Neue Zeitung, 2011 (55. évfolyam, 1-52. szám)

2011-01-07 / 1. szám

NZ 1/2011 GEMEINSCHAFTEN DER UNGARNDEUTSCHEN Unlängst nahm ich an einer Führung im Museum und Archiv der Evangelischen Gemeinde Ödenburg teil. Mich faszinierte die fachkundige Erklärung der Erzählerin, Erzsébet Szála, so sehr, daß ich wissen wolle, woher sie dieses Wissen hat. Die Familie wohnt seit eh und je in Öden­burg. Die Großeltern mütterli­cherseits, Maria Pichler und Josef Heiszenberger, hatten acht Kinder. Eines von ihnen war Vilma Heiszenberger, Erzsis Mutter. Wie viele andere deutschstämmige Ödenburger Familien wurde 1946 auch die Familie Heiszenberger vertrieben. Allein Erzsis Mutter entkam der Vertreibung, denn sie heiratete kurz davor Vilmos Szála, den sie in der Tanzschule kennen­­lemte und der nicht auf der Vertrei­bungsliste stand. So kannte Erzsi als Kind ihre Großeltern, Tanten und Onkel nicht, denn sie lebten alle in der Gegend von Würzburg, und aus Ungarn durfte man in den 50er Jah­ren nicht ins Ausland fahren. 1956 war ganz Ödenburg in Aufbruchs­stimmung, viele nutzten die Gele­genheit der offenen Grenze aus und flüchteten in den Westen. Die Ver­suchung war also für die Szálas auch groß, zu der Verwandtschaft zu reisen. Die Familie packte das Nötigste auf ein Fahrrad und ging zu Fuß Richtung Grenze. Sie kam aber nur bis Wandorf/Bánfalva, denn dort sagte der Vater: Ich kann | die Stadt doch nicht verlassen, gehen wir wieder nach Hause. Als Erzsi dann zehn Jahre alt war, durfte ihre Mutter mit den drei Kindern nach Deutschland ausrei- I sen - der Vater mußte sozusagen als Pfand daheim bleiben. Deutsch konnte Erzsi schon von Haus aus, die Eltern sprachen ja untereinan­der diese Sprache, mit der die Kin­­| der somit ständig konfrontiert waren. Außerdem kam ein älterer Herr auch noch zu den Kindern, um mit ihnen Konversation auf deutsch zu führen, damit sie die Sprache der Vorfahren nicht vergessen. Nach der Matura übernahm Erzsi [ eine Stelle in einem Antiquariat, ! denn sie fühlte sich schon damals von den alten Büchern angezogen. Bald heiratete sie und eine Tochter kündigte sich an. Des Kindes wegen gab sie ihren Plan, an einer Universität zu studieren, vorerst i mal auf. Da sie Deutsch sowieso sprach, wählte sie in der Schule als Fremdsprache Englisch. Sie nahm sich aber vor, einmal auch die deut­sche Schriftsprache zu lernen. Es kam aber immer wieder etwas dazwischen. Eines Tages hörte sie in einer der damals üblichen Laut­sprecherdurchsagen auf den Stra­ßen, daß in der Stadt ein Ausbil­dungskurs für Fremdenführer beginne und man sich bewerben könne. Das war für sie die Gele­genheit, ihr Deutsch zu perfektio­nieren und zugleich als Fremden­führerin zu arbeiten. Sie absolvier­te den Kurs und bald darauf mußte sie den ersten deutschen Gruppen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen. Wie sie erzählte, war sie damals sehr aufgeregt, doch die Gäste waren äußerst hilfsbereit und sie hat sogar von ihnen sprachlich noch vieles dazugelemt. Als dann die Tochter, Klein- Erzsi, in die Schule kam, sah die Mutter die Zeit gekommen, endlich weiterzulemen. Zuerst erwarb sie an der Pädagogischen Hochschule in Steinamanger/Szombathely ein Diplom in den Fächern Bibliothe­karin und Volksbildung, dann das­selbe noch einmal an der Univer­sität. Sie interessierte sich aber auch für Geschichte, dieses Fach belegte sie auch und absolvierte es nach drei Jahren. All das tat sie neben der Arbeit. Nachdem der Leiter des Antiquariats nicht hatte einsehen wollen, warum man „Diplome häuft“, wechselte Erzsi ins Museum für Bergbau. Eines Tages wurde ihr eine Stelle an der Pädagogischen Hochschule in Steinamanger angeboten. Sie nahm sie gerne an, denn ab dieser Zeit konnte sie endlich ihr Wissen jun­gen Menschen vermitteln. Sie unterrichtete am Lehrstuhl für Bil­dungswissenschaften Kunstge­schichte, später wurde sie mit der Leitung des Lehrstuhls beauftragt. In der Zwischenzeit wurde 1995 in Ödenburg an der Universität das Institut für Angewandte Kunst begründet, der Unterricht dort bereitete ihr ebenfalls viel Vergnü­gen. Der Rektor der Universität schätzte ihre Arbeit und fragte sie, ob sie bereit wäre, die