Die neue Zeitung, April-Juni 1938 (Jahrgang 9, nr. 1400-1412)

1938-04-03 / nr. 1400

Redactia si Administratia (Schriftleitung u. Verwaltung): Sibiu (Hermannstadt), Casuta Postala (Postfach) 55, Str. Gen. Mosciu (Kleine Erde) Nr. 4. Telefon 263. — Conturi Cec postal (Postschekkonti): Bucuresti 62.139, Leipzig 8937, Wien 93133, Prag 79329, Budapest 13.620, Zürich V111.24.953, Warschau 190.412, Stockholm 74333, Zagreb 41635, Paris 190.045,­­ Gravenhage 211.699, Sofia 3103­­­9, Jahrgang Br. 1400 in einem grossen Londoner Filmatelier eigentlich mit dem Fernsehen ? Wie sieht es Hier einige Daten: Das führende Fernsehland der Welt ist nicht Amerika, sondern England. Fern­­sehprogramme werden regelmässig gesendet und bereits so sehr variiert, dass man zum Beispiel kürzlich eine Aufnahmeapparatur aufgestellt und Bilder der werdenden Filmaufnahmen gesendet hat. Da­­zu eine Wanderung durchs Filmatelier, ein Blick hinter die Kulissen und selbstverständlich auch Fernsehinterviews mit den Künstlern. Und für all das gibt es bereits ein eigenes Wort, einen der heisst: Sendung. In Frankreich werden in diesem Jahr die wichtigsten Rundfunksender mit Fernsehan­­lagen ausgestattet, der Ausbau beginnt in Nord­­frankreich. neuen Begriff, fernseh-eigene Fernsehen mittels Fernsprecer Fernsehen auf In Deutschland wird das Fernsprechleitungen propagiert. Die deut­­sche Reichspost legte hiefür ein Kabel von Berlin über Leipzig und Nürnberg nach München, und wer will, kann von Berlin mit diesen Städten ein Fernsehgespräch führen. Nun geht man schon daran, in grösserem Mass das Fernsprechnetz für Wer Fernsehübertragungen einzusetzen: ein Telephon hat, soll in die Lage kommen, sich in den Fernsehrundfunk einzuschalten und eben Fernsehgespräche zu führen. Das Drahtfernsehen ist auch in England projektiert und wird wichtigste Voraussetzung für eine Popularisierung bezeichnet. Nur auf diesem Weg, sagen die Fachleute, wird es möglich sein, dem Fernsehen in kurzer Zeit die gleiche Ver­­breitung zu verschaffen, die der Rundfunk ge­­niesst. Die Kehrseite aller dieser Fortschritte ist, dass der Absatz von Fernsehempfängsern, wie England meldet, enttäuschend ist, obwohl ihr Preis dem eines sehr guten Radiogrammophons­­ entspricht. Als Ursache nennen die Industriellen, “dass die Fernsehprogramme zu geringen Unter­­haltungswert hätten und dies, weil zu wenig Geld dafür aufgewendet würde. Telepathie durchs Mikrophon Es ist noch gar nicht lange her, dass man die Radiotelephongespräche mit Schiffen auf hoher See als Errungenschaft sondergleichen bezeichnet hat. Heute empfängt der 26.000-Tonnen-Dampfer „Britannic“ in einer Entfernung von 130 Kilo­­meter vom Fernsehsender dessen Bilder. Beim ersten Programm übertrug man zur Einleitung eine mit Kreide auf eine schwarze Tafel geschrie­­bene Nachricht, und dann winkte der Fernsehan­­sager den Fahrgästen, ihnen gute Reise wünschend zu. Noch merkwürdiger ist ein Experiment, das man vielleicht bis vor kurzem als U­ebermut be­­zeichnet hätte, nämlich eines, das sich mit Tel­­es­pathie (natürlich im amerikanischen Rundspruch) beschäftigt. Ueber die sogenannte blaue Sender­­kette der N.B.C. hatten zwei menschliche „Sender“ Schwarz oder Weiss, zu konzentrieren. Sie hatten diesen Ver­­such siebenmal zu wiederholen und den Hörern auf telepathisem Weg zu übertragen. Eine Analyse der