Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1893. Juni (Jahrgang 20, nr. 5919-5943)

1893-06-10 / nr. 5927

s » Yodaätion und Administration« Heltauergasse 23. Erscheint mit Ausnahme des auf Sonn- und Heiertage folgenden Wochentages täglich. Abonnement für Hermannstindt: monatlich 85 fl., vierteljährlich 2 fl. 50 Er., Halb­­jährig 5 fl., ganzjährig 10 fl. a Zustellung ins Haus, mit Zustellung 1 fl. 3 fl., 6 fl. 12 fl. Abonnement mit Bostversendung: Für das Inland: bierteljährig 3 fl. 50 Er., Halbjährig 7 fl., ganz­­jährig 14 fl. Für das Ausland: bierteljährig 7 RM. oder 10 Fre3., halbjährig 14 RM. oder 20 Fres., ganzjährig 28 NM. oder 40 Fred Eine einzelne Nummer tostet 5.0. W. Unfrantirte Briefe werden nicht angenommen, Manuskripte nicht zurückgestellt. Nr. 5927. XX. Jahrgang Siebenbürgisch-Deutsches Alt­blatt. Hermannstadt, Samstag 10. Juni Pränumerationen und Anferate übernehmen außer dem Hauptbureau, Heltauer­­gasse Nr. 23, in Kronstadt Heinrich Zeidner, H. Dresswandt’s Nachfolger, Mediasch Johann Hedrich’s Erben, Schässburg Carl Herrmann, Bistritz G. Wachsmann, Sächsisch-Regen Carl Fronius, Mühlbach Josef Wagner, Kaufmann, Broos Paul Batzoni, Zehrer, Wien Otto Maas (Haasenstein & Vogler), Rudolf Mosse, A. Opelik, M. Dukes, Heinrich Schalek, J. Danne­­berg, Budapest A. V. Goldberger, B. Eckstein, Frankfurt a. M. G. L. Daube & Co., Hamburg Adolf Steiner, Karoly­n Liebmann. Insertionspreis: Der Raum einer einspaltigen Garmondzeile foftet beim einmaligen Einladen 7 ff., das zweites mal je 6 fr., das drittemal je 5 fr. d. V. ex­­clusive der Stempelgebühr von je 30 fr. 1893, « Reichstag­ knien Seit mehr als einer Woche haben sich die Mitglieder des ungarischen Parlamentes in alle Windrichtungen des Vaterlandes zerstreut,gewiß sehr wenige mit dem Bewußtsein»per acti laboresjueundi«.Wohl war der abgelaufene Sessionsabschnitt ein tief bewegter und kritischer,aber totzdem ein unfruchtbarer,wie nur wenige vor ihm.Wenn man den Eindruck der parla­­mentarischen Thätigkeit der letzten Sitzungsperiode zusammenfassen wollte,möchte man ihn dahin formulieren,daß vielerlei gethan und versucht werden,aber nichts ganz und zur allgemeinen Wohlfahrt und Zufriedenheit.Denn auf dem Gebiete der Justiz und Verwaltung ist das nicht geleistet worden,was all­­gemein erwartet wurde und der Abschluß der Session mit den kirchenpolitischen Vorlagen hat neben dem durch die sterilen Parteiränkereien hervorgerufenen Gefühl des Unbefriedigtseins auch die bange Ahnung gezeitigt,daß mit dem Aufrollen jener Vorlagen die beiden springenden Punkte unseres Staatslebens, das ist die konfessionelle und nationale Frage,in ein kritischeres Stadium ge­­treten seien. Schon bei Beginn des Reichstagsabschnittes zeigte der Rücktritt des Mi­­nisterpräsidenten Grafen Julius Szapary eine der häßlichsten Seiten des poli­­tischen Lebens,die Parteikabalen,in grellster Beleuchtung,denn daß Graf Szapary ein Opfer der Parteitaktik ehrgeiziger Streber war,wird heute niemand bezweifeln.Man mag wohl seine»Halbschlächtigkeit«und,,Unentschiedenheit« im öffentlichen Leben mit Recht getadelt haben,der Grundzug seines staatss­männischen Charakters:der konservativ-aristokratische,und eine daraus fließende weise Mäßigung äußerte sich insbesondere uns Sachsen gegenüber in wohl­­thuender Weise und wir hatten alle Ursache,die Thatsache,daß Szapary dem ,,·Liberalismus«zum Opfer gefallen sei,mit Mißtrauen und Bedauern zugleich zu verzeichnen. Dem Grafen Szapary folgte das thatenfrohe Fachministerium Wekerle, das unter den Auspizien der Wegtaufenfrage die