Gutenberg, 1924 (Jahrgang 6, nr. 1-52)

1924-01-04 / nr. 1

ERSCHEINT jeden Donners­tag mit dem Datum des nächstfolgenden Tages. ABONNEMENT samt Post­Zustellung Jährlich...........................Kc 40.— Halbjährig....................Kc 20.— Vierteljährig................Kc 10.— Einzelnummer 80­­. REDAKTION Prag II., Smecky 27 neu. ZUSCHRIFTEN werden nur frankiert angenommen. Nicht - versiegelte Reklamationen sind portofrei und sind an die Expe­dition zu richten. Manuskripte werden nicht retourniert. II JAHRGANG PRAG, 4. JÄNNER 1924 NUMMER 1 ADMINISTRATION : O.Kinsky,Prag II,,Smecky 27 n. POSTSCHECKKONTO : _________Prag 33.837.________ EXPEDITION : Deutsche agrarische Druckerei, W­einberge, tf. Marsala F­owie 3. ANNONCEN werden bei der Administration angenommen und mit Kc 2.— pro Petit­eile berechnet. Für eine einmalige Einschaltung werden berec­h­net: ganze Seite KÖ720, Dritte­­ Seite Ceine Spalte­ Kc260, halbe ZEITSCHRIFT FÜR BUCHDRUCKER^ UND VERWANDT­E Kc 8;, Achtel-Spalte Kc 46 und INTERESSEN IN DER CECHOSLOWAKISCHEN REPUBLIK Bei öfter­er Insertion Rabatt. Wiederum ist ein Jahr in das Meer der Ewigkeit versunken und wir haben keinen Anlaß, seiner mit besonderer Anerkennung zu gedenken. Wohl war das Jahr 1923 organisatorisch ein ruhigeres, nicht durch stetige Kämpfe mit unseren wirtschaftlichen Gegnern unterbrochenes, aufregendes Jahr, dafür aber stellte es in finanzieller Hinsicht an den Verband große Anforderungen. Die Industrie- und Absatzkrise erreichte wohl in dem verflossenen Jahre ihren Höhepunkt und begann eine ab­steigende Tendenz einzuschlagen, jedoch machte sich diese Senkung bei der buchge­werblichen Industrie am allergeringsten fühl­bar. Noch immer belastete das Budget der Verbandsvereine eine enorme Arbeitslosen­zahl, die natürlicherweise an die finanzielle Kraft derselben große Anforderungen stellte. Wen­n auch hätte vermutet werden können, daß eine lebhaftere Beschäftigung der ande­ren Industrien eine Besserung der Beschäfti­gung der Buchdruckereien im Gefolge haben sollte, so war das ein Trugschluß. Die Um­stände, die hiebei mitspielten, können wohl in der auch weiterhin gehandhabten Bedarfs­einschränkung an Drucksachen, seitens der Konsumenten und in der vermehrten Auf­stellung von Vervielfältigungsapparaten ge­sucht werden. So hat uns das vergangene Jahr lediglich das eine beschert, daß wir im neuen Jahre die Hoffnung hegen können, daß das Abflauen der Krise seine günstigen Wir­kungen nunmehr auch bei den graphischen Industrien zum Ausdrucke bringen und damit unser Arbeitslosenheer auf einen normalen Stand zurückführen wird. Die weitere Hoff­nung, daß sich hiebei Bedarf und Angebot die Wage halten werden, müssen wir wohl aufgeben; die Gründe hiefür liegen in der rücksichtslosen Ausnützung der tariflichen Lehrlingsskala seitens der Unternehmer, die eine derart ungesunde Ueberproduktion an Arbeitskräften im Gefolge hatte, so daß auch bei optimistischester Annahme einer Kon­junktur von besonderen Dimensionen unser Arbeitslosenheer und da besonders an Ma­schinenmeistern, nicht ganz aufzehren kann und wird. Das Vorjahr wurde durch einen Lohnabbau eingeleitet und sein Ausgang stand im Zei­chen eher Weihnachtsbeschäftigung, die die besten Aussichten für die Zukunft eröffnet. Die Teuerung, das Schmerzenskind aller Er­werbstätigen, die auf ein festes Einkommen angewiesen sind, konnte trotz der vielen ge­planten und einsetzenden Aktionen der Re­gierung und anderer Körperschaften nicht abgebaut werden. Ein fortwährendes Schwan­ken nach oben und gering nach unten hat dennoch den Anlaß gegeben zu einigen ge­waltigen Vorstößen des Kapitalismus gegen die Arbeiterschaft. Lohnabbau , dann Preis­abbau, war das Schlagwort, unter dem die Kohlenbarone gegen ihre Arbeiter loszogen und dadurch einen Streik provozierten, der