Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1893. September (Jahrgang 20, nr. 5997-6022)

1893-09-01 / nr. 5997

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Oder wer, der nicht nur die Außenseite der Entwicklung des Menschen­­geschlechtes nennt, wüßte nicht, wie manche Beiten diesem oder jenem Gebanken gleichsam verschlossen schienen, bis er, mühsam sich Bahn brechend, erst in einzelnen Geistern zu vollem Verständnis erwacht, nach harten Kämpfen Schritt vor Schritt ein viel bestrittenes Gebiet erobernd, endlich Ueberzeugung und Willen der Mehrheit gewinnend, zum Losungswort des Tages wurde und für Streben und Thatkraft ganzer Geschlechter Bahn und Nichtung zeichnete. So schlägt die nie rastende Welle anfangs vergeblich an den starren Bels, Dessen hartes Gestein ihrer Strömung im Wege steht, bis dem stets wiederkehrenden Unprall endlich die spröde Maffe weicht und über sie hindurchh und hinweg die wallende Slut die länderverbindende Straße bricht und zu fernen Gestaden das fröhliche Schiff mit den reichen Schäden der Natur und des Geistes trägt. Im der Reihe jener Soeen steht voran die der „Bildung“. Wie bis­­­weilen die Nacht lang und dunkel auf dem Lande liegt, ehe der Morgen tagt, so hat es Zeiten gegeben und Menschengeschlechter, melche im Schoße tiefer dinsternis seine Ahnung des Lichtes hatten und seine Sehnsucht nach ihm, bis einzelne Sterne die Wolken durchbrechend die­­chlammernden Keime im Dienigen­­herzen erwecten, das heilige Bedürfnis nach Beredelung in ihm entstand und der entzündete, nun nicht mehr zu bändigende Drang darnach die strahlende Sonne der Bildung am Himmel des Wolfslebens heraufführte. So sind auf die Zeiten der Barbarei und Roheit die der Aufklärung und Bildung gefolgt, in welcher Könige und Zürften es nicht verschmäht haben, mit schirmender Hand die zarte Pflanze der Humanität und Kultur zu pflegen, in ein eigen­tümlicher Charakterzug unseres Zeitalters fi gerade darin ausspricht, das Leben durch einen größeren Reichtum von Ideen zu verschönern, durch immer Die Redaktion, höher steigende und tiefer gehende Bildung zu veredeln. It doch das Be­­dürfnis darnach so durchgängig unter den Völkern Westeuropas erwacht, daß in den rechten Tagen allgemeiner Bewegung der Ruf nach Bildung mit zum Seldgeschrei geworden ist, unter dem man um die, in die Gegenwart herein­­ragenden Trümmer des Mittelalters die zürnende Hand gelegt hat. Wenn die unterirdischen geheimnisvollen Kräfte weithin die Lande er­­schüttern, so Tann, während der mächtige Gebirgsstod erzittert, sich an das Heine, abgeschiedene Alpenthälchen dem un­willfürlichem Beben nicht entziehen. So ist jene Sehnsucht höherer Bildung und Aufklärung nach langem Schafe auch in unser Ländchen, auch in unser Volk gefonmen, obwohl er weit, weit abliegt von dem Herde der Kultur und getrennt von ihm durch wilde Lande und fast noch wildere Menschen. Daß hiebei auch hier wie sonftwo Stimmen Taut geworden, die dieses Streben nach höherer Bildung in weiteren Streifen befragen und die dadurch bedingte Veränderung auf so vielen Gebieten des Lebens bedauern, ja sogar die Uebel der Gegenwart, deren jede Zeit mit sich bringt, auf ihre Rechnung schreiben, ist ebenso natürlich als vergeblich. Klagt doch nach jenem alten deutungsvollen Digtyus auch der Mond mit den Sternen, wann die Morgenröte das Thor des Ostens öffnet und ihren Glanz erbleichen macht: die Sonne steigt darum doch empor und sendet ihre segnenden Strahlen leuchtend aus über Land und Meer. Wenn ich dagegen, hochgeehrte Anmwetende, ihre Aufmerksamkeit einige Augenblicke in Anspruch nehme, um das Gegenteil zu erweisen, daß gerade in der Gegenwart