Kirchliche Blätter, 1911 (Jahrgang 3, nr. 1-52)

1911-08-05 / nr. 31

—386— wurde bloß einer zugezogen. Daß andere abgelehnt wurden, wurde fachlich damit begründet, daß ihre Aussagen dem außerordentlich reichen Aktenmaterial nichts wesentlich Neues Hinzufügen könnten. Die Verteidigung protestierte dagegen und ein Teil der Presse tadelte scharf diese Ablehnung. Der eine Zeuge, der gehört wurde, P­rofessor Dr. Hingmann, befundete, daß nicht, wie geklagt worden war, Pfarrer Zatho den Frieden im Wuppertal gebrochen habe, sondern dieses sei durch die fanatische Opposition der positiven Partei lange vorher geschehen. Die Verhandlungen begannen mit einem fünf­­stündigen Referat des Konsistorialrats Koch über das Aktenmaterial. E38 war, wie der Verteidiger Brofessor Baumgarten versichert, im ganzen objektiv und fachgemäß. Ihm folgte das Verhör des An­­geklagten. Auch sein Inhalt waren Teineöwegs, wie ein Teil der Tagespresse es­­ dargestellt hat, dogmatische Spikfindigkeiten. Bedauert­ war aber dabei, daß Zatho seinerlei Fühlung mit den Fragen­­den suchte, nur noch energischer den Gegensah seines Gefühlslebens und seiner religiösen Erlebnisweise zu der seiner Richter formulierte und in ihnen not­­wendig den Eindruck einer völlig andern religiösen Welt befestigen mußte. Und doc konnte er nicht anders, wenn er sich völlig treu bleiben sollte. Die Reden der Verteidiger waren glänzende Leistungen. Sie sind wörtlich in Nr. 27 und 29 der „Christ­­lichen Freiheit“ (Evang. Gemeindeblatt für R Rhein­­land und Westphalen) abgedruckt. Professor D. Baumgarten verschwieg nicht seine eigene Ueberzeugung von der großen Differenz zwischen Sathos Lehre und dem grundlegenden Ge­­danken des Evangeliums, ging aber darauf aus, Zathos religiöse Persönlichkeit als wertvollste Kraft zu würdigen. Er suchte nachzuweisen, daß er praktisch ganz am Herd gewirkt habe, als seine Theorie deren Gegner vermuten lasse. Er betonte sehr stark, daß er troß jener Differenz sein Ordinationsgelübde, das Evangelium Zesu rein zu predigen, gehalten zu haben sich bewußt sein könne, und wies duch zahlreiche Auszüge aus den oben erwähnten Briefen nach, wie die aus der Religions- und Kirchenfremdheit Ge­­retteten und zu religiösem Leben Gebrachten in ihm eine Brüde zu Gott und dem Heiland ge­­funden hätten. Pfarrer Lie. Traub betonte mehr die kirchenrechtliche Seite. Er suchte die verhältnis­­mäßige Bedeutungslosigkeit der Beschwerden aufzu­­heben. Er suchte nac­hzumweisen, wie unmöglich er auch für die Richter sei, von ihrer subjektiven Auf­­fassung des Evangeliums sich freizumachen. Gegen D. Dryanders Auffassung, als ob das Spruch­­kollegium weder eine Norm der Lehre festzulegen, noch in ein Religionsgespräch fr­ einzulassen, sondern bloß darzustellen habe, ob Zathos Abweichung von der Kirchenlehre so bedeutend sei, daß er nicht weiter im Amte belassen werden könne, führte Traub aus, daß die Weigerung, die Kirchenlehre erst festzustellen, bedingen müsse die Unfähigkeit, über Irrlehre zu Gericht zu fügen. Er verteidigte dann in begeisterter Weise seinen Mlienten gegen die Anschuldigung, daß seine panentheistische Gottesauffassung sich nicht ver­­trüge mit der christlichen und bestritt die Existenz objektiver Maßstäbe, an denen die Bekenntnismäßig­­keit gemessen werden könne. Er charakterisierte Die Gottinnigkeit und Frömmigkeit Jathos und suchte seine Freisprechung als hervorragendes Interesse der Landeskirche nachzuweisen. Der Spruch sei eine Z­weidrittelmajorität voraus. Die Männer, die diese bildeten, werden es sicherlich empfunden haben, daß sie nach ihrer Ueberzeugung nicht anders urteilen konnten, als sie getan. Gegenüber den Anwürfen eines Teiles der weltlichen Presse darf wohl Baumgartens Wort hier angeführt werden, es sei nichts versehrter als jene Männer deshalb mit Römlingen und Finsterlingen und dogmatischen Regelrichtern auf dieselbe Bank zu berweifen. Das legte Wort hatte übrigens Jatho selbst. Die Art, wie er es verschmähte, seine Richter irgend­­wie für sich zu stimmen, die Innigkeit, mit welcher er von seiner Gemeinde sprach, der er nicht aufhören wird, auch außer dem Amte zu dienen, die treu­­herzige Versicherung, daß er die Not und die großen Schwierigkeiten, die der Spruch den Richtern bereite, anerkenne, muß wohl alle, die ihn hörten, persön­­lich für ihn eingenommen haben. Sachlich mußten diese Richter wohl, als die Vertreter einer herrschenden Richtung in einer Staatskirche, in welcher die Glaubensbegriffe eines Geistlichen für die Beurteilung seiner Wirksam­­keit maßgebend sind, ihren Spruch so abgeben, daß nach den Lehren über das Grundverhältnis von Gott und Welt, über den lebendigen Christus, über die persönliche Fortdauer nach dem Tode, wie Karl Zatho sie vorträgt, für ihn sein Raum mehr in diesem Kirchentum sei. Seine moderne Myftiz steht in der Tat in schroffem Widerspruch, mit der Kirchen­­­ehie nicht nur der Altgläubigen, sondern auch mit grundlegenden Gedanken der modernen Theologie. Baumgarten ist keineswegs der einzige unter den Sints stehenden Theologen, die sie ebenso ablehnen wie die von der Rechten. Aber wie wir immerhin von diesem Gesichtspunkte aus Lage und Haltung der Männer im Spruchkollegium verstehen, ebenso begreifen wir den Unwillen darüber und den Wider­spruch dagegen aus den weitesten Kreisen der pro­­testantischen Welt. Auch im Lager der Altgläubigen hätten aus praktischen Gründen die Einen die Nicht­­abregung gewünscht, die Andern, daß das Spruch­­kollegium die Unmöglichkeit der Ausführung des Gefäßes vom 16. März 1910 hätte erklären sollen. Wenn der evangelische Vreßverband, der gegen Zatho Stellung nimmt und sagt, daß dieser, auch „ohne ein billiges Martyrium zu finden, den Zu­­ammenbruch seines religiösen Traumgebildes in Köln selbst erlebt haben würde“, so hätte man es ja darauf ankommen lassen künnen. Was Harnad zu seinen Hörern gesagt hat: „Zathos Lehre, der Gott inner­­halb der Kirche nur als Naturgeset betrachte und Christo eine ganz andere, nebensächliche Rolle zumeine, sei freilich ganz unvereinbar mit dem Geiste der evan-

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