Die Woche, 1972. Januar-Juni (5. évfolyam, 211-236. szám)
1972-01-14 / 212. szám
Die Woche Nr. 212/14. Januar 1972 Streben nach lebendigem Dialog Theater-Eindrücke, gesammelt an den Bühnen der DDR / Von Hanns SCHUSCHNIG Regisseur Hanns Schuschnig besuchte im Dezember 1971 die Deutsche Demokratische Republik, wobei ihm zahlreiche Gespräche mit Intendanten, Dramatikern und Bühnenbildnern sowie der Besuch von Aufführungen an den wichtigsten Bühnen der DDR einen umfassenden Einblick in das Theaterschaffen dieses Landes vermittelten. Voraussichtlich noch in diesem Frühjahr ivird ein Gastregisseur aus der DDR an der deutschen Abteilung des Staatstheaters Sibiu ein Stück inszenieren. Ausserdem ist ein regelmässiger Erfahrungsaustausch zwischen unserer deutschsprachigen Theaterabteilung und den städtischen Bühnen Magdeburgs geplant. pinunddreissig Tage um das L~‘ Theater eines Landes kennen zu lernen; einunddreissig Tage: Aufführungen, Proben, Gespräche — mit Intendanten, Regisseuren, Schauspielern, Werbeleitern, Bühnenarbeitern, Zuschauern ... was bleibt da wohl im Kopf hängen? Selbst wenn man das Notizbuch zur Hand nimmt, fällt es schwer, das Wichtige vom Nebensächlichen zu scheiden, das Bleibende vom Zufälligen, das Wahre vom Beiläufigen. Eines ist allen Theatern der DDR gemeinsam: das Streben nach einem lebendigen Dialog mit den Zuschauern, die Behandlung jener Fragen, die den Menschen von heute beschäftigen: Krieg und Frieden, Leben und Tod, Richtung und Ziel der menschlichen Entwicklung. Besondere Aufmerksamkeit wird der Pflege der DDR-Dramatik geschenkt, die den Erfordernissen der Aktualität entgegenzukommen versucht. Trotz der Vielfalt der dargestellten Probleme, trotz der Verschiedenartigkeit der Mittel, die die Autoren einsetzen, bleiben die Stücke jedoch hinter den Anforderungen des Publikums zurück, und selten gelingt es einem Autor, die Schablone zu überwinden. Wenn auch einige Erfolgsstücke auf dem Repertoire verschiedener Theater stehen (zu nennen wären „Weiberkomödie“ von Heiner Müller, „Wann kommt Ehrlicher“ von Rainer Kerndl oder „Einzug ins Schloss“ von Rolf Schneider), bleibt die Ausbeute dieser Spielzeit doch nicht voll befriedigend. Der meistgespielte Autor der letzten Jahre ist der Komödiendichter Rudi Strahl, dessen Lustspiel „In Sachen Adam und Eva“ in zwei Spielzeiten von 74 Theatern des In- und Auslands gespielt wurde. (Auch das Temesvarer Deutsche Staatstheater hat in der vergangenen Spielzeit das Stück in der Regie von Hans Pomarius aufgeführt.) Wir hatten Gelegenheit, mit Rudi Strahl ein längeres Gespräch zu führen und hoffen, in der kommenden Spielzeit eines seiner neueren Stücke auch unserem Publikum vorführen zu können. Die interessanteste Aussprache unserer Reise hatten wir mit einem der bedeutendsten Dichter unserer Gegenwart, dem in der DDR lebenden Peter Hacks, dem Autor eines der wertvollsten Bühnenwerke, die wir in den letzten Jahren aufgeführt haben: „Amphitryon“. Hacks, der augenblicklich mit dem Komponisten Siegfried Matthus im Auftrag der Komischen Oper Berlin an dem Libretto einer Kriminaloper arbeitet, zeigte ein grosses Interesse für die Arbeit der deutschsprachigen Theater unseres Landes. Er äusserte sich lobend über die in unserer Presse erschienenen Besprechungen der „Amphitryon“-Aufführung und bedauerte es, dass er nicht Gelegenheit hatte, einer Vorstellung beizuwohnen. Wir erhielten sein festes Versprechen, dass er alles dransetzen wird, um bei der Premiere eines weiteren Stückes, über dessen Aufführung wir in Verhandlungen stehen, dabeizusein. p\er zweite Schwerpunkt in der Repertoiregestaltung der DDR-Bühnen liegt bei der Neuwertung des klassischen Erbes. Der Anteil der klassischen Werke im Spielplan ist verhältnismässig hoch. Es handelt sich hier nicht nur um deutsche Klassik, der natürlich eine vorrangige Bedeutung