Antworten, die von führenden Auto-­s sich auf eine bestimmte Farbe­­litäten vorgenommen werden wird, soll zeigen, in­­wieweit das menschliche Gehirn imstande ist, Ge­­danken auszustrahlen und ob es möglich ist, diese Gedankenstrahlen­­ über den Mikrophon und Radio­­sender zu übertragen. Ebenfalls sehr fortschritt­­lich ist die Errichtung einer Unterhaltungs­sendestation auf dem Dampfer „Norman­­die“; diese wird U­ebertragungen auf amerikani­­sche und französische Sender vornehmen. Um das Programm muss man nicht verlegen sein, denn gerade dieses Schiff wird gerne von Künstlern benutzt. Neu zu hören Im Jahre 1938 werden zweihundert neue Rundfunksender gebaut, davon zweiundsechs­zig in Europa. Unter ihnen befindet sich der neue Deutschlandsender, der die ungeheure Stärke von 300 Kilowatt haben und um vor Fliegerangriffen geschützt zu sein, unterirdisch angelegt sein wird. Für uns ist interessant, dass Belgrad und Sofia je einen Sender mit 100 Kilowatt be­­kommen, so dass er bei uns leicht verständlich sein dürfte. Unsicher ist das noch bei der eben­­falls in solcher Stärke zur Ausführung kommen­­den Station auf jener Insel, die einst als das vers­ lorene Thule galt, auf Island, in Reykjavik. Verdienst aus dem Aether Ob wir auch das Fernsehen bekommen oder nicht, jedenfalls wird es nicht schlecht sein, sich finanziell für die Anschaffung der Apparate zu rüsten, und was einen da der Aether kostet, kann man, wenn man Glück hat, im Aether verdienen. Freilich nicht so wie in der Schweiz, wo die ersten 200 Hörer nach Ueberschreiten der 500.000-Teil­­nehmergrenze Lose bekommen und insgesamt 6000 Franken gewinnen werden. Aber man kann sich im Mai am Wettbewerb für Radiopianisten beteiligen, der in Brüssel stattfindet, und Preise zwischen 4000 und 50.000 Franken einheimsen. Eine Gedächtnisstiftung veranstaltet gemeinsam mit der Prager Rundspruchgesellschaft ein Preis­­ausschreiben für Kammermusik, dessen Preis 1000 S sind. Rundfunkreklame Die amerikanischen, französischen, aber auch englischen Hörer werden mit gesprochenen Inseraten überflutet und beklagen sich unablässig darüber so sehr, dass Frankreich eine gesetzmässige Be­­­schränkung der Rundfunkreklame vornimmt. Grosskaufleute der Weststaaten haben in Luxem­­burg Sendezeiten gemietet — eine Viertelstunde kostet 20 bis 69 englische Pfund — und inserieren französisch=englisch, und auch Toulouse preist in englischer Sprache Nahrungs- und aarwuchs­­mittel an. In Amerika wurden im vergangenen Jahr 107 Millionen Dollar für Rundspruchinserate ausgegeben, von denen 18 Prozent für Nahrungs­­mittel, 12 Prozent für Toiletteartikel und 10 Prozent für pharmazeutische Anpreisungen bezahlt wurden. Be­ri des neuen Wunders Sibiu (Bermannstadt), Sonntag, den 3. April 1938 Wunder des Fernsehens Die Fortschritte 1938 als erster nn] . Z­ wei Frauen um einen Dichter Von Maria Gleit (Schluss) Nur im tiefsten verletzte Liebe konnte „Hohn und Spott“ sehen, wo ein Mann im Ringen mit sich selbst, mit Pflicht und Liebe, selbst fast zugrundeging, ehe er sich für die Liebe entschied. „Schüttle alles ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und seis auch ein Mensch, der dich liebt .. .