Neues Pester Journal, Mai 1877 (Jahrgang 6, nr. 120-149)

1877-05-16 / nr. 135

fMjsvsz:·iss«s­­ . ; zroonnement: Sanzi. fl.14, halbj. fl. 7, viertelj. fl. 3.50, monatlich fl. 1.20. Das­ „Neue Bester Journal“ erscheint täglich, auch an Montagen. Redaktion r i ő­­ : ] · . | | it und Administration: Leopoldft, Kirchenplak Nr. 2. és “. — Mittivodj, den 16. Mai 1877. _ y ff einzelnenummern als Inferate nach aufliegenden Barif, Die Abstimmung im englischen Parlament. Auch die lette Note Lord Derby’s war weit mehr auf die Bekämpfung der parlamentarischen O­pposition berechnet, und wurde von Seite der Re­gierung auch­ wiederholt darauf hingewiesen, daß sie darin nur einer „befreundeten“ Macht ihre Ansich­­ten freimüthig ausgesprochen habe. Bon­da bis zur Kriengerklärung ist aber für England noch ein weiter Schritt, welchen Milion erst bei dem Eintre­­ten jenes oberwähnten Falles thun wird, wo sein Interesse bedroht ist. Und wo liegt dieses unantast­­bare „britische Interesse” ? Offiziell hat man hier­­über noch seine ausreichende Mittheilung erhalten ; doch nannte Northcote in der gestrigen Debatte als ein solches Interesse beispielsweise den Weg nach Indien. Wir haben darauf schon früher Hingewiesen, wie England vor Allem seine Faust auf Eghyten und auf den G­uezfanal legen werde, um diese Objekte­ für den freien Verkehr mit seinen indischen Befigungen zu sichern. Nebst dem bezeichnet man noch Konstantinopel­ und die Dardanellen als solche Heiligthümer der englischen Interessen-Politik. Bei dieser Auffassung der Orientfrage begreift man die Versicherung russischer Stimmen, daß im Grunde zwischen Rußland und England sein unlös­­barer­­ Widerspruch bestünde. ‚Lord Derby­ sagte gestern von Oesterreich U­ngarn, daß dessen Haltung für England und Frankreich niemals Schwierigkei­­ten bereiten werde ; dasselbe gelte von Deutschland, doch sei unzweifelhaft des Exfteren Lage eine gefähr­­liche und von Kriegsgefahr umdrohte, in welcher es der Alliirten bedürfe. Der edle Lord drückte sich hier etwas dunkel und unklar aus, doch­ scheint ihm, hier­bei die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen unserer Monarchie und Nukland vorgeschwebt zu haben. Diese Möglichkeit­ liegt allerdings nahe, weit näher als ein etwaiger Zusammenstoß Englands mit dem russischen Kolofje. In dieser Beziehung ist die neueste Meldung von M­icjligfeit, wornach zwischen den Kabineten­ von St. James und St. Petersburg Verhandlungen im Zuge seien, deren Zived dahin gehe, eine Demarkationslinie zu suchen, die, jeden Spätereffenkonflikt zwischen Großbritannien und Ruß­­land ansichließen würde, indem sie der russischen­­ Aktion eine zu rejpeftirende Grenze zöge. Man darf sich, also weder durch die scharfe Werfung des türkischen Reiches abhalten, so mufte Note Lord Derby’s, nd durch dessen wenig reipelt­­man sich durchh Diese nüchternen Erklärungen der­ englischen Minister sehr enttäuscht fühlen,­­­­ vollen Reulierungen über die Worte des Grafen, Budapest, 15. Mai, Morcenlang dauerte der Nebelampf im eng­lischen Unterhause über die fünf Gladstone’s­­ Desolutionen, welche eine Verwerfung der­ Ort­politik des Kabinets Derby,Beacondfield involv sollten, und fesselte mit Necht die allgemeine A­merfsamkeit der gesammten politischen Welt. Heute it der Kampf entschieden; er