Leitung der bald zu integrierenden Hochschule für Kindergartenpädagogik zu übernehmen. Nachdem sie ja gesagt hatte, arbeitete sie lange als Leiterin, später als Dekanin. Heute noch unterrichtet sie und leitet das Institut für Gesellschaftswissen­schaften und Psychologie. Kultur war immer ihr Hauptinter­esse und die Bücher ihre Herzens­angelegenheit. Deshalb freute sie sich besonders, als sie vor 25 Jah­ren gebeten wurde, das Museum, Archiv und die Bibliothek der Evangelischen Kirchengemeinde der Stadt fachkundig zu leiten. Sie betreut 8000 Bücher, darunter handgeschriebene Kodexe aus dem 15. Jahrhundert, die sogenannte Nürnberger Bibel und viele theolo­gische Fachbücher. Den Bestand bilden großteils deutschsprachige Ausgaben, die Gemeinde war ja bis zur Vertreibung zu 90 Prozent deutschsprachig. Die Bibliothek ist heute eigentlich ein Museum, es gibt keine Mittel zum Neuerwerb, größer wird der Bestand nur, wenn jemand der Gemeinde Bücher ver­macht. Im Museum sind Ziborien, Kel­che und Ölporträts zu bewundern. Letztere sind deshalb interessant, weil es in Ungarn nur hier eine Sammlung von Bildern dieser Art gibt, die sämtliche Pastoren ab Beginn der Aufzeichnungen male­risch festhielten. Erzsis Mann war ebenfalls in der Evangelischen Kirche tätig, so war es gekommen, daß ein junger Pastor aus Deutschland, der für die Evangelische Gemeinde Ödenburg ernannt wurde, einen Besuch bei der Familie abstattete. So hat er Klein-Erzsi kennengelemt. Klein- Erzsi, damals schon Diplom-Apo­thekerin und Juristin, gefiel dem jungen Mann, Jakob Kruse, so sehr, daß er bald um ihre Hand anhielt. Da er eine Stelle in Freising bekam, zogen die beiden nach der Ehe­schließung nach Deutschland. Der Ehe entstammten drei Kinder: Johanna, Daniel und Fabian. Der | junge Vater konnte schon immer | mit kleinen Kindern sehr gut umge­hen. Bei ihm lernte Erzsi die soge­nannten „Kribbelgottesdienste“ kennen, die damals in Ungarn noch nicht üblich waren. Die Kruses zog es jedoch wieder | in die Nähe von Ödenburg: Jakob I wurde einer Gemeinde in Loipers­­| bach zugestellt, in Österreich, unweit der ungarischen Grenze. Klein-Erzsi lehrt in Ödenburg an der Universität Jus und die Kinder - zweisprachig aufgewachsen - besuchen in Ödenburg die Schule. So schließt sich der Kreis: Die i Nachkommen der Vertriebenen ! sind daheim und sprechen die Spra­­j che der Vorfahren. Judit Bertalan Ödenburger Familien im Porträt Die Familie Szála Dr. Erzsébet Szála Wer war unser gemeinsamer Vorfahr? Sehr geehrte Damen und Herren der Neuen Zeitung, als direkte Nachfahrin der Győrer (Raab) und Soproner (Ödenburg) Spielkartenmalerfamilie Unger habe ich den Bericht von Judit Bertalan vom 5. November mit großem Interesse gelesen. Seit 1987 betreiben meine Familie und ich Forschung zu unserer Familie Unger, die ich auch im Rahmen eines Studiums zum Erwerb eines Advanced Diploma in Local History an der Universität Oxford fortsetzte. Die Hintergrund­recherchen über die Familie sowie Photos und Quellen zu ihr, die im Rahmen der genannten Ausstellung in Győr präsentiert wurden, stamm­ten von mir. Im nächsten Museumsjahrbuch des Xántus-János- Museums wird hierzu mein ausführlicher Aufsatz erscheinen. Ich bin überrascht, daß die beiden gezeigten Damen direkt mit mir verwandt sein wollen. Es ist richtig, daß die Ungers weit verzweigt sind, jedoch stellte schon Jenő Házi in seinem Buch über die Soproner Bür­gerfamilien (A soproni polgárcsaládok) fest, daß es in Sopron viele Familien mit Namen Unger gab, die aber überhaupt nicht miteinander verwandt waren. Daher würde mich sehr interessieren, wer unser gemeinsamer Vorfahr war. Es muß schon sehr lange zurückliegen, denn direkte Nachfahrinnen der Kartenmaler können die Damen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht sein, jedoch ist laut Házi mein Zweig der Familie bereits seit ca. 1700 in Sopron nachweis­bar. Ich freue mich immer, neue Verwandte kennenzulemen und würde mich daher über weitere Informationen zum Stammbaum der von Ihnen präsentierten Ungers freuen. Mit freundlichen Grüßen Dr. phil. Claudia Mürwald Wunderlich München 3

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