unserem Bolke höhere Bil­­dung als je not thue, so hoffe ich nicht nur, in jenen Zeitverhältnissen die Entschuldigung zu finden, gerade diesen Gegenstand zur heutigen Besprechung gewählt zu haben, und er­­bitte der duch Zeit und Seraft beschränkten Darstellung ihre freundliche Nachsicht. Die häufige Unbesti­mmtheit und Vieldeutigkeit des Begriffes „Bildung“ wird es notwendig machen, zuerst zu erforschen, was darunter zu verstehen sei. Es ist zum Behufe tieferen Verständnisses nicht unangemessen, den Gesamt­­begriff in den der Sachbildung und allgemeinen Bildung zu trennen und sie einzeln kennen zu lernen. Daß in jedem Fall etwas Volk­ommeneres darunter zu verstehen sei, Lehrt schon die Wortbedeutung, und wir werden die Ueberein­­stimmung aller Kundigen für uns Haben, wenn wir die erstere, die Fach­­bildung, in den Befug solcher Kenntnisse, Fertigkeiten und Geschiclichkeiten jegen, deren Ausübung der strenge Beruf nach den vorgeschrittenen Forderungen der Zeit erheirscht, während die allgemeine Bildung bedingt wird durch Die A­n­­eignung derjenigen im Laufe der Zeit lebendig gewordenen Ideen, in welchen sich das allgemeine Menschliche am mürdigsten darstellt, verbunden mit dem reinen Willen und der dach ihm gehobenen und geleiteten Kraft, zu ihrer Verwirklichung nach Möglichkeit beizutragen. Daß diese Bildung einer und der anderen Art in höherem Grade als­ je unserem Rolfe fest notwendig sei, ehrt zunäc­hst die Entwicklung des Auslandes. In welch raschen, fast betäubend schnellem Schritte dieses die Bahn des Fortschrittes verfolge, zeigt Joger­ung, den weit Entfernten, jeder Tag. Ich darf vor Ihren Augen, geehrte Anmwetende, das Gemälde nicht ent­­rollen, welches die gebildete Westhälfte unseres Erdteiles darbietet: die Kräfte der Natur dienstbar dem Menschengeiste, als ob er in Wahrheit ihr Herr wäre, mit ihrer Hilfe die Rohstoffe veredelt zu staunenerregender Feinheit, Zeit und Raum in ihren hindernden Eigentümlichkeiten fast nicht mehr vorhanden); durch all dieses die Mittel zur Verschönerung und Veredlung des Lebens ver­­mehrt in einem Maße, wie es vor Jahrzehnten noch kaum denkbar war; das durch die gesamte Welt und Lebensanschauung oft in ihrem Wesen verändert und die auf sie gegründeten Einrichtungen in einem Zustand der Umwandlung begriffen, aber bereits auf einem Abschnitt derselben angelangt, daß an Stelle des Alten ein ganz Neues getreten. Wollen wir nun neben den höher Ge­­stiegenen nicht als Barbaren und Kulturfeinde erscheinen, wollen wir der Segnungen ihres Fortschrittes teilhaftig werden, so müssen wir zu derselben Bildungsstufe hinanklimmen, wie sie, müssen auf demselben, wenn auch nach ihrem organg leichteren Weg der Mühe und der Anstrengung­­ die goldene ruht zu brechen suchen, die der Wille der Götter eben nur als Preis der Arbeit verleiht. Thun wir es nicht, so werden wir dem Schicsal des Zweiges verfallen, der mit dem Wachstum des Baumes nicht zum Ast werden will, er verdorrt und fällt ab. Denn „mit dem Lebensgeschie der Menschheit ist 3“, nach dem tiefen Wort Alexanders­ v. Humboldt, „wie in der Natur, für die er im Bewegen und Werden sein Bleiben giebt und die ihren Fluch gehängt hat an das G Stilfe stehen.” Wie aber der segnende Strahl der Sonne neben der duftenden Blüte auch den Giftsaft der Pflanze dem Erdenschoß entlockt, so Hat die rasche Ent­­wicklung unserer Zeit neben dem Segen der Bildung an den Fluch der Ver­­bildung hervorgebracht. Denn leider giebt es eine, nur den Wesen und Glück­­lichen ersparte Stufe in der Entwicklung des Menschengeschlechtes, wo mahre Bildung zur Scheinbildung wird, dadurch, daß die Sittlichkeit sie von ihr trennt, die doch