Kirchliche Blätter, 1911 (Jahrgang 3, nr. 1-52)
1911-06-10 / nr. 23
—277—— (im Unterschied von der durch Zuwachs von Freiwilligen sich rekrutierenden Kirche)ist um ihres volkspädagogischen Wertes willen vondechformatoren mit Entschlossenheit festgehalten worden.Wenn auch andere Ideale zurückgedrängt werden mußten,Luther wollte von der Freikirche nichts wissen.Die Geschichte hat ihm Recht gegeben.Die Kirche hat ihren entscheidenden Einfluß nur dadurch erhalten,daß sie Volkskirche war. Leider ist in der Zeit nach Luther der Grundsatz des allgemeinen Priestertums nicht verwirklicht worden. Die Kirche ist in Gefahr geraten,zu einem staatlich organisierten und regierten Verwaltungsobjekt und zu einer klerikal geleiteten geistlichen Versorgungsanstalt zu werden.Wenn trotzdem an der Volkskirche,und zwar in ihrer Gestalt als Landeskirche,solange das ohne Preisgabe des evangelischen Bekenntnisses geschehen kann,festgehalten werden muß,damit die Lebenskraft des Evangeliums an tunlichst Viele innerhalb des Volksganzen herankomme,so hat die Möglichkeit, in ihr lebendige Gemeinden zu schaffen, zur nächst als Glaubenslaß zu gelten. Damit stellen wir uns auf den Standpunkt Luthers. Die Voltgricche soll ihre Lebenskräfte an möglichst Vielen bewahren. Träger dieses Lebens ist die Laiengemeinde. Der alte Begriff der Parochie, bestimmt durch den Gedanken der Obrigkeit und des Pfarrerstandes , die Kirche sei eine geistliche Bevormundungs- und Versorgungsanstalt — muß durch unsere Arbeit eine Umwandlung erfahren, mit dem Gedanken des allgemeinen Priestertums muß Ernst gemacht werden, wenn auch Kirchenregiment, Lehrzucht, Pfarrerstand in Zukunft bleiben werden. Tatsache ist man — und durch sie erfährt der obige Glaubenstag eine Stärkung —, daß eine Volksfiche unter uns im Werden ist. Ihre Entwickklung wird ducch nichts so sehr gefördert wie dadurch, da die einzelnen Gemeinden zu selbsttätigem und selbstverantwortlichen Leben erweckt werden. Jede Bemühung um die Belebung einer Kirchengemeinde zu bewußtem Glaubens- und Liebesleben ist ein Beitrag zur Belebung der Volkskirche, daß sie Gemeindekirche werde. Darum geht der Gemeinde Raum zum Handeln und belebt die Arbeit der kirchlichen Körperschaften! Die bestehenden Gehege gestatten viel mehr, als getan wird. Die Gemeinden sind mit dem ganzen Reichtum kirchlicher Seelsorge betraut worden es gilt,diese Pflichten in die Praxis umzufegen. Unsoziale Einrichtungen der Kirche, wie sie professor Baumgarten in seinem bekannten Vortrag aufgezählt hat, müssen aufgehoben werden. Schafft Vertreter der Arbeiter in die Kirchengemeinden, nicht nur einen Renommier- Handwerker! Gleichmäßiges Begräbnis, gleichmäßige Behandlung für alle — denkt so schlicht und menschlich als nur möglich! Und von großer Wichtigkeit ist die Predigt, sie ist nicht eine Vastorensache. Wie hat sich die Kirche der Gemeinschaftsbewegung gegenüber verhalten? ALS religiöse Laienbewegung it sie in ihren Wurzeln echt deutsch und evangelisch und reformatorisch. Eine Bewegung, die evangelisatorische Kraft in sich trägt, kann nur mit Freuden begrüßt werden. Nur sektenhafte Rechtgläubigkeit kannt den hohen Beruf dieser Bewegung — ihre verschiedenen Biere wurden flar beleuchtet — leugnen. Sie durch Fruchtbarmachung ihres Einflusses auf die Kirchengemeinden vor der Gefahr außerkirchlicher Versandung zu bewahren und den heilsamen Maß der Volfskirche festzuhalten, muß ein ernstes Anliegen aller derer sein, denen an der Belebung der Kirchengemeinde und an der Bedjüngung der Volkskirche gelegen it. Mit Gewalt vorzugehen, empfiehlt sich nicht. Der Boden der Gemeindefichhe ist der Pla, auf dem der Kampf mit der Gemeinschaft ausgefochten werden muß. Mit den Gemeinscaftskreisen sich auseinanderzufegen, ist Aufgabe der Gemeinde. Die berechtigten Desiderien der Gemeinschaftsleute sollen im Familien-, Vereins- und Gemeindeleben ihre Erfüllung finden. Dann wird die ganze Bewegung, in die viel Fremdes eingedrungen ist, das sie vielfach verschoben hat, der Volkskirche zum Segen werden. Einen echt evangelischen Standpunkt nehmen die „Kirchlichen Blätter“ der Siebenbürger Sachsen dieser Bewegung gegenüber ein — Nendtorff zitierte einen Artikel ihres Leiters —, die der Verwirflichung der Wahrheitsmomente der Gemeinschaftsbewegung auf dem gegebenen Boden der Volksfirche das Wort reden. Daß dem tiefgründigen Vortrag, der hier an der Hand der vom Vortragenden den Hörern in die Hand gegebenen Leitgedanken kaum skizziert werden konnte, reicher Beifall folgte, braucht den Lesern dieses Blattes nicht noch besonders gejagt zu werden. Die Fülle des Stoffes gab denn auch Anlaß zu einer anregenden Besprechung. Professor D. Schian-Gieken berührte das Verhältnis der Einzelgemeinde zur Kirche und trat dem Mißverständnis entgegen, daß die Konferenz die Bedeutung der Kirche nicht genügend würdige. Die Konferenz fordert nicht absjolnte Unabhängigkeit der Gemeinden. Der Zusammenschluß muß bleiben. Zwischen der Einzelgemeinde und der Kirche wird es stets Spannungen geben. Man soll den Gemeinden die Selbständigkeit geben, die sie brauchen, brauchen, um auch weiter bestehen zu können, wenn einmal die jegige Som der Boltsfirche zerschlagen werden sollte, wenn die Gemeinden nicht mehr „von oben“ gehalten werden. Was die Gemeinschaftsbewegung anbelangt, wollen wir von ihr den Gemeinschaftsgedanken herübernehmen, aber auch ihr die sittliche Verantwortung darmachen, die sie auf sich nimmt, wenn sie Absonderungstendenzen verfolgt. Gemeinden fühnen viele Unterschiede vertragen, den einen aber allein nicht, daß Leute sich in ihnen als die allein wahren Christen absondern. Auf das Verhältnis der Kirche zum Staat ging ein Pfarrer ein und meinte, die Staatskirche werde über das Mißtrauen der dem Staate feindlich gesinnten demokratisch gerichteten Kreise nie Hinauskommen. Darum miüsse man die Trennung der Kirche vom Staat erstreben, wenn man die Massen der Kirche zurückgewinnen wolle. Ueber die Gemeinschaftsbewegung äußerte sich Justizrat Elze aus Halle. Er habe mit den Gemeinschaften in Halle viel zu tun. Leider schleiche sich bei