Sammelfessel des Parlamentes einnahm.Die ungewöhnliche Popularität,die sich Dr.Wekerle durch seine großen finanziellen Erfolge und sein entgegenkommendes Wesen errungen,sollten ihm leichter über die gewaltigen Hindernisse hinüberhelfen, die die nationalen und konfessionellen Elemente in Ungarn jedem Ministerium in den Weg legen. Aber­­ auf dem verantwortlichsten Posten erst lernte der thatkräftige Minister­­präsident die Glub­ige des nationalen Chauvinismus ennen. Selbst sein hart an die Grenze der zulässigen Konzilianz streifendes Entgegenkommen vermochte die elementarsten Ausbrüche der nationalen Begehrlichkeit nicht zu hindern , ob es sich um eine Frage der parlamentarischen Abstimmung oder um ein schwarz-gelbes Vortepee handelte. Und nur einmal wurde dem redegewandten Ministerpräsidenten Weierle von oppositioneller Seite bedeutet, daß ihm für sein Hohes Amt die innere natürliche Befähigung und V Berechtigung eigentlich fehle. Der Gedanke einer Fusion mit der gemäßigten Opposition jhrwand und Graf Apponyi trug seine nationalen Farben immer greller auf. Mit dieser Verschärfung der Parteigegenläbe kreuzte sich Die unter dem Vorfige des Brimas abgehaltene Bild­unskonferenz, die gegen das von der Mehrheit des Abgeordneten­­hauses mit lautem Jubel Fury vorher aufgenommene Kirchenpolitische Programm der Regierung eine Scharfe Opposition machte. Vom Dezember angefangen bis in die allerlegte Zeit schleppte sich im Reichstag unter dem Titel „Budget­­debatte“ jene Totrededebatte ein, die mit wenigen Ausnahmen alle anderen als Budgetfragen betraf. Von allgemeinem Werte war die Erledigung der Gehalts­­erhöhung der Staats- und Komitatsbeamten. Eine ungewöhnliche Arbeitsluft zeigte der Reichstag bei der Frage der Abgeordnetendiäten. Im Sturme wurden diese erhöht und pauscaliert. Im legten Augenblicke noch wurde der Gelegentwurf über die Gehaltsaufbesserung der Konfessionellen Volksschullehrer mit jenem verhängnisschweren Paragraphen verhandelt, der mit seiner Definition der Staatsfeindlichkeit den armen Lehrer zum völligen Sklaven der „Staatsidee“ macht, die gejeglich gewährleistete Schulautonomie der Konfessionen ernstlich in Frage stellt und die Saat zu tausendfältigen bösartigen Konflikten zwischen dem Staat und den Konfessionen ausstreut. Die meisten Vertreter der öffentlichen Meinung im Baterlande haben die „Arbeit” des verfroffenen Reichstages in wahrhaft panegyrischem Ton besungen. Die kirchenpolitischen Vorlagen haben in ihren Augen so manche Unterlassungs­­fünde des P­arlamentes gutgemacht. In den Zivilmatrikeln, der Zivilehe und im der freien Ausübung der Religion wird der Liberalismus auf Flaschen gezogen und in glänzender Ause­stattung der erstaunten Welt Tredenzi. Dieses Verfahren erinnert an den Aus­­spruch eines geistvollen politischen Schriftstellers, der da sagt, daß die Scholastik aus allen Wissens- und Kunstgebieten hinausgemerzt worden sei, nur in der Politik wuchere sie fort. Das parlamentarische Leben der Gegenwart sei eine Art „intellektueller Alhymie”, die das Lebendige in die Netorte zwänge und wenn man daraus einige farblose Tropfen herauspestilliert habe, würden Diese mit einer entsprechenden Formel und dem passenden Schlagworte, der verzierten Vignette, in Stäfcgchen gegosfen und versendet. Jeder Vergleich hinkt. Wer aber der aufmerksamere Beobachtung sich daran gewöhnt hat, im parlamentarischen Leben das Wesen vom Scheine zu trennen, der wird, namentlich zwischen dem ungarischen Parlamentarismus und jenem alchymistischen Verfahren so manche Analogie finden. Wie viel