Hermannstädter Zeitung, 2008 (41. évfolyam, 2063-2113. szám)

2008-01-04 / 2063. szám

nermannstaöter Zeitung Nr. 2063 / 4. Januar 2008 GESELLSCHAFT Seite 4 (Fortsetzung von Seite 1) und in der Allgemeinschule Nr. 6 gestaltet. Nach dem Gottesdienst am er­sten Weihnachtstag in Kerz machte sich Pfarrer Michael Re­ger in den Krautwinkel auf. In Tartein war um 14 Uhr Kirche angesagt. Ich hatte mich einla­­den lassen und begleitete ihn nun dorthin. Die Eiseskälte hatte etwas nachgegeben, doch der Schnee beherrschte die Auen und Hügel entlang des Alt. Ne­belschwaden, die sich über dem Arpascher Stausee entwickelt hatten, rückten manchmal nahe heran. In Viştea de Jos hielt Pfar­rer Reger vor einem Bohlenhaus an und hupte zweimal. Ein klei­nes altes Mütterchen, Alida Pi­pei, trat hervor, wünschte uns „Glücklich Fejertaich!" und stieg gewandt in den Bus. Die aus Gürteln stammende Frau lebt seit 1968 in der rumänischen Ortschaft. Ihr erwachsener Sohn, erzählte sie, liege mit schweren Prellungen im Rückenbereich im Bett, den Weihnachtsgottes­dienst in Tartein wolle sie den­noch besuchen. In Kleinschenk/Cincşor, das am rechten Altufer liegt, leben zwanzig Sachsen. Sie und die in Großschenk /Cincu wohnenden achtzig evangelischen Mitglie­der betreut der Frecker Pfarrer Gerhard Kenst. Als wir den Alt bei Voila überquert hatten und durch die nördlich liegenden zwei Ortschaften fuhren, schrit­ten Burschen in rumänischer Tracht durch die Straßen. In Kleinschenk versuchte ich das Geburtshaus des Schriftstellers Andreas Birkner zu orten. Die mächtigen Bauernhäuser auf der linken Straßenseite, wo es steht, haben ihr sächsisches Ge­präge zum Teil verloren, so daß ich auf Schwierigkeiten stieß und mich nicht festlegen konn­te. Das Haus würde sich noch in der Hand der Birkners befinden, hatte mir am Abend davor Jo­hann Bertleff versichert. Insge­samt haben die neuen Besitzer der Häuser, hier in Kleinschenk, wie auch in anderen ehemaligen sächsischen Ortschaften, keine Bedenken, sie nach eigenem Ge­schmack und eigener Tradition zu verändern. Vermutlich hätten die Sachsen im umgekehrten Fall genauso gehandelt. In Großschenk winkten uns mehrere Frauen zu, sie kamen gerade aus dem Gottesdienst und hätten den Wagen des Ker­­zer Pfarrers erkannt, der mehre­re Monate auch diese Ortschaft betreut hatte. Wir fuhren an Er­hard Antonis Haus vorbei, des sächsischen Volkskundlers> das still und verwaist am Markt­platz steht und bogen nach We­sten. Pfarrer Reger zeigte mal auf das eine, mal auf das andere Haus: „Dort wohnt ein Sachse und dort wohnt ein Sachse und dort..." Bei solchen Feststellun­gen kann man wehmütig oder wütend werden. Im Winter 1979 fuhr ich nach Nordsiebenbür­gen und entdeckte, was mittler­weile längst auch in Südsieben­bürgen angekommen ist: die aüfgegebenen sächsischen Ort­schaften. Michael Gross, damals Stadtpfarrer von Bistritz, und Vikar Hans-Karl Heinrich er­klärten mir, was ich nicht bereit war zu akzeptieren, meine Ver­wandten und Freunde sowieso nicht: den Anfang vom Ende. Im Winter bereitet die Schen­ker Höhe den Autofahrern große Schwierigkeiten. Bei Neuschnee und Glatteis bleiben sie mit ihren Fahrzeugen hän­gen. Hier fuhr Pfarrer Reger ein­mal in eine Schneewehe hinein, die ihm den vorderen Teil des Kleinbusses fast ganz ver­schlang. Auf der anderen Seite des Berges liegt der Krautwin­kel, eine raue Gegend mit tiefen Tälern, sanften Hügeln und großen Wäldern. Hier begrüßen sich Fuchs und Hase, Wild­schwein und Rothirsch, Bär und Wolf. Mäusebussarde mit großen Schwingen erhoben sich und flogen über den Mühlgra­ben, dessen Verlauf die Straße bis Braller/Bruiu folgt. Wir be­gegneten zwei Füchsen und zwei Rehrudeln, die unseren Weg kreuzten und im verschnei­ten Dickicht verschwanden. In Martinsberg /Somartin, der ent­ferntesten Ortschaft auf unserer Fahrt, hielten wir an und nah­men Frieda Schmidt (63) und Jo­hann Binder (55) mit, die unter­halb der Kirche auf den Wagen warteten. Für die zwölf Sachsen im Ort hatte Pfarrer