Neuer Weg, 1982. október (34. évfolyam, 10373-10399. szám)

1982-10-09 / 10380. szám

NEUER WEG / 9. Oktober 1982 Theater im Cibinium Keine Theaterprovinz am Zibin / Deutsche Abteilung mit einer Uraufführung an der Kulturwoche beteiligt / Von Emmerich Reich rath Am Ende des Rundtischgesprächs über das spezifische Verhältnis von Text und Aufführung in der heutigen Theater­kunst, zu dem das Staatstheater aus Si­biu während des Cibiniums Theaterfach­leute, Dramatiker, Regisseure und Kriti­ker von auswärts eingeladen hatte, sprach der Direktor des Hauses, Pamfil Matei, die Hoffnung aus, der Cibiniums- Beitrag des Theaters möchte bewirkt haben, das Gespenst der Theaterprovinz von der Stadt und ihren Mimen zu vcr-scheuchen. Die Hoffnung ist berechtigt. Denn nicht nur die von dem Bukarester Ästhetiker Victor Ernest Maşek geleitete anspruchsvolle Diskussion hatte gezeigt, dass die Theaterleute aus der Zibinsstadt bei einem Vergleich auf Landesebene durchaus ebenbürtig mitreden können, vielmehr noch — und das ist das Wichti­gere — hatten es die beiden Aufführun­gen bewiesen, mit denen die rumänische Abteilung zur Kulturwoche beigetragen hat: Der Dirigent von D. R. Popescu, in­szeniert vop dem inzwischen in Braşov ar­beitenden Regisseur Florin Fătulescu, und Tennessee Williams’ Camino Real, insze­niert von dem jungen Regisseur des Hauses Iulian Vişa — übrigens eine Ur­aufführung und eine Landeserstauffüh­rung, schon seit einiger Zeit im Reper­toire dieser Bühne, die nun während der Kulturwoche von einem zahlreichen und angeregt-aufmerksamen Publikum mit viel Beifall aufgenommen würden. Beide Aufführungen zeigten kaum Spu­ren der üblichen Abnützungserscheinun­gen, sie wirkten frisch und präzis und strotzten vor Spiellust. Es sind dies ge­wiss herausragende Leistungen dieses Ensembles, das über einige wandlungs­fähige und intelligente Schauspieler (Radu Basarab, Virgil Flonda, Şerban Ionescu, Livia Baba, Constantin Chiriac, Nicolae Călugăriţă u.a.) verfügt und sich von seiner besten Seite zeigte — als eine Trappe, die in der Zusammenarbeit mit kreativen Spielleitern' neben manchem ru­mänischen Spitzenensemble ebenbürtig bestehen kann. Die beiden Inszenierungen .—. Fătulescus Dirigent als komödiantische, mit wirkungsvollen Gags durchsetzte Pa­rabel in der Art des absurden Theaters über unentschlossen-unterwürfige • Men­schen, die sich freiwillig einem Besesse­nen ausliefern, und mehr noch Vişas Camino Real als revueartig-traumhafte Vision menschlicher Existenz zwischen determinierenden Zwängen, Selbsttäu­schung und permanenten Versuchen der Selbstbefreiung — liessen sich bei dem abschliessenden Rundtischgespräch gut verwenden zur Exemplifzierung der von Victor Ernest Maşek überzeugend und ar­gumentiert vorgetragenen These von der Theateraufführung als freier, schöpferi­scher Paraphrase des ‘Textes, die künstle­rischen Eigenwert hat. Dies ist zwar nicht unbedingt etwas Neues, kann aber den verknöcherten Anhängern einer illu­sorischen Werktreue — verstanden als mimetische Nachahmung (welcher?) Wirk-1 i oMro! L o ff o-nbo'? A_fL onninrt or<_ HWUiUt U vv*Tö Ö — sagt werden. Zwischen diesen beiden Marksteinen hatte die deutsche Abteilung mit ihrem Beitrag einen schjveren Stand. Immerhin: Die Dürre von Ignaz Stösser war eine Uraufführung, allerdings auch das Debüt eines lokalen Autors ohne Bühnenerfah­rung, den dieses Theater für sich entdeckt hat. Man war also geneigt, die Erwartun­gen nicht sehr hoch anzusetzen, und man glaubt Franz Csiky aufs Wort, wenn er im Programmheft schreibt: „Im Dasein