Lebendiges, organisch Entwickltes wird im politischen Leben Ungarns in Die Netorte gezwängt, dem Destillationsprozeß unterworfen und in schimmernder Ausstattung mit dem passenden Schlagworte versehen in die Welt gesandt. Hier ist es der Freisinn, dem alles geopfert wird, er ist die Schablone nach der alles gemacht und gemodelt wird. Das Treiben der Tautesten Agenten des Liberalismus hat mit den gleichen Vertretern der Handelswelt vieles gemein. Gerade so schreiend, so auspringlich und im feinem Kern so unmwahr, so unsel ist auch der landläufige Liberalismus. Darum wirft er auf ehrlich und gründlich Denkende auch so abstoßend. Und dem, dessen Pflicht es ist, nicht nur die „öffentliche Meinung zu machen”, sondern diese auch zu läutern, ihr Gewissen zu mweden und zu schärfen, mußten auch die jüngsten Arbeiten des ungarischen Parlaments, die in der Beleuchtung des Sreif­nnd in die Welt gefaßt wurden, Gegenstand reiflicher und gewissenhafter Prüfung sein. Allerdings wäre es bequemer und unter Umständen vorteile­hafter gewesen, auch bei diesem Anlaffe ohne weitere Erörterung mitzuthun. Aber so wie manches andere Gejeb Ungarns, schienen und auch die­­ kirchen­­politischen Vorlagen, insbesondere für unser sächsliches Volksleben, ein Schnitt in die edelsten Zeile zu sein, der viel tiefer geht und dessen Wirkungen an unserem Bolfskörper viel schädlicher sich Fühlbar machen werden als ähnliche Gelege auf wirtschaftlichem und rein verwaltungsrechtlichem Gebiete. Wie beispielsweise die Folgen der erwähnten Vorlagen fi im Verhältnisse zwischen Pfarrer und Volk in unseren Landgemeinden fie äußern werden, wäre allein eine t­ohlaufzumerfende Frage. Abgesehen von der Frage der technischen Durchführung der Staatsmatrikeln vor der Verstaatlichung der Verwaltung und vor der Einführung der Bivilehe, sowie der gewiß nur oberflächlich und optimistisch behandelten finanziellen Eeite der Sache; diese leiteren Ein­­wände haben indessen für uns Sachen seine prinzipielle Bedeutung. Für uns handelte es sich zuerst um die Beurteilung der Vorlagen rücksichtlich ihrer Wirkung auf den nationalen und konfessionellen Frieden des Landes. Von diesem Gesichtspunkte aus konnte ein Organ wie das „Tageblatt“ seine Be­­denken nicht verschweigen, ohne daß er damit auf das Gewissfen der Ver­­treter unseres Volkes einen bindenden Zwang ausüben wollte. Das Fazit des Tetten Sessionsabschnittes ist Fein erfreuliches­ Bes­­cchärfung der konfessionellen und nationalen Gegensäße, zunehmender innerer Parteihader, der u. a. auch in der Spaltung der äußersten Linien zum Ausdrud ge­langte, die Stärkung der radikalen Elemente und des Radikalismus, die allenthalben und besonders auch­ in der wüsten Agitation gegen das Magnatenhaus ausbrac), mit einem Wort: ein großer Schritt nach Links und damit eine Erschütterung und Unsicherheit der bestehenden Verhältnisse, sowohl in staatsrechtlicher als auch innerpolitischer Beziehung. Wo ist die kräftige Hand, die den Ansturm des zügellosen Chauvinismus abschlägt und im eigenen Lager die eiternde Wunde aus dem erkrankten­­ Staatskörper ausmerzt und dessen Gesundung anbahnt? Politische Uebersicht. Hermannstadt, 9. Juni. Der Heeresausschuß der ungarischen Delegation wurde vorgestern mit seinen meritorischen Beratungen ganz fertig, indem er auch­ das außerordentliche Erfordernis erledigte. Eine längere Diskussion entwicklte sich über die Reform des Militärstrafgefeges, respektive Militärstrafverfahrens. Justizminister Szilagyi war eigens nach Wien gekommen, um sie gegen den neulich im Ausschuß erhobenen Vorwurf, al ob er