Neues Pester Journal, Mai 1877 (Jahrgang 6, nr. 120-149)

1877-05-01 / nr. 120

Das „Neue Abonnement: Ganzi. fl.14, halbi. fl. 7, | D täglich, viertelf. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20. PVeiter Journal“ erscheint and­ast Montagen. Redaktion und Ndmninistration: Leopoldft. Kirchenplat Nr. 2. . Ginzeline Nummern. Infernte nach aufliegenden Car Rumänien. Budapest, 30. April. Ein ganz unqualifizirbarer Esel muß jeden erfassen, der des Sinnes für Necht und Treue noch nicht völlig verlustig gegangen ist, wenn er jenes Gewebe von Zug und Trug, von Fallheit und­­ Treubruch überblict, mit dem der große Befrei­­ungskrieg des heiligen Nußland für die südflavi­­schen Völker introduzirt wird. Kein Tag ohne welt­historische Lüge, fein Tag ohne Treu: und Ber­­tragsbruc) ! das ist das Losungswort Nuklands und des Bastardvolied geworden, das sich jenem mit ‚Haut und Haaren verschrieben hat. Nuffische und rumänische Staatsmänner, sie lügen und heucheln um die Wette und man ist wahrhaftig in Berlegen­­heit, welchem Theile man in diesem sauberen Wett: Tampfe den Preis zuerkennen soi. Der gestrige Tag hat wieder das verrätherische Spiel aufgedeckt, wel­­ces Rumänien seit Wochen getrieben hat, und heute tannt sein Zweifel mehr darüber obwalten, was Herr Bratiano mit seinem, die Neutralität Rumäniens bez handelnden Nundschreiben an die Mächte bezweckt hat. 63 war ein Ver­uch, das Lehensverhältnis Ru­­­mäniens zu lodern und aus dem Vasallenstaate, des­­sen Gebiet nach dem Wortlaut und Sinne des Baz tifer Vertrages ein Theil des ottomanischen Ge=­tamm­treiches in einen neutralen, selbstständigen Staat zu schaffen, dessen Steutralität die europäi­­sen Großmächte garantiren und damit implicite auch seine Unabhängigkeit anerkennen sollten. Iwas hat man in Rumänien darüber geheult und ge­­ser­en, daß Europa die Donaufürstenthümer ihrem Schidsale überlasfe, al dieses Rundschreiben seiner Antwort gewürdigt wurde! Und doch wäre eine zustimmende Erledigung de rumänischen Rund­­schreibens nichts gewesen, als eine Anerkennung der ‚Neutralität, eine Anerkennung der Loslösung Rus­mäniens von dem suzeränen Staate und zu solchem Fed wollte seine der Mächte Hilfreiche Hand töten. ‚Sehen wir aber davon ganz ab, daß Rumä­­nien gar nicht das Recht Hatte, sich als neutraler Staat zu proklamiren, daß Fürst Carol vielmehr nach Artikel XXVI des P­ariser Friedens verpflic­­tet war, „zur Abweisung eines jeden fremden An­­griffes außerordentliche Vertheidigungsmaßregeln in Hebereinstimmung mit der hohen Pforte zu treffen“, wie sonderbar faßt man in Bujarest den Begriff der Neutralität auf! Europäisch ist zum Mindesten diese Aufassung der Neutralität nicht ; denn nach euro­­päischem Völkerrecht ist die erste Pflicht, welche aus der Neutralität fließt, die, seinen der Krieg führenden Theile in einer kriegerischen Unternehmung zu uns­terftügen und insbesondere die, seinem kriegführen­­den Theile den Durchzug zu gestatten. Nun wissen wir sehr wohl, daß die r­umänische Armee, au) wenn ihre absolute Unbrauchbarkeit weniger notorisch wäre, nie im Stande gewesen wäre, den russischen Kolonnen den Pruthübergang zu verwehren. Aber mit der Heuchelei eines formellen Protestes gegen