eines Dramaturgen sind die Freuden rar gesät. Man kämpft sich durch eine Flut meist uninteressanter und schwacher Stücke — die Wahrscheinlichkeit, in dem Makulaturstöss ein aufführbares Werk zu finden, ist äusserst gering“. Was ich ihm — nach der Aufführung — nicht mehr so ganz glaube, ist, dass der Grund für die Aufnahme dieses Stückes in den Spielplan nicht der Umstand war, „dass man junge Autoren fördern muss, oder 1 dass Ignaz Stösser ein einheimischer Autor ist, nein, der Hauptgrund war, dass Ignaz Stösser ganz einfach ein gutes Stück geschrie­ben hat.“ Aber „Dramaturgen sind Opti­misten“ (Csiky), und der Kritiker möchte sich diesen Luxus auch einmal leisten: er ist gerne bereit einzuräumen, dass Ignaz Stösser vielleicht einmal ein ganz einfach gutes Stück schreiben wird. Eine wesentliche Voraussetzung dafür bringt der gebürtige Guttenbrunner, der als Journalist iri der Stadt am Zibin lebt, tatsächlich mit: den Sinn für echte Problematik und ein grundehrliches En­gagement in ihrer Behandlung. Kann dieser Vorzug über dramaturgi­sche Mängel des Stückes — Thesenhaftig­­keit, ungenügende Motivation der Prota­gonisten und ihrer wechselnden Haltun­gen, Überhäufung der Fabel mit katastro­­phischen Ereignissen, die fast aus­nahmslos hinter der Bühne geschehen, Deus-ex-machina-Lösung (Regen) — hin­wegtrösten? Für diesmal vielleicht. Denn Ignaz Stösser ist eine Sache frontal an­gegangen, die viele als das Grundproblem rumäniendeutscher Existenz heute be­trachten. Es gibt in unserer recht schütte­ren deutschen Dramatik keinen, und auch sorfiü in unserer zeitgenössischen Litera­tur selten einen Text, der die Gretchen­frage so sehr in den Mitteipunkt stellt: es geht, mit einer Replik des Stückes zu re­den, „ums Bleiben oder Gehen“. Gretchen­fragen allerdings sind immer auch mit Tabus behaftet, und das mag die Mängel des Stückes und der Inszenierung (Regie: Franz Csiky, Bühnenbild: Maria Bodor) auch wiederum teilweise erklären. Der Autor wählte für die Behandlung seines Themas eine historische Metapher­­die Dürre, die seine Heimatgemeinde 1862—1863 heimsuchte und die Bauern vor die verzweifelte Alternative stellt — Ausharren oder Auf geben? Den histori­­sehen Hintergrund, grfährt ^nicin p.Upi*­­dings bloss aus dem Programmheft, auf der Bühne erscheint die Geschichte zeit­los, eben als Sinnbild für die Erörterung einer ähnlichen Alternative. Daraus wur­de, ein fast theoretischer Disput, wenn auch in brauchbaren Dialogen, der irgend­wie in der Luft hängt. Die Inszenierung hat sich gescheut, das Ganze in ein kon­kretes sozial-hjstorisches Milieu zu ver­packen (das karge Bühnenbild deutet mit einigen Lattengestellen vage den Umriss eines Bauernhauses um den versiegten Brunnen in der Mitte an), und bringt sich so zum guten Teil um die theatralische Sinnlichkeit. Franz Csiky spricht im Pro­grammheft von «einer Art Verfremdungs­effekt, und das deutet auf Absicht hin: man wollte offenbar nicht durch Ver­deutlichung die Doppelbödigkeit der Auseinandersetzung verwischen, die eines sagt und ein anderes meint. Damit kolli­diert aber die direkt-realistische Spiel­weise, die den Zuschauer weitgehend auf die akustische Vermittlung von Repli­ken wie „die Dürre ist in uns, da hilft kein Weglaufen“ verweist, anstatt symbol­wertige Zeichen zur szenischen Veran­schaulichung einzusetzen. Mit anderen Worten: der Inszenierung fehlt ein ein­heitlicher inszenatorischer Grundgestüs. Diese Bemerkungen zielen auf einen Idealfall ab, den es an unseren deutschen Bühnen leider viel zu selten gibt. Denn auch hier