Pester Lloyd, Juni 1910 (Jahrgang 57, nr. 142-154)
1910-06-16 / nr. 142
sich auch der Leiter des Ackerbaumini 4 —— Die Borromäus-Enzyklika. (Telegramme.) j ; Magdeburg, 15. Juni. Die „Magdeburger Zeitung“ meldet aus Rom: Die Tatsache, daß auch katholische Monarchen wie König Franz Josef, der König von Sassen und der Prinzregent von Bayern dem Vatikan ihr Bedauern über die Borromäus-Enzyklika ausgesprochen haben, macht in den Kreisen des Vatikans großen Eindruc. Der bisherige Beichtvater des Papstes, Kapuzinerkardinal Vives y Tutto, der bekanntlich die Enzyklika verfaßt hat, wird die Umgebung des Papstes verlassen. Auch die Stellung des Kardinalstaatssekretärs Merry del Val tit erschüttert Münden, 15. Juni. In der heutigen Kammersitung begründete Abgeordneter Cajsselmann die Interpellation über die Borromäus-Enzyklika und führte aus, daß die Worte der Enzyklika über die Reformation und die Fürsten in allen Kreisen der deutschen Protestanten, bis tief in die Reihen der Katholiken hinein Entrüstung hervorgerufen haben, denn deutsche Männer und deutsche Fürsten seien an der Reformation in erster Reihe beteiligt gewesen. Auch wenn man über die Geschichte der Reformation verschieden urteile, habe die oberste katholische Stelle keinerlei Freibrief für die Beschimpfung, der Reformation. Die dogmatische Intoleranz dürfe zur Kritik, niemals aber zur Kränkung und Beschimpfung Andersgläubiger führen. Wer die Rechte eines Souveräns beanspruche, habe auch die Pflichten eines Souveräns zu üben. Das gelte auch für den Papst. Man brauche in Deutschland den konfessionellen Frieden. Die Liberalen wollen sich doch die Enzyklika nicht hindern lassen, mit ihren katholischen Mitbürgern in Frieden zu leben. Daß der Papst fest sein Bedauern ausgesprochen habe, sei zu begrüßen, aber das Unheil, das die Enzyklika angerichtet habe, lasse sich dadurch nicht gutmachen. Redner bemerkt schließlich, es sei bedauerlich, daß der Erzbischof von Bamberg als erster die Enzyklika veröffentlicht habe. Kultusminister v. Wehner erklärt, die Enzyklika sei wegen der Art, mit der über die Reformation geurteilt wurde, in protestantischen Kreisen als eine schwere Kränkung empfunden worden. Es habe die Gefahr bestanden, daß das ungestörte Zusammenleben der Konfessionen beeinträchtigt werde. Die Staatsregierung habe in München und in Rom mit ihrer Anschauung nicht zurückgehalten, wie verlerend die Enzyklika auf die Protestanten gewirkt habe und wie die Staatsregierung dies vom Standpunkte des konfessionellen Friedens bedauere. Der Kardinalstaatssekretär habe erwidert, daß nicht im entferntesten die Absicht bestanden habe, die Protestanten zu beleidigen. Der Nuntius habe bereits die bayerischen Bischöfe ,angewiesen die Enzyklika weder in den Kirchen, noch in den Amtsblättern zu veröffentlichen. Daß in Bamberg die Veröffentlichung bereits erfolgt sei, sei eine ihn unangenehm berührende Tatsache. Auf eine Anfrage in Bamberg sei mitgeteilt worden, daß dies ohne Wissen des abwesenden Erzbischofs geschehen sei. . Gegen die Stimmen des Zentrums wurde hierauf die Besprechung der Interpellation beschlossen. Abgeordneter Dr. Daller (Zentrum) lehnt namens seiner Partei die Beteiligung an der Besprechung ab. