Oedenburger Zeitung, Januar 1935 (Jahrgang 68, nr. 1-26)

1935-01-01 / nr. 1

a“ m »w­­ VER ERETEREI .’I-, —­­ F ER Er 5 nt a Eee ud IE RR ee a ee u JIOK HI-. \ % € ; RER - eh 2 DER u Dienstag, 1. Januar 1935. eier EI, Be © ee) Nr. 1. — Seite 3. « E U. TU DUPLASPIRÄLLÄMPÄVAL MEG TÖBBET Zwijchen smolf Schlägen Ado M, Die feierlihe Stille der Neujahrsnadt | hatte fich über die winterliche Landicaft gebreitet und doch war es heute draußen, | als jchliefe weder Menjch nod, Tier, weder Mald noch Flur. Ein eigenartiges, wahes Erwarten, als müßte ein bejonderes Er­­eignis gejchehen, lag in der Luft. Die Sterne auf ihrer Hohgeihwungenen Bahn Ihienen Iebhafter als jonjt zu funfeln. Bisweilen war es im matten, ungewilien als Tebten die Dümmerlicht der Nadt, Schatten der Bäume, die mit verjhwonme menen Umrijjen auf den bleichen Feldern lagen, und raunten fidı Geheimnisvolles zu. Vom Dorfe her grüßte noch eine Reihe winziger, gelber Lichter in die tiefe, flare Nacht heraus. Eine feine Wolfe Hufchte jacht über die jhmale Mondfichel, die tief am Horizonte jtand. Da holte die alte, ruhig und voll tönende Uhr auf dem jpit­­zen, weiken Kirchturm des Dorfes zum Shlagen der zwölften: Stunde aus. Kaum war der erite Ton verflungen, da wurden am nächtlichen Sirmamente Die Umtijje einer großen, in langwallende Gewänder gehüllten Frauengeitalt fickt bar, die erhaben bei einem funfelnden Cpinntad unter den Sternen jaß. Ihr Haupt wurde von einer uralten, edel ge­­arbeiteten Krone geziert. Qanges, filber­­weißes Haar ann ihr offen über den Rüden und ihr Auge blidte voll tiefem Ernit. Eben hatte fie einen Roden abge- Iponnen und das Garn hatte die Spule gefüllt. Da ruhten einen Augenblik ihre Hände und fie hob das Haupt, weit über Berg und Flur in die blaufilberne Min­­ternacht jchauend. Da jhwebten zwei fleine Nebelwält­­hen heran, eines zur Rechten und eines zur Linken der Frauengeitalt, und auf den Wöltchen erhoben edle Frauen. Die eine der beiden Hatte jhon müde Züge im Antlit, die von vielem Erlebten erzählten. Lujt und Schmerz, Glük und Trauer mochten es in bunter Fülle geme­­len fein, die ihre Runen in das herbe, doc immer noch) Ihöne Antlit geichtieben Hat­­ten. des reifen Alters jprach aus ihrem Bilde. Die ruhige, entjagende Abgeflärtheit Ganz anders erihien die zweite der mit einem froben, fieghaften Lächeln auf den Lippen, einen goldenen Blätterfran; in der Rehten war fie angelangt, etwas traumhaft und doch ftark und tatenfreudig. Im jchimmernden Sternenlichte Ichienen die Linien ihres Gejichtes etwas ungewik gezeichnet. Bald jchien das Geficht Tiebfic,, bald jtrahlend jchön, dann wieder ftill und Telig zu jein, doch immer war es von be­­die Beiden mit ihren feinen, wehenden Schlei­­ern der Frauengeitalt am Epinnrade und machten ihr zu Füken halt. Tieben Kinder, du, traute Vergangenheit, und du, Ihöne Zukunft!