Neue Zeitung, 1972 (16. évfolyam, 1-52. szám)
1972-01-14 / 2. szám
XVI. JAHRGANG, NUMMER 2 Preis: 80 Fillér BUDAPEST, 14. JANUAR 1972 NEUE ZEITUNG Wochenblatt des Demokratischen Verbandes der Deutschen in Ungarn Plan und Dynamik TI as Jahresende war bewegt; dyna^ misch nahm auch das neue Jahr seinen Anfang. Während der Feiertage hatten wir auch Zeit dazu, über das Gestern, das Jahr 1971 nachzudenken, Kraft für die vor uns stehenden Aufgaben zu sammeln. Das Parlament beriet auf seiner Dezember-Session über das Etat des Jahres 1972 und nahm dieses an. Zugleich wurde der Öffentlichkeit eine sozialpolitische Regierungsanordnung von grosser Bedeutung über die Erhöhung des Familienzuschusses bekanntgegeben. Aufgrund der Anordnung wird jenen Familien, die drei oder mehr Kinder haben, bzw. jenen alleinstehenden Werktätigen, die ein oder zwei Kinder zu versorgen haben, mit Wirkung vom 1. Januar 1972 der Familienzuschuss pro Kind um 100 Forint erhöht. Das erste innenpolitische Ereignis des neuen Jahres war die Bekanntgabe des Volkswirtschaftsplanes 1972. Dem Kalender nach haben wir 1971 abgeschlossen und befinden uns im Jahre 1972, doch es erübrigt sich keinesfalls darauf hinzuweisen, dass auch obengenannte Ereignisse und Verordnungen Teile eines einheitlichen längeren Vorganges sind: Teile einer durchdachten, bewussten Wirtschaftspolitik, deren landes- und weltweit anerkannte Ergebnisse die Früchte der Arbeit unseres Volkes sind. Während der Diskussion über das Budget lösten all jene Bekanntmachungen, Feststellungen ein überaus grosses Echo aus, die direkt oder indirekt das Lebensniveau berühren. Es ist allgemein bekannt, dass die Preise einiger Waren (Bier, Autoreifen, verschiedene Baumaterialien usw.) erhöht werden. Demgegenüber werden die Endverbraucherpreise anderer Artikel (wie Waschmittel, Seife, Tee usw.) gesenkt. Bei der Bevölkerung des Landes löste jedoch jene Tatsache das grösste Echo aus, dass verantwortliche Leiter bekräftigten: Die Lebensstandardpolitik der Partei und Regierung ändert sich nicht! Wir können also auch weiterhin mit dem bisherigen sinnvollen Wachstum des Lebensstandards rechnen, wobei jederzeit die Gegebenheiten und die Tragfähigkeiten des Landes in Betracht gezogen werden. Dementsprechend ist der diesjährige Volkswirtschaftsplan auch auf die weitere Erhöhung der Realeinkommen, der Reallöhne ausgerichtet. Die Ausgaben des Staatsetats, die dem Wohl des Volkes dienen, wachsen um bedeutende Summen. Für kulturelle und soziale Zwecke werden zum Beispiel vier Milliarden Forint mehr aufgewendet als im Jahre 1971. Allein im Vergleich zu 1971 wächst der zu zahlende Familienzuschlag um 900 Millionen Forint an, und der für die Rentenversorgung aufgewendete Betrag um 12 Prozent. Tlie Diskussion über das Budget konnte jedermann davon überzeugen, dass sich die Wirtschaft Ungarns trotz der aufgetauchten und sich natürlicherweise ergebenden Schwierigkeiten auf einer festen, stabilen Basis befindet und sich dynamisch entwickelt, und auch davon, dass sich auf einigen Gebieten, vor allem in Folge der Investitionsüberspannungen, Gleichgewichtsstörungen ergaben. Jeder Mensch, jede Familie ist sich über die Bedeutung des wirtschaftlichen Gleichgewichts im klaren. Mit anderen Worten ausgedrückt, bedeutet das, dass wir nur so viel ausgeben dürfen, wieviel wir haben, genauer gesagt, wieviel wir produzieren. In den verschiedenen ausländischen Presseorganen wird unsere politische und wirtschaftliche Situation auf verschiedenerlei Weise ausgewertet. Die objektiver gestimmten — mit unserem Gesellschaftssystem jedoch keinesfalls sympathisierenden — westlichen bürgerlichen Zeitungen stellen fast übereinstimmend fest, dass unsere Entwicklung seit der Einführung des neuen Wirtschaftsmechanismus ausserordentlich