, ironisch warf er über die Schulter: „Sie scheinen nicht zu willen, Berr Kapitän, daß ich der Sohn des größten norwegischen Dichters bin!“ Darauf der Kapitän: „Ach, entschuldigen Sie vielmals, Herr Ibien“ Etwas verbußt schaute Björnsen jr. drein, als ein freundlicher Herr neben ihm den Hut lüftete und höflich bemerkte: Machen Sie sich nichts daraus! Es kann doch nicht jeder willen, daß Norwegens größter Dichter Knut fiamfun ist!* Die tiefe Wahrheit der Anekdote ist, zwar auf Björnson, Ibsen, Hamsun gleicherweise stolz sein kann, daß aber der Grad der Popularität der drei verschieden ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat der Film für den Nachruhm Björnsons und Ibsens fast gar nichts getan. Und der um ein Menschenalter Jüngere, der 76 jährige Knut Bamsun, ist jeit zum ersten Male für den Film „entdeckt“ worden. Die Minerva hatte für die Tobis-Cinema sein herbzartes Buch „Viktoria, die Geschichte einer Liebe“ zur­ Verfilmung erworben. Auf dem Boden, dem diese ergreifende Liebesgeschichte entwachsen ist, inmitten der herben nordischen Natur, in Norwegen, des Dichters freimat, sind die Aufnahmen zu dem Film gemacht worden, und Naturmenschen, Instinkt­­menschen, sind alle Geschöpfe Hamsuns. Solche Menschen mit ihren verborgenen, subtilen, manchmal verworrenen Empfindungen vermag am ehesten der Film mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten lebendig zu machen. Aller­­dings erscheint die verhaltene Stille allen menschlichen Geschehens in Hamsuns „Viktoria“, die oft nur angedeuteten Gedanken und Simmungen, der eng umgrenzte Kreis der Heimat zunächst unfilmisch, denn alle äußern Begebenheiten und Ereignisse spiegeln nur in Umrissen das seelische daß Norwegen von Wohlfahrt, Devisenbeschaffung und Allgemeiner Bildung Ein Gespräch zum „Tag der Briefmarke“ (7. Januar 1936) „So lieber Kollege, nun erst mal Glühstüdspause! tan mix dazu für ein Weilchen Ihre Rettung eihen „Über selbstverfändlich, Lieber Dertel, bier, bitte schön, und lassen sie sich’s schmeden " „Dante, dantel — Was tt denn das [dhon wieder ? ‚Zag der Briefmarie‘, sefe ich hier eben.“ „Stimmt, am 7. Januar, zum 105. Geburtstag unseres großen Kofigenies Heinrich von Stephan." „Aber hören Sie, Kollege Schrader, was ist denn das Besonderes? Für Beiermarten braucht doch wahrhaftig seine Reklame gemacht zu werden, die fliegt man ja an jedem Bofscolter, lebt sie auf, steht die Briefe ein und die Sache is erledigt.” «­­ ,Sodenkensle,lieber9ertei,und so dachtenbkihee schonet­ la Rämlich weil stetetuenmkeufqmmluilud.· ,Gottfei9gnt,das fehlte wir noch!Gerad­ genug, wenn siue kludek samlllebonärr­ich ist.Weins­use IR neuerdings ganz wild nach Marten.“ „As also! Dann geben Sie nur at, daß Sie nit Ins Hintertreffen geraten. Wenn sich der Zunge wirklich dafür interessiert, könnte es leicht dahin kommen, daß er auf vielen Gebieten bald klüger ist als sein Bater !* „Da nicht etwa doch­ das Briefmarlensammeln ? Sie wollen mich wohl veruzen, verehrter Schrader.” „Aber nein, Spaß beiseite! Sie sollten sich einmal Darüber unterrichten, was die Briefmarke wirklich bedeutet. Da ist gerade kürzlich ein Büchlein erschienen, das für Sie sehr geeignet wäre.“ „Was, dafür auch wo Geld ausgeben ?" „Nun, es fortet noch nit mal eine Marl. Es heißt „Die Briefmarte als Weltspiegel“i­st von einem fundigen Sammler geschrieben und vom Bibliographischen Institut in Leipzig verlegt worden. Wenn sie sich einmal in das Heine Buch von Moz Büttner vertiefen, wird Ihnen ein Licht aufgehen. Sie werden dann bald merten, daß die Briefmarten eben nicht nur Briefmarken sind, se e! auch noch Kulturzeichen und Kunsim wertet „Sie machen mich ja beinahe neugierig, lieber Kolleget" .Das wäre ja in Ihren Interesseiebretiken nichtsmt wersichern ual näher mit Briefmarken beschäftigt,du kann­ two angeblichen­ Stellenlu s einer Bildung sehr Ich sn wiederauffärben,dass z.B.wohlt-tueus­­fassend-te Weltgeschichte gibtqlgelne Makkeulqmmlung. Und die so erworbene Weltshelt wird schneu so nichts-d angenehmes-geheu wie Ihr Abend schoppen!« »Chaqu-wäce freu ich fast schou einthudlUbet wisch­en Sie das — Weltgeschichte, Kulturzeichen und so ?* „In der Tat, lieber Dertel, Briefmarlen aller Länder erzählen von den größten Ereignissen und Männern der Geschichte, von Entdeckungen und wissenschaftlichen Forshungen, kulturelen und technischen Fortschritten; sie [Hildern die Naturwunder, die meisten Bölterraffen der Welt, und für das schönheitshurftige Auge sind sie oft wahre Meisterwerse der graphischen Kleinzunft.” „Sa, ich muß gesehen, von der Geste aus habe ich Briefmarken eigentlich noch nie betrachtet. Wirklich, Kollege, sie machen mir da den Mund műsierig, und der Groschen ist bei mir ’runtergefallen’, wie der Berliner sagt:" „rent mich zu hören! Vielleicht werde wir also nodh Geschehen. Selbst das Dasein der Menschen verliert sich die besten Zauffreunde! Und dann wollen wie fellelt Ri BR tk 9 S, s—

Next