“ fagte die „Ein Jahr ging herum und am mein Rad, das nimmermüde Rad der Beit, Heht zwilchen dem eriten und dem legten Glodenihlag der in der Neujahrsmacht jtill. Da ift das Mär- Hentor einen Augenblid offen und alles, was einjt in Wahrheit war, trifft ih nun mit dem, was man von fommenden Tagen erhofft. Freilich, die Menichen unten auf der Erde, die ahnen nur davon, aber fei­­nem von ihnen wird Einblik in unfer ge­­heimnisvolles Seit gewährt. Mir Iaflen ihnen nur manchen Mint zufommen, wenn ihr Runfc in den Gläjern fich ihre Hände den beiden Garen. reichte Ein . Iprang von feinem Pla und ein mädtt­­ges Molfentor öffnete ji, eine große, fil­­berne Halle erichliegend. Die Königin der Zeit nahm auf einem aus Tauter hlißen­­den Sternen gefügten Throne Pla lagte: fi "die Frauengeitalten dreimal im Kreije und auf einmal war der ganze Saal von bun­­teiten Geitalten bevölfert. Von der einen von Frau Vergangenheit, zu Gruppen gejellt. Alle hatten einen zarten Licntkreis um ihre Geftalten, der alles Häßliche janft zu überleugten jehien und nur das Schöne ergreifend nahe bradte, bunte Bilder weijend. Hier Fam die jhöne Erinnerung vieler junger, heißer Herzen: eine Karnevals­­nacht voll Tanz, Mufit und Pradt, voll gleiendem Lichte und zauberijchem Mas­­fentreiben. Dann folgte die Erinnerung eines Malers, der einen frohen, naturbe­­raujchten Blik befah: Schwäne freijten auf einem jpiegelnd ruhigen Schlokteid), dejien Waffer, faum vom Winde gefüßt, in einem grünen Haine lag. Die Geijter hlühender Bäume in jchmeeig duftiger Blütenhülle zogen lähelnd vorbei. Nun eriehien die jchönjte Erinnerung eines al­­ten, bejcheidenen Manmes: er wird mit einem Ehrengehalt vom langen, langen Dienite in einem öffentligen Amte verab- Ichiedet und eine Hohe Perjönlichkeit Heftet ihm ein goldenes Ehrenzeihen an die Bruft. Er Hatte es wohl verdient und durfte es mit Stolz tragen. Ein anderes Bild erihien: ein junges Paar, das fern aller Melt in einer jtillen MWaldfapelle Hochzeit feierte. Dann tauchte das Teudh­­tende Auge eines jtrammen Knaben im Reigen der Erinmerungsgruppen auf: in der hoxherhobenen Rechten zeigte er jeinen Eltern jein eben erhaltenes Vorzugszeug­­nis der Schule. Wieder zieht ein Licht- Ichein vorbei und in diefem jah man einen jungen Mann bei einem Bude figen, den blonden Kopf in eine Hand geitüßt, die Augen hungrig aufs Rapier gerichtet. Und der glüdliche Zug in jeinem,Gefichte zeigte, dak ihm die Zeilen eines Dichters eine Melt von Schönheit erjchloffen Hatten. Auh mand trauriges Bild fand fich in der Reihe. Not und Entbehrung, Krank: heit und Tod fehlten nit. Aber es lag etwas Berflärendes, VBerjühnendes in die­­jen Bildern, die zur Wehmut jtimmten. © reihten fih die Erinnerungen in buntem Zuge aneinander, Erinnerungen fleiner und großer, tüchtiger und jhwacer Menjhgen, von Frau Vergangenheit ge­­führt. Und eine jchöne, tiefe Melodie durhflang den Raum voll jhwermütiger Cüpe. Zu den jhöniten Bildern des Zuges aber gehörte eines der legten. Es zeigte die Erinnerung eines jungen Mannes. Der jtand am Ufer eines reißenden Stro­­mes, jeine Brujt arbeitete mit übermäßi­­ger Kraft, Waljfer vanın aus jeinen Haa= ten und aus jeinen Kleidern und vor ihm lag ein Menjch, dem batte er. eben das Le­­ben aus den Wellen des reikenden Stro­­mes gerettet. So tiefe, innerlichite Freude jpiegelte ji, in wenig anderen Gefichtern wie im Antlite diejes jungen Retters! Uls diefer Zug vorüber war, fam die andere Frauengejtalt, die Zufunft, Teicht­­tänzelnden Shrittes heran und führte den Reigen ihrer Traumbilder. Da fand fi nichts Häßlihes und Herbes; nur Schönes und Heiteres war in ihren: Reihen. Boran bamen die Kinderträume; eım Berg von Zuderwerf und Schokolade, eın Reijemarihall aus dem Märhenlande mit einer hundertijpännigen