Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1892. April (Jahrgang 19, nr. 5566-5590)

1892-04-01 / nr. 5566

Seite dOs Hermannstadt, Freitag .Sodann wurde das 1892er Staatbudget in Verhandlung gezogen. Ferdinand Horanscky beleuchtete den Voranschlag und erklärte, daß, obsc­hon von einzelnen anfechtbaren Posten abgefiehen, gegen die Reellität des Budgets seine Einwendung erhoben werden kann, dennoch Die durchzuführenden und bedeutende Mehrausgaben beanspruchenden Reformen vom Gesichtepunkt der Erhaltung des um den Preis großer Opfer "hergestellten finanziellen Gleich­ ge­wichtes die Regierung zur größten Vorsicht ermahnent. Obgleich nun das Budget aus finanziellem Gesichtspunkte im allgemeinen als befriedigend zu be­­­hält er dennoch dafür, daß die Partei aus den Gründen, ‚welche erst jüngst im Laufe der Adreßdebatte genugsam entwickelt wurden und infolge deren die Partei der Regierung sein Vertrauen entgegenbringen kann, das Budget auch im allgemeinen nicht annehme. Graf Apponyi schloß si den Ausführungen des Vorredners vollkommen an und wurde ersucht, den Stand­­­punkt der Partei nebst Unterbreitung des von ihm verfaßten und mit ein­­­helliger Bestimmung aufgenommenen Beichlußantrages im Hause zu vertreten.“ Ueber die Folgen des legten Dynamit-Attentates wird aus Paris vom 29. d. M. berichtet: „Das Haus Rue de Clichy 39, der Schauplan des Techten Dynamit Attentats, droht troß der Pölzungen einzustürzen. Das Haus wird wahrs­­cheinlich abgetragen werden müssen. Die Polizeidirektion erhielt einen Droh­­­brief, daß demnächst alle Zollamtsgebäude in die Luft gesprengt werden, da die Zöle Schuld seien, daß die armen Leute keinen Biffen Sleib­ mehr er­­­schwingen können. Der Portier eines Hauses auf dem Boulevard Magenta bemerkte einen Burschen, als derselbe ein PBadet mit einer brennenden Band­ Schnur in den Hausflur warf. Der Portier zertrat die Zündschnur, konnte aber den Burtchen nicht festnehmen. Vermutlich liegt Hier ein neues Anarcisten- Attentat vor. : · »Der Ministerrat beschäftigte sich heute vormittags uttv den lebten Dynamit-Attentaten. Nach der Situng konferierte Ministerpräsident Zoubet mit dem Justizminister, mehreren Gerichtsfunktionären und dem Polizeipräfekten. Man ist fegt überzeugt, daß Navachol der Urheber der Dynamit-Attentate am Boulevard Saint Germain und im der Rue de Clichy war. Die Polizei ist ihm bereits auf der Spur. Fast alle seine Mitfehuldigen sind verhaftet.“ Nach einem Konstantinopler Berichte der „Pol. Korr.“ glaubt der dortige Polizeipräfekt, Nazim Bey, annehmen zu können, daß unter den, unter dem Verdachte der Mitschuld an der Ermordung Bulkovitsch' zulegt verhafteten Individuen fi der eigentliche Mörder des bulgarischen Staats­­­mannes befinde. Der Name des betreffenden Individuums wird im­­nteresse der Untersuchung noch geheim gehalten. Aus Odessa sei nach der türkischen Hauptstadt die Nachricht gelangt, daß drei aus Konstantinopel eingetroffene Bulgaren, die der Teilnahme an der Ermordung Bulfovitsch’s verdächtig seinen und bei denen diesbezüglich impromittierende Papiere gefunden worden wären, verhaftet wurden und ausgewiesen werden sollen. Man lege dieser Nachricht geringen Wert bei, da für die erwähnte Untersuchung durch die Ausweitung der betreffenden Individuen aus Rußland nichts gewonnen sei; an eine Auslieferung derselben an die türkischen Behörden sei aber nicht zu denken­ zeichnen ist, ging nicht den guten Fahrweg, er wählte die steileren, aber kürzeren Steige. Bergesmühsal giebts für den Holzknecht feine, und durch den Wald hinauf mag er sich das Schlagholz ansehen. Als er auf die freien Weiden kam und auf die