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Bedh (Freie Vereinigung), Müller (Sozialdemokrat), Günther (liberal) und Kultusminister v. Wehner. Eine Note der römischen Kurie. ; Rom, 15. Juni. „Osservatore Romano“ veröffentlicht folgende Note: ; ; Auf die Vorstellungen, die infolge der Veröffentlichung der Enzyklika Editae saepe von seiten der preußischen Gesandtschaft bei dem Heiligen Stuhle mittels der Note vom 8. Juni erhoben worden sind, hat der Kardinalstaatssekretär Merry de Val unter dem 13. d. M. folgendermaßen erwidert: Der Kardinalstaatssekretär hat die Ehre, Seiner Exzellenz dem preußischen Gesandten den Empfang seiner Geschäftsnote vom 8. d. M., betreffend die nach der Veröffentlichung der Enzyklika Editae saepe unter der preußischen Bevölkerung zutage getretenen Agitation zu bestätigen. Der Heilige Stuhl ist der Anschauung, daß der Ursprung dieser Agitation in der Tatsache gesucht werden muß, daß der Zweck, auf den die Enzyklika gerichtet war, nicht richtig verstanden, und daß infolgedessen einige Stellen der Enzyklika in einem Sinne ausgelegt wurden, der den Absichten des Heiligen Vaters vollständig fremd ist. Daher hält es der unterzeichnete Kardinal für angezeigt, zu erklären, daß Seine Heiligkeit mit wahrem Bedauern, die Nachricht von jener Agitation erfuhr, zumal ja, wie dies doH in öffentlicher und amtlicher Form erklärt worden ist, seinem Geiste jede wie immer geartete Absicht, die nichtkatholische Bevölkerung des Deutschen Reiches und dessen Fürsten zu beleidigen, vollständig fernlag. Uebrigens hat der Heilige Vater niemals eine Gelegenheit vorübergehen lassen, seine aufrichtige Werthaltung und Sympathie gegenüber der deutschen Nation und ihren Fürsten kundzutun und er war auch bei dem jüngsten Anlasse pe diesen seinen ‚Gesinnungen neuerlich Ausdruck zu geben. Der unterzeichnete Kardinal bewußte diese Gelegenheit, um Sr. Exzellenz das Gefühl ausgezeichneter Hachtung zu versichern» Hauptung der Blätter war, die von einer angeblichen Zurückziehung der Enzyklika von Seiten des heiligen Vaters sprechen. In der Tat ist die Enzyklika selbst vom Heiligen Stuhle mittels und gemäß der am 29. September 1908 über die Promulgation kundgemachten Pontifikalverfügung in der ganzen Welt veröffentlicht worden. Im Hinblik auf die infolge dieser Veröffentlichung entstandene Agitation hatte der Heilige Vater unterdessen aus eigener Initiative und Gründen der Klugheit zur richtigen Zeit die notwendigen Maßnahmen getroffen, damit die Engyslifa weder in dem fichen noch im den Diözesanverordnungsblättern weiterhin veröffentlicht werde. „Dies ist der Wortlaut der dem preußischen Gesandten am 11. d. M. abends gemachten Mitteilung. t " Englisches Unterhau Telegramm) x KEN 233 Eh + ES a London, 15. Jun.geordnetenhaufe ; worden, in welchem alle Parteien des Hauses mit Zur Beratung der Frage der Zivilliste im AK- AN ein Komitee eingeretht Ausnahme der Nationalisten vertreten sind. Premierminister Asquith brachte eine Geseßvorlage zur Regelung der Regentschaft ein und erklärte, die Vorlage treffe Fürsorge für einen Fall, welcher hoffentlich nicht eintreten werde. (Beifall.) Die Vorlage bestimme, daß wenn bei dem Hinscheiden des gegenwärtigen Souveräns ein Kind unter 18 Jahren auf dem Thron folgen sollte, Königin Marie dessen Vormund sein, die Sorge für die Erziehung dieses Kindes übernehmen, sowie als Regentin königliche Macht bis zu diesem Zeitpunkte ausüben soll. Die italienische Marine, Telegramm. Rom, 15. Juni.