Kirchliche Blätter, 1916 (Jahrgang 8, nr. 1-44)

1916-01-01 / nr. 1

Ueber die Neuorganisation der Aufsicht über die Volkssc­hulen unserer Landes­­­ kirche. 1. Die gegenwärtige Einrichtung der Aufsicht über unsere Vollsschulen hat sich mehr und mehr als unzulängsg erwiesen. Sie sollte nach SS 59, 62, 66 der Schulordnung ausgeübt werden a) durch das P­resbyterium, „Insonderheit den Ortspfarrer”, b) durch das Bezirkskonsistorium und die von ihm auf je 3 Jahre bestellten Schulfamiliäre, c) durch das Landeskonsistorium.­­ In der Tat kann von einer ständigen Be­­aufsichtigung unseres Volksschulwesens durch das Landeskonsistorium gegenwärtig nicht gesprochen werden.Die Schulaufsicht ruht wesentlich auf dem Ortspfarrer und den Bezirksschulkommissären. Dem Ortspfarrer ist ihre Ausübung oft sehr erschwert dadurch,daß er in Landgemeinden an seinem Presbyterium keinen Rü­ckhalt findet,weil die Mitglieder des Presbyteriums in der Regel keine Schulmänner sind.Der Pfarrer selbst,zumeist der nicht durch den praktischen Schuldienst für diese Seite seines Amtes vorgebildete Pfarrer, ist oft zu wenig Schulmann, um die Schularbeit des Lehrers entsprechend beaufsichtigen und dem Lehrer mit fachmännischem Rat dienen zu können. Auch wo die nötige pädagogische Einsicht und Erfahrung beim Pfarrer vorhanden ist, wird sie vom Lehrer nicht immer anerkannt und er beugt sie nur wider­­willig oder überhaupt nicht einer seiner Meinung nach nur angemaßten Autorität. MUebrigens darf dem Widerwillen der Lehrer gegen die Schul­­aufsicht des Pfarrers, auch wenn der lettere einmal selbst L­ehrer gewesen ist, insofern eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden, als jedes Handwerk, auch das Lehrerhandwerk, ständig geübt sein will; die Handgriffe, um die es sich beim Unterricht doch auch handelt, verlernen sich sonst. Aus dieser Erkenntnis heraus und um Konflikte mit dem Lehrer im Interesse der Gemeinde zu vermeiden, hält mancher P­farrer sich von der Mit­­arbeit an der Schule fern, auch wenn er fähig und­­ berufen wäre, in Schulsachen ein Wort mitzureden. Bei alledem ist die Mitarbeit des Pfarrers in der Schulaufsicht unentbehrlich. Eine Aufsicht über den Schulbetrieb im Orte selbst muß sein, nicht nur zur Ueberwachung sondern mehr noch zur Förderung dieser Arbeit. Es Handelt sich dabei nicht nur um Dinge der zünftigen Pädagogik; es handelt es auch um den ganzen Geist, in dem die Lehrerarbeit geleitet wird, um Gewissenhaftigkeit oder Trägheit, es handelt sich um die Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit des Schulbetriebes und Schul­­besuchs, um die Beschaffung­ von Lehrmitteln, um die Ordnung im Schulgebäude, um Lehrergehalte und Lehrerwohnungen, um das Ansehen der Schule innerhalb der Gemeinde; in allen diesen Dingen ist der Pfarrer, auf der pädagogisch Weniger gesehulte, auf dem Lande wenigstens der einzig mögliche und berufene Vorgefeßte des Lehrers und zugleich Freund und Förderer seiner Arbeit. Es ist aber nötig, daß der Pfarrer als Lokal­­schulinspektor zumal dann, wenn ihm der Lehrer seine Stellung der Schule gegenüber erschwert — es gibt hier bekanntlich auch Menschen, die jede Aufsicht über ihre Arbeit als persönliche Beleidigung empfinden — an seiner eigenen vorgefeßten Behörde einen Rückhalt und eine Stüße finde. Diesem Zweck und zugleich dem Zwed der unmittelbaren Aufsicht des Bezirksk­onsistoriums über die Schulen sollte die Einrichtung der Bezirksschul­­fommissäre dienen, die nach § 63 der Sch.-D. fol­­gende Aufgabe haben: „Die Schulfommissäre haben darüber zu wachen, daß der Unterricht in den Boltsschulen nach den geweglichen Bestimmungen und nach den Forderungen einer naturgemäßen Pädagogik erteilt werde; ebenso daß von Gesten des Hauses und der Gemeinde die Interessen der Schule und des Unterrichts möglichst gefördert werden. Wahrnehmungen über Mangelhaftigkeit der Schullokale, der Lehrmittel, der Lehrkräfte oder andere Hindernisse des gedeihlichen Unterrichts haben dieselben, falls die Presbyterien nicht Ab­­hilfe Schaffen, zur Kenntnis des Bezirkskonsistoriums zu bringen. Außerdem haben sie jährlich nach der Prüfung in einem eingehenden und allseitigen Berichte an dasselde sich über den Zustand ihrer Schulen auszusprechen. An den Gattungen des Bezirkskonsistoriums, in welchen diese Jahresberichte zur Verhandlung kommen, haben die Schulkommissäre, wenn sie nicht Mitglieder des Bezirkskonsistoriums sind, mit beratender Stimme teilzunehmen !“ 2.­­3 läßt sich ruhig behaupten, daß die Schulkommissäre diese Aufgabe im Großen und Ganzen nur mangelhaft erfüllen. Die meisten unter ihnen sind durch den eigenen Beruf so in Anspruch genommen, daß sie sie nicht erfüllen können. 3 fehlt an Zeit zu wiederholten gründlichen Schul­­visitationen, e3 fehlt an Zeit zur Orientierung über die pädagogische Literatur, über die Fortschritte in der Schulorganisation des Auslandes, e3 Fehlt, so weit es sich um Pfarrer handelt, auf die ständige Berührung mit der Praxis der Schule. Je mehr Arbeit das Pfarramt im Laufe der Jahre mit fi bringt, je zahlreicher andererseits die Pfarrer ohne praktische Ausbildung für den Schulberuf werden, desto schwerer wird es überdies werden, in den ein­­zelnen Bezirken geeignete Schulkommissäre zu finden. Dazu ein Mangel, der von vorneherein in der Einrichtung des Schulkommissariats lag: Die Un­­einheitlichkeit in der Ausübung der Aufsicht und in der Beurteilung der Lehrer. Eine einheitliche Arbeit ist unter 10 Schulkommissären eines Bezirkes, von denen der eine früher Ghymmasiallehrer, der andere­­ Volksschullehrer, der dritte Seminarlehrer, der eine Naturhistoriker, der andere Ph­ilologe, der dritte Mathematiker von Fach war, überhaupt nicht denkbar. Der­ eine richtet sein Augenmerk auf diese, der andere auf jene Seite der Schularbeit

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