den Pruthübergang hätte man Europa doch verscho­­nen sollen, während mehr als vierzehn Tage vorher die rumänische Regierung bere­it die K­onvention ab­­geschlossen hatte, durch welche sie Rußland nicht nur den Durchzug gestattete, sondern der russischen Armee den gesanmten Eisenbahn­, Fluß­ und Stra­­ßenverkehr einräumte, für gutes baares Geld die Hilfsquellen des Landes für die Verpflegung der Armee zur Disposition stellte, si zur Herbeischaf­­fung von Schiffs- und Brüdenmaterial verpflichtete und sich nur noch das Recht vorbehielt, auf russische Deserteure fahnden und dieselben ergreifen zu dürfen. . Zur Rechtfertigung­ dieser Konvention aber weiß der rumänische M­inisterpräsident wieder nichts anderes vorzubringen, als eine Züge. Der­ Zweck der K­onvention sei, 10 erklärte er der Sammer, für Rumänien, zu behalten, was er besigt. Zur Llustration dieser Erklärung und der Ehrlichkeit, mit welcher dieselbe abgegeben wurde, Liegt heute an die Meldung vor, daß Rußland auf die Uns­abhängigkeitserklärung Numänien’s hinarbeite und Rumänien wird si wohl nicht lange dazu drän­­gen lassen. Die Unabhängigkeitserklärung ist ja nur die Logische K­onsequenz der am 16. D. abges­chlossenen russische rumänischen Konvention. Ein Bajallenstaat, der sich mit dem Feinde seines Su­­zeräng verbindet hat, diesem sein Gebiet auslie­­fert und den strategischen Operationen der feind­­lichen Arm­ee Hilfe und Vorschub leistet, hat dem Lehensfürsten die Treue gebrochen und befindet sich gegen diesen im Zustande offener Rebellion, an wemn die rumänische Armee fern vom Schuß bleibt und in irgend­einem Winker des Landes behaglicher Nähe pflegt. Rumänien, daß sich Ichlauer Weise im Vorjahre vor jeder Triegeri­ —-sp­.--« ichen Bewegung ferne gehalten hat, macht heute zu gelegenerer Zeit und unter mächtigerem Schuhe denselben Schritt, den damals Serbien unternom­­men hat. 63 will das Vasallenverhältniß zur Pforte lösen und die Fahne seiner Unabhän­gen­ entfalten. Der Versuch wird Rumänien, wie immer­­ Chancen des Krieges sich gestalten, theuer zu­zu fon­men. Wir sprechen gar nicht von den Maß­­regeln, welche die Pforte, wenn sich der Sieg ihr zuneigen sollte, gegen den rebellischen Basallenstaat zu ergreifen berechtigt it. Aber vor jener Unabhän­­gigkeit möge der Himmel jeden Staat bewahren, welcher Rumänien entgegengeht, wenn sich der Er­folg an Rußlands Waffen heftet. Dann ist Die ganze Unabhängigkeit eitel Dunst und Schaum, dann Hat das Vasallitätsverhältniß nur den Namen geändert, ‚Rumänien hat aufgehört, Vasallenstaat der Pforte zu sein und ist dafü­r, wenn auch nicht rechtlich und­ nominell, so doch faktisch der Basallenstaat Russ­lands geworden. Und dieses Verhältnis -wid und B sid zu einem weit drühenderen gestalten, ‚das bisherige. Seht sich Rußland auf Dem Bal­l fest, dann geht die einzige Verbindungsstraße v ‚Rußland nach den neugewonnenen Provinzen du­­ Numänien; so lange die russische Ossupation an der Balian-Halbinsel dauert, so lange dauert si auch in Rumänien und die Herstellung­ der Drei­spurigen Geleise und der Ausbau der rumänischen Bahnen deutet darauf hin, daß die Rufen ein Rumänien recht behaglich einrichten wollen. So geht Rumänien dem wohlverdienten