Neues Pester Journal, August 1877 (Jahrgang 6, nr. 211-241)

1877-08-01 / nr. 211

eme ZifotineuieszEanz« viertelj. fl. 3.50, mon Das „Neue De € täglid, an b Adminiftration: Kirhenplat Nr. 2. Einzelne nummern si Ínferate nad; anfliegenden Tarif, Ynfére Aktion. Budapest,31.Juli. So wie die Luftspiegelu­ng der Fatamorgana den Städten der Niederung als treue Begleiterin folgt,so werden die militärisch wichtigen Entwick­­lungsphasen des russischen Feldzuges von den krie­­­gerischen Signalen unserer Offiziösen akkompagnirt. Als­ vor sechs Wochen die Armee des Czaren die Donau überschritt,wurde zum ersten Male mobili­­sirt.Aber die Kolonnen,die von den Offiziösen in Bewegun­g gesetzt wurden waren nichts anderes,als der lustige,in Nichts zerfließende Wiederschein jener Heere,welche die Fahnen Rußlands auf das­ rechte Ufer der Donau h­inübergetragen.Nun tummelt der Kosak sein Schlachtroß in den Rosenhainen am Süd­­gelände des Balkan­s,un­d diesesanestü­ck wird von den Offizieren mit einer zweiten­ Mobilisirung beantwor­tet.Dieses Mal aber soll es sich wirklich um die Einleitung einer bescheidenen Aktion,um die militärische Bereitschaft zweier Armeekorps han­­deln.Gut Ding braucht Weile,aber trotzdem möch­­ten wir es nicht gerne­ sehen,wenn unsere mit so großen Opfern in­ s Leben gerufene Heeresorganisa­­tion sich in den Uebergängen zur wirklichen­ Aktion in demselben Tempo bewegen würde,in welchem die Entschlüsse unserer auswärtigen Politik ihrer Reife entgegenschreiten Wir können uns dieses unsichere Herumtasten,diese von Zeit zu Zeit ertöt­enden Signalstöße, denen dann seine wirkliche Handlung folgt, nicht anders erklären, als würde der Minister 2.3 Reubern ein menschliches Erbam­men mit der öffentlichen Meinung empfinden, die bei dem Trom­­petenstoße, welcher dem Aufrollen des Vorhanges vorangeht, etwas ganz Anderes erwartet, als Das­­jenige, was ihr geboten werden sol, sagt Scheint es, als wäre man am Ballplaße von jener freien Hand, deren man sich bei so vielen Gelegenheiten gerühmt, wieder zu jener Bolität der gebundenen Marshronte zurü­ckgekehrt, unter deren Devise Graf Andraffy die Führung der Geschäfte übernahm. Was würden auch jene Halblauten Erkläru­n­­gen der Minister und jene Scheinmanöver der offi­­ziösen Presse Anderes bedeuten, als daß man den eigentlichen Feldzugsplan vorläufig noch verbergen will, daß der Hintergedanke der Politik ein derarti­­ger ist, den man aus Schonung für die Öffentliche Meinung nur,allmälig enthülen kann. Wir getrauen unserer Regierung wahrlich eine größere Umsich­tet sich Schon heute darüber­­ rar geworden, was den wahren Interessen der Monarchie zar= oder abträg­­lich sei. In einem solchen Falle wird sie aber auf ein bestimmtes Programm­ ihres Handelns entworfen haben. Mert dem so ist, so möge sie aug von Muth finden, sich zu diesem Programme offen zu benennen.