Neue Zeitung, 1992 (36. évfolyam, 1-52. szám)
1992-01-04 / 1. szám
2 Neue Zeitung Ungarndeutsches Wochenblatt Chefredakteur: Peter Leipold Redakteur dieser Nummer: Beate Dohndorf Redaktion: 1065 Budapest VI., Nagymező utca 49 II. em. Telefon: 132-6334,131-7245 Postanschrift der Redaktion: Budapest, Postfach 224 H-1391 Verlag: Hírlap Kiadó Vállalat 1085 Budapest Vili., Blaha Lujza tér 3. Verantwortlich für die Herausgabe: Generaldirektor József Horti Satz: Diamant GmbH Druck: Druckerei Révai-Óbuda GmbH Verantwortlicher Leiter: László Bánáti Index: 25/646. 92/0511 HU ISSN 0415-3049 Anzeigenannahme direkt in der Redaktion. Unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos werden weder aufbewahrt noch zurückgeschickt. Vertrieb unserer Zeitung Vertrieb: Ungarische Post. 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Durch die aggressive Politik des offiziösen Nationalismus gelang es dann schließlich doch, das Deutschtum in die Arme der großdeutschen völkischen Politik zu treiben und es den Kriegszielen der deutschen und ungarischen herrschenden Kreise auszuliefern. Die Folgen sind bekannt: Auf der Basis der Kollektivschuld für Zehntausende Malenkij- Robot, für die Hälfte der Nationalität Aussiedlung — sie kamen mit einem Bündel, und mit einem Bündel sollen sie gehen, sagte ein bekannter „Volkspolitiker“ — und für die Hiergebliebenen völlige Rechtsberaubung und Einschüchterung. Hinsichtlich dieser sehr lange verschwiegenen Fakten wurde in letzter Zeit so manches gelüftet; ich möchte hier nicht ins Detail gehen, da ich nicht beabsichtige, Unrecht aufzuwühlen, sondern nach der verlorenen Nationalitätenidentität zu suchen. Und es bedarf einer sozialpsychologischen Erklärung, warum die Ungarn wegen der Kompensierung ihrer Rolle im Krieg solch einen Sündenbock brauchten. Die einheitlich deutschbewohnten Dörfer — die ich bei weitem nicht idealisieren möchte, denn sie waren schon lange keine zusammenhaltenden Dorfgemeinschaften mehr — wurden durch hinzuziehende „Siedler“ Orte mit gemischter Bevölkerung. Das Los der auf diese Weise zersplitterten, ihrer kulturellen Infrastruktur beraubten ungarländischen Deutschen war derart unsicher, daß es viele Jahre hindurch ratsam war, nicht mit ihrem Deutschtum hervorzustechen. Die Beklommenheit und Angst, die in meiner Umgebung aus zu Boden gerichteten Blicken und einem verstohlenen Augenblinzeln wahrzunehmen waren, spüre ich heute noch in meinem Inneren, dem kann man nur Herr werden, indem man diese Gefühle unterdrückt. Der schwerste und unwiederbringbarste Verlust war aber wohl doch der Verlust der Muttersprache. Die Eltern sprachen mit ihren Kindern ungarisch, damit diese in den rein ungarischen Schulen und überhaupt in ihrer Laufbahn keine Benachteiligung erfuhren. Und wenn die Kinder doch irgendwie recht und schlecht Deutsch lernten, sprachen sie es nur zu Hause oder im Verwandtenkreis, woraufhin die Sprache immer mehr in eine Art Küchendeutsch eingeengt wurde, die zur Kulturvermittlung unentbehrliche Hochsprache erlernten sie nicht. * Unser Dorflehrer brüstete sich mehrmals mit seinen pädagogischen Erfolgen auf Magyarisierungsgebiet. Als er in den vierziger Jahren in unser Dorf kam, mußten die Schüler noch durch verschiedene Belohnungen oder kleine Bestrafungen dazu gebracht werden, überhaupt ungarisch zu reden. In den Schulstunden rangen sie sich noch irgendwie etwas Ungarisch ab, dann in den Pausen und beim Spielen auf der Straße ging es nur deutsch zu. Ich machte meinem einstigen Lehrer natürlich nie einen Vorwurf wegen seiner