ungeahnte Dimensionen annahm, der Volks­wirtschaft schwere Wunden schlug, der Ar­beiterschaft den kärglichen Lohn noch mehr verkürzte und dessen Erfolg trotzdem gleich Null war. Aber gerade dieser Streik und seine Ursachen zeigt so recht sinnfällig, wessen sich die Arbeiter im kommenden Jahre zu versehen haben und woher der Wind weht: die Unternehmer wittern Mor­genluft und die Arbeiterschaft hat daher auf der Hut zu siin vor den Stößen, welche die Unternehmer zu einer ihnen gelegenen Zeit zu unternehmen gedenken. Sie fuhren wieder stark genug, um Vorstöße wagen zu können und sie werden die Gelegenheit, da die Krise noch ihr Bundesgenosse ist, weidlich ausnützen. sich Das neue Jahr hat begonnen, dunkel liegt die Zukunft vor uns. Wenn es auch im Prinzipalslager vorläufig noch still ist, so sind wir aber doch gewiß, daß auch unsere Tarifpartner bereits eifrig am Werke sind, für die im heutigen Jahre fäll­ge Revi­sion unseres Lohntarifes ihre Vorbereitun­gen zu treffen. Es wäre verfrüht, wollten wir des EIN NEUES JAHR! 35-216 vorhergesagten wegen pessimistisch in die Zukunft blicken und annehmen, daß uns deshalb wieder ein Kampfjahr beschieden sein muß. Wenn auch die Zeitumstände für die Unternehmer derzeit günsti­ger sind als für uns, so soll uns das aber nicht weiter tangieren. Noch liegt eine Spanne Zeit zwi­schen dem entscheidenden Zeitpunkte, da es heißen wird, biegen oder brechen. Wir haben daher gar keine Ursache, bereits heute den Mitmacher zu spielen und Trübsal zu blasen. Noch sind wir das, was wir bisher waren: eine einige, starke Organi­sation, vom gleichen Willen beseelt, die vermöge ihrer Kraft und des ihr zutiefst innewohnenden Ge­danken der Solidarität auch die Zukunft nicht zu fürchten hat. Wir sind von der Notwendigkeit durchdrungen, daß es auch die volkswirtschaftliche Pflicht der Arbeiterschaft ist, den Kampf zu vermeiden, wenn dies möglich ist. Jeder Kampf schlägt auf beiden Seiten schwere Wunden und es ist eine alte Er­fahrung, daß ein friedlich-schiedliches Ueberein­­kommen der gesamten Volkswirtschaft von Nutzen ist. Wir sind aber auch davon überzeugt, daß ein unerbittlicher Gegner, der den Kampf sucht, auf einen Widerstand bei uns stoßen wird, der seines­gleichen suchen muß. „Wer den Frieden will, rüste zum Kriege!", war der Wahlspruch der alten Militaristen. Die heutige Wirtschaftsordnung hat seine Gültigkeit auch für die Arbeiterschaft und sonach für uns im sozialen Kampfe bewiesen. Der im heutigen Jahre geplante außer­ordentliche Verbandstag wird für die Tarif­revision die Vorarbeiten zu leisten haben. Zum erstenmal wird der Verband seine Feuer­probe zu bestehen haben. So bedeutungsvoll die Zeit des Zusammentrittes ist, so ist aber doch anzunehmen, daß er seine Feuerprobe im Wechselspiel der Kräfte bestehen wird. Die Zeit wird nicht unnütz verstreichen, um nicht das zu tun, was notwendig ist. Das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitgliedern und O­rganisationsleitung allein ist die mäch­tige Triebkraft, die uns vorwärtstreibt und vor keinem Hindernis zurückschreckt. Die Tarifrevision tangiert unsere Existenzverhält­nisse und darum haben wir an ihrer zufrie­denstellenden Durchführung das lebhafteste Interesse. Die Last, die auf der Leitung allein­­ ruht, werden auch wir durch tatkräftige Mit­arbeit vermindern helfen und es wird sich im Laufe der Zeit ergeben, die Wünsche und Ansichten der Kollegen kennen zu lernen und in die rechten Bahnen zu lenken. Wohl sind wir Buchdrucker mit internen Angelegenheiten vollauf beschäftigt, aber das soll uns nicht abhalten, unsere Aufmerksam­keit während des Jahres auch noch den all­gemeinen, Begebenheiten des öffentlichen und sozialen Lebens zu widmen. Die Hoffnung ist wohl nun nicht mehr ganz unbegründet, daß es im Laufe des Jahres gelingen