gilt, was in weiterem Zusam­menhang als ein Grundmuster unseres deutschen Kulturbetriebs über die Zeiten hinweg erkannt wurde: wir stehen immer wieder vor einem neuen Anfang. Wenn man bedenkt, dass das Ensemble zur Zeit ohne ausgebildeten Regisseur aus­­kommen muss und der Autor dieser In­szenierung, gewissermassen auch Auto­didakt in Sachen Theater, über einschlä­gige Erfahrung nur bedingt verfügt, muss man zumindest von einem Achtungserfolg sprechen. Und es bleibt zu hoffen, dass diese Aufführung auch ihren Zweck er­reicht. dass das Publikum nämlich dieser Angebot zur Auseinandersetzung mit einer Grundfrage unserer Existenz an­­nimrnt. Voraussetzungen dafür schaffen nicht zuletzt die Darsteller — Rosemarie Müller (Grossmutter), Siegfried Siegmund (Vater), Annemarie Schunn (Tochter) und Jochen Grumm (Harro) —, die ihren Bei­trag mit Ernst, Hingabe und Verantwor­tungsbewusstsein leisten. Szene aus „Die Dürre“ mit Annemarie Schunn und Jochen Grumm Szene aus „Camino Real“ mit (v.l.) Radu Basarab, Virgil Flonda und Şerban Ionescu Hans Erich Nossack Das Ungefähr in der siebenten Woche nach unserm Aufbrach sahen wir in der Ferne etwas, was einem Mal glich, das sich je­mand aufgerichtet hat. Es stand mitten in der Einförmigkeit der endlosen Schnee- Ebene, durch die wir schon tagelang ge­zogen waren. Zufällig war die Sicht ver­hältnismässig klar, obwohl die Sonne nicht schien. Das Mal warf deshalb auch kaum einen Schatten, soweit sich das aus der Entfernung beurteilen liess. Aber kein Schneesturm wie sonst. Überhaupt hatte der Wind in den letzten Stunden merklich nachgelassen. „Also doch“, murmelte Blaise, mehr für sich als für mich, der neben ihm stand; denn es war im allgemeinen nicht seine Art, sofort eine Meinung zu äussern. Ich begriff, was er damit sagen wollte. Man hatte uns erzählt, dass vor uns bereits andere den Versuch gemacht hätten und dass sie niemals zurückgekommen wären. Genaues wusste natürlich niemand, wenn man nachfragte. Wir hielten es für ein Märchen, um uns von dem Unternehmen abzuschrecken. Solche Märchen bilden sich ja immer, wenn etwas als unmöglich gilt. (...) „Also los! Gucken wir uns den Schnee­mann mal an“,, rief Patrick schliesslich. Er schnalzte mit der Zunge, und die Schlittenhunde legten sich ins Geschirr. Wir brauchten eine gute Stunde, bis wir hinkamen. Die Entfernung (ässt sich schwer einschätzen, wenn sonst nichts da ist. Dann allerdings erkannten wir sofort, dass es tatsächlich ein eingeschneiter Mann war. Wir liessen alles stehen und liegen und klopften ihm den Schnee von Kopf und Schultern. Die Hunde kratzten unten herum, gaben es aber schneller auf als wir. Offenbar hatte der Mann keiner­lei Geruch mehr an sich. Die Hände hatte er in den Taschen seiner Jacke. Sei­ner Haltung und seinem Aussehen nach hätte er ebensogut einer von uns sein können, was jedoch nichts besagt. Wer bis hierher kommen will, muss mit dem Kli­ma rechnen. In hundert Jahren wird man sich auch nicht viel anders kleiden . kön­nen wie dieser Mann oder wie wir. Am meisten überraschte es uns, dass er stand. Keiner von uns hätte es je für möglich gehalten, dass man stehend er­frieren könne. Wir hatten ohne weiteres angenommen, man fiele vorher um oder man legte sich aus Müdigkeit hin. Beson­ders davor wurde ja gewarnt. Und nun, siehe da, dieser Mann stand aufrecht auf seinen Beinen, ohne sich auch nur an irgendwas anzulehnen. Denn woran hätte er sich auch anlehnen sollen? Wir wag­ten nicht einmal ihn umzulegen, aus Furcht, ihn dabei mitten durchzubrechen. Gewiss, die Möglichkeit, dass