­orläufig sind wir nur Zeuge eines in Wahrheit nicht sehr erbaulichen Kontrastes, welcher darin bes­­teht, daß diejenigen Organe, die irgend eine Fühlung mit den restenden Kreisen unterhalten, sich in ihren rufsischen Sympathien überbieten, während jener Theil der Presse, in welchem sich die Gefühle des Bolfes spiegeln, auf den Widerstand der Pforte ihre Hoffnungen baut. Die Einen haben sich bereit mit dem Erfolge jener Macht abgefunden, deren Aus­­breitung für­ die Monarchie gefährlich it, während die Anderen den unversehrten Fortbestand jenes Staates wünschen, in welchen Desterreich-U­ngarn allezeit einen verläßlichen Verbü­ndeten gegen die nie schlummerden Aggrestionsgedanken Nußlands be figen wide­­tig ist Ein harter Schlag gegen die Autorität die­se Staates und somit ein den moslemitischen Plänen gefälligeg Wert wäre die Oskupation Bosnien­ und der Herzegowina. Wohl wird noch heute eine solche Absicht in Abrede gestellt und der Okkupationsgedanke, wie der offizielle Ausdruck lautet, „perhorredzirt”, aber es geschieht Died nicht in jenen Tome der Bestimmtheit, welcher zur Ber­­uhigung der öffentlichen Meinung erforderlich wäre. Sa, es wird sogar, unter Anführung Haltloser Scheinmotive, die Möglichkeit eines solchen D­or­­gehens für die Zukunft offen gehalten. Wenn wir es nicht dulden wollen, daß die Gzernagorzen, den Abmarsc­ ihres Zuchtmeisters dazu bewüben, um wieder aus ihren Seifenlöchern h­erberzuschlüpfen und die Gräuel des Krieges mit einem neuen Ka­pitel zu vermehren; daß die Serben nur auf neue Verlegenheiten ihres Beige Beliegerd war­­ten, um aus dem Hinterhalte beutegierig hervor­­zubrechen; daß endlich die Rurmänen durch Die weite Entfernung der türkischen Kanonen ermuthigt wer­­den, auf das rechte Ufer der Donau hinü­berzu­ jegen, wenn man das Alles nicht dulden will, so möge man dies den Betreffenden Durch ein kräf­­tige und verständliches Wort einschärfen, aber nut die von Gzernogorzen, Serben und Rumä­­nen berühten Eingriffe in unsere Machtsphäre da­­durch bestrafen, daß wir türkisches Gebiet bejehen, Ruhestörerd, sondern des ruhigen IMtadbara ent­­winden. Das britische Kabinet, dem freilich auch der men, hat trogdem auch in dieser Orientkrise ganz fühne Geist altenglischer P­olitik abhanden getom, anders gehandelt. CS hat Rußland die Buitte be­­kannt gegeben, die e unter allen Umständen verpef­­tirt willen will, wenn die britische Neutralität als fürderhin aufrechterhalten werden sol. Die Ver­­­legung eines dieser Bünfte wäre nicht mit einer Offi­­nation türkischen Gebietes, sondern mit einer Krieger ‚erklärung an Rußland beantwortet worden. Freilich­t hören wir auch, daß England den ersten Berichten seiner Agenten über die von den russischen Kulture­tämpfern begangenen Gräuelthaten eine geharnnschte Note an das Petersburger Kabinet folgen ließ. Dagegen it es unbekannt, ob sich auch unsere Negie­­rung veranlaßt fand, irgend­­elche Vorstellungen in diesem Sinne an den zürften Gorth­yafoff zu rich­­ten. Biher hat sich die Energie des Grafen Andrasfy nur in den Neigungen mit dem Divan bewährt. Wenn der Kommandant­ von Ada­m Saleh einige Schiffe nicht passiren ließ, da war der geharnisschte Brotest gleich bei der Hand, wenn aber Rußland die Mündungen der Donau verrammelt und die jahres­lange Arbeit der europäischen Kommission zu Nichte macht, so wird darüber sein Wort verloren. Wir erwähnen Derartige Sconnivenzen nur, weil sie geeig­­net sind, auf das so ängstlich verschleierte Bild unser der auswärtigen Bolitit ein orientirendes Streiflicht zu werfen. Der heute unter dem Vorsiß de Monarchen abgehaltene große Ministerrath wird allem An­­scheine nach eine den Verhältnisen entsprechende militärische Bereitschaft beschließen, ohne den Ein­marsch der Truppen auf türkisches Gebiet als eine von dem Augenblick­ gebotene Nothb­endigkeit zu erklären. 