“ In der Kammer steht der Voranschlag des Marineministeriums in Verhandlung. Marineminister Mirabelli weist in Beantwortung verschiedener Außerungen der Redner auf die friedliche Richtung der äußeren Politik Italiens hin und gibt der Ueberzeugung Ausdruck, daß mit der italienischen Marine in genügender Weise Für die Verteidigung, des Reiches, sowie für den Schuß der mannigfachen Interessen im Tyrrhenischen und Adriatischen Meere und in anderen Weltteilen vorgesorgt sei. Er gibt ein klares Bild über die Richtigkeit einer festen Organisation der gegenwärtigen Kräfte, so kann Informationen über die Ausführung des Marineprogramms betreffend die Reorganisation der Arsenale und einiger Kategorien des Personals. Der Minister sei während seines ganzen Lebens von dem Bestreben geleitet gewesen, die italienische Marine bis zu jenem Grade der Macht zu “heben, der von dem Parlament. und. dem Lande. „gewünscht werde. Hierauf wurde der Voranschlag des Marineministers angenommen. Die spanische Thronrede. (Telegramme des „Pester Lloyd“) Madrid, 15. Juni. Für die heutige Eröffnung der Cortes wurden noch nicht dagewesene umfassende Verschtsmaßregeln getroffen. 20.000 Soldaten bilden Spalier. Die Anzahl der Einlaßkarten für das Kongreßgebäude wurde aufs äußerste beschränkt. Madrid, 15. Juni. Die beiden Kammern wurden heute nachmittags in feierlicher Weise unter Entfaltung eines großen Gepränges in Anwesenheit des Königs, der Königin und der Königin-Mutter eröffnet. König Alfonso verlas eine Botschaft, in der konstatiert wird, daß die freundschaftlichen Beziehungen zu allen Ländern andauern. Die große Fürsorge für das Wohlergehen des Papstes und die Gefühle kindlicher Ansicht, die man Sr. Heiligkeit schuldet, lassen erhoffen, daß bei Wahrung der gegenseitigen Achtung und Prärogative das glückliche Einvernehmen zwischen den beiden Gewalten nicht gestört werden wird. Spanien verhandle mit dem Maghizen über die zu leistenden Vergütungen und über ein Regime, das den Frieden in Marokko gewährleistet. Die Ordnung der afrikanischen Bejegungen wird Gegenstand besonderer Gesebgebung sein. Die Regierung werde sich bemühen, die Kongregationen den bürgerlichen Bestimmungen des Vereinsrechtes zu unterstellen und die nicht unentbehrlichen Klöster aufzuheben. Das Gese vom 30. Juni 1887 über die Vereine werde reformiert werden. Die Regierung werde bemüht sein, die Einführung des obligatorischen Militärdienstes durczusetzen, sowie eine starke Armee ins Leben zu rufen und wird, Die Marine reorganisieren. Der Entwurf über die Fiskalreform wird eine gerechtere Beteilung der Lasten mit sich bringen und sich in maßvoller, aber entschiedener Weise für die progressive Steuer aussprechen. Die Regierung werde eine Abänderung des Wahlrechtes vorschlagen, einen Geseßentwurf betreffend die soziale Fürsorge unterbreiten, Verbesserungen im Unterrichtswesen einführen, eine Generaldirektion der öffentlichen Arbeiten staffen, für die Ueberwachung der Finanzgesellschaften Sorge tragen und die Parzellierung von Liegenschaften vorbereiten. Nach Verlesung der Thronrede erklärte Ministerpräsident Canalejas die Session der beiden Kammern für eröffnet. Hierauf kehrten der König und die Königin unter siehem Zwischenfall. Geschoßsalut in das königliche Palais zurüc. Es ereignete Senat Die Lage in Griechenland. (Telegramme bes „Pester Lloyd”) Die Verhandlungen unter den Schugmächten. Konstantinopel, 15. Sunt. Wie ihr Korrespondent aus authentischer Duelle ers fährt, hat England den französischen Vorsclag, den Mittelpunkt der diplomatischen Verhandlungen über eine endgültige Lösung der kretischen Frage nach London zu verlegen, abgelehnt, sich jedoch bereit erklärt, zwei englische Stationsstiffe mit doppelter Mannschaft nach Kreta zu entsenden, um unter den Kretern die Ordnung wieder herzustellen. Die Türkei hat den englischen Vorschlag angenommen, wodurch die Kriegsgefahr beseitigt erscheint. Hakki Balda ist gegen die Anrufung der Haager Konferenz. 