endigte — die dort auszusehen war — mit einem glänzenden Siege der Regierung; die liberale Opposition erlag mit 131 Stimmen. Durch dieses Abstimmungs:resultat wurde die Stellung des Kabinetts, dessen orientalische Politik die Sanktion des Abgeordnetenhauses er­hielt, neu gekräftigt und in den Stand gejegt, seine Aktionen im Oriente weiter zu verfolgen. Worin bestehen denn die Ziele Dieser Orient:­politis? Wie stellen sich dieselben zur Pforte? Wie zu Nukland?: Auf diese Fragen warf jene mehr­­tägige Unterhaus:Debatte allerdings manche inter­­essante Streiflichter, welche zu betrachten von best­sonderem Interesse ist. Der immer wiederkehrende Nefrain in den Grfärungen der englischen Regierungsvertreter ging dahin. Die Regierung wünsche aufrichtig, eine absolute Neutralität aufrechtzuerhalten, und könne weder einer Zerstüdelung der Türkei, noch einer Bolitit 05 Zivanges Borsdub Leisten. Sie habe 048 Gindernehmen der eu­ropäischen Mächte nicht ertört, sondern stete zur Nachgiebigkeit gerathen. Jede Volität befolge sie auch heute noch und werde darum stets bemüht sein, den Frieden Europa’s wieder herzustellen. Eine Grenze fände diese absolute Neutralität jedoch Dort, wo britische Interessen in Frage kämen. Von aller Umhüllung herausgeschält, erweist sich die Politik des englischen abinet3 als die fortgefaßte reine Autoreffen­­politik, die alle Ereignisse nur vom Standpunkte des eigenen Wohles auffaßt und beurtheilt. Wo unmittelbar englische Interessen nicht berührt werden, da beobachtet diese Bolität die strengste Neutralität. Wenn man also hie und da der An­­sicht lebte, England würde sich etwa für die Er­­haltung der Türkei engagiren und eventuell Ruß­­land selbst mit W­affengewalt von einer Nieder “ .Nußland trage, wie vor­ zwanzig Jahren die Ver­­­­antwortung für den Krieg, beirren lassen ; land weiß eine V­erständigung mit England wohl zu­ fchäßen und wird dafür gerne einen hohen Preis bezahlen. Für England aber ist nur das „britische Interesse” maßgebend. Wie dabei die Pforte zu stehen, kommt — das fragt weder Ruß­­land, noch England. Liebteres leistet z­war der Zer­trümmerung des DTiürfenreiches seinen Borschub, allein er bietet ihm auch seine­­ Unterftügung zu seiner Erhaltung. Vielmehr geht aus dem Nieden der englischen Minister ein durchwegs wenig freund­­licher Ton gegen die Pforte hervor, weil diese Englands „gute Nachschläge” bezüglich der Refor­­men nicht acceptirt habe. Aus diesen weißgünstigen ‚Aeußerungen des Kabinett konnte das Oppositional: Mitglied Goetchen mit Necht die Folgerung zie­­hen, daß die Debatte dem’ englischen Volke zeigen ‚werde, der Sultan sei nicht länger ein protegirter­­ und begünstigter Bundesgenosse, sondern ein im Stiche gelassener Möbelthäter. Die Pforte erschien in dieser Debatte in den Augen der Negierung wie der Opposition, als ein ungehorsamer Vasall,­­dem die­ Züchtigung Rußlands nicht unrecht widers fahre. Daraus begreift fid) die Berstimmung, welche diese Orientdebatte in Konstantinopel her­­vorrief, und die Erbitterung, mit welcher man Da selbst Englands egoistische Politik­ verwirft; cS erklärt fid) Daraus aber auch die Befriedigung, welche dieselbe Debatte an der Newa erzeugte. dusc, Diese Dearfen Die Türkei zu erdrücen. England Man­ gewann dort­ die Gewißheit, daß den