erfolgreichen Tätigkeit. Verfuhr er doch in allergrößter Gutgläubigkeit und vollbrachte in unserem Dorf eine seinem Glauben nach patriotische und kulturelle Mission. Denn er erwog, daß er dadurch zum Instrument einer nationalistischen Staatspolitik gemacht wurde. Nebenbei gesagt, es gab Deutschunterricht, wöchentlich eine oder zwei Stunden, doch man kann sich vorstellen, wie diese verliefen, da wir ja in der gemischten Klasse mit Kindern an der Deutschstunde teilnahmen, die keinen Muck Schwäbisch konnten. So bot sich also auch keine Gelegenheit zur auf der Hand liegendsten sprachpädagogischen Aufgabe, nämlich dazu, sozusagen einen Tunnel zwischen der von den Donauschwaben gesprochenen archaischen Mundart und dem Literaturdeutsch bauen zu helfen, damit die Muttersprache festigend und bewußter machend und die Zweisprachigkeit als Wert anerkennend. * In der gleichen Gemeinde — es handelt sich um Sankt Iwan bei Ofen/Pilisszentivän — wurde jüngst eine Ermessung angefertigt, wie die Menschen heute sprechen. Das Resultat bedarf keinen Kommentars: In dieser einst rein deutschen Gemeinde, in der nach der Aussiedlung die Deutschen immer noch in der Mehrheit waren, sprechen heute 90 Prozent der Befragten überwiegend ungarisch, drei Prozent meistens schwäbisch, und fünf Prozent sowohl ungarisch als auch schwäbisch. Zur Frage, welche Sprache die befragte Person zuerst von ihrer Mutter lernte, erwähnten 78 Prozent das Ungarische, 17 Prozent Schwäbisch und 2,5 Prozent alle beide Sprachen. Hinscihtlich des Spachwissens sagten 31 Prozent, sie verstünden und sprächen Schwäbisch sehr gut oder gut, zehn Prozent verstehen oder sprechen es nur schlecht, zwei Prozent verstehen es schlecht und sprechen es überhaupt nicht, und 51 Prozent der Befragten verstehen weder Schwäbisch noch sprechen sie es. Die Lehre daraus: Nur jene sprechen die Sprache noch gut, die noch vor dem Krieg in die Schule gingen; noch immer die Hälfte der Bevölkerung versteht Schwäbisch etwas, doch nur knapp acht Prozent benutzen es. * Aufgrund des Ausgeführten konnte das ungarländische Deutsch-1 tum nicht jene Brückenrolle einnehmen, die ihm bei einer normalen Verbürgerlichung oblegen hätte. Erst als der Rang der ungarischen Verbürgerlichung im Steigen begriffen war, begann das Deutschtum wieder etwas zu sich zu kommen und das Ansehen der Zweisprachigkeit sowie die Vorteile der Doppelkultur zu spüren. Natürlich können auch subjektive Erlebnisse Anstoß zu solch einer Bewußtwerdung geben. Und weil es vielleicht nicht nur für mich bezeichnend ist, möchte ich hier aussprechen, daß der auflebende ungarische Nationalismus in mir mein unabwerfbares Deutschtum, genauer gesagt, meine Doppelidentität wachriefen. Es ist eine doppelte Identität, denn wer würde bezweifeln, daß ich Ungar wäre. Kulturell bin ich ungarisch „programmiert“: all meine Schulen und Studien absolvierte ich ungarisch, die Geschichte wurde mir aus ungarischem „nationalem Blickwinkel“ beigebracht, auch wenn ich ihr später kritischer gegenüberstand und im Gei-; ste der großen Persönlichkeiten der ungarischen Literatur und Geschichte aufgewachsen bin. Dieses kulturelle Erbe betrachte ich als Teil meiner Persönlichkeit, folglich kann sie mir niemand streitig machen, ohne mich zu beleidigen. Auch jene nicht, die das Ungartum als eine Art mystische Kulturgemeinschaft betrachten, und betonen, fremden Wurzeln könne kein ungarischer Geist entspringen. Ich kann aber auch mein Deutschtum nicht abstreiten. „Du wirst ableugnen, daß du Schwabe bist“ — sagte man mir seinerzeit, und das