Trombitás Tamás (München, 2001)

Dieter Hönisch über Tamás Trombitás Metaphysik konkret Tamás Trombitás gehört nicht zu der legendären >lparterv<-Ge­­neration (wie z. B. Bak, Nádler, Jovánovics), die 1968 und 1969 in zwei vielbeachteten und heftig umstrittenen Ausstellungen gegen den ideologisch festgefahrenen Kunstbetrieb protestier­te. Damals wurde das Klischee einer national begründeten un­garischen Kunst, das weitgehend von den Maximen des Soziali­stischen Realismus beherrscht war, durchbrochen. Trombitás besuchte zu der Zeit noch das Gymnasium und begann erst 1972 mit dem Studium an der Universität für Bildende Künste in Budapest, das er 1976 mit einem Diplom (im Fach Malerei) ab­schloss. Bis 1978 nahm er dort an einem Meisterkurs teil und ging auf seine erste Studienreise durch Westeuropa, bei der er in Museen und Galerien Werke der internationalen Moderne kennenlernte. Er war bereits getragen von der Aufbruchsstim­mung, die sich unter den jüngeren Künstlern ausbreitete, und profitierte von dem liberaleren politischen Klima, das damals in Ungarn entstand. Insofern war sein Start nicht mehr so be­schwerlich und eingeschränkt wie noch für die Generation vor ihm. Die Zeichen einer Veränderung Hessen sich schon erken­nen. Dieses neue Klima bestimmte somit von Anfang an die Kunst von Tamás Trombitás, deren Profil allerdings in den 70er Jahren noch nicht sichtbar war. Ich lernte ihn erst zu Beginn der 90er Jahre kennen, als er bereits an der Hochschule für Ange­wandte Kunst unterrichtete und durch spektakuläre Arbeiten hervorgetreten war, insbesondere durch seine Installationen in sämtlichen Räumen des Ernst-Museums 1985 in Budapest, die ihm den künstlerischen Durchbruch brachten. Sein Ansatz war von Anfang an konkret und real. Er ging nicht von Illusionen aus, sondern von der Wirklichkeit, er kam nicht von der Fläche her, sondern vom Raum. Diese Kompromisslo­sigkeit, auch diese fast rüde Präsentation von Materialien war damals für Ungarn neu. Merkwürdig ist, dass Trombitás, der an der Hochschule eine Ausbildung als Maler erhalten hat, mit Skulpturen und Installationen beginnt. Ungewöhnlich auch, dass er auf die Farbe verzichtet, die er lediglich mit Hilfe von Neonröhren in seine Arbeiten einbezieht. Die Verwendung von Neonröhren ist nicht neu. Bereits 1963 hat Dan Flavin eine sol­che Röhre diagonal auf die Wand seines New Yorker Ateliers montiert und diese Arbeit Brancusi gewidmet. Er nannte seine sich dann anschliessenden Werke reine und sich selbst bedeu­tende Erscheinungsbilder, >lcons<. Er war - wie er notierte - »nicht imstande, [...] an Malerei als ein ausreichendes, prakti­sches Endresultat an sich zu glauben«.1 Ganz offensichtlich traf das zumindest in den 80er Jahren auch :ür Trombitás zu. Gleichwohl schuf er, wie Flavin auch, keine Neonskulpturen, sondern Neonbilder. Er ist Maler geblieben und hat Skulpturen oder Environments geschaffen, die eigent­­ich Bilder waren. Die frühesten Arbeiten zeigen geometrische Formen, was den vielleicht intelligentesten Analytiker aktueller Kunst in Un­garn, László Földényi - er schrieb auch hochinteressante Bücher über Francesco de Goya und Caspar David Friedrich -, dazu führte, Trombitás als den »konsequentesten Vertreter des Kon­struktivismus in der heutigen ungarischen Kunst« zu bezeich­nen.2 Das mag, wenn man das bisherige Werk von Trombitás be­trachtet, etwas über das Ziel hinausschiessen, hat aber einen wahren Kern darin, dass Formen des Konstruktivismus auf neue und spirituelle Weise in Erscheinung treten. Ähnliches können wir auch bei Dan Flavin beobachten, derTatlin eine ganze Serie widmete, auf den er auch mit dem »Corner piece< anspielt, das er 1970 Barnett Newman nach dessen Tod widmete. Die Ecke, eine nicht flache, sondern räumliche Situation, war für die Kon­­struktivisten häufig Ausgangspunkt ihrer Arbeiten. Ein Künstler ehrt den grössten und bedeutendsten Farbfeldmaler des 20. Jahrhunderts mit einem Eckbild. Ein Akt von symbolischer Be­deutung. Es ist darum auch bezeichnend, dass ein Maler wie Tamás Trombitás, der keine flächige, sondern eine räumliche Malerei verwirklichen will, mit einem >Eckenobjekt< (Cover) beginnt. Deutlicher kann man die Abkehr von herkömmlicher Malerei und zugleich den Rückgriff auf eine kunstgeschichtliche Tradition nicht zum Ausdruck bringen. Trombitás hat ebenso wie Flavin die Ecke nicht erfunden, beide aber zeigen mit ihren Eckenbil­dern, dass es ihnen um eine konkrete und zugleich räumliche Malerei geht. Die Konstruktivisten hatten immer das Problem, dass der in ihren Werken, den Bildern ebenso wie den Objekten, intendierte Raum, der etwas Immaterielles ist, auch wahrnehmbar wurde. Sowohl Kasimir Malewitsch als auch Wladimir Tatlin oder Lajos Kassák gerieten da in Schwierigkeiten, die sie dadurch zu lösen versuchten, dass sie den Raum als geschichtete Flächen im Sinne einer Collage auswiesen. Erst Moholy-Nagy gelang es mit seinem »Licht-Raum-Modulator< von 1922 bis 1930, bewegte Raum-Bilder herzustellen. Diese Bilder waren nicht konkret, sondern Schatten rotierender Flächen, Projektionen eines pla­stischen Gegenstandes, in gewissem Sinne also Scheinwirklich­keiten. 1968 gelang es György Kepes in dem von ihm gegrün­deten Center for Advanced Visual Studies am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, mit Hilfe der Lasertechnik und der Holografie virtuelle, eigenständige Räume und Gegen­stände herzustellen. Kepes, ebenfalls Ungar, kam von Moholy- Nagy und dessen New Bauhaus in Chicago. Konkrete räumliche Bilder waren erst in den 60er und den 70er Jahren möglich. Hinzu kam das bereits 1898 entdeckte Neon, ein weiches gasförmiges Licht, das vorher nur in den Bereichen

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