stol­­zen, freimüthigen Worten des englischen Kabinets seine­ entsprechenden Thaten folgen werden. Nichtsdestoweniger bieten diese britischen Cris ziationen wie auch die militärischen und maritimen Vorkehrungen, welche England in fester Zeit getrof­­fen und noch fortseßt, der zussischen Regierung den­ Anlaß, ihre gesan­mte Kriegsmacht aufzubieten, um ‚leitet auf solche Weise allerdings indirekt dem­­ Kampfe­­ gegen das Osmanenreich bedeutenden Borz fchub. Die Demarkation­slinie, über welche Eng­­­land und Rußland, sich verständigen, liegt sicherlich tief im­ Innern der Türke und schneidet derselben durch’5 Herz. An der­ Erhaltung des Pfortenreiches ist­ ja dem­ heutigen England wenig gelegen , wenn nur seine I Interessen nicht unmittelbar berührt, nur seine Machtsphäre nicht Alterivt wird ; über das seiner­ dermaligen Gestalt ist auch noch als dur­ch dessen wie erholte Beschuldigung, Osmanenreic­ in Aus den Spielländchen. (Original » Feuilleton des ı „Neuer Peer Journal") Monaco, 8. Mai, Haben Sie schon von einem fürstlich monegassischen Hofe und Staatsschematismus gehört? Ich glaube faum, sowie ich selbst erst nach meiner Ankunft in diesem Heim D,5 grünen Tisches und des Kölnerwassers von der­ Cins­­tenz einer solchen Bublikation Kenntniß erhielt. Da fo­rmancherlei Kuriosa daraus zu entnehmen sind und Monaco an sich als Staat ein Kuriosum unseres Jahrhunderts ist, erlauben Sie mir vielleicht, Ihre Leser von monegassi­­schen Dingen zu unterhalten, obwohl an der unteren Donau und in Asien die Kanone das große Wort führt und die wenig erbaute Welt in Athen hält. In politischer Beziehung ist Monaco gewiß so Harmnlos wie möglich und steht mit Liechtenstein, Sant Marino und Andorra auf einer Stufe. Der Annex­on an Frankreich oder Italien ist es überhaupt nur entgan­­gen, weil seiner der beiden Staaten es der Mühe werth fand, diesen Feen Landes sich beizubiegen., Was den Staat, oder was dasselbe ist, den Kurort Monaco heute gefährlich magt, das ist, daß er seit der Aufhebung der Spielbanfen in Deutschland zum Hauptjike des demos zalifirenden Hazardspieles geworden ist, dem nit nur Die Kurgäste und Besucher von Monaco selbst, sondern auch die des nahen Nizza und Mentone zum Opfer fallen. Die letteren kommen in vollgepfropften Eisenbahnzügen an jedem Nachmittage über die französische Grenze nach Monaco herüber, bringen hier dem Spielteufel ihr Opfer und fahren in der Nacht wieder zurück. Das Verbot des Hazardspieles in Frankreich wird­­ wenigstens auf dieser Seite dur das Fortbestehen des „Staated“ Monaco völlig illusorisch gemacht. Doch zu unserem monegassischen Scematismus. Man wollte sich an einen deutschen Duodezstaat des vori­­gen Jahrhunderts verfeht, glauben, wenn man aus dieser Publikation erfährt, über was für Chargen Monaco­ vers­fügt. So unterhält der Fürst Karl III. nicht weniger (dies „nicht weniger“ meine ichh nicht etwa ironisch) als zwei außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister an fremden Höfen, nämlich einen in Frankreich und einen in Italien; außerdem hat Monaco in verschiedenen Ländern im Ganzen an fünfzig Konsuln und Prizeionsuln. Für die „Hauptita Monaco, die Hoch oben auf ihrem Felsen fleht und ein DAIb maurisches, Halb­mittelalterliches Kastell als Beherrscher der Rai von La Condamine