Schidjale ent­­gegen; es vermeint, das dürfliche Jod­ abschütteln zu können und ist dem russischen Belzebub­ in die Hände gefallen, der diese erste und mühelose Er­oberung nicht leicht wieder fahren lassen wird. Darauf aber darf man füglich doch ges­­ein, wie sie das auswärtige Amit der ditertei ungarischen Monarchie gegenüber der Eventualität einer Unabhängigkeitsek­lärung Rumäniens verhal­­ten wird. Wird Graf Andrasiy auch dann no­cchweigen und es ruhig hinnehmen, daß ein Zwerge Staat wie Rumänien den Pariser Vertrag zerreißt und Europa ein Schnippchen schlägt? Wird er auch diese Losreißung Rumäniens von der Türkei und die thatsächliche Verwandlung der Donau­­fürstenthümer in einen russischen Basalfenstaat für ein umwesentliches Detail betrachten, in welches Defterreichelungarn sich nicht einmengen darf? Eine solche HalMgpreLxM­ hgxx,ginßgellgsjlsi­ärtzdjz · Hiezu 4 Seiten Beilene, enthaltend die Roman-Zeitung. sotwie Das „Theater­ und Beranüa unasblatt.“ Victor Tissot über Budapest. Budapest,30.April. Viktor Tissot,der Verfasser des berühmten Wer­­kes:»Die Reise i11’sk))Milliardenreich­«,welcher gegenwär­­tig an einem Buche über Wien und Oesterreich arbeitet, veröffentlicht in einen französischen Blatte ein reizendes Senrebild über Budapest, das wir reproduziren, ohne die häufig verkommenden Unrichtigkeiten einer Korrektur zu unterziehen, da ja Lederm­ann in der Lage ist, selbst zu ‚rennen, wo und wann das Auge des Fremden falsch ge­­sehen. Tiffot schreibt unter dem Datum des 8. April: Belt hat ebenso wie Wien, Venedig, Florenz und Madrid seine Bromenadestunden und seine Spaziergangss­parade, an der sie „alle Welt” beiheiligt. Gegen vier Uhr im Winter und gegen Sonnenuntergang im Sommer erinnert die Donauzeile an den Wiener Prater, den St. Markusplat und den Prado. Der Anblic­kt ein ganz anderer, als jener, en unsere von den Fremden überflutheten P­ariser Boulez­vards bieten. Die Donauzeile hat ein vollkommen nationales Bepräge, ein ländliches Air, das den Touristen und den Künstler entzüdt. Keinerlei Gemengsel . Alles ist hier unz­­arisch. Es herrscht die ungarische Sprache, welche silbern und m­elodids im Munde der Frauen, tönend und kraftvoll an Munde der Männer k singt. Der lokalen Farbe fehlt nur die Tracht ; die engen Beinkleider und die hohen Stiefel bes­­innen zu schwinden, aber der Typus ist geblieben, und der St ausgezeichnet. Der Ungar ist groß, stark, wohl proportionirt ; er gefibt die Grazie der Bewegung, welche dem schwerfälligen Deutschen mengelt. Ich tenne nichts Schöneres, als einen ungarischen Offizier in voller Gala, mit feinen Stiefeln aus selbem­ Leder, feinen eng anliegenden, mit goldenen oder sil­bernen Schnüren­­ ges­chmückten Beinfleidern, feiner­ rothen­­ Mette, dem über die Schulter geworfenen und auf der Brust zusammengehaltenen Leopardenfell, feinem Kalpag mit weis­ser Feder und dem frommen Säbel. Man könnte einen sol­chen ungarischen Offizier unschwer für einen Königssohn der orientalischen Legenden halten, blendend wie die Sonne. Was die Ungarin betrifft, so vereinigt sie alle zur Verführung geeigneten Eigenschaften. Sie hat die Frische der Engländerin, die Augen und den Fuß der Spanierin, den Teint und die Haut