Pradtkaroffe, der freundlichht zur Fahrt einlud, ein Frijtal­­lenes Feenfchlog und anderes Zauberhafte Ihwebte vorüber. Da jah man die Träu­­me größerer Jungen und Mädel; jchon To vieles hatten die jungen Leute in ihren Zufunftsträumen erreiht! Der Bäder­­junge war Bürgermeijter geworden und hielt eine große Rede, dak alle Leute vor Staunen den Mund aufrilien, der fernige Meier-Hans jhwang als wohlbeitallter Schmied jeinen flingenden Hammer und fühlte fich ftark wie Giegfried, der den Draben jchlug. Fußball-Mare jchok fei­­nen Ball durch alle Tore der Welt und der wetterbraune Müller-Frige ak ftolz als Chauffeur am Lenkrad eines Autos; nun fonnte er fahren, fahren, immerzu fahren! Mie unermeklic jchön ihm das dünfte! Dann kamen auch die Träume erwad­­jener Leute: Geijter des Glüdes, der Ehre und des Reichtums jchwebten vorüber, jtrahlend und hehr. Wünjche wurden hier wahr, große, gewaltig in ihrer Auswit­­fung. Wohl audh mand jeltiame und fo milhe Zufunftshoffnung befand fih da= zunter. Mitten im Zuge jah man etwas Seltjames. In Auto, das auf einem flinfen, jak ein Schnauzbärtiger Sonntagsjäger. drohte dider, Bom Ipiten Kühler des Wagens das Rohr eines Majchinengewehres. hoffte der Mann, dem es nie gelungen war, einen Hajen zu erlegen, fein Weidmannsheil zu finden. auch diefen Zug begleitet. Nun jchigebten die beiden Reihen tangend im AKretfe an­­einander vorbei. Zutunftsträume Erinnerungsbilder füchtigem Begegnen. Hierauf Hob fich wieder Zufunft geihieht!“ zeigt, was und in die Königin der Zeit empor und rief: „Die Stunde der Märchen entflieft — nun der die von Mondihein er­­füllten Halle. Vergangenheit und Zufunft itellten fi an die Seiten der Königin der Zeit, Mitte des Plakes wurde frei. Ein jeltiames Gewoge wie Feuerichein und Molfen mob und braute dort plößlich und bildete geheimnisvolle Zeichen und Ge­­mar mitten im Saal ein filberner Gee entitanden. Wenn man in diejen See hin­­einjah, erblidte man auf, jeinem Grunde die ganze Melt. Und doch jah man aud unendlich viele Wellen. Iedes Wellhen aber jpiegelte eines jeden einzelnen Men­­ihen Schidjal, das ihm im nädjiten Jahre zuteil werden jollte, ihren Molfengewändern je eine filbern glänzende Perle und ließen dieje Sluten des Sees gleiten. Leije fangen fie dabei einen uralten Zauberjprud. Die Wellen erjitterten — und als fie fich lang­­fam wieden glätteten, zogen große, inein­­ander gleitende Kreile auf dem Wailer ihre Bahn. Und aus den Fluten ftiegen auf einmal noch drei Frauengeitalten: die in der Mitte von großem MWudhle, eben­­mäßig und voll herber, jhöner Kraft. Ihr zur Nedten fam ein ladjendes, toll-heite­­res Gejhöpfchen, dem die Fröhlichfeit aus den munteren Augen jprühte. Zur Linfen jedoh war ein blajjes, trauriges Kind mit dunklen, wehoollen Augen. „sh bin ie Gegenwart im neuen Sahre!“ erhob die mittlere der neuange­­fommenen Frauengeitalten ihre Stimme. „Hier hab’ ich meine Kinder mitgebradit, die mich niemals ganz verlajen. Wenn das eine fort ijt, jo it im Augenblik das andere bei mir. Hier ijt das Glüd und bier das Leid. Ich werde nun mit ihnen wieder zu ven Menjchen niederjteigen und dieje Dur das neue Jahr geleiten, bis du, Königin der Zeit, wieder dein Spinnrad zur Iahreswende jtille jtehen Täkt. ro= hen Hoffens erwarten mich die Menjchen und mit mir mein jhönes Kind, das Glüd, Niemand aber will das Leid fen­­nen, und darum ijt mein anderes Kind jo traurig. Und do: Glüd und Leid müjjen an meiner Seite in buntem Wechjieljpiel die Menihen bejuhen. Denn das Leid muß die Menjchen lehren, die Größe des Glüds zu erfennen.