wir selber erfrieren würden, hatten wir in Rechnung gestellt, aber dies war denn doch ziemlich befremdend. Ich gab mir Mühe, seih Gesicht von der Maske aus verharschtem Schnee zu be­freien, die“ an seiner Mütze, seinen Augen­brauen und Bartstoppeln festgewachsen war, ähnlich wie das bei uns zuweilen vorkam. Die anderen sahen mir zu und warteten; die Arbeit konnte nur einer machen, und so überliessen sie es mir. Ich musste sehr vorsichtig sein, um nichts dabei zu verderben. Ich klopfte ihm ganz sanft das Gesicht mit meinem Handschuh ab. Seine Augen waren geschlossen und die Augäpfel so hart wie Marmeln. „Kein Wunder“, sagte ich, „er hatte keine Schneebrille, darum hat er die Augen zu­gekniffen.“ Aber auch so liess es sich schliesslich nicht länger verheimlichen, dass der Mann lächelte. Nicht jetzt erst und über uns — welch ein Unsinn —, Eondem schon seit damals. Und auch nicht etwa,, dass er die Zähne fletschte, wie es Tote zu tun pflegen. Das ist kein Lächeln. Dieser aber lächelte wirklich mit den . Winkeln seiner Augen und den schmalen, farblosen Lippen. Kaum merk­lich; man glaubte zuerst, sich zu täuschen, doch wenn man wieder hinblickte, war es deutlich genug. Wie jemand, der einén schönen Gedanken hat, ganz für sich allein, und weiss es selber nicht, dass er dabei lächelt (...) Ich weiss nicht, was die anderen dach­ten. Doch warum sollen sie etwas anderes gedacht haben als ich? Es ist wohl am besten damit ausgedrückt, wenn ich sage: Wir kamen uns plötzlich ein wenig sinn­los vor. Und das ist schlimm. Es ist sehr viel schlimmer, als nur einfach erschrok­­ken zu sein. Wie auf Verabredung benah­men wir uns leiser als sonst. (...) Wir haben genügend Tote in unserm Leben gesehen und • sind es gewohnt. Meiner Meinung nach lag es einzig und allein an dem Lächeln. Es zwang uns, behutsam zu sein. Es darf auch nicht ausser acht ge­lassen werden, dass, wir überaus anstren­gende Wochen hinter uns hatten und dass uns nicht zum Lächeln zumute war. Ob­wohl natürlich häufig Witze gerissen wurdep, wie es sich gehört. An diesem Tag zogen wir nicht weiter. Es war erst gerade Mittag, und normaler­weise hätten wir es uns noch nicht er­laubt, Rast zu machen. -Doch es bedurfte gar keines Beschlusses, es ergab sich wie von selbst. Wir liessen den Mann stehen, so wie er war, und schlugen hundert Me­ter davon entfernt das Lagerauf. Genauso wie immer. Jeder von . uns hatte seine bestimmten Handgriffe, damit es schnell ginge und keine Zeit » mit Nachdenken vergeudet wurde. Das Zelt wurde aufge­richtet und der Spirituskocher in Gang gebracht. Die Hunde bekamen ihren Trockenfisch, und nachdem jeder seinen Anteil unter Knurren verschlungen hatte, rollten sie sich im Schnee auf. Sie nutzen ja jede freie Minute, um zu schlafen, die Schnauze zwischen den Hinterbeinen. Inzwischen war es dann auch für uns so weit. Die Dosen mit Bohnen und Speck waren heiss geworden. Wie üblich krieg­ten wir unsere Lebertranpillen zugeteilt und hockten uns ins Zelt, um zu essen. Dabei nahmen wir- uns immer viel Zeit; es ruht sich besser aus. Gesprochen wurde niemals viel dabei. Es war also nichts Un­gewöhnliches. (...) Nach dem Essen, und nachdem wir Ge­schirr und Besteck im Schnee gesäubert und wieder zusammengepackt hatten, kro­chen die drei anderen in ihre Schlafsäcke, als wenn nichts wäre. Blaise nahm seine Instrumente, die er den ganzen Weg mit­geschleppt hatte, um jeden Tag die Tem­peratur und Luftfeuchtigkeit nachzu­messen und den geographischen Ort aus­zurechnen. Und was weiss ich sonst noch alles ... Ich