9 Verstärkung der Streitkräfte in den kretischen Gewässern. 70. London, 15. Juni. Das Auswärtige Amt hat den Kretaschußmädchen vorgeschlagen, ihre Streitkräfte in den kretischen Gewässern zu verstärken, damit sie für den Fall, als der Widerstand der Kreter eine Landung notwendig machen sollte, imstande seien, diese durchzuführen. Die Botschafter der Kretas Fußmäche in London haben diesen Borschlag ihren Regierungen übermittelt. Man glaubt zu wissen, daß die englische Regierung bereits Weisungen gegeben habe, um sofort die Durchführung dieser Maßnahme zu bewerfkstehligen. London, 15. Jun. Wie das „Reutersche Bureau“ erfährt, bestehe die lezte Entwicklung der kretischen Lage in einem von England gemachten Vors<lage, daß jede Kretas Fußmacht ein Ergauam zungskriegsschiff nach Kreta entsendet, um dem Inhalte der jüngst an Kreta gerichteten gemeinschaftlichen Noten betreffs der Behandlung der Mitelmanen Nachdruch zu verleihen. ég Der Standpunkt der Pforte zu einer Kreinkonferenz. Konstantinopel, 15. Juni. Dem „Ikdam“ zufolge haben die Mächte der Pforte zugesichert, daß auf einer Kretakonferenz die Annexionsfrage nicht beraten und nur die Details der Autonomie Grund der ottomanischen Souveränität gemäß den türkischen Wünschen werden geregelt werden. Der Großvezier besuchte gestern die Botschafter der Kretaschußmächte und besprach mit ihnen die Kretafrage. Es verlautet, daß die Pforte prinzipiell den Vorschlag einer Kretakonferenz angenommen habe. Die Kretafrage im englischen Unterhause. „ London, 15. Junk“. Bei der dritten Lesung der Budgetbill im Unterhause sagte der Unionist Lloyd, wenn die Kretafrage falsch behandelt würde, könnte sie einen ernsten Einfluß auf die internationalen Beziehungen ausüben. Wenn England zugebe, daß der muselmanischen Bevölkerung Unrecht geschehe, so würde dies vielleicht Unzufriedenheit in Aegypten anfachen, und bittere Gefühle in Indien hervorrufen. Die Kretafrage befinde sich in einem ernsten Stadium und es sei daher notwendig, unverzüglich ein wirksames Heilmittel anzuwenden. Ein Teil der europäischen Presse habe sich einer scharfen Verurteilung der Haltung der vier Scußmächte hingegeben, zweifelsohne in der Absicht, um ihrem Prestige zu schaden. Der Angriff gegen die britische Regierung sei der schärfste gewesen. Wian habe sie nämlich angeschuldigt, daß sie nur ihrem eigenen Interesse diene, und ihren Verpflichtungen nicht nachkomme. Die öffentliche Meinung in Athen, Konstantinopel und Kreta sei durch diese Preßangriffe gegen England sehr erregt worden. Wenn die englische Regierung nicht nur ihre unmittelbar bevorstehende Aktion, sondern besonders ihr Endziel etwas ausführlicher und klarer darlegen wolle, würde dies die Erregung der betreffenden Völker mildern. Er habe nur den Vorwurf gegen die Regierung zu erheben, "daß sie, während sie richtig Handle, es versäumt habe, dies den anderen Mächten klar zu machen. Man sei infolgedessen größtenteils nur selber an den falschen Auffassungen schuld, welche im Auslande vor Deutschland und die Kretafrage Köln, 15. ZW. Ein Berliner Telegramm der „Kölnischen Zeitung“ weist den Vorwurf einiger Blätter über die Untätigkeit Deutschlands in der Kretafrage als völlig unberechtigt zurück. Die Schutzmächte hätten die Verpflichtung übernommen, die Kretafrage in Ordnung zu bringen. Solange diese nicht eine Gestalt annehme, die allgemeine europäische Interessen in Mitleidenschaft ziehen würde, so lange werde Deutschland sicher aus seiner Sprüdhaltung nicht hervortreten und sich nicht en Minne Pa auf . -