besigt, . Junz gilt ein eigener General-Gouverneur. Wir finden ferner einen ersten Minister, einen Staatssekretär, einen Kanzler des „Ordens von St. Karl“ und einen Bischof von Monaco. Dergeilen wir nit den Hafenkapitän,­ den Herausgeber der offiziellen Zeitung und den Aufseher über die Artillerie des Fürstenthums, die aus einer oder zwei ausrangirten alten Kanonen besteht. Fürst Karl unterhält aber auch eine Polizeimacht von zwölf Polizisten und achtundzwan­­zig Gendarmen, und sein stehendes Heer zählt vier ange­stellte und fünf nichtangestellte Offiziere und dreiundsechzig Mann. Die Aufzählung der Leibärzte, Adjutanten, Ras­pläne und Hofdamen schenfen wir uns und den Lesern. In politischer Beziehung also ist Monaco null oder lächerlich, oder beides. Im­ sozialer aber ist es vielleicht das frädlichste Wespennest, das in Europa einftirt. Die Mone­­gaöfen sind ein faules, abergläubisches, selbstzufriedenes Volk, dessen Vorfahren Seeräuber und später Fischer waren. Die Nahrung ist billig in­ Monaco , Drangen, Trauben und Mandeln liegen sozusagen auf der Straße und wollen nur aufgehoben werden ; die Sonne scheint durch elf­ein­halb Monate mit ausdauernder Ersprieß­­lichkeit, und Steuern­ zahlen fennt man in diesen Gemar­­kungen nicht. Weiter unten, in dem fascionablen Viertel um den Boulevard de la Rondamine, sind die Leute nicht bloß mit Kent, was zu des Lebens Nothdurft gehört, vers­tehen, sondern können ‚bei einiger Findigkeit dur Ausz­u nüßung der V­ortheile, die ihnen der­ Fremdenbesuch bietet, reich werden. Glänzende Hotels, elegante Kaffeehäuser und reiche, Kaufläden, reihen sich dort aneinander ; theure Prise­valwohnungen sprechen von der steigenden Beliebtheit Mo­­naco’s und der wachsenden Geschäftskenntniß seiner Ein­­wohner­­, reiche Fremde beginnen fon, sich an der Küste Villen zu bauen, und­ bald mag Monaco, da sein Klima die meisten Vorzüge, befsen der Niviera di Levante in sich vereint, Mentone überflügelt haben. Aber woher kommt eigentlich dieser, rasche Aufschwung? Gewiß nit von der Entwickklung des­ Handels und der Industrie, Mie die Lilien auf dem­ Felde spinnt Monaco nicht, webt nicht, füet nicht. Die ganze, m­onegaskische Industrie, von allen Welt­­ausstellungen, wo sie sich mit vielem Prinfe breit machte, wohl bekannt, beschränft sich auf einige nublose Erzeugnisse der Zöpferlunft und auf das Brauen von K­ölnerwasser, von dem übrigens sfeptische Gemüther behaupten, daß es in Marseille fabrizirt werde. Die Naturprodukte, welche som­­merziell verwerthbar sind, bestehen aus Oliven und Mu­­scheln.­ Der Neichthum der Monegassen hat andere Gründe und einen anderen Urheber. Dieser letzere ist Niemand Anz derer, als der sattsam bekannte Spielpächter Blanc, ein ehrwürdig aussehender, weißhaariger Franzose, der seit der Schließung der deutschen Spielbanken, von denen er beson­­ders die in Honburg vor der Höhe zu hohem Flor gebracht hatte, hier am entgegengefesten Ende der Rat von La Conz dammne seine Hausgötter in Gestalt­ von geldeinsharrenden Groupiers aufgestellt hat. Das Kasino von M­onte-Garlo, wie der offizielle Nam­e der großen­ Spielhölle lautet, vers siet 4 Seiten Beilage, enthaltend Die Nomean-Zeitung, sowwie Des „„henter: und Bergnügun asbleatt.” . - .

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