verstand nicht viel davon, aber ich pflegte ihm dabei zu helfen, in­dem ich die Zahlen, die er mir aufgab, in ein Heft mit Rubriken eintrug. Und so war es auch heute. Blaise nahm es mit diesen Zahlen sehr wichtig.. Ich hatte ihif oft deswegen ge­neckt. Was geht uns der geographische Ort. an, hatte ich gesagt. Im Grunde in­teressiert uns das doch gar nicht. Und selbst wenn wir annehmen, dass dies Heft einem zu Gesicht kommt, was doch keineswegs unsere Absicht ist — was passiert dann? Die Leute werden die Zah­len in ihr Lexikon eintragen und stolz sein, dass sie einen Schritt weitergekom­men sind. Aber nur die Wissenschaft. Niemand sonst kommt mit diesen Zahlen auch nur einen halben Schritt weiter, denn im Ernstfall weiss keiner was damit anzufangen. Und so hatte ich mich auch über die Vitamintabletten lustig gemacht. Sie sterilisieren uns nur gegen die Wirk­lichkeit, hatte ich gesagt.' Doch Blaise liess sich nicht dadurch beirren. Er mein­te, man habe sich jeder zeitgemässen Er­findung zu bedienen, auch wenn man von ihrem nur relativen Nutzen überzeugt sei. Die, die wir Wilde nennen, argumentierte er, haben auch ihre Mittelchen, die es ihnen ermöglichen, unmenschliche Strapa­zen zu überstehen. Ich konnte mich jedoch nie ganz des Eindrucks erwehren, dass Blaise es nur darum so gewissenhaft mit seinen Zahlen nahm, weil ihm das einen Halt verschaffte. Während ich der Meinung war, dass wir rascher vorankom­men würden, wenn wir gar nicht mehr nach rückwärts dächten. Blaise nannte das eine umgekehrte Romantik. Das alles war jedoch oft genug gesagt worden — es gehörte schon beinahe zur Verdauung —,' und diesmal sagte ich nichts. Ich bin überzeugt, dass ihm das auffiel, doch auch er sagte nichts. „Es klart immer mehr auf“, stellte er fest, als wir mit den Zahlen fertig waren. Und in der Tat, das konnte man auch ohne In­strumente sehen. Von dem erfrorenen Mann nahmen wir keinerlei Notiz. Wir schlenderten dann zu den Vorratssäcken zurück, die wir immer ins Zelt legten, um ihm mehr Festigkeit zu geben. Ausser­dem konnten wir es so rechtzeitig mer­ken, wenn die Hunde darüber hergefallen wären. Man musste immer damit rechnen, dass es sie überkam. Blaise stiess ein paarmal mit dem Fuss gegen die Säcke, und ich ahmte ihn nach. Alles ohne ein Wort. Dann krochen wir ins Zelt und rauchten eine Zigarette. Das war eine zu­sätzliche Zigarette; denn wir hatten nicht viel, zwei Stück pro Mann und Tag. Zu Anfang war ein wenig damit gewüstet worden. Wir glaubten, dass die anderen schliefen, aber das war nicht der Fall. Oder sie wachten vom Tabakgeruch auf. Denn plötzlich fragte einer aus seinem Schlafsack heraus: „Na, und was wollen wir nun mit dem Kerl anfangen?“ Die Stimme klang zornig; der Mann räusperte Eich wiederholt, als er das gesagt hatte. Und es war klar, dass auch die anderen zuhörten. Es liess sich also doch nicht umgehen, darüber zu reden. Blaise antwortete nicht gleich. Es war eine ganze Weile sehr still im Zelt. Nie­mand drängte ihn, es eilte ja auch nicht. „Wir werden ihn morgen fotografieren“, sagte er endlich. „Und dann?“ fragte es aus dem Schlaf­sack. 1 „Wir können ja versuchen, das Eis un­ter seinen Füssen loszuhacken, und ihn dann hinlegen. Für ihn bleibt es sich gleich, ob er steht oder liegt. Es wäre nur der Ordnung wegen. Machen wir uns nichts vor.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Der Mann ist nicht so wich­tig.“ „Was denn?“ fragte die beharrliche Stimme. „Und wenn wir ihn nicht getroffen hätten?