Kaschauer Zeitung, Januar-März 1873 (Jahrgang 35, nr. 1-26)

1873-01-01 / nr. 1

: ES 1872 ERG veranlaßt sah, seinen Tadel hierüber in­­­­ heftigsten Weise auszusprechen, wozu sich noch vor wenigen Tagen das Abbrechen der diplomatischen Beziehungen der römischen Curie mit der eidgenössischen Regierung gesellte. — Seitdem die liebevolle Königin Isabella nicht nur fern von Madrid sondern auch Auberg der Grenzen Spaniens weilt, ringt dieses unglückliche Land noch immer vergebens nach der Gestaltung geordneter und besserer Zustände, indem es durch die Wühlereien gewissenloser Kronprätendenten und fana­­tischer Priester bisher daran verhindert wurde. Der junge König aus dem Hause Savoyen hat sich bis jezt nicht als der Mann bewährt, welcher den dortigen außerordentlichen Schwie­­rigkeiten gewachsen wäre, sondern er schwankte zwischen den Parteien und mit dem Schlusse dieses Jahres sind es die Ra­­dikalen, die unter dem Ministerium Zorilla maßgebend sind für die Beschaffenheit der Regierung. In Oesterreich waren es bisher die Rückfälle in die spanische Hauspolitik, welche der stetigen Entwicklung einer freisinnigen Staatsverfassung hindernd entgegen­wirkten, und nachdem der Versuch regett ven Bestand des Staates auf das Aeußerste gefährdet hatte, scheint es, daß endlich das verfassungstreue Ministerium Auersperg-Lasser den Beruf er­­füllen wird, mittels der Einführung von directen Wahlen der Reichsrathsabgeordneten die öffentlichen Zustände in Oester­­reich dauernd zu verbessern. Mit Bezug auf den Fortschritt in freisinniger Richtung steht allerdings von diesem Ministerium „nicht viel zu erwarten, weil dies in Oesterreich wie in Ungarn ganz und gar keine kirchenpolitisce Frage ist, deren gelungene Lösung vorerst in Deutschland und in Italien bewerkstelligt werden muß, worauf sich dann die Wirkungen hievon auch bei uns zu Lande mit unabweis­­barer Nothwendigkeit fühlbar machen werden. Das verflossene Jahr brachte uns in Ungarn wenig Er­­freuliches, denn wir leiden am Schlusse desselben an den Fol­­­gen einer Mißernte und einer fehlerhaften Finanzpolitik, wäh­­rend unsere Verwaltungszustände sich keines­wegs gebessert hat ben. Das Ministerium Szlavy besteht außer dem Handels­­und dem Honvedminister aus denselben Männern, wie das vo­­­rige und es hat daher nicht lange vor Schluß dieses Jahres­­ seine eigene Erbschaft angetreten. Herr v. Szlávy hat sich zwar berechtigte Ansprüche auf das Vertrauen des Landes erworben, allein er bedarf zur Verwirklichung seiner Absichten der geeig­­­­neten Hilfskräfte im Gesammtministerium und wir zweifeln,­­ daß dieselben dort vorhanden sind. Es wird sich bald zeigen,­­ ob unser Zweifel gegründet war, und es ist unser Wunsch, sich diesmal geirrt zu haben. Für die künftige Wohlfahrt der Stadt Kaschau wurde das abgelaufene Jahr insbesondere dadurch bedeutungsvoll, weil die gesetmäßige Neuwahl der Stadtrepräsentanz und die Beamtenrestauration in diesem Jahre stattfand. Bei dieser Wahl, in welcher sich die beiden großen politischen Parteien ge­­genüber standen, siegte die Linke, während die Denkpartei bei­­ der vorhergegangenen Repräsentantenwahl siegreich geblieben war. Gewiß bleibt es, daß der abgetretene Gemeinderath und der bisherige Magistrat ihren Nachfolgern im Amte und in der­­ Würde reichlich zu thun überlassen haben. Um so ehrenvoller wird es nun für die linke Partei in unserer Stadt sein, wenn sie durch die Thätigkeit ihrer Mitglieder in der Vertretung unseres Gemeinwesens den thatsächlichen Beweis zu führen ver­­mag, daß sich in ihren Reihen die besseren Männer befinden. Mit Redensarten ist uns von keiner der beiden Parteien ge­­dient und wir müssen sie im Geiste des Evangeliums nicht nach ihren Worten, sondern nach ihren Werken beurtheilen. Pacta loquuntur ! Heute befinden wir uns schon in der angenehmen Lage, bezeugen zu können, daß sich allenthalben in der Ge­meindeverwaltung, insbesondere aber bei dem Bürgermeister­­amte und der Stadthauptmannschaft eine größere