wird, die Alters- und Invaliditätsversicherung als Gesetz in Kraft treten zu sehen. Daraus wird sich wieder für uns ein Anhaltspunkt ergeben, an der Verwirklichung dieses alten Postulates mitzuwirken und tätig zu sein. Die Arbeitslosenunterstützung nach dem Genter-System, das nun so lange schon Gesetz ist, aber nicht zur Durchführung ge­bracht wurde, dürfte im Laufe des Jahres endlich zur Einführung gelangen. Auch da wird sich mancherlei ergeben, dass uns mit Arbeit überhäuft, aber doch moralischen Lohn einbringen wird. Und daß die Lasten, die unserem Verbände durch die Arbeits­losigkeit erwachsen, enorme sind, beweisen die Ziffern, welche der Verband für das III. Vierteljahr 1923 ausweist. Bei einem Ge­samtmitgliederstand von 6832 Kollegen und 174 Invaliden verzeichneten die vier Landes­­vereine 1143 Arbeitslose (Böhmen 529, Mäh­ren 274, Schlesien 79, Slowakei 261), die eine Unterstützungssumme von Kc 145.930.— erforderten. Das Genter-System wird uns wohl diese Last nicht abnehmen, jedoch für die Arbeitslosen deshalb eine Wohltat sein, weil sie dadurch den verschiedenen Prak­tiken des Amtsschimmels entzogen werden. Wir werden auch im neuen Jahre den Weg gehen, den uns die Pflicht als klassenbewußte Arbeiter vorschreibt. Unverrückbar unser und der übrigen Arbeiterschaft gemeinsames Ziel vor Augen, werden wir unsere Hilfe dort nicht versagen, wo dies das Klasseninteresse erfor­dert und neben dem weiteren Ausbau unserer eigenen Gewerkschaft, organisatorisch und finanziell, werden wir jederzeit bereit sein, den Kampf aufzunehmen, der uns von unseren wirt­schaftlichen Gegnern aufgezwungen wird. Jeder einzelne von uns weiß, worum es im heutigen Jahre geht. Alle haben wir daher die Pflicht, mitzuwirken am gemeinsamen Werke, jeder nach seinen besten Kräften. Nur dann wird es uns möglich sein, auch das eben begonnene Jahr abzuschließen mit einem Rückblick, in dem wir uns selbst das Zeugnis aus­stellen können, wir haben unsere Pflicht getan und können auf das Getane mit Stolz zurückblicken. Zum neuen Jahre. Das alte Jahr ist wieder in die Ewigkeit versun­ken, / es war ein langer Zeitraum voller Leid und großer Qual. / Und während noch so viele Menschen wie zum Hohne prunken, / ver­stummt der Arbeit Wehruf ohne Widerhall. / In zähem Ringen hat die Freiheit sich zum Teil errungen , das Volk in seinem steten Friedens­streben; / doch alle Mahnung scheint ergebnis­los verklungen, / wenn Macht und Unrecht nochmals stolz ihr Haupt erheben. / Man will der Arbeit ihre Wehr und Waffe abermals entwinden ,sie rechtlos Aachen wie zuvor.­­ Hier gilt es nun, den rechten Weg zu finden, / den leider das Proletariat in letzter Zeit verlor. Was sollen alle Klagen nützen, / wenn keine Einigkeit besteht; in Wirklichkeit heißt dies das Kapital beschützen, / das nur auf diese Weise froh des Weges geht. / Sind wir nicht selbst mit Schuld beladen, daß unsre Ohn­macht täglich immer größer wird? / Das Unter­nehmertum ergötzt sich an dem Schaden, / den jeder Tag uns neu gebiert. / Auch uns, die Jünger Gutenbergs, erfaßt das Grauen / ob unsrem Elend, unsrer Not und Pein; / mit Ingrimm müssen wir das grause Bild beschauen / und stets uns fragen : muß das sein? / Die Frage kann uns wohl zu denken geben, / doch damit ist noch nichts getan, / ein jeder lerne proletarisches Gefühl zu heben, / auf daß wir schreiten Mann für Mann­ / Es ist ja schön und gut, wenn wir uns Treu’ geloben, / zu kämpfen für das hehre Ziel, / wird aber damit Geist und Mut gehoben / durch dieses eitle und frivole Gegenspiel? / Wacht auf deshalb, Kollegen, in den Gauen, nur uns, den Schaffenden, gebührt die Macht, / damit auch wir ein bess’res Los erschauen,­ / und du, mein lieber „Gutenberg“, halt treue Wacht ! Franz Wessely (Wien).

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