“ hatte er zwar vorher in sein Tagebuch geschrieben. Zwischen Worten und Taten aber ist ein gewaltiger Unterschied. Und ehe Hebbel sich für Christine Enghaus entschied, die ihn mensch­­lich und materiell in seiner Entwicklung förderte, hat er Höllenqualen durchlitten um Elise Lensing. Er kannte die Schuld, die er um sie trug. Er wusste alles, was er ihr versprochen hatte, was aus den Jahren der Not und des Hungers an Be­­schwörungen, Bitten und Tröstungen in die Briefe an sie geflossen war: „Du bist das einzige Band, das mich ans Leben fesselt . . . Wir heiraten uns, sobald wir uns wiedersehen . . . Soll ich kommen, so gib mir nur einen Wink .. . Ich möchte Zeile für Zeile deines Briefes küssen...“ Hatte sie ihm dann „den Wink“ gegeben, so war er zurückge­­schreckt: „Eine Ehe ohne Fundament! Ohne Geld und ohne Aussichten . . .“ Und doch war er immer wieder zu ihr zurückgekehrt: „Das Heiligste und Wahrste, was an Verehrung, an Liebe in meiner Brust liegt, ist Dir zugewandt . Du bist in Deiner grenzenlosen Liebe und Hingebung das einzige weibliche Wesen auf Erden, welches mich mit Glück und Freude zusammenknüpfen kann...“ Alles waren Worte gewesen, er war ein Lügner, ein Betrüger, ein schlechter Mensch. Und eine, die die Kleider wechselte wie die Gefühle, war nun seine Frau .. . Anders konnte sie in der Er­­bitterung nicht sehen, was er getan hatte . . Und Christine? Wann Hebbel ihr von Elise erzählt hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass sehr bald Briefe von Wien nach Hamburg gingen, die Elise ein­­luden in das Haus auf dem Josefstädter Glacis. Voll Empörung und gekränktem Stolz lehnte Elise ab. Da starben ihr nacheinander ihre beiden kleinen Buben. Und das so schwergeprüfte, so grenzenlos enttäuschte und aufbegehrende Herz der Elise Lensing wurde milder durch diesen letzten, grossen Schmerz. Widerstrebend entschloss sie sich end­­lich nach Wien zu fahren. Sie und Christine wurden bald die besten Freundinnen. Elise besorgte den Haushalt und befreundete sich mit Karl, dem vorehelichen Sohn Christines, aufs engste an. Sie hob eine Tochter Hebbels mit Christine aus der Taufe und nahm Karl bald darauf mit nach Ham­­burg. Von dort aus berichtete sie stolz an Chri­­stine: „Ich habe Karl lesen und schreiben gelehrt . . ., und der Junge schreibt, wie mancher in seinem Leben nicht besser gelernt hat . . .“ Und Elise vergass, was das Schicksal ihr an­­getan hatte. Die Grossherzigkeit Christines und eine alles verzeihende Liebe halfen ihr dabei. Sie gewinnt es über sich, über Hebbel zu scherzen. „Er möge doch nicht eine so grässliche Laune ins Haus bringen, schreibt sie einmal, und ein andres Mal ist sie besorgt darum, dass ihn sein altes Magenübel zu sehr quäle. Sie rät dringend, „er möge doch etwas für seinen Magen tun, der Magen ist ja doch das Uhrwerk des Menschen‘. Und als sie stirbt, hat sie keinen andern Gedanken als den, die andern glücklich zu wissen. „Möchtest du doch gesund bleiben . . ., ich trage ja genug, dass es reicht für euch alle, damit Ihr frei sein könntet.“ Und Friedrich Hebbel . . .? ; Friedrich Hebbel schuf sein Werk, Christine sorgte dafür, dass es auch nach seinem Tod nicht vergessen wurde. Elise Lensing aber, die arme Näherin aus Hamburg, die ihm alles opferte, hat man vergessen. Es gibt kein Bild von ihr. Nur die Legende von ihrem entsagungsvollen Leben. Diese aber wird unvergessen sein, solange man von Friedrich Hebbel spricht und seine Werke spielt.

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