weiße Straße hinüberblidken konnte, sah er sie dort gehen, er erkannte sie ja schnell. Und einen Büchsenschuß Hinter ihr eilte ein Mann drein. Der Shopper schärfte sein Auge und erkannte den jungen Adlerwirt von Richbrunn. — Bei Ueberraschung wie gelähmt blieb er einen Augenblick stehen. — Was ist da? — Was ist da? — Steht es so mit der Wallfahrt zu den sieben Lärchen? Ei, da wollen wir ihnen doch einen Baum über den Weg werfen. Sit denn schon alles falsch auf der Welt? Gut, alsdann will ichs auch sein. — So seine Gedanken. Neuerdings zog er si in den Wald zurück und lief durch den Helden an der rückwärtigen Berglehne der Kapelle zu. Er kam früher hinauf als die anderen. Hinter der Kapelle brach er in das Lichtendidicht und mauerte sich an die Holzwand, um durch eine Spalte in das innere der Kapelle lugen zu künnen, während durch das Gez­weige Hin der Anger mit dem Tischchen sichtbar war. So beherrschte er den Schauplat nach beiden Seiten. Er langte mit der Hand in seinen Sad, ob er das Messer bei si) habe. — Ya, mein Lieber Adlerwirt, ich habe dirs gesagt und du hast­­e3 nicht geglaubt. Des Herrgott 3 Mühlen mahlen Tangsam, aber sicher! — Er Hatte gesehen, wie die Frieda beflommen in die Kapelle getreten war, und als er merkte, daß ihr Gebet ihm galt, da Löste sich von seinem Auge ein salziger Tropfen 1o8 und ranıı über die rauhe Wange durch den struppigen Bart bis an die Lippen. Dann stand plöglich an der Thür der Adlerwirt mit heißbegehrendem Blid. Der Holzknecht erfaßte die Hirschhorn- Schale seines Messers. Al er hernach vernahm, was draußen gesprochen wurde an den Tischen, jedes Wort des armen Burschen voller Unglück und voller Liebe, und die das Drinvel dagegen ankämpfte, bis doch in beiden Die wilde Allgewalt Siegerin ward — da loderte in ihm Wut und Nachgier auf, daß der fliegende Atem glühte an seinem Munde. Und er stürzte mit gerüd­em Messer Hin auf das Paar, Die Frieda b­at einen Schrei und wollte si fhüßen unter dem Brette eines Tisches. Der Wolfram jedoch stand wie ein Baumstamm da und fragte: „Holzriecht! Was willst du?“ Diese starre Ruhe lähmte den Schopper für den Augenblick, denn er war auf Gegenwehr gefaßt gewesen und in einem Zweilampfe wollte er siegen oder fallen. (Fortlegung folgt.) e­­in. Siebenbürgisch Deutsches Tageblatt, 1. April 1898, Nr. 5566 Die Comeniusfeier im evang. Frandeskirchenseminar. (Fortlegung.) Da nun aber Comenius doch auch für die Jugend von Lateinlesen und Lateinsprechen verlangt und zwar schönes und stilgerechtes Lateinsprechen, wie solches nur aus der Lektüre der Autoren gewonnen werden kan, wie hilft er si aus der Verlegenheit und aus dem Widerspruche, in den er sich scheinbar verwidelt hat, wieder heraus? Es sind Blumenlesen aus den Alaf­­fitern, und zwar von charakterferten christlichen Gelehrten zu machen, Blumenlesen, die von der Jugend ohne Gefahr und leicht gelesen werden können. Da aber bei Erlernung der Sprachen nicht gleich mit diesen begonnen werden kann, so müssen ihnen vorausgehen eine Anzahl sorgfältig gearbeiteter Schulbücher, die das Ziel leichter und sicherer erreichen lassen, als das bisher der Fall gewesen ist. „it's nicht ein elender Jammer gewesen, daß ein Sinabe „hat müssen zwanzig Jahre oder länger studieren, allein daß er so viel böses „Lateinisch hat gelernt, daß er möchte Pfaff werden und Meß seien! Und „welchem es dahin gekommen ist, der ist selig geweit .. . . Und ist doch ein „armer ungelehrter Mensch sein Leben lang geblieben, der weder zu gluhen, „noch Eier zu legen getaugt hat... . Ja! Zwanzig, vierzig Jahre hat einer „gelernt und hat noch weder Lateinisch noch Deutsch gewußt“, so sagt