Reger auch eine Weihnachtsgabe mitge­bracht, die jeweils aus einem Päcken mit Orangen und Man­darinen bestand. Er übergab sie Margarethe Arz (69), die den Auftrag erhielt, sie entspre­chend zu verteilen. Wir machten kehrt und fuhren zurück nach Braller, wo Paul Ehrmann (44), und Michael Ehrmann (56) mit Frau und Sohn Michael (11) zu­stiegen. Der Gemeinde gehören acht Mitglieder an, fünf davon wohnen im Ort. Ihre Geschenke sollten sie erst auf dem Heim­weg erhalten. Bei der neuen Brücke über den Mühlgraben war am Abend davor ein Perso­nenkraftwagen ins Rutschen ge­kommen. Auf die Unfallstelle und den Schaden am Brücken­geländer machten sie uns auf­merksam. Als wir in Tartein/Toarcla an­kamen, läuteten die Glocken. Der mächtige Turm und die um 1280 errichtete romanische Basi­lika, die inmitten der Ortschaft stehen, beeindrucken jeden Be­sucher. Kurator Brandsch emp­fing Pfarrer Reger und die acht Gäste vor dem Burgtor und führte sie durch einen Arkaden­gang in einen Raum der alten Schule. Ein reich geschmückter Weihnachtsbaum, den die Bral­ler aus ihrem Tannenbestand in­nerhalb der Kirchenburg ge­spendet hatten, stand links vom einfach hergerichteten Altar. Rechts befand sich ein hoher Ka­nonenofen, der den Raum er­wärmte. Hier fand der Weih­nachtsgottesdienst der vier Krautwinkelgemeinden statt. Neun Frauen (darunter die zwei 17jährige Zwillingsschwestern Hannelore und Katharina Brandsch) und neun Männer (darunter der 11jährige Micha­el), mich eingeschlossen, nah­men daran teil. In Kerz hatte die Orgel den Ton angegeben, in Tartein waren es die Frauen mit ihren schönen Altstimmen. Erin­nerungen an die Gottesdienste in Jaad, Moritzdorf oder Klein­­bistritz im Nösnerland, die nicht viel anders als dieser in Tartein verliefen, wurden wach. Für die kleine Schar, die stets in einem Raum eines Pfarrhauses zusam­menkam, war es stets eine Feier des Wiedersehens, wenn der Pfarrer nach mehreren Wochen einen Gottesdienst hielt. Der hatte oben im Norden Sieben­bürgens mitunter zwanzig Orte zu betreuen. Die 20 Tartler, die der Kirchengemeinde an­gehören, haben da mehr Glück, denn Pfarrer Reger hält im Krautwinkel jeden zweiten Sonntag Kirche, der Reihe nach in jeder einzelnen Ortschaft. Wer daran teilnehmen möchte, karrt er heran. Aus Kerz fährt öfters Kirchenvater Martin Sze­gedi mit. Maria Brantsch (44), Anna Bartel (73), Katharina Bartel (76) und Elfriede Hodnoghy (50) hatten im selben Raum, wo der Weihnachtsgottesdienst statt­fand, einen Tisch für die Gäste und anwesenden Tartler ge­deckt. Man saß danach bei Ge­bäck, Kaffee und einem Glas Wein zusammen, führte Ge­spräche und tauschte Erfahrun­gen aus, Christlieder wurden angestimmt. „Kommt, hört die Engel singen" ist ein Weih­nachtslied, das scheinbar nur in Tartein gesungen wird. Pfarrer Reger meinte, daß er es nur hier gehört hätte. Aus der Unterhal­tung mit Kurator Brandsch ging hervor, daß die Gemeinde im letzten Jahr große Anstrengun­gen unternommen hat: An Kir­che und alter Schule führte sie Reparaturarbeiten durch und ließ die schadhaften Rinnen er­neuern. Ein Gang durch die Ortschaft offenbarte uns ihren ruinösen Zustand. Häuser in jeder erdenk­lichen Verfallserscheinung sind im sächsischen Teil anzutreffen. Bäume und hohe Sträucher ra­gen aus den Ruinen, nicken ei­nem aus den Fenstern entgegen. In der Neugasse suchte ich nach dem Haus der Katharina Theil. 1978 hatte ich die 80jährige Frau kennengelernt. Bis 1983, als sie starb, schickte sie mir 40 Briefe, in denen sie ihr verhängnisvolles Leben aufschrieb und mir die Zerstörung ihrer Heimat schil­derte. Von dem 1879 errichteten Giebelhaus sind nur leere Mau­ern und Steine übriggeblieben, von den bemalten Möbeln ver­moderte Holzstücke. Strauch­werk hat darüber hinaus alles, wie ein Dornröschenschloß, überwachsen. „Honnes, bäst te derhim, kämm eröis!" Wir waren in Gür­teln angekommen und blieben vor dem Tor eines der Häuser an der Dorfeinfahrt stehen. Es dämmerte bereits, über dem Schwengelbrunnen gegenüber glitzerten