Energie, so­­wie ein besserer Wille erkennen lassen. Insbesondere verdient , die aufopfernde und erfolgreiche Thätigkeit hervorgehoben zu werden, welche von Seite der städtischen Behörden während der jüngsten Heimsuchung unserer Stadt durch die­­ an den Tag gelegt wurde. Indem wir noch bemerken, daß die Beschaffenheit und der Gang der wichtigsten politischen Ereignisse, während des verflossenen Jahres ein unzweifelhaftes Zeugniß ablegen, wie im Allgemeinen innerhalb der menschlichen Gesellschaft das­­jenige herrscht, was überhaupt durch die vernünftigen Anstren­­gungen der Menschen nach dem Wahl­spruche Dahlmanns er­­reicht werden kann. Kemlich „der Fortt­ritt", wünschen wir schließlich den Lesern und den Freunden u­nseres Blattes: „Ein glückliches neues Jahr!“ | Heweite Nachrichten. Ungarn. Pest, 27. December. Der Minister des Innern übersandte heute an die Vertretungskörper von Pest, Ofen und Altofen eine Verordnung, in welcher er dieselben zur Wahl der 34er Commission, welche die Vorarbeiten zur thatsächlichen Vereinigung und Organisirung dieser Städte zu beendigen haben wird, auffordert. Die Commission muß bis zum 6. Jänner gewählt sein. Oesterreich. Wien, 28. December. Die „Presse“ meldet: Der Finanzminister bewilligte der Südbahn Die Emission von 30 Millionen dreiprozentiger Prioritäten Li­­tera­t, erklärte aber die Versagung weiterer Geldaufnahme vor Trennung des österreichischen und italienischen Bahnnetzes. — Zu der heutigen Offertverhandlung über das galizische Bahnnetz auf Grund der Concession des Gesetzes vom 14. Juni 1872 ist wegen dessen Normen kein Offerent erschienen und schloß daher resultatlos. — Der bis Ende December eingerichtete Getreidetarif von der südöstlichen und Neu-Szönyer Linie der Staatsbahn nach Lindau wird bis Jänner 1873 in Wirksamkeit bleiben. — Die Einladungen zu den Special-Conferenzen über die Wahlreformgesetze sind bereits ergangen ;­­ die Conferenzen beginnen am 3. Jänner 1873. — Prag, 27. December. Nachträglich­ sind unerwartet viele Staatssubventionsgesuche von Geistlichen eingelaufen, so daß die für Böhmen bestimmte Subvention ziemlich erschöpft ist. — Der Pfarrer Kohout in Wischerup­­ wurde über bi­­schöflichen Befehl suspendirt, zur Niedergabe­­ des Pfarramtes gezwungen und die Suspension in der Kirche versü­ndigt, trogdem drang Kohout in die Kirche und verrichtete den Gottesdienst. Deutscland. Berlin, 27. Be Fürst Dismarc empfing gestern den österreichischen Botschaf­ter und hatte mit demselben eine längere Besprechung.­­ Frankreich. Paris, 25. December. Berichte aus Rom melden, daß König Ludwig von Baiern es übernommen habe, den König Franz von Neapel zu einem versöhnlichen Aus­­gleiche mit dem König Victor Emanuel zu bewegen. England. London, 27. December. Die „Times“ meldet : Die Khiwaner sind in das russische Gebiet eingefallen. 9000 Mann belagern die Forts von Alt- und Neu-Emba; 2000 haben an dem Flusse gleichen Namens Posto gefaßt. Rußland hat Verstärkungen dorthin abgesendet. Rus­­land. Petersburg, 25. December. Der „Re­gierungsanzeiger“ veröffentlicht ein Bulletin über das Befinden des Großfürsten-Thronfolgers, wonach derselbe schon seit 19. November erkrankt ist. Seit 19. December bed­arirte sich die Krankheit bestimmter als en. Der Zustand des Kranken ist nicht unbedenklich, jedoch sind im STE seine gefährlichen Symptome vorhanden. Das heute Vormittags abgegebene Bulletin meldet: Die Nacht war schlaflos, doch ruhig. Das Fieber ist nicht in Abnahme ; übrigens sind keine wesentlichen Veränderungen eingetreten. Rumänien. Bukarest, 27. December. Die Kam­­mer votirte 130.000 Frances für die Wiener Weltausstellung. Die Bukarester Municipalität beschloß eine neue, durch halbjährige Annuitäten amortieirbare Anleihe von 8 Millionen zu kontrahiren. Offerte für diese Finanzoperation werden bis 22. Jänner entgegengenommen. Amerika. Newyork, 26. December. Es treffen zahlreiche Nachrichten von Unglücksfällen auf der See hier ein. — In Folge starken Schneefalles ist der