“ rief Blaise. Er verlor die Geduld, lenkte aber sofort ein. Es war auch eine dumme Antwort; den wir hatten ihn ja getroffen. „Wichtig ist nur“, bemühte er sich so ruhig und sachlich wie sonst zu sprechen, „dass wir hier in unserm Zelt sitzen und mit unserm gesunden Men­schenverstand überlegen, wie weit wir es gebracht haben.“ „Ein komischer Anlass dazu, ein eţfrore­­ner Mann.“ Diesmal war es Patrick, der sich äusserte. Es sollte höhnisch klingen. „Gerade weil er erfroren ist und wir noch nicht. Ich mat e ihm ja keinen Vorwurf daraus, es ist seine Sache. Im­merhin, wir haben den Beweis erbrächt, dass man bis zu diesem Punkt kommen kann, ohne zu erfrieren. Das ist nicht viel, aber wir haben ja auch nicht viel erwartet. Nach allem, was man uns bei­gebracht hat, müssten wir schon längst erfroren sein.“ „Aber wie kommt er hierher?“ fragte eiher. „Und wie kommen wir hierher? Wenn man uns in zehn oder hundert Jahren hier findet, wird man genauso dumm fra­gen. Per Schlitten oder zu Fuss, ganz ein­fach. Wahrscheinlich zu Fuss. Der Mann ist, kein Vorbild. Vielleicht bildete er sich das ein, und da ihn niemand für voll (Fortsetzung auf Seite 4) Kultur \ K-ilX&staio /B• laTarttza IC.il8 Austragung zum Wochenende König Fussball gelangte am Wochen­ende nun in allen seinen Rängen zur Austragung und bot seinen Anhängern mal grosse Genugtuung, mal echte Ent­täuschungen. („Karpatenrundschau“ Nr. 33, 20. August 1982) Genugtuung empfinden die Anhänger einer Mannschaft, wenn diese gewinnt; enttäuscht sind die Fans, wenn ihre Elf unterliegt. Ein bestimmtes Wochenende, an dem die Mannschaft ein einziges Spiel bestreitet, kann den Anhängern nicht mal grosse Genugtuung, mal echte Ent­täuschungen bringen — während die ei­nen (Anhänger der Sieger) froh sind, werden die anderen (Anhänger der Be­siegten) enttäuscht. Zur Alternanz von Freud und Leid, die durch „mal... mal“ suggeriert wird, kann es nur während ei­ner Reihe von Spielen kommen. Nun zum dicken Brocken: Soviel ich weiss, kann ein Spiel, ein (Wett)kampf, ein Streit, auch eine Meisterschaft zur Austragung/zum Austrag kommen, d.h. ausgetragen werden. Wer oder was wird hier aüsgetragen? Der König oder der Fussball? Werden Fussbälle ausgeteilt oder,wird ein König geboren? Wenn man eine Metapher verwendet, so sollte man sich vorher versichern, ob sie auch in den Kontext passt, ln unserem Beispiel ist das nicht geschehen, und die unlieb­samen Folgen haben sich prompt einge­stellt. Und schliesslich: Wo wurden die Spiele ausgetragen? In allen Rängen des Königs Fussball! Wie viele Ränge hat ein König? In den historischen Monarchien einen ein­zigen, und zwar den höchsten. Man muss schon einiges über Fussball wissen, um zu verstehen, dass „Rang“ hier weder für „Pla­cierung“ (Platz, Stelle) im sportlichen Wettkampf noch für „Stockwerk im Zu­schauerraum“ steht, sondern für unsere erste, zweite und dritte bzw. A-, B- und C-Liga. Ein Sportjournalist mit besseren Deutschkenntnissen hätte eventuell ge­schrieben: Seit dem letzten Wochenende, als auch die ersten Spiele der B- und C-Liga aus­getragen wurden, beherrscht König Fuss­ball die Szene wieder souverän. Damit hat für die Fans eine neue Saison der grossen- Genugtuungen und bitteren Ent­täuschungen begonnen. Rolf B os sert Anonymer Kupferstich, erschienen 1686 in Venedig Seite 3 lrriJj|-cklcht der Sprache Alte Temeswarer Stiche (6) In mehreren Kupferstichen erscheinen Stadt und Festung, Vorstadt- und Land­schaft seitenverkehrt im Bild: die Palanka und das Schloss also links, die Stadt aber rechts. Diese Darstellung geht auf die korrekte Nachzeichnung der Vorlage auf die