zukommt, sondern auch um eine besondere Pflege der Werke Shakespeares. Die Behandlung der Klassiker ist äusserst verschieden. Selbst an demselben Theater geht man an die Inszenierung solcher Werke von sehr verschiedenen Gesichtspunkten heran. So sahen wir im Leipziger Schauspielhaus neben einer sehr lebendigen, aufgeschlüsselten, ausdrucksstarken Inszenierung von Kleists „Prinz von Homburg“ einen völlig uninteressanten, routinemässigen „Hamlet“; an den Kammerspielen des „Deutschen Theaters“ in Berlin neben einer hervorragenden Aufführung von Shakespeares „Mass für Mass“, einen „Clavigo“, der im dramatischen dritten Akt in einem lachenden Saal unterging und nach der zweiten Vorstellung abgesetzt wurde. Das Publikum, das zum grossen Teil aus Jugendlichen besteht, (meiner Schätzung nach dürften bis zu 70 Prozent der Zuschauer unter dreissig Jahren sein) nimmt unerhört regen Anteil am Ablauf der Handlung und gibt sowohl seiner Begeisterung als auch seinem Missfallen lautstarken Ausdruck. Besonders deutlich war dies in einer „Räuber“-Inszenierung an der von Benno Besson geleiteten Volksbühne (Saal von 1200 Plätzen), die in völlig unorthodoxer Weise den revolutionären Gehalt der Räuberszenen in den Vordergrund spielte. Das ist wörtlich zu nehmen: Die Räuberszenen in grellen Farben, in einer manchmal an Naturalismus grenzenden Detailfreude, wurden auf die Vorderbühne gebracht, während die unglaubwürdige Familientragödie in der Tiefe der Bühne in fast farbloser Dekoration, reliefartig abrollte. \7 iele Inszenierungen in Ber* lin sind alt. Manche Stükke stehen bis zu zehn Jahre auf dem Spielplan, und man sieht es ihnen nicht selten an. Dennoch bietet dieses Phänomen dem Ausländer Gelegenheit, Aufführungen zu sehen, von denen er schon vor Jahren gehört und gelesen hat. So ist es auch mit dem ersten Teil des „Faust“, den Adolf Dresen und Wolfgang Heinz im grossen Haus des Deutschen Theaters regissiert haben. Diese Inszenierung gab Anlass zu vielen Diskussionen, ja selbst zu einer polemischen Antwortinszenierung in Halle, die Bilder aufzuweisen hat, an denen man in künftigen Faust-Inszenierungen nicht Vorbeigehen kann: die beinahe kabarettistische Lösung von „Auerbachs Keller“, der „Osterspaziergang“ oder die „Kerkerszene“, in der Gretchen in einem kaum zwei Kubikmeter messenden Steinkäfig liegt, und der sich am Schluss der Szene in den Hinrichtungskarren verwandelt. Dazu kommt noch die grossartige schauspielerische Leistung von Fred Düren als Faust (einer der interessantesten Darsteller, die man heute in Berlin sehen kann), der es fertig brachte zu beweisen, dass das Stück zu recht „Faust“ heisst, und nicht wie in den meisten Inszenierungen „Mephisto“ heissen müsste. r\ie Bühnenbilder sind in den ^ meisten Fällen von spartanischer Einfachheit, die künstlerisches Raffinement freilich nicht ausschliesst. Verblüffend die Tatsache, dass von den dreiunddreissig Aufführungen, die wir sahen, weit über die Hälfte in einer fast völlig weissen Dekoration spielten. Die schauspielerischen Leistungen sind von sehr unterschiedlichem Niveau, wobei Grösse und Bedeutung des Theaters durchaus nicht immer massgebend sind. Ich habe an einigen Provinztheatern bessere Darsteller gesehen als an manchen Bühnen Berlins. Im allgemeinen ist an den Provinzbühnen sprachlich eine höhere Qualität festzustellen als an den Berliner Theatern, wobei insbesondere Magdeburg und Leipzig hervorzuheben wären, wo nicht nur die Hauptdarsteller, sondern das gesamte Ensemble die Aufführungen in hervorragender Weise sprachlich meistern. Um bei Magdeburg zu bleiben, mit dessen Theater unsere Bühne im Laufe der kommenden Jahre in ein engeres Verhältnis treten wird, habe ich hier eine überaus interessante Aufführung des rumänischen Stücks „Ich bin nicht der Eiffelturm“ von Ecaterina Oproiu gesehen, ein Stück, das