Hermannstädter Zeitung, 1997 (30. évfolyam, 1510-1555. szám)

1997-02-07 / 1510. szám

Hermannstädter Zeitung Nr. 1510/7. Februar 1997 REPORTAGE Seite 4 „Wir müssen nicht weglaufen" (Fortsetzung von Seite 1) lediglich 54 Deutsche sind. 1.060 sind Rumänen und 1.105 Zigeuner. Letzteren gehört die Zukunft: 85 Prozent aller schulpflichtigen Kinder stellen die Zi­geuner. Lienerth sieht darin eine Herausforde­rung. Als er sich entschloß, für das Bür­germeisteramt zu kandidieren, wollte er das zuerst auf den Listen des Forums tun. Da er aber merkte, daß sich in Her­­mannstadt „nichts bewegte", sagte er zu, als die Agrarier ihm die Kandidatur an­trugen. So vertritt er heute die PDAR. Als Geschäftsmann angefangen hat Lienerth nach 1990 mit einer Bäckerei un­ter dem Namen Und GmbH neben dem Neppendorfer Bahnhof, die teilweise durch Vermittlung des Forums ausgestat­tet wurde. 1991 gründete er eine weitere Bäckerei (Partner GmbH) in Burgberg. Hinzu kam kurz darauf die Firma Sivu­­rom (d. h. Sibiu, Vurpăr, România). An al­len ist er zu 50 Prozent beteiligt. Sivurom verfügt über eine Molkerei, die u. a. fri­sche Milch in Plastiktüten, Schafskäse, Butter und Rahm nach Hermannstadt lie­fert und betreibt fünf Gemischtwarenlä­den (drei in Burgberg und je einer in Thalheim und in Rothberg). Rund 30 Ar­beitsplätze hat Lienerth mit seinen Fir­men geschaffen. Arbeit gibt es genug, meint er. Was fehlt, ist das Geld. Er würde sich freuen, wenn ein ausländischer Investor Interes­se an dem mehr als 200 Hektar großen Obstgarten anmelden würde. Von hier aus wurden seinerzeit Apfel exportiert und hohe Gewinne erzielt. Heute liegt al­les brach. Die Staatsfarm ist bankrott, die Baumbestände sind überaltert. Auf rela­tiv großen Strecken ist der Zaun einfach verschwunden, und die Schafe weiden unter den Apfelbäumen. Eine Lösung wäre, die derzeitigen Aktionäre in den Besitz ihrer Grundstücke zurückzuver­setzen, sagt Bürgermeister Lienerth. Als er die Zügel im Dorf übernahm, gammelten auch die öffentlichen Gebäu­de schon mehr als zehn Jahre still vor sich hin. In dem halben Jahr, seit er amtiert, hat Lienerth das Rathaus und die Polizei­station auf Hochglanz gebracht, die Rin­nen und die Dächer der beiden Gemein­desäle instandgesetzt bzw. erneuert und die ehemalige deutsche Schule frisch streichen lassen. Hier ist der Kindergar­ten untergebracht, in dem Katharina Ste­phani eine deutsche Gruppe mit 27 Kin­dern betreut, von denen drei Deutsche sind. Die acht Kinder, die Liliana Marin in den deutschsprachigen Klassen I-IV si­multan unterrichtet, haben ihre Klasse im Gebäude der rumänischen Schule unter­gebracht. Der Bürgermeister selbst hat sechs Kinder. Das jüngste ist drei, und der älteste Sohn ist 18. Nach der IV. Klasse ge­hen bzw. gingen sie in die rumänische Schule. Das mache nichts. Nach Her­mannstadt zu fahren sei eher ein Pro­blem: „Lieber bleiben sie unter unseren Augen. Deutsch können sie weiter in der Familie sprechen oder in der Kirche, und außerdem können wir über eine Satelli­tenschüssel deutsche Fernsehsender emp­fangen." Hat er nicht ans Auswandern gedacht? „Ein Gläubiger bleibt dort, wo ihn Gott hingesetzt hat", sagt Lienerth. „Ich selbst bin Mitglied der evangelischen Kirchen­gemeinde. Meine Frau und ihre Familie gehören zur deutschen Baptistengemein­de." Die Lienerths haben auch keine RU­­Nummer beantragt. „Ich hoffe, daß es auch bei uns aufwärts gehen wird. Das wird man aber wohl erst 1998 spüren", sagt der Bürgermeister realistisch. Es ge­be schon Augenblicke, wo ihm Zweifel kämen, z. B. wenn einer hinter seinem Rücken fragt: Warum soll uns ein Deut­scher führen? „Es gibt leider auch solche Leute, die uns nicht sehen können, aber das ist nicht die Mehrheit. Deshalb müs­sen wir nicht weglaufen." Stolz ist Michael Lienerth darauf, daß es ihm gelungen ist, noch 17 Hektar von dem ehemals sächsischen Besitz für die früheren Besitzer zurückzuerhalten. Es handelt sich um einen Teil des Bodens, den die Sachsen 1990 beantragt hatten. Inzwischen sind einige von ihnen ausge­wandert, und deren Anträge wurden ein­fach auf Eis gelegt. Bis 1996 konnten die Deutschen in Burgberg nur 16 Hektar Bo­den ihr eigen nennen. Nun haben sie ins­gesamt 32 Hektar. Es sei zwar kein Ackerboden, sondern Weidegrund, aber darauf könne man durchaus eine kleine Farm aufbauen und etwas Vieh - Kühe, Schafe, Büffel - halten. Ein