an der Verzögerung der fraglichen Reformarbeiten schuld wäre, zu verteidigen. Im längerer Rede legte er die noch begehenden sachlichen Differenzen zwischen ihm und den militärischen Valtoren dar und Kriegsminister Baron Bauer bestätigte die Richtigkeit dieser Darstellung. Bei dieser Gelegenheit kam auch die Mangelhaftigkeit der Bericht­­erstattung über die bekam­tlich geschlossenen Ausschupfigungen zur Sprache. Ein Beschluß wurde diesbezüglich nicht gefaßt. Um Retitionsausschüsse der österreichischen Delegation erteilte der Kriegs­­minister Aufklärungen in betreff des Erlasses über die Zugehörigkeit von Reserve- Offizieren zu Studentenverbindungen in demselben Sinne, wie vor kurzem im Heeresausschusse der ungarischen Delegation. « Der Artikel der,,National-Zeitung«über Kalnokys Exposee,den wir an anderer Stelle mitteilen,wird in allen Blättern eingehend besprochen. Aus Berlin wird vom z. d. M. berichtet: „In politischen Kreisen ist nichts von einer Verstimmung der hiesigen Regierungskreise über Kalhofys Reden bekannt. E83 wird vielmehr versichert, man sei darüber vollständig beruhigt und anerkenne die Befreiung der öfter­n­ Beziehungen als durchaus auch im deutschen Inter­­esse liegend. Gegenüber den hartnädigen Versuchen der oppositionellen Blätter, Kal­­nofys Erporee as Argument gegen die Militärvorlage zu verwerten, wird von gegenteiliger Seite auf des Minister vorgeltrige Erklärungen in der öster­­reichischen Delegation verwiesen, two derselbe sich mit großer Bestimmtheit und Klarheit für den andauernd in der Situation gegebenen Zwang zur Verstär­­kung der militärischen N­üstungen ausgesprochen und auch für Oesterreich- Ungarn die Verwendung höherer Kredite dafür als unumgänglich bezeichnet hat. Mit diesen Erklärungen und mit Kalnokys kühler Zurück­weifung des Ab­­rüstungsvorschlages Lupul3 könne man die deutsche Militärvorlage nicht be­­kämpfen; man begründe sie vielmehr damit. Genau so, wie Graf Kalnoky, habe auch Graf Caprivi sich wiederholt über die gegenwärtige Lage und über die Aufgaben und Pflichten der Regierung angesichts zukünftig drohender Ver­­wiclungen ausgesprochen.“ Die „Post” erhält aus Petersburg Telegramme, wonach den Erklärungen Kalnokys dort die Bedeutung der Anbahnung freundschaftlicherer Beziehungen zwischen Rußland und Oesterreich-Ungarn beigemessen wird. Zum Nachaffen der Spannung beider Kabinete Habe das Verhalten Deutschlands beigetragen, Br das Unterbleiben des Besuches des Fürsten Ferdinand in Konstantinopel erreichte. Die „Nordd. Allg. Ztg.“ meint die Behauptung der „Hamb. Nadır.“ und der „Zreil. Big.“, daß eine nochmalige Auflösu­­g des deiten Reichstages im Falle der abermaligen Ablehnung der Militärvorlage gegen den Geist der Verfassung verstoßen würde — als einen­­ Versuch zurück, die Feuilleton, Kunst und Armut. Einem Vortrag in der „Volksnwirtschaftlichen Gesellsschaft” in Berlin entnehmen wir folgendes: Hofrat Aldenhoven aus Köln über „Kunst und Armut.V­or tausend S­ahren, so etwa führte der Redner aus, erhoben sich die Kirchen inmitten unserer Städte, sie bildeten auch den Mittelpunkt des geistigen Lebens, ihre Gewölbe schmücken sich mit Bildwerken der Plastiz und der Malerei, aus den Büchern der Heiligen Schrift­­ khöpften Volk und Künstler die Gegenstände für die Erhebung des Gemüts. In diesen Hallen durchdrang die Andächtigen das Gefühl des Erhabenen und die Predigt leidenschaftlicher Mönche erzeugte in ihnen jenen heiligen Schauer, den die Vorfahren einst im Weben der Natur empfanden. Die Gestalten der Heiligen und Propheten aber zeugten zugleich