die ersten Sterne. Jo­hann Ongherth, 49, war zuhau­se, er übernahm die vier Weih­nachtspäckchen, die für Gürteln vorbereitet worden waren und erzählte, daß er der einzige Ein­wohner der Gasse sei, alle ande­ren Häuser würden leer stehen. Er könne noch so laut rufen, kei­ner würde ihn hören. Vor zwei Wochen, am 13. Dezember, hatte er seinen 78 Jahre alten Vater Georg Ongherth beerdigt, der auf die alten Tage im „Carl Wolff'-Altenheim in Hermann­stadt untergekommen war. Pfar­rer Reger hatte den Toten nach Gürteln zurückgebracht, auf dem Weg dorthin aber alle Tart­ler, die dem Begräbnis beiwoh­nen wollten, gleich mitgenom­men. Zwanzig Männer und Frauen standen darauf am Grab und nahmen Abschied von ei­nem Mann, der zu ihnen gehört hatte, der in den Krautwinkel zurückgekehrt war. Hier in Gür­teln, in der kleinsten der vier Ortschaften, stand einst der Krautwinkel, ein Stück Land, worauf Kraut angebaut wurde, es gab der Gegend den Namen. Vor zwei Jahren riß der Bär, der aus den Wäldern kam, die bis zum Alt reichen, zwei Büffel­kälber. Sie hatten Michael Ehr­mann gehört. Davon und von den Inschriften, die einst die Hausfassaden in Braller schmückten, erzählte uns der Mann auf der Rückfahrt. Ehr­mann ist Viehzüchter geworden, Kühe, Büffel, Pferde und Schafe zählen zu seinem Bestand. „Auf dem Rücken der Pferde ruht das Paradies der Erde", zitierte er ei­nen Spruch. Eine andere In­schrift, die mit entsprechenden Illustrationen versehen war, wurde als eine der letzten von den neuen Hausbesitzern über­tüncht. „So hab ich mir vorge­nommen, durch die ganze Welt zu kommen", rief ein junger Sol­dat, der auf die linke Fassaden­seite gemalt worden war, in die Welt hinaus. „Wer weiß, wie es dir wird glücken, da ich durch wollt, mußte ich mich bücken!" entgegnete ihm weise das ge­beugte, auf einen Stock sich stützende Mütterchen daneben. 2007 hatten die Sachsen in Bral­ler vor, 700 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung der Ortschaft zu feiern, doch das Bürgermeisteramt widersprach. Als die Braller aus dem Bus stiegen, rief Pfarrer Reger ihnen nach: „Der nächste Gottes­dienst, am Neujahrstag, findet, wie abgesprochen, hier statt". Eigentlich hätte der im Martins­berger Pfarrhaus abgehalten werden sollen, doch dessen elektrische Anlage hatte zu strei­ken begonnen. Frieda Schmidt und Johann Binder wollten alles in die Wege leiten und sie end­lich reparieren lassen. Von Mar­tinsberg aus fuhren wir weiter nach Süden, dem Alttal entge­gen. Pfarrer Reger hatte einige Bedenken, auf der vor uns lie­genden Strecke war er in einem Winter ins Schleudern geraten und in einen tiefen Graben ge­rutscht. Sechs Stunden mußte er in Eiseskälte auf Hilfe warten. Wir schafften den Weg. Am Staudamm Unterarpasch über­querten wir den Alt. Die Lam­pen, die das Kraftwerk beleuch­teten und sich im Wasser des Stausees spiegelten, wurden von dünnem Nebel umweht. Hinter uns blieben Ortschaf­ten, blieben Menschen zurück, die mit den Widrigkeiten der Natur zu kämpfen haben, der Willkür der Behörden mitunter ausgesetzt sind, den Anforde­rungen, die man an sie stellt, nicht immer gewachsen sind. Sie haben Kirchen, Kirchenbur­gen, Pfarrhäuser in ihrer Obhut, deren Pflege ihre Kräfte und Mittel überfordern. Überall feh­len die leistungsfähigen Jahr­gänge, die 30-, 40- und 50jähri­­gen, die Abhilfe hätten schaffen können. Die hier aufwachsen­den Kinder werden wohl, wenn sie erwachsen sind, der deut­schen Sprache nicht mehr mäch­tig sein. Schulen, die ihnen dies­bezüglich helfen könnten, sind zur Zeit nicht vorhanden. Als wir spät abends in Kerz ankamen, hatten wir 120 km zurückgelegt. Ich dachte noch lange an die liebenswürdigen Menschen, die wir in den vier Gemeinden angetroffen hatten, an ihre Nöte. Der Weihnachts­gottesdienst in Tartein gehörte sicherlich zu ihren Freuden. Friedrich SCHUSTER Weihnachtsfahrt in den Krautwinkel Kurator Martin Brandsch vor der Kirche in Tartein. Foto: der Verfasser

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