63 würde ein solcher Beschluß ohne Zweifel in Ungarn mit Befriedigung aufgenommen werden, aber der dauernde Friede in die Gemüther wird erst dan einziehen, wenn die abenteuerlichen Annex­onspläne gründlich von der Tagesordnung abgefegt werden. Wir haben stets eine Politis ver­­dammt, welcher die Einthätigkeit al die Höchste der Thaten galt, weit verhängnißvoller aber würde und die Eröffnung einer Aktion erscheinen, welche geeignet wäre, in der Brust des P­atrioten die­ Sehnsucht nach der abgeschloffenen Aera der Uns­thätigkeit zu erwecken, zu, als daß wir nicht annehmen sollten, sie daß wir das Zauftpfand nicht den Händen des Wiener Brief. Original Feuilleton beg „Neuen Pester Journal”,­ — 30. Sult. Sit das Regieren angenehm ? Das Negieren auf dem Höchhsten Sie, dem Throne, meine ich. Die Trage zielt nicht etwa auf das banale, servile Bejanm­ern Dies fes und jenes Kronenmärtyrers, dem das unglück­che 203 beschieden worden, Herr über jo und so viel Tausend Q­uadratmeilen Landes, über jo und so viel Millionen Menschen zu sein — und auch das heuchlerischefofetierende Selbstbedauern solcher Kronenmärtyrer veranschlage ich dabei nicht, welche nicht genug über die schwere Waft feufz­­en können, so der Himmel auf ihre Schultern geladen und die sich doch ganz furios­ zur Wehre­ießen, wenn es einen anderen martyriumsluftigen Gekrönten­ einfällt, ihnen­ ihre Last erleichtern ud dieselbe ganz oder theil­­weise an sich) nehmen zu wollen. cd) stelle die Frage, ob das Negieren angenehm sei, aus dem harmlosesten, tiefst und ehrlichst empfundenen Sicherguiden an schöner Le­­bensh­ilfe heraus — allerdings eine ant­wortlose Frage. Denn die sie aus eigener Erfahrung beantworten könn­­ten, von denen ist ja doch gewiß seine unbefangene Ant­­wort zu erwarten und die allenfalls eines unbefangenen Urtheiles fähig wären, denen fehlt eben die Basis der Erz­fahrung. Ein erschreckend cynisches, aber außerordentlich zutreffendes Wort Nestroys sciekt mir da in Die Teder — Bardon, prüde Leserin, die Du ja gewiß nicht deshalb die folgenden Zeilen überspringst. Im Jahre 1848, da auch Nestroy sich in seiner Weise freier zu fühlen anfing, als sonst — die Freiheit, die er meinte, hatte ihm allerdings selbst früher kaum gefehlt — spielte er einmal seinen, für den Begriff des Grotesf-Komischen wahrhaft kulturgeschichtlichen Sansquartier in den „Zwölf Mädchen in Uniform“ und zwar mit „neuen Einlagen” zu seiner „Vorlesung aus Llafjs­hen Dichtern”. Da brachte er denn auch das Wort der Brinzessin Eboli : „Königinen lieben: Schlechte — und fommtentirte es mit jenem unsäg­­lichsberedten Blid, der sich aller Sittencensur entzog, , indem er noch die gesprochene Glosse dazugab : „I weiß | nit, i hab’ noch mit feiner was zu thun gehabt !" Die, | welche die Frage von der Annehmlichkeit des Negierens stichhaltig beantworten könnten, die haben noch nie mit einer Krone „was zu thun gehabt”. Aber von Bozen her­uft mir die­ Frage auf der Lippe, wo ich den dort vefidirenden kaiserlichen Prinzen, den Erzherzog Heine­rich, so