für den Reichtum und den Wohlstand der Stadt, die sie geschaffen. Alle Künste standen noch im Dienste der Kirche. Bis ins 15. Jahrhundert hinein, da die Kunst begann, das irdische Leben in Farben eigenartig zu e­tfassen, waren ihre­­ Darstellungen vornehmlich dem Leben der Heiligen entlehnt. Am Seite des Patrons ward das Gotteshaus nicht selten zur Schaubühne, und aus den Handzeichnungen und Miniaturen der vor dem 13. Jahrhundert entstandenen Biblia pauperum künnen wir heute noch uns mit der Auffassung vertraut machen, von der die Massen des Volkes in jenen Tagen beherrscht waren. Heute freilich, wo die Maschinenarbeit einen neuen Stand geschaffen, dem es selten vergönnt ist, aus den Schäßen unserer Museen Trost und Er­­holung für des Lebens Mabhfal zu schöpfen, wird uns eine solche Erkenntnis unendlich erschwert. Die Kunst scheint allein für die Reichen vorhanden, die Massen nehmen einen geringen Anteil an ihr. Der rebte Grund für den Zivie­­spalt in dem Empfinden und Genießen der Kunst bei den modernen Völkern ist in dem Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts zu suchen. Die neue Bildung, die auf das gebundene kirchliche Leben des Mittelalters folgte, trennte Gebildete von Ungebildeten. Die Menge trat den nacten Heidengöttern fremd gegenüber. Wohl half die neue Kunst in katholischen Ländern die Pracht des Gottesdienstes erhöhen, während­­ auf protestantischem Boden die Fürsten sich der neuen Formen für ihren Bomp zu bedienen suchten. In den Niederungen des Rheins schuf ein freies Volk eine freie Kunst, weich und eigenartig in ihrer Erscheinung, allein in all den Gestalten der Bibel, den Portraits, den Genrebildern, selbst den Landschaften hat das Bürgertum sich dargestellt, das niedere Volk erscheint bei den Niederländern plump und roh. In gelebten Sormen endete diese Kunst des „dritten Standes” im 17. Jahrhundert. In Deutschland ist die Kunstpflege und der Genuß der Kunstswerte e­rst seit zwei Menschenaltern wieder recht erwacht und mit dem steigenden Wohlstand der Nation gestiegen. Wenn man deshalb gemeint hat, eine Blüte der Kunst sei allein auf sattem Boden möglich, sie sei die Begleiterin einer schon faulenden Kultur, so ist Diese Idee barbarisch, mirdig eines Gothen oder Franken aus den Zeiten der Völkerwanderung, denn die Geschichte lehrt das Gegenteil. Ohne Zweifel bedurfte es zum Bau der Florentiner Palätte des Goldes der Diedici, aber die Medici haben den Baum der florentinischen K­unst nicht gepflanzt, aus dem Bürgertum der stolzen Commune stieg Giotto, der Freund Dantes, empor. Aus seiner Mitte erhob sich Ghiberti und diese Künstler bildeten die Empfindungen jenes so fein empfindenden Demos. Gleichmäßig wuchsen Kunst und Reichtum auf diesem Boden, der ebenso wie der Boden Attilas den Delt­baum gedeihen läßt. Hier zeigt sich, wie die Griechen Recht haben, denen die Armut nur nur die Mutter der Gesundheit, sondern zugleich die Lehrmeisterin der Künfte it. Galten doch im schönheitzteunfenen Hellas die Baumeister, Bildhauer, Maler und Musiker für Banauten, und in dem bekannten Streit der Bildhauerzunft mit der Wissenschaft bei Lucian Heißt der Künstler, selbst wenn er den Ruhm eines Polyklet und Phidias genießt, nur ein Lohnarbeiter. Und kann man von unserem entgegengeseßten Empfinden aus den Hellenen e­twa das­­nunftgefühl absprechen? Weil hier Kunst sein Lugus war, weil sie aus dem Bedürfnis des Volkes entstand, fand sich für einen Berikles ein Phidind. Die Kunst in Athen war ein Wohlgefühl aller, ähnlich wie in Florenz und zum Teil später in Baris. In den Männern, Frauen