“ Noch einmal Freijten die Erinnerungen und die Zufunftsträume dur den Saal, da Fangen jchon die Ietten Schläge der TZurmuhr, die die Mitternadhtsitunde. der Neujahrsnacht verfündete, herauf. Da wa­­ren Saal und Geilter verjchwunden, wie­­der Tief das Spinnrad der Königin der Zeit, fie felbit fpann neues Garn vom NRoden. Die drei aus dem See geitiege­­nen Frauen jhwebten zur Erde, und wäh­­rend der zwölfte Schlag Tangjam und nad­­hallend in der Ferne verflang, verlor fich all das Wunderbare wieder ins Unficht­­bare, Und den Menichen war das neue Sahr geboren. %* Angelommenen. fließt. Kommt, Be ten!“ Die Sprecherin zauberndem „Seid Spinnrade. das Flülige Glüdsblei lelle fi, wieder zwei Teert und in das Maffer die Mond» Hoch aufgerichtet, Mitternachtsitunde Reiz. Grüßend winkten mir willfommen, meine der Neujahrs-Mitternadht Takt uns erhob „eure Geilter zum Reigen!“ in Frau führt fih und „Nun, meine Kinder, zu mir tre­­und | Stelzl Da drehten Seite, ‚tamen geführt die Geijter der Erinnerungen, beiden anderen ihr wohl aud, Nun Frau an drei Rädern nicht wahr? Melodienreiche, Da wihen Mände italten. die riefigen, taten grüßten Dann teilte Vergangenheit es und lief, fih und die Königin Frau den blinfenden Zauberjee, grünen fieh’, da der Zeit, Zufunft in Co aus in Zufunft Da Tat heitere Klänge hatten , beiden Reihen an die einander löjten in die Rund um die Nenjahrsnarht Das Neujahtsfeit war jchon bei den alten Yegyptern befannt. Sie feierten es allerdings nad ihrem, 4241 ». Chr. eiit­­geführten Kalender beim Aufgang des Sothisjternes, des Sirius, alfo am 19. Suli. An diefem Tage begann für fie das Sonnenjaht, das mit großen Volfs- und Freudenfeiten gefeiert wurde. Bei den PVerfern Hat fi, das altiraniihe (Iran oder Eran ijt das Qand der Arier, der ölt­­lihe Teil Vorderafiens) Neujahrsfeit als Srühlingsfejt erhalten, während bei den Griehen ein einheitlihes Neujahrsfeit fehlte. Bei den Römern begann das Iahr am 1. März. Im Iahre 46 v. Chr. jhuf Sufius Caejar eine neue vönıldhe KRalen­­derordnung, indem er dem vorher zehn Monate - umfallenden Kalender zwei Schaltmonate von zujammen 67 Tagen an ‚fügte und den Iahresanfang auf dem 1. | Januar verlegte. Diejer Sulianiiche Ra­­lender galt während des ganzen Mittel­­alters und wurde erjt von PBapit Gregor XI. am 4. Februar 1582 verbejjert. Seit 1700 ift er au in protejtantifchen und anderen Ländern eingeführt worden. Das Brauhtum jpielt, wie während der ganzen Weihnachtszeit, auch am Neu­­jahrstage eine große Rolle. Am einge­­bürgertiten ijt wohl der Neujahrsglüd­­wunjd. Der ältejte gedrudte Neujahrs­­glükwunid findet fih in einem in Ralen­­derform gejtalteten Aufruf an die. Chri­­itenheit gegen die Türfen. Er erjchien um 1453 und lautete: „Eyn gutjelig nuwe Zar.“ Am meijten Neujahtrsglüdwünidhe wer: den ohne Zweifel in Iapan geichrieben. Die Statijtif weijt aus, dag aljährlih um die Neujahrszeit etwa 600 Millionen Neu: jahrsglüdwünfde, überwiegend Roitkar­­ten, verjandt werden. SIeder Bekannte re ut ae ee

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