Platte zurück, wobei durch den Druck dann das Spiegelbild entstand. Zwei Blätter dieser Art erschienen 1686 und 1687 in Venedig bei Ercole Scala im Band „L’Ungheria Compendiata“. (Die Palanka lag nördlich der Festung, zum Teil auf dem Gebiet der heutigen Inneren Stadt, zum Teil auf dem der Fa­brikstadt. Manche deuten die „seitenver­kehrte" Darstellung denn auch nur be­dingt falsch, da die Himmelsrichtung im Stich nicht angegeben ist.) Ober zwei Jahrhunderte Baugeschichte - unter Karl Robert von Anjou, unter dem Temescher Comes Pipo Spano aus der Mailänder Familie Scolari und schliesslich unter lancu de Hunedoara - prägten dem Stadtbild den stilistischen -V'r/^el der Zeit auf. Wie König Karl Robert Mess auch Comes Pipo Baumei­ster und Künstler aus Italien nach Te­mesvár kommen, um die Festung auszu­bauen, aber auch um Gebäude dem Re­präsentationsbedürfnis entsprechend um­­und auszugestalten. Wir wissen jedoch sehr wenige Einzel­heiten über einzelne urkundlich erwähnte Bauten wie das Dominikanerkloster (er­wähnt 1319), die Sankt-Georgs-Kirche (1323) sowie weitere Kirchen und Kapel­len, Wohn- oder Verteidigungsbauten. Die Details, die in den alten Stichen zu erkennen sind, können zum einen zeitlich nicht ganz genau eingeordnet -werden, zum anderen widersprechen sich die Dar­stellungen. Es ist jedoch mit Sicherheit anzunehmen, dass der Gesamtcharakter der Architektur von gotischen Stilmerk­malen beherrscht war, da die Baumeister und Künstler aus Italien die Bauweise ihrer Herkunftsgebiete hier weitergbführt haben. Doch auch spätromanische Elemente sind vereinzelt auszumachen, wie zum Beispiel an der Katharinen-Kirche, und es ist sicher nicht auszuschliessen, dass es solche tatsächlich gegeben hat. Zu­nehmend setzte sich jedoch die Gotik durch, sie ist an den Sakralbauten wie auch an den Wehranlagen deutlich sicht­bar. Nachdem Temeswar in den Türken­kriegen eine Schlüsselstellung erlangt hatte, wurden auch die Vorstädte — die Grosse und die Kleine Palanka — immer grösser, und selbst im architektonischen Bild dieser Siedlungen ist die Gotik be­herrschendes Motiv. Bewohnt war die Vorstadt von Rumänen wie auch von Serben, die auf ihrer Flucht vor den Tür­ken von lancu de Hunedoara in Temes­war aufgenommen wurden. Gotisch ist auch der „Wasserturm" hin­ter dem Haupttor der Festung. (Hier soll erklärend das Für und Wider um die Bezeichnung dieses Turmes angeführt sein: Um einen Turm zur Versorgung der Stadt mit Trinkwasser kann es sich nicht gehandelt haben, der Name rührt wohl daher, dass der Turm über dem Kanal errichtet war, der das Schloss von der Stadt um eine Zeit trennte.) Dieser Was­serturm ähnelt ebenso wie die Kirchen in vielem den heute noch erhaltenen Bau­ten dieser Art in siebenbürgischen Städ­ten und Dörfern. Der Kunsthistoriker Vir­­gii Văiăşianu gehr darauf in seiner Ge­schichte der feudaler, Kunst auf dem Bo­den Rumäniens ein: „Es Ist leicht mög­lich, dass; einzelne Bauelemente, die wir heute in Hunedoara (am Schloss - Anm d. Verf.) antreffen, vorher bereits zum Bei­spiel am Temeswarer Schloss, an den Bischofspalästen von Grosswardein oder in Alba lulia gestaltet worden waren." Während der Eroberung Temeswars durch die Türken wurde einiges vom go­tischen Stadtbild vernichtet, durch die harten Kämpfe bei der Vertreibung der Türken aber wurden auch die letzten Reste, die während der Herrschaft des Halbmondes in ihrer ursprünglichen oder aber in abgeänderter Form erhalten ge­blieben waren, völlig zerstört. Rodica Medeleţ

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