der Italienerin, die geistreiche und herausfordernde Physiognomie der Pariserin. Ihre Taille ist Schlank, ihre Gangart hat etwas Sinnliches, das den Orient verräth und an die Schlange des finsteren Paradieses erinnert. Glauben Sie übrigens nicht, daß die Ungarinen insgesammt diesem Bilde entsprechen. Es gibt welche, die Schwarze Haare und blaue Augen haben, welche ganz denen der Gazelle gleichen. Andere haben wieder schwarze Augen und blonde Haare­ wie die Röhre. Die Zähne sind prächtig; das Fleisch der Wangen und Arme ist fest, wie Marmor. Eine häßliche Frau ist hier eine Seltenheit. Die von der Natur am meisten Vernachlässig­­ten­­ besißen die Schönheit des Teufel­s die Schönheit, welche so viele Verdammte macht. Der ganzen Donauzeile entlang befindet sich kein einziger Dberlaufsladen, blos ein oder zwei große Kaffee­­häuser. Nirgends it das S Kaffeehausleben so entwickelt, wie in Beit. Ein Kaffeesalon ist zugleich ein Leser, Spiels, Konzert­ und Konversationssaal. Man verfügt sich hieher die Morgens und wag­e sich (man dink­t hier um ein Uhr), ehe man sich an die Geschäfte begibt, und des Abends kommt man wieder en famille. Gegen fünf Uhr gehen die Damen allein hin, um einen wahrhaft , föstlichen Milch­kaffee zu schlürfen. Man speist sodann nichts bis zum Schluß des Theaters, um welche Zeit das Nachtmahl eins genommen wird.­­ Pest hat sechs Theater:das Nationaltheater,das­" Theater Variåtå,die Arena,den Horváthgarten in Ofesr und zwei deutsche Theater. Das Nationaltheater ist — wie auch sein Name bes fagt — ausschließlich der Darstellung von dramatischen Stücken und ungarischen Opern vorbehalten. Von 1871 bis 1872 spielte man daselbst 79 ungarische Originalstücke und vom Jahre 1873 bis 1874 109. Die in dieser Periode auf dieser Bühne in ungarischer Sprache zur Darstellung ges braten und aus dem Französischen üb­erlegten Stücke bez laufen fi auf 124. In zwei Jahren wurden Sardou 24mal, Feuillet 13mal, Augier saal, Hennequin 1mal und Moliere 10mal gespielt. Man gab auf derselben Bühne 153 französische, 55 italienische und 45 deutsche Opern. Gounod wurden 42, Thomas 17, Auber 17 und Halévi Abende gewidmet. Wenn sie diese statistischen Daten ine teressiren, so seien hier auch einige Ziffern über die Gagen der Künstler erwähnt. Die erste Sängerin besieht 42.000. $Srancs, die ersten Sänger 32,000 drancs. Das Jahres­­defizit beträgt beiläufig 400,000 $rancs. In deutschen Theater wird gegenwärtig das Drama von Daudet und Adolph Belot gegeben, welches in Wien einen folo­großen Erfolg davontrug. Herr Adolph­ Sonnenthal und Fräulein­­ Bertha Sigur vom Wiener Burgtheater wurden speziel für dieses Stud­ent gagirt. Grim. Sigur hat die Rolle der „Sidonie" in Deutschland geschaffen, aber sie vermochte sich von Ueber­­treibungen nicht fern zu halten. Die „Sidonie”, welche sie spielt, ist vom­ ersten­­ Worte ab eine gemeine Gocotte. Sie hat Gesien a la Theresa ; ihr­ Heben des Armes entspricht dem Heben der Füße in Gates Konzerten. Ich ziehe Herrn Sonnenthal in der Rolle des „‚Nisler‘, welche er mit herz­vorragendem Talent interpretirt, bei Weiten vor. Das Theater Bariétés gab Tags darauf eine Erst-­­ ur 9

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