und Jung­­frauen des Parthenonfrieses tritt uns dieses Wort lebendig entgegegen. Wer freilich­ wollte die tiefdunkle Kehrseite dieser glänzenden Medaille verfemnen ? Die Tausende der unfreien Arbeiter in den Bergwerken, auf den Nheden und Zagerpläen, sie galten als Sklaven von Natur, sie hatten seinerlei Anteil an den Gütern der Gesittung, und Schiwer rächte sich in unglücklichen Tagen ihre Stellung an dem attischen Volke; denn ein Glied des Volfskörpers muß ab­­sterben, das nicht mit dem Ganzen lebt, und mehr als 20.000 dieser U­nfreien sehen wir in einzelnen Fällen zum Feinde übergehen. Diejenige Kunst, der die weiteste Verbreitung beschieden, ist die Musik. In unserm Vaterlande gilt nur das­ Frisia nom cantat, allein die Friesen hat die Nordsee stumm gemacht. Je weiter wir nach Süden wandern, desto lieberreicher ist unser Vaterland, und auf Dörfern dringt das Erscheinen einer Drehorgel oft wie ein Sonnenstrahl in das Gemüt der Leute. Wir sollten duch öffentliche Konzerte, wie sie in Italien duch Militärkapellen ausgeführt werden, diesem Bedürfnis der Heinen Leute entgegenkommen. Noch vor 30 Jahren war in vielen kleineren deutschen Städten der Gesangverein das einzige Organ für einen Kunstgenuß. Im protestantischen reifen bildet oft das Kirchenlied den einzigen musikalischen Befig die armen Lohnarbeitere. Der neue Versuch, in katholischen Gegenden die Sculptur für kirchliche Emwede be­­nügen zu wollen, mußte scheitern, da die Machtmittel der Kirche über die Geister doch heute Feineswegd mehr groß genug sind; blutlose Gestalten sind meist die Frucht dieser Bestrebungen. Der Nenner ging als dann auf die Ver­­suche Frig dr. Uhdes über, den Heiland als Arbeiter unter Arbeitern darzustellen, die mit Rembrandts Art verglichen worden sind. Er sprach diesen Darstellungen die hollstümliche Wirkung ab, denn die Kinder der Armen haben eine reiche P­hantasie, nicht als Uhde’sche Engel stellen sie sich ihre verstorbenen Gesch­wister vor. In das Gold der Fichten Träume muß die Kunst diese Engelsflügel tauchen, wenn sie den Armeh den Glauben daran erwecken will. Gab im Altertum und Mittelalter die Religion dem Künstler den Inhalt seines Schaffens und eine überlieferte künftlerische Uebung die Formen, so ist heute die Freiheit des Gedanken­ und die Bethätigung wie im wirtschaftlichen Beben auch in der Kunst das Moment und die Bedingung jeglichen Fortschritts. Nur wer die Welt original auffaßt, kann uns Neues bieten und bis heute hat die Kunst uns noch nicht das bieten können, was in uns als die Vorstellung vom Hei­­land lebt. Das Wolfsleben haben die modernen Maler kaum so aufgefaßt, wie es die Seele des armen Mannes und Weibes rühren und erheben konnte. Die Kreuzabnahme von Michelangelo Caravaccio zeigt rohe Pöbelszenen. Giotto malt die Armut in Lumpen. In den Morisfos von B­elasquez haben wir Not und Verkommenheit vor uns, während bei Murillo ein Strahl andalusischer Sonne vergoldend auf die Bilder fällt. Da das B Wolfgleben bei ung seit dem 15. Jahrhundert gefunden war, finden wir bei den älteren Niederländern und Deutschen oft Rohheit in den Volksszenen. Rembrandt zeichnet genial Strolche und Bagabunden und bei den Holländern des 17. Jahrhunderts ahnen mir selber ein Mitgefühl mit der Armut. Auch die heutigen Fischer und Landleute von Sörael machen seinen frohen Eindruck. Die moderne italienische Kunst wendet sich mit lauten Protest gegen das Konventionelle, und auf dem Bilde von de la Croir: „Der 28. Juli 1830*, sehen wir ein Weib, biß zu den

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