schon Luther und hundert Jahre später schreibt Comenius: „Das Studium der la­­­­teinischen Sprache allein, Lieber Gott! wie ver­worren, wie schwierig, wie „weitschweifig war dies! M Wahrhaftig schneller erlernen die Marketender, Be­­­­diente und Handwerksburschen bei Küchen, Militär- und anderen niedrigen­­­ Verrichtungen eine beliebige fremde Sprache und nicht eine allein, sondern „zwei oder drei “ als die Böglinge unserer Schulen bei vollkommenster freier „Zeit und mit äußerster Anstrengung das einzige Latein. Und mit welchem „ungleigen Fortgange! Jene plappern schon nach einigen Monaten geläufig „ihre Sprachen, diese vermögen kaum nach fünfzehn oder zwanzig Jahren, „gerwöhnlich auch nur gefragt auf die Krücden von Grammatik und Wörterbuch „etwas L­ateinisches vorzubringen und nicht einmal das ohne Zaudern und­­­ Stoden. Woher kann nur eine fo­­rchredliche Vergendung von Zeit und Mühe „sonst herrühren, als von einer fehlerhaften Methode?“ ") Und die Methode nun des Erlernens des Lateinischen, wie überhaupt jeder fremden Sprache zu verbessern, das ist der erste bedeutende Schritt und Versuch, den Comenius unternahm. Er t­at es mit seiner „wiedererschlosfenen Sprachenthür”, der janua linguarum reserata. Der Gedanke, der dieser erschlosfenen Pforte der Sprachen zum Grunde liegt, war nun freilich durchaus sein neuer. Schon aus der Mitte der Jesuiten war eine solche janua linguarum hervorgegangen, die vielfaches Aufsehen erregt und dem Comenius sogar, wenigstens nach einer Richtung, zum Muster gedient hatte; aber neu war in dem Buche der Gedanke, daß, da Sprache und Beistand parallel mit­­einander sich entwickeln, auch der Sprachunterricht parallel mit dem Sachunterricht zu laufen habe, und daß demnach, bevor etwas in Sprache gefaßt und „mit der Nede auszusprechen sei”, dieses, nämlich die Dinge selbt, vorerst „eingebildet“, „ordentlich gefaßt“ und „begriffen“ sein müssten; und so unternimmt er dem­ Comenius „in einem kurzen Begriffe“ — wie er das ausdrückt — „die ganze Welt und die lateinische Sprache zu zeigen.“ Was er von der janua der Jesuiten übernommen hatte, bestand aber darin, „daß der gesamte Sprachihag in eine gewisse Anzahl von Sägen so hereingebracht wurde, daß alle gebräuchlichen Wörter darin enthalten waren und zwar jedes nicht mehr als einmal, jedoch in einer passenden Sägung und Lebensart“. Die unbedeutenden Abänderungen, die Comenius an diesem Ver­­­fahren anbrachte, auf die er selbst aber ein großes Gewicht legte, wie z. B. daran, daß die janua der Jesuiten nicht alle gebräuchlichen Vokabeln enthalte, dafür aber mehrere ungebräuchlichen, und daß sie Wörter mit mehrfacher Bes­­deutung nur einmal und nicht jede in ihrer ursprünglichen Bedeutung anführe, dem gegenüber Comenius Wörter mit mehrfachen Bedeutungen wiederholt auf­­­führt und sie so ordnet, „daß eines des anderen rechten Verstand gleichsam aufschleußt” — diese unbedeutenden Abweichungen sind wohl bei Beurteilung des methodischen Ganzen an sich von untergeordneter Bedeutung; und es darf somit nicht geleugnet werden, daß, was die Methode des Comenius in spra­­chl­­icher Beziehung neues brachte, er zumeist von den Jesuiten übernommen hatte. 