auch unsere Zuschauer kennen, und das auf den Bühnen der DDR viel und mit grossem Erfolg gespielt wird. Die eindrucksvollsten künstlerischen Erlebnisse vermittelten uns wohl das „Berliner Ensemble“ — die Bühne Bertolt Brechts — und die „Komische Oper“, die unter der Leitung von Professor • Walter Felsenstein zu einem der führenden Opernhäuser der Welt aufgestiegen ist. In der letzten Zeit hat man viel über eine Krise des Berliner Ensembles gesprochen. Viele der grossen Darsteller und Regisseure sind gestorben oder vom Theater abgegangen, aber die seit einigen Monaten unter einer neuen Leitung befindliche Truppe scheint — dies ist meine feste Überzeugung nach den gesehenen Proben — alles daran zu setzen, diese Krise zu überwinden. Beim Berliner Ensemble hatten wir Gelegenheit, vier Aufführungen zu sehen: „Coriolan“, „Die Dreigroschenoper“, „Der Brotladen“ und „Die Gewehre der Frau Carrar“, alle von Brecht. Die Komische Oper ist ohne Zweifel das beste Theater Berlins, der DDR überhaupt. Ich sage Theater, weil es sich hier nicht um eine Oper im landläufigen Sinn handelt, mit verkleideten Sängern und einem etwas lächerlich wirkenden Bühnenspiel. Es ist Professor Felsenstein gelungen, etwas zu erreichen, was selbst optimistische Fachleute noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten haben, nämlich die Oper von ihren spezifischen Mitteln her völlig zu erneuern, ein Musiktheater von unvorstellbar hohem Niveau zu schaffen, in dem der Darsteller zwar auch Sänger, aber in demselben Mass Schauspieler, Tänzer, ja Akrobat ist, und eine Einheit aus Musik, Spiel und Bild zu schaffen, die man nicht für möglich halten sollte. In dem Musical „Der Fiedler auf dem Dach“ (Anatewka), in Gershwins „Porgy and Bess“ und in Massentes „Don Quijote“, die wir sahen, gaben wir uns Rechenschaft darüber, dass man die Oper nicht als ein überlebtes Genre abtun kann. Die Aufführungen sind über Monate hinaus ausverkauft, und dem Durchschnittsbürger gelingt es kaum, einmal im Jahr eine Eintrittskarte zu ergattern. p s wird ernstes Theater gemacht in Berlin, es wird ernstes Theater gemacht in der DDR, und es scheint sich eine Entwicklung abzuzeichnen, die den allmählich fernsehmüden Zuschauer zu dem treibt, was dem Theater ureigen ist, zum unmittelbaren Kontakt, zur direkten Ausstrahlung, zu der lebendigen Wirklichkeit, die es sich im Vergleich mit der übertechnisierten Welt des Films und des Fernsehens erhalten hat. Nach Jahren endlich wieder eine Fotoausstellung in Sibiu. Die Kunstfotografen Gheorghe Lăzăroiu und Ionel Vitoc stellen im Foyer des Hauses der Gewerkschaf len aus (Gh. Gheorghiu-Dej- Strasse 6) Foto: Fred NUSS Kultur Seite 7 Frans Masereel Frans Masereel, einer der grossen kämpferischen Realisten des 20. Jahrhunderts, ist am 3. Januar im Alter von 82 Jahren in der südfranzösischen Stadt Avignon gestorben. Seine Holzschnittbücher „Die Sonne“, „Geschichte ohne Worte“, „Die Idee“, gestorben „Die Stadt“ und die Pinselzeichnungen „Bilder der Grossstadt“ weisen den belgischen Graphiker als revolutionären Künstler aus. Der graphische Stil Masereels entspricht den kämpferischen Ideen und agitatorischen Absichten seiner Kunst. Das Bild hat sein Eigenleben... Werkstattbesuch bei Hans Hermann Tausende Exemplare des Hans-Hermann-Bildbändchens, das vom Dacia-Verlag kurz vor dem Jahreswechsel herausgegeben wurde, sind verkauft. Das spricht dafür, dass des Altmeisters Werk im Bewusstsein unseres Kunstpublikums lebt, dass er bereits zu einer Permanenz der geistigen Atmosphäre hier geworden ist. Der nun 87jährige Künstler schafft auch heute unermüdlich. Man könnte meinen, seine Haltung vor der Staffelei sei wohl seit einem halben Jahrhundert dieselbe geblieben. Ihr Bildband, der beim Publikum so grossen Anklang findet, enthält ausschliesslich Stiche, die Baudenkmäler der Stadt am Zibin