Evangelischen Gymnasiums, Medgyes, 1880

wird, die theoretisch entwickelten Formeln an Uebungsbeispielen praktisch'verwertben zu können, wenn eben durch Anwendung der Formeln an Uebungsbeispielen dieselben sein sicheres Eigenthum geworden sind. Nun ist es eine eigenthümlicbe Erscheinung, 'dass alle mir zur Verfügung stehenden Lehrbücher zuerst sämmtliche zur Anwendung kommenden goniometrischenFormeln entwickeln und dann ihre Anwendung auf die Lösung von Dreiecken , die eigentliche Trigonometrie, folgen lassen. Für diese Anordnung des Lernstoffes kann nur der einzige Umstand sprechen, dass dem Schüler das Nachschlagen dieses oder jenes zweifelhaft gewordenen Lehrsatzes erleichtert werde. Jeder aber, der nur einiger­­massen mit diesem Gegenstände vertraut ist, wird meiner Erfahrung beitreten, dass die ununterbrochen fortgeführten Formenentwicklungen, die vorläufig jeder praktischen Verwerthung entbehren, den Lernenden nothwendig ermüden und den Stoff in seinem Gedächtniss in dem Masse anhäufen, dass er denselben nicht zu beherrschen vermag und so nicht zu klarem Verständniss gelangen kann, zumal er nicht zu ermessen weiss, zu welchem Zwecke ihm die Kenntniss so vieler Formeln aufgebürdet wird. Und doch weis» jeder Lehrer der Mathematik, dass gerade die praktische Verwerthung gewonnener mathematischer Formeln den eifrigen Schüler erfreut, und erhöhtes Interesse für den Gegenstand erweckt; während Schwierigkeiten im Lösen trigonometrischer Aufgaben, welche obenerwähnte Anordnung des Lernstoffes unbedingt zur Folge haben muss, auch bei dem eifrigsten Schüler Liebe und Lust zur Arbeit schwächen, und ein sehr proble­matisches Resultat erzielen. Freilich könnte mir der grosse pädagogische Grundsatz entgegen gehalten werden: „Die Methode in dem Unterricht sei der Lehrer selbst und nicht das dem Unterricht zu Grunde liegende Lehrbuch.“ Dieser Satz gilt aber nur insoweit, als der Lehrer zu einer Methode gelangt ist, welche nicht „a priori“ sich bestimmen lässt, sondern welche der Lehrer im Anschlüsse an ein gutes Lehrbuch durch längere praktische Thätigkeit, wohl auch durch eigenes Experimentiren sich aneignet. Ohne auf den noch schwach schimmernden Eindruck meiner eigenen Studien­zeit zu reflektiren, weiss ich aus eigener Erfahrung als Lehrer, wie schwer die Schüler zum Verständniss des goniometrischen Formelnballastes der Lehrbücher gelangen; wie ermüdend, ja sogar zeitraubend die Befolgung eines solchen Unterrichtsganges ist, indem bei späterer Anwendung der gefundenen goniometrischen Formeln zum Zwecke der Aufstellung der, für die Lösung der Dreiecke unbedingt notlmendigen, Lehrsätze dieselben wieder entwickelt werden mussten, wenn diese Lehrsätze bleibendes Geistes­eigenthum werden sollten.

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