2) Aber dieses m­ethodische Verfahren, verbunden mit dem neuen Ges­­danken, daß alles, was gelernt werde, wertvollen fachlichen Inhalt haben müsse, oder anders ausgedrüct, die enge Verbindung des Sac­hunterrichtes mit dem Sprachunterricht, war doch des Comenius eigenste „Erfindung“; und daß er durch sein Buch­ einem dringenden Bedürfnis seiner Zeit entgegenkam, beg­­weist der außerordentliche Erfolg, den er damit hatte. In kurzer Frist wurde es in zwölf europäische und mehrere asiatische Sprachen übertragen und mit Ausnahme der Heiligen Schrift gab es damals sein Buch, das unter den Völkern der Erde so verbreitet gewesen wäre, wie die fanua des Comenius. “) Comenius selbst urteilt allerdings bescheiden von dem Werte, das mit einem Schlage seinen Ruhm begründet hatte, indem er gelegentlich schreibt: „Was ich mir nicht einbilden konnte, geschah, daß nämlich dies Findliche Werklein (puerile istud opusculum) von der gelehrten Welt mit allgemeinen Beifall aufgenommen wurde.” *) Und es genügte ihm bald so wenig mehr, daß er es gar nicht mehr als sein Werk anzuerkennen und beseitigt zu sehen unwünschte. °) &3 genügte ihm aber sowohl in methodischs­prachlicher, wie in fachlicher Bes­­ziehung nicht. In methodisch-prachlicher Beziehung ist er namentlich­ das Ver­­­hältnis, in dem Grammatist und Lekiton zum Texte zu stehen haben, das ihm viele Denkarbeit hostet, und in den späteren Umarbeitungen der janua, deren Herausgabe mit noch anderen Schulschriften, dem vestibulum und dem atrium, erfolgte, fielt er die Grammatik und das Lerifon, die der ersten janua ganz fehlten, dem Texte bald voran, bald läßt er sie ihm folgen und man erkennt deutlich, wie erst nach vielen Schwankungen die Ansicht in Co­­­menius sich festigte, daß der Anfang mit dem Texz zu machen, die Grammatik und das Lerifon aber nur Hilfsbücher seien; und es interessiert in diesem Zusammenhange auch die Bemerkung des Comenius, daß die Grammatik selbst für jedes Volk eine andere sein müsse, da sie sie­­eben nach den Eigentümlich­­­keiten der verschiedenen Sprachen zu richten habe. In fachlicher Beziehung aber genügte ihm seine janua nicht, da sie seinem Grundlage und der Absicht, in der er sie geschrieben hatte, mit der Sprache zugleich auch Sachen zu lehren, gar nicht entsprach. Denn anstatt der Sachen würden schließlich doch nur Worte gelernt und zumeist Worte von solchen Dingen, die, wie Comening selbst eingesteht, „die Knaben nie gesehen und deren viele die Lehrer selbst nicht Tannten”., Diesem leßteren Uebelstände abzuhelfen, schuf nun Comenius ein Buch, das ihm den Ruhm, den seine Manua, die über dem neuen Buche bald ver­­­gessen war, begründet hatte, noch weitere viele Jahrzehnte erhielt, ja durch die Jahrhunderte hindurch bis heute erhalten hat, da er auch gegenwärtig noch das bekannteste und am meisten genannte Buch des Comenius ist, den orbis pictus, die gemalte Welt in Bildern. Unzählige Auflagen hat er seither erlebt, auf unter uns, und ist bis tief in die ersten Jahrzehnte dieses Jahr­ Hunderts hinein an unseren Schulen in Gebrauch gestanden, ja unser Kolle­­­gium zählt ein Mitglied, das vor wenigen Jahren no aus dem orbis pietus in den Schulen gelernt hat; und es wäre gar nicht zu vermindern, wenn es bei dem fast beispiellosem Ruhme, den es seinem Beifaffer eingetragen hat, auch heute noch hie und da in Schulen in Gebrauch stände. Freilich­ die Klippen, an denen die janua, wie auch andere Schulbücher des Comenius s­eiterten, und die gleich hohe Klippen für jedes Schulbuch sind, vermochte auch der orbis pietus nicht zu umgehen. Denn die Bilder der Dinge, die zu dem et­was umgeänderten Terre der janua neu hinzukamen und die dem Mangel an wirklichen Anschauungen abhelfen sollen, konnten diese doch nicht vertreten und er begegnet dem Comenius, was auch noch vielen anderen begegnet ist, daß methodische Theorien, so weit sie sie auf Kennenlernen von Saden er­­­streben, sobald sie in einem Lehrbuche zur Anwendung gelangen und hier Ge­­­stalt gewinnen wollen, gerade an dem Einbuße erleiden, was das eigentliche Wesen der Theorie ausgemacht hatte, nämlich­ an wirklicher Anschauung der Dinge selbst, die durch ein Lehrbuch, selbst wenn es noch so viele Abbildungen enthielte, nie erregt werden kann.