glückelig in der Vereinigung von fürstlichem Reicht­um und einfach trautem bürgerlichen Sichbehagen sah. Er hat das Meib­ seines Herzens zu seiner Frau gemacht, er hat ein holdseliges­ Kind und wenn ich ihn so Abends wie den nächstbesten Bürgersmann mit seiner Gemahlin am Armne und sein Kind an der Hand führend durch die Waffen spazieren sah, oder wenn er im Gerichtes faale in der Zuschauerloge saß, die Hand der Gattin mit der seinigen gefaßt haltend, da dachte ich mir oft, ob­­ dieser Fürstensohn nicht das beste Theil aller Fürstlichkeit gewählt und ob er auf dem Throne so glücklich hätte sein können. In dieser Woche, an dem Tage, an welchem der von prinz seinen Gouverneur mit einem Obersthofmeister verz­tauschte und an die Spike des eigenen Hausstaates trat, ges­­­mahnte er mir um so lebhafter an die P­rinzenidylle von Bozen. In dem Gemüthe eines Thronerben Fann fid [don von allem Anbeginne her die Begriffsmöglichkeit fold) eines stillen Glückes gar nicht herausbilden, weil er sich frühzeitig gleich vor die Unmöglichkeit­ gestellt sieht, es erfallen zu Dürz­ten, wenn er sich ihm leite, weil also die einfachste Lebens­e­inheit. Sobald sich ihm der Sinn für die Lehren derselben zu erschließen anfängt, ihn auf ganz andere Glückbegriffe hin verweisen muß. Der pressnaive Zug unbehinderter Ent­­faltung ist so einem jungen Gemüthe eines sünftigen Herrs­ichers selbstverständlich verwehrt und gerade die ihm wohl­­gesinnt, müssen ihn befsen immer eingedent halten, sol ihm das weitere Leben nicht die grausame Nothwendigkeit schmerze­lichster Seelenmetamorphosen auferlegen. Darf und kann ein Thronerbe zum Beispiel sich den Anflügen jener Kindlis­chen Weichheit überlassen, die, wenn sie dem Manne anhaf­­ten bleiben, so leicht in Sentimentalität übersc­hlagen und die dem Kinde doch so gut passen ? Esfind, glaube ich, Schon etliche, wenn auch nur wenige Jahre her, daß dem Krone­prinzen in seiner schon damals entwicelten Lägerpassion ein kleines Mißgefb­iet widerfuhr. War’s in Schönbrunn‘ oder in Lavendburg — in einem Sommeraufenthalte war’3 — daß er des Morgens von dem Fenster seines Zimmers aus auf Tauben schoß und Dabei eine Kate traf, sie no dazu so unglücklich traf, daß dem armen Thier der Garaus ges­macht werden mußte, um es von seinen Leiden zu erlösen. Damals soll der Prinz im Selbstvorwurfe geweint haben, weil er erstens ein Thier getroffen, dem der Schuh gar nicht vermeint gewesen — solche Winkelzüge hat nun einmal das menschliche Herz, denn es als ein ganz Natürliches erscheint, wenn das Thier verblutet, auf welches gezielt wurde, und das schmerzlich zusammenzucht, wenn ein anderes, nir werthvolleres, nicht mehr zum Leben berechtigtes getroffen wird — und dann, weil er seinen tödtlichen, sondern einem nur maltrai­irenden Schuß abgefeuert hatte. Seit damals ist, wie gesagt, einige Zeit verfroffen und der Kronprinz würde heute schwerlich mehr über einen solchen Vorfall weis­­en — es ist ihm eine Lebensnothwendigkeit, sich derarti­­ger Weichheiten zu entscjsagen, denn wird ihm das Nes­tieren nicht einst Härtere Nothmendigkeiten­­ auferlagen, wird es ihn nicht - Sogar Schwerere Verstöße, von denen­­ Bien­wei Seiten Beileae: . - -

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