Kirchliche Blätter, 1898. Mai -1899. April (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1898-05-04 / nr. 1

———0­4 I dem Fr.Tr.Schuster in seinen eingangs angeführten historischen Untersuchungen die Entwickelung unseres Ge­­sangbuches dargelegt hatte,die Gesangbuchfrage in unserer Landeskirche allmählich in Fluß.Ebenso von Seite des von Rationalismus sich abwendenden religiösen Bedürf­­nisses als von Seite des ästhetischen Geschmackes wurde die Forderung nach Revision des Gesangbuches erhoben. Das Landeskonsistorium nahm die Sache in seine Hand, wobei es zunächst nur auf eine Reinigung des Textes und auf Vermehrung der Lieder abgesehen war.Erst als im Nov·­1890 das Kronstädter Presbyterium ein neues Gesangbuch für die gesamte Landeskirche in Anregung brachte,wurde n dchtangefaßt,unter Zugrundelegung der beiden jetzigen Gesangbücher ein völlig neues für alle unsere Gemeinden sherzustell.Die­ Zusammenstellung des Gesangbuches sowie im Zusammenhang damit die Abfassung eines Cho­­ralbuches übertrug das Landeskonsistorium im Januar 1894 einer Kommission,die unter dem Vorsitz des Bischofs D.Fr.Müller aus den Mitgliedern Dr.J.Bedenk-­ Scharberg,Heinrich Wittstock,Fr.Tr.Schuster,Fr.W. Schuster,Fr.Herfurth,J.L.Bella und Rudolf Lassel bestand.Auf Grund der Vorschläge dieser Kommission wurden von der 17.­Landeskirchenversammlung(1894) Bestimmungen über die Herausga­be des Gesangbuches festgesetzt,deren wesentlicher Inhalt etwa folgender war: In das neue Gesangbuch könnten außer Chorälen für den öffentlichen Gottesdienst auch Lieder,die dem Haus­­­gebrauch dienen,aufgenommen werden;jedoch seien sie an den Schluß der Sammlung zus stellen.Beizugeben seien Gebete,vorzüglich für das Bedürfnis von Haus und Familie,nicht ausgeschlossen auch­ in gebundener Form,dagegen hätten zu entfallen Liturgie und Perikopen. Die Zahl der Choräle solle 470 nicht übersteigen(darunter 50 neue),wobei neben dem Inhalt auch die Melodie einen wesentlichen Gesichtspunkt­ für die Aufnahme bilden solle­ anteris paribus sei Annäherung an die mittel­­deutschen Landeskirchen(Thüringen)anzustreben.Die Sprache solle,ohne Archaistisches auszuschließen und unter fVesi­teidnis der Verflachtung dZm­mer eb­ens Gebrauchd nahegebracht,da neben Übereinstimmung der Verszeilen mit der Melodie angestrebt werden. Kürzungen in der Strophenzahl werden als zulässig erklärt. „Der d­ogmatische Inhalt, sofern er in der Augustana seine Begründung findet, bildet seinen Grund weder der Ausschließung, noch der Änderung.“ Mit Berücsichtigung dieser Grundjäße, zu denen noch einige andere in Bezug auf die äußere Anordnung kommen, hat denn die genannte Kommission nach eingehen­­den Beratungen das Gesangbuch fertiggestellt, dessen erste Exemplare in diesen Tagen ausgegeben worden sind. In einem folgenden Auflag werden wir über die Einrichtung der neuen Gesangbücher handeln und in einem legten feinen Inhalt würdigen. Ad­arma! In diesen Tagen wird auch unter uns sehr viel von „geistlichen Hausbesuchen“ geredet. Die flapische und nicht deutsche Wortverbindung soll wohl lauten „Hausbesuche durch Geistliche.“ Der Ausdruch scheint auch nach einer anderen Seite hin sehr unglüclich gewählt zu sein: es hat nämlich nicht so bald jemand, der sich desselben bediente, genau gesagt, was darunter zu verstehen sei. Nur die Wirkungen werden ganz allgemein angedeutet, indem die evangelischen Geistlichen unablässig zu „Haus­­besuchen“ aufgefordert werden. Dieselben sollen einen nicht geringen Teil ihrer Amtsverrichtungen bilden: sie sollen Wunderdinge wirfen. Das Wachen und Blühen der evangelischen Kirche unter den eigenen Genossen wird geradezu von ihnen abhängig gemacht; das Hineintragen der Botschaft des Evangeliums in Stätten, wo sie bisher nicht gehört ward, ist durch sie zu erreichen. Es soll sein, wie etwa die Fortiegung des alten cogite intrare, gehet hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötiget sie hereinzufommen, auf daß mein Haus voll werde. Ob man übrigen. Ziele dieser Art, die auch die innere Mission sich steckt, mit dem Worte „Hausbesuche“ bezeichnet oder mit ihnen verbindet, ist schlechterdings sicher nicht zu sagen; in meiner Natlosigkeit viel ich nur nach dergleichen: ich mag auch falsch geraten haben. Das wäre man nicht meine Schuld, eher der Herren Schuld, die das Wort häufig im Munde führen, während sie nie angeben, was sie damit bestimmt meinen, oder wie es im Leben der Kirche zu verwirklichen ist. Denn über All­­gemeinheiten, über leise oft sogar schreckhafte Andeutungen, mit denen ein harmloses Gemüt nichts anfangen kann, gelangt man nicht hinaus. Es ist dieselbe­­­erlegenheit, die das Denken still stehen heißt, von der man beschlichen wird, offen gesagt, der tiefe Ingrimm, von dem man ergriffen wird, wenn man lesen muß, wie unsere soge­­nannten Frühficchen mißhandelt werden. Wohlan, diese Frühfichhen sind unzeitgemäß geworden, so mögen sie verschwinden, gleichwie manches andere unter solcher Last des Altertums veraltet dahinjanf. Aber sie als opus operatum zu lästern, sie höhnend zu verurteilen als Ausgeburten eines evangelischen Geistes, der fein selbst noch nicht klar und sicher war, ist ein pietätsloses Unter­­nehmen. Wohlan lastet uns radikal sein, wir haben nichts dagegen. Doch wissen wir, daß auch der Buchstabe solcher Deduktionen tödtet, der Geist aber, der die Frühficche erhielt, allein lebendig bleibt. Hier der Geist evangelischer Frömmigkeit, der in der Frühe de Morgens das stille Wehen eines Atemzuges Gottes spürte und lobpreisend betete: „Gottes ist der Orient, Gottes ist der Decident: Nord- und südliches Gelände Kuhn im Frieden seiner Hände.”

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