ihrem Wesen nach von gleicher Art sind, die si unter­ein­­ander bedingen und in Wahrheit zusammenfallen. Dann werden jene zerfegenden Elem­ente thätig, die den Bau der Gesellschaft untergraben, die untere Noheit mit dem trügerischen Firniß veredelter Natur übertünchen und doch den Schein so leicht die Herzen der Menge gewinnen und täuschen. Dann entgeht jener Leichtsinn, der nur nach dem Glanz hafcht, jene Halbheit, die nichts mit Ernst treibt, jene Breifelsucht, die nichts mehr für groß und wahr hält, jene Uns­zufriedenheit mit allem außer fi, die zusammen jenen traurigen Stanf«­heitsstoff bilden, an dem ein Teil unserer Gegenwart so schwer darniederliegt. E83 ist sein Zweifel, dieses Gift unserer Zeit wird auch zu uns den Weg finden, ja e3 ist bereits zum Teil geschehen. Die so erstaunlich vermehrten Verkehrsmittel unserer Tage rücken den stillen Winkel unserer Heimat plößlich hinaus auf den Markt des Lebens, ja führen die geräuschvolle Straße feines Treibend mitten doch sie. Wir können ung’ihr nicht entziehen und wollen es um so weniger, ald auf ihr ung mit fommen sol, was dort in heißer Mühe die vorgeschrittene Entwickklung gezeitigt hat. Aber siehe, mitten unter ihren Lichtgestalten schreiten auch die dunkeln Schattenbilder einher und der Schlag­­baum hebt sich für die einen und für die anderen. Sollen diese nicht einziehen in die Gemüter des Volkes und den Sinn ihm vergiften, so öffnet früher jenen die Thore und Yaffet die Wohnung machen unter und. Lehret unser Wolf die wahre höhere Bildung lieben und erwerben, so wird die Verbildung seinen Plad finden. Die Lüge kann man nur bekämpfen und abwehren mit der­­ Darum thut gerade in unseren Tagen höhere Bildung dem Volk v .not. Sie thut ihm nicht minder not, wenn er ferner sein V­olfstum bewahren will. Die ehrwürdigen äußeren Schranken, welche er Jahr­hunderte lang vor der Mederflutung fremder Elemente und der Erbrüdung doch sie geschiemt haben, fallen. Die uralte Weisheit der Herrscher dieser Lande wird verdrängt von der Klugheit des Tages. Was sich bis­het unter dem abgeschlossenen Schirmdach des Privilegiums entfaltet, soe fortan allen gemein sein wie die Luft des Himmels und in dem großen Hause des Staates dürfe der einzelne Stamm seine Sondermahnung für sich Haben, so sagen sie. Der Gewaltige, verehrte Anmesende, hat Recht. Wir können nicht­­widerstehen und müssen uns freuen, wenn die Güter, die und bis jeßt beglüct Haben, Gemeingut werden alles Volkes. Wohl aber ziemt es uns, zu bedenfen, was jenen Schuß der gefallenen äußeren Schranken erregen künne, damit wir das hehre Erbteil unseres Wolfstumes, wie unsere heilige Pflicht, auch den künftigen Geiiechtern erhalten. Die Geschichte Iehrt, daß es Hiezu nur ein Mittel gebe — allseitige höhere Bildung. Die Welt wird auf die Dauer nur beherrscht von Geistern , und untergehen kann­ nur das Geistlose. Sind wir also fortan in dem geistigen Wettkampf die Ersten, sind wir die W Bannerträger wahrhaft menschheitlich­ schöner Entwickklung, so wird auch das Vollstum dauern, unter dessen Wegide diese einhergeht, es sei denn, daß — mas doch kaum denkbar ist — der un­­günstigste Zusammenstoß äußerer Verhältnisse unter seiner Wucht alle gewor­­denen Bildungen begrabe. Wenn jener große Kriegsfürst und Kenner der Bedingungen des Völkerlebens die wahrhafte Macht seines Volkes darin sept, nicht zuzugeben, daß irgend eine neue Idee ihm nicht angehöre, so Fan wohl .) Heute, wo die Schulen sie wieder öffnen, soll das mahnende Wort des großen Lehrers an sein Wort mit an ihn und an die Güter erinnern, die unsere Schulen zu hüten haben. Benilleson. Ein Vorurteil. Roman von Doris Freiin vd. Spättgen. (1. Fortlegung.) 