schnell und vielseitig ist, und die Probleme gerade hieraus resultieren. Die britische „Times” schrieb dieser Tage: „Die Wirtschaftsreform hat dem Wirtschaftsleben Ungarns Dynamik und Schwung verliehen. Es ist selbstverständlich, dass damit gleichlaufend auch der „Appetit” grösser wurde. Eines steht jedoch ausser Diskussion: eine Nationalwirtschaft auf entsprechend hohem Niveau, wie es heute schon die ungarische ist, meistert bedeutend selbstsicherer auch die immer komplizierteren Aufgaben.” Sowohl in der Diskussion über das Budget als auch im diesjährigen Volkswirtschaftsplan wird die Aufmerksamkeit wiederholt auf die sinnvolle, wohlüberlegte Wirtschaftsführung gerichtet, auf eine der bisherigen gegenüber strengere und wirkungsvollere Finanzwirtschaft, eine diszipliniertere Arbeit an allen Arbeitsplätzen. Auf der Dezembersession des Parlaments sagte Rezső Nyers, Sekretär des ZK der US AP: „Das Niveau unseres heutigen Wohlstandes steht im Übereinklang mit dem Niveau unserer Produktion.” IS önnten wir also auch besser leben? xv Diese Frage kann man nur mit einem „Ja” beantworten. Doch um das zu erreichen, muss auch das Produktionsniveau erhöht werden. Was bedeutet das in der Praxis, im täglichen Leben? Es bedeutet — unter anderem — die Verbesserung der inneren Organisation der Fabriken, Betriebe, Produktionsgenossenschaften, Staatsgüter, die Herausbildung einer solchen Arbeitstechnologie, durch die die Qualität verbessert wird, die Produktionskosten gesenkt werden, es bedeutet des weiteren einen solchen Arbeitskräftehaushalt, in dessen Rahmen der „Arbeitslosigkeit innerhalb des Betriebes”, dem Bummelantentum, dem Nichtstun ein Ende bereitet wird, und damit gleichzeitig die Voraussetzungen zu ehrlicher, fleissiger, guter Arbeit geschaffen werden. Die Zeit bleibt nicht stehen — das ist eine unabstreitbare Wahrheit. Die Zeit ist jedoch kein „Gegner” der sozialistischen Planwirtschaft, sondern viel eher ihr Verbündeter, wenn wir sie im Interesse der Verwirklichung unserer edlen Ziele voll und ganz ausnutzen. Der Volkswirtschaftsplan ;1972 trägt den Forderungen der unaufhaltsamen Zeit und den Perspektiven der Weiterentwicklung Rechnung. Die Erhöhung des Nationaleinkommens um 5—6 Prozent und das Anwachsen der Konsumtion um fünf Prozent entsprechen der Realität unserer Zielsetzungen. Sorgen und Probleme bereitet jedoch die Tatsache, dass auf dem Gebiet der Investitionen Ordnung gemacht werden muss, d. h. das normale und gesunde Verhältnis der für Konsumtion und Akkumulation aufgewendeten Quote des Nationaleinkommens muss hergestellt werden. Das Manko in der internationalen Zahlungsbilanz und das Defizit im Staatshaushalt müssen stufenweise beseitigt werden. T)as Jahr 1972 wird vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus lebenswichtig. Die quantitativen Veränderungen in unserer Wirtschaft bringen die qualitativen Veränderungen zum Reifen. Dies drückt sich allerdings zum Beispiel in den geplanten Investitionsziffern nicht aus, die im grossen und ganzen auf dem Niveau des Jahres 1971 bleiben, im Aussenhandel kommt es desto mehr zur Geltung, denn dieser ist eindeutig auf die Verbesserung der Bilanz ausgerichtet. Dementsprechend wird das Importvolumen etwas beschränkt, während unser Export bedeutend wächst. Ein ähnlicher Prozess drückt sich in der 5—öprozentigen Erhöhung des Industriebudgets aus, sowie im etwas gemässigteren Programm der Bauindustrie. (All das berührt jedoch das Wohnungsbauprogramm nicht. Trotz der Investitionsspannungen wird der Woh-nungsbau nicht eingeschränkt, sondern sogar noch etwas erweitert: im Verhältnis zu den 73—74 000 Wohnungen im Jahre 1971 ist im diesjährigen Plan der Bau von 74 500 Wohnungen vorgesehen.) Auch die Landwirtschaft, deren Produktion um 2—3 Prozent erhöht