Arbeitstag des neuen Bürgermei­sters zählt meistens bis zu 14 Stunden. Er habe zu Beginn seiner Amtszeit über­haupt keine Zeit zum Nachdenken ge­habt. Er mußte gleich handeln, um die rund 244 Millionen Lei Staatsgelder, die dem Dorf zugeteilt worden waren, nicht durch Untätigkeit zu verlieren. Er inve­stierte das Geld außer in die Gebäude­reparatur auch in die Renovierung und den Neubau von drei Brücken und drei Kilometern Straße. Mehr war nicht mög­lich, weil monatlich rund 30 Millionen Lei an Sozialhilfeempfänger ausgezahlt werden müssen. Von den 300 Familien, die Sozialhilfe beantragt hatten, wurden 170 auch als tatsächlich bedürftig einge­stuft. Diese Leute könnten im Gegenzug zur Mitarbeit bewegt werden, überlegte Lienerth. Das gelang einmal: Bis sie ihr erstes Geld erhielten, halfen sie bei den Renovierungsarbeiten im Dorf mit. Lienerth und sein Vize Cornel Aldea stellen einstimmig fest: „Niemand kommt zum Bürgermeisteramt, um seine Dienste anzubieten - alle wollen etwas haben, vor allem Geld." Andererseits sei es schwierig, die Gebühren und Steuern einzutreiben. „Es gibt Leute, die ihre Wei­detaxen seit 1995 nicht mehr bezahlt ha­ben." Dies und zahlreiche Diebstähle ste­hen auf der Tagesordnung. Der Ortspoli­zist Alexe Chiper nimmt es gelassen. Er meint, gestohlen werde wegen den sozia­len Problemen und der Trinkerei. Viele würden straffällig, weil sie ganz einfach Hunger haben. In der Nacht vor unserem Besuch (am letzten Samstag) hatte ein junger Zigeuner von einer alten Rumänin eine bis aufs Brot komplette Mahlzeit ge­stohlen: Schweinebraten, Eier und Schnaps. Schlimm steht es mit der ärztlichen Be­treuung. Im Ort gibt es zwar zwei Ärzte, doch fehlt der eine, will der andere dieje­nigen, die nicht auf seiner Liste stehen (ihn also nicht zum Arzt ihres Vertrauens, sprich Hausarzt, gewählt haben) einfach nicht untersuchen, geschweige denn ih­nen Medikamente verschreiben, weil es ihm nichts bringt. Die Dorfbewohner hat­ten die Möglichkeit, sich einen Hausarzt zu wählen. Jetzt haben sie die Qual, falls gerade „ihr" Arzt fehlt. Diese Regelung müsse schleunigst geändert werden, sagt Lienerth, so daß die beiden Ärzte sich ab­wechseln können. Eine Gemeindeschwe­ster gibt es nicht. Die gebürtige Burgber­gerin Sofia Weinhold, die lange Zeit als Krankenschwester im Lutherspital in Hermannstadt gearbeitet hat, lehrte die Kindergärtnerin einiges, und sie hilft selbst oft aus, wenn es nottut. Frau Wein­hold betreut auch das kleine deutsche Ortsforum. Die größten Schwierigkeiten gibt es je­doch in der Landwirtschaft. Die hohen Preise für Landmaschinen, Dünger und Saatgut wirken entmutigend auf die Bau­ern, und so liegen viele Hektar Land ein­fach brach. Die zwei gleich nach 1990 ge­gründeten landwirtschaftlichen Vereine sind bankrott gegangen, nachdem sie Kredite aufgenommen hatten. Jetzt gibt es noch einen Verein, der einen Billigkre­dit erhalten hat und sich mit der Schwei­nezucht über Wasser hält. Gleich bei der Dorfeinfahrt stehen die verwahrlosten Stallungen und Speicher der ehemaligen LPG. Sie gehören einer Bank, seit die Fir­ma, die sie seinerzeit gekauft hatte, bank­rott gegangen ist. Bis jetzt hat sich kein Käufer dafür gemeldet, trotz wiederhol­ter Inserate in der Presse. Lienerth ist ein Hierbleiber, aber er denkt auch an die ausgewanderten Burg­berger: Als der Verein der Helfer Alko­holabhängiger und anderer Drogensüch­tiger anfragte, ob das Pfarrhaus für ein Rehabilitationsheim für alkoholkranke Frauen zur Verfügung stehe, meinte der Bürgermeister, dort könne man ja auch ein Gästehaus einrichten für jene Burg­berger, die zu Besuch kommen, aber kei­ne Bleibe haben, weil sie ihre Häuser ver­kauft haben. Von Bezirksdechant Klaus- Peter Barth erfuhren wir, daß das Pfarr­haus dennoch dem Verein zur Verfügung gestellt werde. Ein Gästehaus könne man in der ehemaligen Predigerwohnung ein­richten, die sehr malerisch liegt, bei der allerdings noch die Eigentumsverhältnis­se zu klären wären. Beatrice UNGAR Die ehemalige deutsche Schule, heute Kindergarten mit zwei rumänisch- und einer 27köpfi­­gen deutschsprachigen Gruppe (in der aber nur drei deutsche Kinder sind). Prachtvolle Grabsteine - Zeichen einstigen Wohlstands auch auf dem evangelischen Friedhof von Burgberg. Fotos: Reinhold GUTT Michael Lienerth vor seinem Amtssitz.

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