­­ber auch abgesehen davon, daß zwischen wirklichen Dingen im Originale und ihren Abbildungen große, kaum je über»­­brüdbare Unterschiede bestehen, nicht zum mwenigsten deshalb, weil die Bilder doch immer nur Neußerliches bezeichnen und darstellen, die ganze Theorie des Eomenius über die Verbindung des Sachsunterrichtes mit dem Sprachunter­­­richt, wenigstens mit dem fremdsprachlichen Unterrichte, wollte sich in der Praxis nicht recht bewähren. Und es ist dos nur zu leicht erklärlich , denn da im orbis pietus von Seile zu Zeile und von Seite zu Seite immer neue Bezeichnungen und Vorstellungen sich drängen, so konnte es kaum anders kommen, als daß zur eigentlichen Vertiefung in die Gegenstände selbst nicht hinreichend Zeit blieb und seine Anschauung reifen konnte. Comenius weiß das alles sehr genau und er betont es scharf, fast zu scharf: „daß die Menschen eben angeleitet werden müssen, so weit, als es nur möglich ist, nir aus Büchern Hug zu werden, sondern aus Himmel und Erde, aus Eichen und Buchen“.‘) Und troß der vielen anerkennenden Urteile, die ihm von allen Seiten zu­­teil wurden, hat er doch nie gezögert, an seinen eigenen Werten rückhaltlose Kritik zu üben. So schreibt er denn gelegentlich:­”) „&3 konnte mir jemand entgegenhalten, ich hätte eingeräumt, °) daß meine für die Jugend bestimmten Bücher wegen der allzu großen Zusammendrängung der Dinge und Worte Schwierigkeiten bereiteten. Ich entgegne: && ist so, wie ich eingeräumt habe.“ Zugleich benennt er an dieser Stelle, daß seine Schulschriften in Amsterdam auch schon bereits aufgegeben seien; und wir erfahren dasselbe auch noch von anderen Städten. Aber nicht nur in fachlicher Beziehung konnte der orbis pietus nicht eiften, was er bezweckte, da eben auch aus ihm nicht Gegenstände und Sachen, sondern wieder nur Worte gelernt wurden; auch in sprachlicher Beziehung genügte er nicht vollständig, und wir brauchen und gar nicht anzustrengen, den Grund Biefür ausfindig zu machen. Comenius selbst giebt ihn ganz zus­­treifend an, wenn er schreibt:®­ „Die ersten Uebungen in einer neuen Sprache müssen an einem bereits bekannten Stoffe vorgenommen werden, damit nämlich der Geist nicht gleichzeitig auf Gegenstand und Wort seine Aufmerksamkeit­­e_ richten müßte und eben dadurch zerstreuet und abgesch­wächt würde, sondern ausschlielich auf die Worte, um sie leichter und schneller zu bewältigen.“ Und wenn er in diesem B Zusammenhange weiter bemerkt, daß sein Vestibulum und seine janua mehr zum Memorieren, als zu einem Lehrbuche geeignet seien, so trifft ex au biemit das bezeichnende Wort; nur muß dieses auch auf seinen orbis pietus ausgedehnt werden, der zertlich gar nichts anderes, als die wenig umgearbeitete janua is. Ob­­wohl dieser feine Wink des Comenius, seine Schulbücher nicht so­­ehr als Lehrbücher, als vielmehr zum Memorieren zu benügen, auch in allen Schulen, in denen sein orbis pietus eingeführt war, Beachtung gefunden hat? Von einigen Schulen wissen wir es genau, daß man es beim Gebrauch des orbis pietus nur auf eine copia verborum und einige Redensarten abgesehen hatte, und die Bilder nur als mnemotech­­­nisches Hilfsmittel zur weiteren Einprägung der Worte betrachtete. Daß er aber an vielen Schulen, an denen er eingeführt war, als bald wieder abgeschafft wurde, läßt erkennen, daß er auch als Memorierbuch, wohl hauptsächlich seiner vielen ganz ungewöhnlichen Ausdrücke wegen, die sogar als unreines Latein, als Barbarismen, bezeichnet­­­ worden sind, seinen Zwecken nicht ganz