wird, schliesst sich diesem Prozess an. as Jahr 1972 verspricht nicht leicht zu werden. Eines ist sicher: wir müssen die Arbeit selbst verrichten, denn an unserer Stelle tut es niemand. Für den Erfolg eines noch so gut fundierten, realen Volkswirtschaftsplanes muss man auch hart arbeiten. Aus diesem Grunde rief die Regierung die Bewohner des Landes, die Leiter und Werktätigen der Betriebe, Genossenschaften und Institutionen auf, mit hingebungsvoller Arbeit die Erfüllung des diesjährigen Volkswirtschaftsplanes zu sichern. B. L. Neuer Beginn auf dem indischen Subkontinent Nachrichten, die vom indischen Subkontinent eintreffen, bezeugen, dass sich nach dem schweren Konflikt die Lage regelt. Für die politische Regelung ist von entscheidender Wichtigkeit, dass der pakistanische Präsident Bhutto den Führer der Awami-Liga, Scheich Mudshibur Rahman, der seit dem März des Vorjahres verhaftet war, schliesslich frei liess. Scheich Rahman ist der Präsident des Staates Bangla Desh. Seine Freilassung schliesst jene Epoche ab, in der in Ostpakistan Yahyah Khan versuchte, den 75 Millionen Ostpakistani seinen Willen mit Militärgewalt aufzuzwingen. In der jetzigen Lage besteht die Möglichkeit, dass das Volk von Bangla Desh aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes sich den eigenen Interessen nach im Lande einrichte. Laut Meldung der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS weisen Zeichen darauf hin, dass das Volk von Bangla Desh von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Aufgrund eines gemeinsam ausgearbeiteten Programms von Indien und der Regierung von Bangla Desh wurde die Rückführung von etwa 10 Millionen ostbengalischen Flüchtlingen in Angriff genommen. Uber eine Million Menschen sind bereits aus Indien in ihre Heimat zurückgekehrt. Vor ihrer Heimkehr erhalten sie Geld und Lebensmittel. Wie der sowjetische Berichterstatter meldet, kehren die Flüchtlinge in langen Reihen auf LKW, Autobussen und Pferdegespannen heim. Da die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge ihre Heime verloren hat, wurden für die Heimkehrer vorübergehend Lager eingerichtet. In der Hauptstadt Dacca geht das Leben seinen normalen Gang. Der schwere Mangel an Treibstoff wurde beseitigt, und der normale Verkehr gesichert. Die regelmässige Lebensmittelversorgung wurde organisiert, die Geschäfte und die Märkte sind wieder geöffnet. Aufgrund einer Meldung des Ministeriums für Lebensmittelversorgung und Landwirtschaft werden nicht nur nach Dacca, sondern in alle Städte und Kreise des Landes grosse Mengen an Reis, Weizen, Zucker und andere Lebensmittel transportiert. Auf aussenpolitischem Gebiet ist Bangla Desh bestrebt, seine internationalen Kontakte auszubauen. Dies war auch das Hauptthema der in der indischen Hauptstadt Delhi geführten Verhandlungen des Aussenministers Mohamed Abdul Samad. Der Aussenminister verhandelte ausser mit Ministerpräsidentin Frau Indira Gandhi auch mit Staatspräsident Giri und Aussenminister Singh. Bei einem Gabelfrühstück, das zu Ehren des Aussenministers gegeben wurde, erschienen auch die in Indien akkreditierten diplomatischen Vertreter der sozialistischen Staaten. Samad bedankte sich bei Indien und der Sowjetunion für die Unterstützung, die die beiden Staaten den Völkern von Bangla Desh im nationalen Befreiungskampf zukommen liessen. Zur Regelung der Situation auf der hindustanischen Halbinsel gehören auch jene Ereignisse, die in Westpakistan vor sich gehen. Die neuen Führer des Landes distanzieren sich vom Militärregime, von Yahyah Khan, und versprechen, eine nüchterne politische Linie zu verfolgen. Die Zukunft beinhaltet aber trotzdem zahlreiche Faktoren der Ungewissheit. Die bislang erfolgten Ereignisse hätten Washington wie alle Vertreter des Weltimperialismus davon