Kirchliche Blätter, 1912 (Jahrgang 4, nr. 1-52)

1912-01-06 / nr. 1

das erste als das zweite behaupten könne.Ja, bürger­­liches und religiöses Leben sollen ineinander greifen, aber so, „daß das­­Weltleben religiös vertieft, nicht aber das religiöse Leben verweltlicht werde”. Und wenn Hans dr. Schubert, unser Freund von 1899, gesagt hat, es sei, als solle bei uns das Experiment geliefert werden, ob eine rechte Volkskirche überhaupt möglich sei, so wollen wir hoffen, daß das Experi­­ment gelingt, one daß die Kirche am ihrem unver­­äußerlichen Belis, an ihrem ewigen Gehalt Einbuße erleidet. Wie der einzelne Mensch, so ist hier unsere ganze Kirche vor das große Problem gestellt: Was Hoffe es dem Menschen, so er die ganze Welt ger wönne und nähme doch Schaden an seiner Seele! Unsere Kirche will die Welt gewinnen, d. i. unser ganzes Vortsleben in sich aufnehmen und an der Volksmehrungsarbeit teilnehmen; ihre peinlichste Sorge muß e3 sein, darüber nicht die Seele zu verlieren, sondern zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten und dann den Diesem höchsten Standpunkte getroff Hineinzuschreiten in das Leben, um e3 zu läutern und zu vertiefen. Ein Punkt ist uns gegeben, wo unsere Kirche mit dem Leben am engsten verbunden ist, das ist die Schule. Ich möchte sagen, hier entscheidet sich­, daß wir eine Volkskirche sind und an der Bolfs­­arbeit unmittelbarsten Anteil haben. Es it ein unbeschreiblicher Segen für unser Wolt, daß bei uns die Schule in der Hand der Kirche ist. Wie er persönfi ein Segen für den Geistlichen ist, wenn er als Lehrer durch die Schule gegangen, so ist er ein Segen für unser ganzes Vort, daß «3 doch Die Schule hineinschreitet in unsere Wolfskirche. Unsere Schule ist das herrliche Portal unserer Boltskirche. Hätte unsere Kirche nur diese Aufgabe, für die Schule zu sorgen, so wäre ihre schon ein weites Feld der Volksmehrungsarbeit gegeben. Auf diesem Gebiet liegt die vornehm­e Volksaufgabe unserer Kirche. Die Vorsehung hat ihr damit den aller­­größten Einfluß auf den wichtigsten Faktor unseres Wolfslebens, auf das heranwachsende Geschlecht, ein­­geräumt. Zumal in unserer politischen Lage hat das Recht der Kirche, Schulen zu gründen und zu erhalten, die tiefste Bedeutung: Die Schule wird dadurch deutlich erhalten, denn die Kirche hat das Recht, die Unterrichtssprache zu bestimmen. Dazu kommt noch der weitestgehende Einfluß auf das Innerleben der Schule: wenn ich einmal anfinge, die Vollsmehrungsarbeit, die hier geleistet werden­ann und geleistet wird, auszubreiten, fände ich sein Ende. Soviel sei gesagt, wenn anderwärts, Wo die Kirche den Einfluß auf die Schule hat, vielleicht die Gefahr besteht, daß ihr ein engherziger Geist­ aufgeprägt wird, bei uns ist das nicht zu befürchten, ‚vielmehr Teiht gerade unsere protestantische Kirche der Schule und ihren Zöglingen die Waffen, den Kampf mit dem Leben auf festem Grund in rift­­lichem Geist zu führen, dem Leben tieferen Inhalt zu geben, selbstlos dem Volksganzen und seinen­­ Hohen Gütern zu dienen. Also auch­ in diesem Sinne, doch den Einfluß auf die Schule, arbeitet­ unsere­ Kirche an den Grundlagen unseres Volkstums, und mir ergibt sie­ der dritte Gap: Durch religiöse Beeinflussung des ganzen Lebens­ und Stärkung der jitt­­lichen Kräfte legt unsere Kirche immer wieder den festen Grund zum Aufbau und Ausbau unseres Wolfshauses. (Schluß folgt.) Die Schule als faktor der sozialen Erziehung. Der evang.-soziale Kongreß hat im Sommer des vorigen Jahres im reichen, stolzen, schönen Danzig getagt, der streitbaren Stadt, von der Treitschke so Lebendig schildert, wie ihre Bürger einst im 15. Jahr­­hundert in den Kämpfen mit dem deutschen Ritter­­orden den Zugang zur Ordensburg­ vermauerten und daneben einen festen Turm, den „Kiek in de Kuf“, bauten, um zu schauen, was in der Dordensküche ge­­braut werde. Nun waren es Werke des Friedens, an denen gemeinsam Männer und Frauen der verschiedensten Stände, Berufsklassen und Meinungen arbeiteten ; und wenn es hie und da zu kämpfen kam, so waren es nur Wortgefechte, die nicht Wunden schlagen, sondern soziale Schäden heilen wollten. Vei kurzem ist das Protokoll der Verhandlungen im Buchhandel erschienen, auf dessen reichen, viel­­seitig anregenden Inhalt wir schon einmal kurz hin­­gewiesen haben. Aus der Fülle des Gebotenen zieht unsere Aufmerksamkeit insbesondere die Verhandlung über die Schule und ihre soziale Arbeit an, da sie auch bei und im Mittelpunkt des Interesses steht. Der zweite Tag der Stungen war diesem Ver­­handlungsgegenstand gewidmet. „Die Schule als Faktor sozialer Erziehung“, so lautete der Titel des Referates von Schulrat Karl Muthesius-Weimar. Auf Schillers Wort zurücgehend: „Der Mensch ist noch jeher wenig, wenn er warm wohnt und sich fatt gegessen hat, aber er muß warm wohnen und sich fatt gegessen haben, wenn si die bessere Natur in ihm regen soll“, weist der Referent nachh, wie un­­endlich wichtig für jeden pädagogischen Erfolg Die Umwelt sei, aus der der Schüler hervorgehe! Die Familie, in der das Kind am natürlichsten, unge­zwungensten die sozialen Tugenden des Gehorsams, der­­ Pflichterfüllung, des Gemeinschaftsgefühls, der Pünktlichkeit, des Ordnungssinnes lernt, in der er die Mitfreude und das Mitleid der Eltern und Ge­­schwister empfindet, in der gemeinsame Arbeit und gemeinsame Feiertagruhe die einzelnen Glieder zu einem Gesamtorganismus vereint, die Familie, die Brauch­ und Sitte, Denkart und Gesinnung vererbt, ist immer als einer der größten Faktoren sozialer Erziehung bewertet worden. Heute aber steht er ganz anders mit der „Wohn­­stubenerziehung“, wie Pestalozzi sie in Lienhard und Gertrud schildert. An der Hand von statistischen Daten weist der Referent nach, wie er immer weniger

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