entsprechend befunden wurde; und während er an so manchen Schulen, so auch an unseren, '°) bis in die allerlegte Zeit noch als Schulbuch sich erhalten hat, vollzog sich an solchen Orten, an denen er, kaum eingeführt, auch bald wieder abgeschafft wurde, eine Wandlung ganz eigentümlicher Art an ihm. &o wurde nämlich aus einem Schulbuch ein Unterhaltungsbuch für die Jugend; "") und als solches füllte es seinen Play vollständig aus, da es durch seine viel­­­fachen Anknüpfungen an das Leben und die Beschäftigungen der Menschen der Tugend mannigfac­he Anregungen bot und beispielsweise auch dem jungen Goethe noch lebhaftestes Interesse abgewann. 12) So hat denn, Hochgeehrte Antretende, was einst dem Comenius fast beispiellosen Ruhm eingetragen hatte, für uns heute kaum mehr als nur ge­­­schichtliches Interesse noch. Seine fanua und sein orbis pietus find­­ung nur noch beredte Zeugnisse dafür, wie vor bald 300 Jahren ein bedeutender Geist­­lich ernstlichst bestrebt und bemüht hat, die Methode der Erlernung der Haffischen Sprachen auf bessere Grundlagen zu stellen, um sichere Resultate in diesen Disziplinen zu erzielen. So ganz ohne Erfolg freilich für die Gegenwart sind diese Bemühungen des Comenius doch nicht geblieben. Denn die Frage über das Verhältnis der Grammatik zum Texte, die Comenius zuerst nachdrüchlichst aufgeworfen und einer gedeihlichen Lösung entgegenzuführen versucht hat, sie beschäftigt auch heute noch die Methodiker und philologischen Fachkreise und man bekommt nicht den Eindruck, als ob sie über den Stand, bis zu melden Comenius sie gebracht hatte, im wesentlichen hinüber gehoben sei; ja! wo man von den Wegen, die Comenius diesem Unterrichtsgegenstande vorgezeichnet hat, dann und wann abgewichen war, da hat man sich beeilt, bald wieder zu ihnen zurückzu­­­kehren, doch muß immerhin zugestanden werden, daß gegenwärtig die Schwierig­­­keiten des philologischen Unterrichts noch mehr, als in der Methode, in dem ganzen Lehrplansystem liegen und die sogenannte philologische Trage ist heute um vieles noch komplizierter gewworden, als sie es zu den Zeiten des Comenius war. Aber auch die andern Theorien de Comenius über die Verbindung des Sach und Sprachunterrchtes ist nicht ganz in sich selbst zusammengefunden, an sie hat deutliche Spuren Hinterlassen. Wohl wird sie nicht mehr als zutreffend erkannt für den fremdsprachlichen Unterricht, doch läßt sich auch in dieser Hinsicht die Forderung, daß, was in der fremden Sprache gelernt werde, auch wertvollen fachlichen Inhalt haben müsse, unschwer auf diese Theorien des Comenius zurückführen; aber für den muttersprachlichen Unterricht ist es fast zu einem unumstößlichen Annome geworden, daß der Sprachunterricht mit dem Sachunterricht gleichen Schritt zu halten habe. Und wenn wir, um nur wo eines zu erwähnen, hinzufügen, daß auch die heutzutage mit Recht so be=­­liebten Jugendbilderbücher, und ebenso das erste Schulbuch der Kleinen, die Vibel mit ihren Bildern, in den Abbildungen des orbis pietus ihr Muster gehabt haben "(), so will es uns fast dürfen, als ob auch für die Gegenwart noch Grund genug sei, dem Gomenius für seine fanua und seinen orbis pictus, wie für seine philologisch-didaktischen Bestrebungen überhaupt dankbar zu sein. Seine philologisch didaktischen Betrebungen waren nun aber nicht die einzigen, die seine Arbeitskräfte in Anspruch nahmen, ja sie traten für Comes­­nius sogar bald zu und in ihrer Bedeutung gegenüber den anderen Plänen, mit denen er fi umtrug, und die zuerst greifbarere Gestalt erhielten in seinem Vorhaben, der janua linguarum eine janua rerum gegenüberzustellen, also der Sprachenpforte an noch