überzeugen müssen, dass sie in diesem Raume gegen den Willen der Völker nichts unternehmen können. Zahlreiche Anzeichen bezeugen jedoch, dass sie nicht bereit sind, diese einzig reale Lehre zu ziehen, und gewiss müssen die Völker von Bangla Desh ebenso wie die Völker der hindustanischen Halbinsel noch oft der Gefahr der imperialistischen Einmischung ins Auge blicken. Mudshibur Rahman ist nach Dacca heimgekehrt. Seine Rückkehr wurde vom Jubel der Massen von Bangla Desh begleitet Die Niederlage der Kanonenboot-Politik Das Kräfteverhältnis, das in Europa und im allgemeinen in den industriell entwickelten Zonen der Welt entstanden ist, zwingt die führenden Kreise des Imperialismus, ihre Expansionsbestrebungen in gesteigertem Masse auf die jungen Staaten, die an Stelle der einstigen Kolonien entstanden sind, zu konzentrieren. Die Rolle Amerikas in Indochina oder im Nahen Osten, aber auch in zahlreichen anderen Gebieten der Welt, stellt dies überzeugend unter Beweis. Die bewaffneten Konflikte in den Entwicklungsländern zeigen jedoch nicht nur, dass die imperialistischen Kräfte hier noch Möglichkeiten sehen, ihre Ziele mit Hilfe von Kriegen zu erreichen, sondern auch, dass die Kräftigung der Entwicklungsländer, die Solidarität der sozialistischen Staaten und der fortschrittlichen Welt der imperialistischen Einmischung auch ausserhalb der entwickeltsten Zonen der Welt Schranken setzen. Die in Indochina erlittenen Niederlagen und der Ausgang des indisch-pakistanischen Konfliktes beweisen gleicherweise, dass die bewaffnete Einmischung und die Drohungen der Vereinigten Staaten immer weniger Erfolg versprechen. Zur Zeit, da die indisch-pakistanische Lage am krisenreichsten war, erschienen im Raum des Indischen Ozeans die Einheiten der 7. amerikanischen Flotte unter dem Vorwand, amerikanische Staatsbürger aus diesem Gebiet abzutransportieren. Der Vorwand war von vornherein fadenscheinig, da es sich ja auch nach amerikanischen Behauptungen lediglich um die Evakuierung von einigen Menschen gehandelt hätte. Seitdem ans Tageslicht gelangte amerikanische Regierungsdokumente bezeugen, dass die Einheiten der 7. Flotte ausschliesslich zur „Kräftedemonstration” in die Nähe der Küste der hindustanischen Halbinsel kommandiert wurden, d. h., um auf die indische Regierung einen militärischen Druck auszuüben. Auf die 7. Flotte wartete im Indischen Ozean dieselbe Rolle, die die 6. USFlotte im Mittelmeerraum spielt: sie ist ein Zwangsmittel zur Durchsetzung der imperialistischen Politik. In den geheimen Dokumenten des Weissen Hauses und des amerikanischen Kriegsministeriums wird zugegeben, dass die Drohung mit Kanonenbooten ein unentbehrlicher Teil der amerikanischen politischen Strategie ist. Diese Tatsache ist von ausserordentlich entlarvender Kraft. Die amerikanische Kanonenboot-Politik erlitt jedoch eine Niederlage. Indien beantwortete die amerikanische Erpressung mit fester und konsequenter Politik. Dies bedeutet jedoch überhaupt nicht, dass die Vereinigten Staaten auf die Anwendung von militärischem und politischem Druck verzichten würden. Washington ergreift auch weiterhin jede Möglichkeit, um sich in das Leben der unabhängigen Staaten dieses Raumes einmischen zu können. Die jüngste Erscheinung dieser Politik war, dass der amerikanische Botschafter in Indien dagegen protestierte, dass Indien — ein souveränes und unabhängiges Land — mit der Demokratischen Republik Vietnam diplomatische Kontakte auf Botschafterebene aufgenommen hat. Die Niederlagen, die die Vereinigten Staaten in Süd- und Südostasien erleiden, erschweren ihre Situation auch im Hinblick auf ihre Verbündeten. Das ist der Grund dafür, dass Präsident Nixon im Laufe der jüngst abgewickelten Verhandlungsserie mit dem französischen Staatspräsidenten Pompidou, dem