festhalten. Woran arbeiten Sie jetzt? In letzter Zeit habe ich nur Landschaften in Öl gemalt, den Kasan-Pass, wie es ihn jetzt nicht mehr gibt, das Alttal usw. Ich stosse beim Durchblättern meiner Mappen immer wieder auf Skizzen, die mir einfach Bilder aufdrängen, mich zum farblichen Gestalten zwingen. Wie entstehen Ihre Bilder, beispielsweise Ihre Landschaften? Die Färb- und Formenwelt der Natur sind der Vorwand, der Auslöser sozusagen. Von der Skizze ausgehend baue ich eine Landschaft, die ihr Eigenleben hat. Jedes Bild hat sein Eigenleben. Der Maler setzt nur in Gang, dann wird es von selbst, es wächst nach seinem eigenen Gesetz. Vor Jahren hatte ich eine grosse Genugtuung, als ich in einer Konfession Cervantes’ las, dass sein „Don Quijote“ eigentlich etwas ganz anderes, eine ernste Apotheose werden sollte. Aber das Werk war stärker als er. Sie arbeiten in vielen Techniken, Ist das kein Nachteil für einen Künstler? Nein, im Gegenteil. Ich finde, dass man mit jedem Bild weiter reift. Sei das nun ein Ölbild, ein Aquarell oder eine Monotypie. Ich arbeite solange in einer Technik, bis ich fühle, dass es nicht mehr straff genug wird, dass die innere Spannung fehlt. Werden Sie 1972 eine persönliche Ausstellung zeigen, oder wollen Sie damit bis zu , ihrem 90. Geburtstag warten? Dann dürfte doch eine Retrospektive fällig sein. Sehen Sie, das ist eine gute Anregung! 1972 werde ich nicht ausstellen. Wie gelingt es Ihnen, noch immer stundenlang zu arbeiten, ohne zu ermüden? Welches ist Ihr Rezept? Dass ich schon 87 Jahre zähle, scheint mir wirklich auf einen Rechenfehler zurückzuführen zu sein. Es ist aber weder ein Rezept noch ein Geheimnis, dass die Arbeit den Menschen gesund erhält. Ich wundere mich immer über Leute, die auf drei Wochen zur Erholung fahren. Einmal wollte ich das auch in einer Hafenstadt an der Adria ausprobieren. Als ich aber frühmorgens mein Fenster öffnete und den Hafen vor mir sah, griff ich zum Griffel. Ferien ohne Arbeit gab es für mich nie. Was für Zukunftspläne beschäftigen Sie? Auf diese Frage kann ich nur eines antworten: Ich will niemals auf der Stelle treten. Nur so lange werde ich arbeiten, bis ich spüre, dass ich auf dem absteigenden Ast bin. Darüber jetzt schon zu sprechen, hat jedoch wenig Sinn. (Das Gespräch führte Walter ENGEL) Januar-Sitzung des Literaturkreises Am Donnerstag, 20. Januar um 18.30 Uhr, findet im Gebäude der Fakultät die erste Sitzung des Literaturkreises in diesem Jahr statt. Ilse Hehn (Mediasch) liest Gedichte. Vom Büchertisch „Studien zur deutschen Literatur aus Siebenbürgen“, herausgegeben von Michael Markel. Dacia Verlag, Reihe „Transilvanica“ Band I, 206 Seiten, Preis 7,50 Lei. Der Band umfasst Studien über die Schriftsteller Heinrich Schuster, Anna Schuller- Schullerus, Bernhard Capesius und über die Zeitschrift „Ostland“. Anemone Latzina: „Was man heute so dichten kann“, Gedichte. Dacia Vcriag, 43 Seiten, Preis 9 Lei. Es ist der erste Gedichtband der aus Braşov stammende«, in Bukarest lebenden Dichterin. „Der tapfere Pfefferkorn“ und andere sicbenbürgische Märchen und Geschichte«, gesammelt und bearbeitet von Anneliese Thudt und Gisela Richter. Buchillustration Al. Szathmáry. Kriterion Verlag, 100 Seiten, Preis 7,50 Lei, broschiert, 12,50 Lei gebunden. Stendhal (Marie-Henri Beyle): „Die Kartause von Parma“. Herausgegeben von Manfred Naumann. Übersetzt von Erwin Rieger. Rütten und Loening Verlag Berlin, 7. Auflage, 767 Seiten, Preis 45 Lei. August Strindberg: „Tage der Illusionen“, Erzählungen. Auswahl und Übersetzung aus dem Schwedischen von • Hans-Jürgen Hube. Mit einer Nachbemerkung von Ernst Walter. VEB Hinstorff Verlag Rostock, 290 Seiten, Preis 24 Lei. „Die Schildbürger“, Reihe „Meine erste Bibliothek“, Bucheimband und Illustrationen von Johann Untch, Ion Creanga Verlag Bukarest 1971, 127 Seiten, 3,25 Lei.