eine Sachenpforte hinzuzufügen. Auf dem Gange seiner didaktischen Studien und Arbeiten, noch mehr aber zufolge seiner Bekanntschaft mit den Schriften des Baco von Verulam war er dem Gomenius, wie schon früher erwähnt worden ist, zur unumstöße­­lten Gewißheit geworden, daß die zu seiner Zeit herrschende Begeisterung für die Hafsiihen Sprachen die sprachlie Bildung an ich in ihrer Bedeutung für die Geistesbildung weit überschäge. Trat doch in den Schulen der Erwerb wirklicher, positiver­­enntnisse weit zurück hinter der Aufgabe, Latinität zu erwerben, und wurde es doch als deal aller unterrichtlichen Thätigkeit ange­­sehen, die Schüler berebt, eloquentes zu machen, wie denn überhaupt das sprachliche Können, das faii passe, al Schluß und Prüfstein aller Bildung galt, womit dann eben Hand in Hand ging die übertriebene Verehrung, die man Cicero, als dem Meister der Redefunt, zumandte. 1%) Und schon in der janua linguarum, wie später auch im orbis pietus, hatte Comenius den Versuch unternommen, der Sprache ein Gegengewicht in den Sachen zu geben, und durch die Verbindung des Sachunterrichtes mit dem Sprachunterricht jenem mit diesem Gleichberechtigung zu verschaffen ; es ist aber in dem bisherigen auch angedeutet worden, weshalb und woran diese Verbindung und Verknüpfung scheitern mußte: der sprachliche Unterricht wollte nicht recht vorwärts schreiten, weil die Sachen die Aufmerksamkeit vielfach in Anspruch nahmen, und die Sachkenntnis mußte kurze Schritte machen, da immer wieder grammatikalische und legikalische Unterbrechungen dazmwischen sich einschoben. So sah sich denn Comenius schon frühe, noch bevor er den orbis pietus herausgegeben hatte, veranlaßt, neben dem „Tempel der Latinität“ einen besonderen „Tempel der Weisheit” aufzuführen ; und unter diesem Namen, der Weisheit, der Allweis­­­heit, Bansophie, werden die Bestrebungen des Comenius, soweit sie sich im Gegensah zum sprachglichen Können auf reales Wissen beziehen, zusammengefaßt. Es läßt dieser Name, Bansophie, erkennen, mit wie hohen Plänen Comenius si untrug. Das Wort, das ihm vorschiwebte, sollte „einzig in seiner Art sein“, ein „Magazin des gesamten Wissensstoffes“, worin nichts vermißt werden sole, und das „im Buch Enthaltene solte recht gedrängt sein, weil für die Kürze des Lebens bemessen“ und „gemeinverständlich”, weil Comenius dieses Werk, dieses Buch, für „alle“ schreiben wollte. Und „den Nachweis der Not­­­wendigkeit, Möglichkeit und an der Leichtigkeit allgemeiner Weisheit“ sucht zunächst eine Schrift des Komenius zu liefern, die „Vorläufer der Pansophie“ (Prodromus Pansophiae) betitelt ist. Sie war zunächst nicht für die Deffent­ 1) Didactica magna, Kap. XI ?) Die janua des Comenius bringt unter 100 Titeln in 1000 voll­ommenen, N und zusammengelegten Säßen nicht weniger als 8000 lateinische Wörter zur­­nwendung. >) Einleitung zur großen Unterrichtslehre, herausgegeben von Dr. ©. Lindner, Seite XIX. *) Raumer Geschichte der Pädagogik. 5) Abriß der Rolfsschule (Scholae Vernaculae Delineatio). °) Didactica magna, Kap. XVII. . In der Schrift: el aus den scholastischen Irrgärten und Fyrese, ®) In der Wurfschaufel der Philosophie, 9) Didactica magna, Kap. XXII. '*) Ob es Lehr- oder Memorierbuch ist, ist mir nicht bekannt. 21) siehe hierüber auch Willmann Didattıs, Band II, Seite 435, 12) „Aus meinem Leben“, Buch I und Buch XIV. 13) Uebrigens hat schon im Reformationszeitalter der Elementarmethodiker der­­­jamer auf den Gebrauch von Abbildungen beim ersten Lesenlernen aufmerks­am gem­acht. ı) Willmann Didak­is Bd, L, S. 297, Ö 000.23 | I­­u­­a­­ee

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