britischen Ministerpräsidenten Heath, dem westdeutschen Bundeskanzler Brandt und dem japanischen Regierungschef Sato mehr Bereitschaft zu Kompromisslösungen zeigte als je zuvor. Diese Verhandlungsserie machte aber auch deutlich, dass sich die amerikanischen Ziele nicht verändert haben: Washington ist auch weiterhin bestrebt, die Nato zu festigen, ihre militärische Kraft zu erhöhen, die Verbündeten zur Übernahme von höheren Lasten zu bewegen und sie unverändert unter amerikanischer Kontrolle zu halten. Im Laufe der Verhandlungen stellte es sich jedoch heraus, dass Washington gezwungen ist, auch jene Vorbehalte in Betracht zu ziehen, die seine Partner gegen die amerikanische Politik Vorbringen. „Marsch auf Bonai“ Mit dem Heranrücken des Zeitpunktes der Bonner Bundestagsdebatte über die Ratifizierung der sowjetisch-westdeutschen und polnisch-westdeutschen Verträge legt die Rechte eine immer grössere Aktivität an den Tag, um die öffentliche Meinung gegen die Versöhnungspolitik zu stimmen. Die Rechtsextremisten bereiten unter der Parole „Marsch auf Bonn” eine grossangelegte Demonstration vor. Das Ziel der Aktion ist, die schwankenden Abgeordneten im Laufe der Bundestagsdebatte einzuschüchtern und zum Rückzug zu zwingen. Doch nicht nur die ausserparlamentarische Rechte, sondern auch die CDUCSU bereitet sich vor, das Ratifikationsverfahren den Möglichkeiten nach zu verzögern. Der Führer der CDU, Rainer Barzel, Kanzlerkandidat der Opposition, griff die Politik der Regierung in mehreren Erklärungen an und stellte im Zusammenhang mit der Ratifizierung immer neue Bedingungen. Barzel behauptet, dass die Moskauer und Warschauer Verträge in ihrer jetzigen Form nicht die nötige Mehrheit im Bundestag erhalten können. Wie er in einer seiner Erklärungen ausführte, würde die CDU nur einen solchen Vertragstext akzeptieren, der das selbständige Staatswesen der Deutschen Demokratischen Republik anzweifelt. Eine andere Bedingung des Vorsitzenden der CDU lautet so: Seine Partei würde nur dann die Verträge billigen können, wenn die SU in Richtung der EWG eine, wie er sagte, „positive Politik” führen würde. Diese Argumentation gefiel nicht einmal den der CDU nahestehenden Beobachtern, da ja Barzel zwei überhaupt nicht zueinander gehörende Angelegenheiten auf einen Nen-ner bringen möchte. An der Haltung Barzeis und der Rechten im allgemeinen wird besonders bemängelt, dass ihre Angriffe gegen die Versöhnung zwar unversiegbar sind, sie jedoch unfähig scheinen, eine konstruktive Alternative aufzuzeigen. Die rechtsgerichteten Kräfte Westdeutschlands sehen trotzdem immer mehr ein, dass sie kaum in der Lage sein werden, in der Ratifikationsdebatte zu verhindern, dass die Mehrheit im Bundestag für die Verträge Stellung nimmt. Da jedoch das Kräfteverhältnis im Bundestag sich so gestaltet, dass die Mehrheit, die für die Ratifikation Stellung nimmt, gering genug sein wird, versucht es die rechtsgerichtete Opposition mit einer neuen Taktik. Die CDUCSU droht, sich an den Bundesverfassungs-Gerichtshof zu wenden und die Feststellung dessen zu fordern, dass die Verträge einen verfassungsmodifizierenden Charakter tragen. Beschlüsse, die eine Modifizierung der Verfassung darstellen, können nämlich im westdeutschen Bundestag nur mit einer Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Die Warschauer und Moskauer Verträge, die den Verzicht auf Gewaltanwendung deklarieren und die Anerkennung der gültigen Grenzen in Europa beinhalten, stellen natürlich keine Abänderung der westdeutschen Verfassung dar. Der Umstand jedoch, dass die westdeutsche Rechte die Entfachung einer endlosen juristischen Diskussion in Erwägung zieht, zeigt, dass gewisse westdeutsche Kreise das Inkrafttreten der Verträge unter allen Umständen verzögern möchten. Georg Kertész