Handels- und Schiffverkehr zeitweilig gehemmt. — Der König der Sandwichs-Inseln ist gestorben ; ein Nachfolger ist noch nicht bestimmt. Lofal-Nachrichtenl­ eute sind es fünfzig Jahre, daß der größte und genialste Dichter Ungarns, geboren wurde. Wahrlich, das schönste Neujahrsgeschenk, welches das gütige Schisal unserem Vaterlande machen konnte ! Ein Dichter, ein echter Sänger von Gottesgnaden, der die Besten seiner Zeit an Genialität überragt, sich in sechs kurzen Jahren die Unsterblichkeit erringt, und dann in großer Zeit im mannhaften Kampfe für eine gerechte Sache und eine große Idee untergeht, eine solche Erscheinung gibt es in der ganzen Weltliteratur nicht, Ungarn wird heute überall seinen großen Sohn feiern; wir unsererseits erfüllen unsere pa­­triotische Pflicht, indem wir des unsterblichen Dichters hier voll wehmüthiger Dankbarkeit gedenken. + Graf Georg Andrássy. Der gewesene Ober­­gespan des Säroser Comitates, Judex curiae, k. k. wirk­­licher geheimer Rath und kön­ ung. Oberst­ Mundscenk, verschied bei Wien nach längerer Krankheit in seinem 76. Lebensjahre­ gebracht, wo sie Die Leiche wurde von dort nach Krasnahorka in der Familiengruft zur ewigen Ruhe be­­stattet worden ist. Graf Andrássy war Gründer der ungarischen Akademie, Gründer der Theißbahn, in deren Verwaltungsrath seit ihrem Bestehen saß. hebenden Nachruf widmete ihm der Präsident des Oberhauses der altkonservative Majlath, in der Sitzung vom 23. Dec. — Bon Seite der hiesigen Gymnasial-Direction wird veröffentlicht , daß die wegen der hierorts herrschenden Cholera-Epidemie unterbrochen gewesenen Vorlesungen mit 7. Jänner 1873 wieder beginnen werden. — Schulungabricht. Die in Folge der Cholera- Epidemie einstweilen eingestellten Vorträge an der Kaschauer Staats-Ober-Realschule werden vom 7. Jänner 1873 wieder fortgefegt. Wozu sich sämmtliche Schüler dieser Anstalt ein­­zufinden haben. Ebenso wird auch der unterbrochene Abend- Unterricht für Erwachsene wieder aufgenommen. — Der Unterricht in der kön­ ung. Normal- Volksschule, welcher in Bezug der Epidemie sistirt worden, — beginnt nunmehr am 7. Jänner 1873 wieder, was hiermit von der Direction bekannt gegeben wird. — An der hierortigen israelitischen Volksschule wird der wegen Epidemie unterbrochen gewesene Unterricht, Sonntag am 5. Januar 1873, wieder aufgenommen. — Anzeige. Am hiesigen Stadthause erliegt eine goldene Broscke und eine silberne Uhr. Erstere ist bei der großen Kirche hier gefunden worden; letztere wurde einem Diebe abgenommen. Rechtmäßige Eigenthumsansprüche wollen an besagtem Orte geltend gemacht werden. Einen er­­ha ST TEE ET fra en Tee EEE I ET, Senilleton, mn ein Eisenbahnmorxrd. Aus den Erinnerungen eines Criminalbeamten. (Fortlegung.) Vor Allem schien mir geboten, von dem Vorfall selbst möglichst wenig an die Oeffentlichkeit dringen zu lassen, da­­mit nicht die etwaigen Verbrecher gewarnt werden könnten. So bat daher den Bahnhof­ Iuspector, allen seinen Unter­­gebenen im Interesse des Dienstes Schweigen über den Borg­fall aufzuerlegen und dieser, welcher mich vollkommen ber griff, beeilte sich, diesem Verlangen nachzukommen. Sodann schi>te ich das geschlossene Protocoll durch den Gerichtsboten an meinen Director und zeigte demselben mit einigen Zeilen an, daß ich einstweilen behufs weiterer mir erforderlich dün­­­ fender Schritte mein Hauptquartier auf dem Bahnhofe auf­­­ges<lagen habe, um nach verschiedenen Seiten hin zu tele­­­­graphiren und zu berichten, und entließ meine beiden Ge­richtsschöffen und den Kreisphysikus mit der Bitte, um­ halb 9 Uhr behufs der Legalinspection der Leiche wieder auf dem Bahnhof zu sein. Sobald ich auf dem Bureau des In­­spectors allein war, schrieb ih­­n die Polizeidirectionen in H. und K. einen bündigen Bericht, bat dort um genaue und vorsichtige Nachforschungen nach dem jungen Mädchen in Trauer und seinen Begleiterinen, hier um Auskunft, ob nichts Auffälliges nach der Ankunft des Schnellzuges bemerkt worden sei und ersuchte um schleunigsten Bericht über jedes­­ hierher relevante Judicium Sodann fragte ich, ob irgend­welches Gepäck für W. mit dem Schnellzuge angekomm­en und nicht abverlangt worden sei, was jedoch verneint ward, wie ich nicht anders erwartet hatte, und endlich telegra­­phirte ich auf alle Stationen südwärts die Bitte um Nach­­forschung und Angabe, ob längs der Bahn oder auf den Bahnhöfen, und namentlich in den Latrinen derselben nichts gefunden worden Nach den südwärts sei, was irgend­welche Anhaltspunkte gebe, gelegenen Stationen­­ aber, welche die Fortsetung des Schnellzuges bis zum­ Rhein berühren mußte, telegraphirte ich die Bitte, auf zwei ältliche Damen zu achten, welche in der Richtung von W. herkämen, und deren Gepäck genau in's Auge zu fassen. 34 sah voraus, daß ein mühevolles Tagewerk für Wochen vor mir lag und daß ich den beabsichtigten Urlaub für bevorstehende Weihnachten sc­hwerlich erhalten dürfte ; darum schrieb ich zugleich an meine Familie, um diese dar­­auf vorzubereiten. Soweit war ich min gekommen, und mit meinen Briefen in der Hand verließ ich das Bureau und begab mich in das Lokal des Bahnhof-Restaurant, um zu frühstücken und die beiden Züge zu erwarten, die hier mit Tagesanbruch in den Richtungen nach Süd und Nord vorüberkommen mußten und denen ich meine Schriftstücke für die Polizei-, Justiz- und Bahnbehörden mitzugeben hatte. Es war 7 Uhr 40 Minuten, und ich hatte soeben meinen Kaffee getrunken, als ich den von Norden kommenden Zug pfeifend sein Signal geben hörte und mich der Thüre näher­te. „Oh, es eilt noch nicht, Herr Assessor",­­ sagte der Restaurant, welcher seither mit mir über den Fall geplau­­dert hatte, „der Zug braucht noch sechs Minuten, bis er hereinkommt !“ und dann erzählte er mir weiter von einer Geschichte, welche einige Jahre früher in H. passirt war, wo er ebenfalls als Restaurant gewesen, und wo ihm ein Kind von etwa anderthalb Jahren zurückgelassen worden, dessen gewissenlose Mutter später in einer jungen Schau­­spielerin ermittelt ward. Hinter uns klapperte noch Theresy,­­ das Schulkm­äd­­chen, mit den Tellern, Tassen und Löffeln für die erwar­­teten Frühfu­i­sgäste unter den Passagieren, als der Zug anfuhr. Ehe aber die Locomotive noch an uns vorüber gekommen war, hörten wir einen Angstschrei und sahen, auf den Perron hinaustretend, alle Bediensteten des Bahn­­hofs nach einer bestimmten Stelle hineilen. „Was ist geschehen “" fragte ich. „Ein Unfall — ein Passagier ist herunter geschleu­­dert worden und gegen eine der Säulen gefallen“, hieß es. Als ich hinzutrat, sah ich im halben Zwielicht des ne­­beligen Morgens einen Herrn am Boden liegen, den jetzt einige Schaffner aufheben wollten, während eine aufwändig gekleidete Frau, dem Mittelstande angehörig, laut schreiend von einem der geöffneten Waggons herbeieilte und sich über ihn beugend, in böhmischer oder polnischer Sprache mit un­­gemeiner Zungenfertigkeit einen Schwall von Fragen an den todesbleichen, halb ohnmächtigen Mann richtete. „Er hat das Bein gebrochen und vermuthich auch einige Rippen“, sagte einer der Schaffner des Zuges: „Ich verwarnte ihn, herauszuspringen, solange der Zug noch im Gang sei, aber troßdem sprang er heraus und ward gegen den eisernen Pfeiler geschleudert mit einem Krach, als­ ob ihm alle Knochen im Leibe brächen !" „Wasser, Wasser !“ lispelte der Verwundete halb bes wußtlos und sah sich verwirrt um; „in den Wagen, in den Wagen ! will weiter fahren!" „Weder Herr, das geht nicht ! Sie bluten ja am Kopfe", sagte der Zugmeister ; „Sie haben das r­ote Bein gebrochen !" „Einerlei! nur fort, fort!" stotterte der Verwundete, sank dann aber sogleich in Ohnmacht. Er war ein unters fetter, stämmiger Mann von ungefähr 42 Jahren mit dunklem Teint, einem glattrasirten Gesicht, dessen vorste­­hende Backenfnochen, tiefliegende Schwarze Augen und harte Züge um die schmalen Lippen und das starke Kinn ihm etwas Unangenehmes gaben. Sein kohlschwarzes Haar 3

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