2. Kapitel: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin? Ein Märchen aus allen Zeiten, Das kommt mir nit aus dem Giün !“ sang eine frische, ziemlich geschulte Mä­dchenstimme Hinter einer nur angelehnten Thür. Allein sofort 2 eine zweite junge Dame, welche in dem borderen Zimmer häufig auf dem Sopha hingestrebt lng, das Buch, worin sie eben gesesen hatte, zur Erde lafen und behegtte mit ihren winzig Heinen Händen das Gesicht. „Ein Märchen aus alten Zeiten!" wiederholte sie schmerzlich, „o, wenn es doch nur ein Märchen — eine Sage wäre, worüber die Leute unseres aufgeflärten 19. Jahrhunderts mitleidig die Achsel zuden. Gehört nicht der Herenglaube, die Furt vor dem bösen Blice und ähnliches heute auch­ ins Reich der Mythe? Warum lassen sich denn Vorurteile nicht besiegen, die so hart, so umgerecht sind, wie der bornierteste Aberwig eines geistesbeschränften Beitalters !* Ein tiefer Geiiger hob die Brust der Teile vor sich hin fütternden Mädchens. Hmar verhüllten die feinen,­­pft zulaufenden Finger noch­ immer ihr Angesicht. Allein der zierliche Kopf mit dem gewellten, tiefschwarzen Haar, die wundervollen, durch ein schlichtes Kleid nur noch mehr gehobenen Körper formen ließen jugendliche Anmut und großen Liebreiz erraten. „Zu Ende — zu Ende ist bald der schöne, so glücliche Traum und ich muß wieder Hinaus in eine mir fast fremde Welt — ja, in Verhältnisse, die aus den bloßen Erinnerungen mir unsympathisch sind. Andere Mädchen freuen ich, nach strengen Studienjahren heimzufehren ins Vaterhaus — ich nicht, obgleich ein Leben voll üppigen Glanzes mich erwartet — ein Leben, in welchem jeder meiner Wünsche mie im Zaubermärchen fi erfüllen wird, in dem die Tage solgen-,­­mühe-, aber auch arbeitslos dahinfließen­ werden. Mir graut vor solchem geisttötenden Dasein, nach dem ich durch 5 Jahre erkennen und begreifen gelernt, wie man in Europa lebt und seine Zeit verwendet, wie hier die Jugend bemüht ist, sich fortzubilden und ihr Wissen täglich zu be­­reichern. Leider Liegt freilich ein ganz anderer Sinn in dem goldenem Worte Daheim !" Wieder entschlüpfte ein Seufzer der jungen Brust: „Naud! Schon wieder in trübselige Gedanken versunken? Das ist nicht recht, das schmerzt mich !” Die liebliche Stimme, welche man im Gesange ver­nommen, schredte die Träumende empor. Ein blonder Mädchenkopf mit traurigen Augen bog sich ängstig prüfend zu der Angeredeten nieder, während eine weiche Hand zärtlich über das schwarz gewellte Haar stiich: „Ach Maud! Ich möchte dich so gern einmal recht von Herzen froh und Leiter sehn! Wenn ich fo­lgen, so weich und so unabhängig wäre wie du, ich glaube, daß ich den ganzen Tag nur singen und lachen, oder daß mein Herz vor Wonne schier in Stade gehen würde,”­est janken die Arme de3 brünetten Mädchens, die ihr Gesicht der Freundin zumandte, allmählich herab. Schön Hatte jene gesagt. Ja, die Be­­zeichnung war nur zu sehr gerechtfertigt. Diese Züge zeigten das edelste, eben­­mäßigste eines Frauenantlikes. Nase, Mund, Oval waren wirklich vollkommen in ihrer Art, und dennoch wurde alles in den Schatten gestelt durch die wahrhaft flammende Pracht der braunen Augen. Erschienen doch deren Form und Ausdruch so eigenartig schön, daß dem jungen Mädchen Scherzweise bereits einige Male gejagt worden: „Wenn Sie Ihre langen schwarzen Wimpern vollständig geben. Mit Maud Gordon, dann strahlt ein so feuriger, fast sinn­­berühender Glanz von den darunter befindlichen Sternen aus, daß derjenige, der zu tief da hinein geschaut, gleich einer Motte am Lichte sich versengt !“ Der Ausdeud des schönen Gesichts war für solche Jugend ganz mnerk­­würdig ernst und traurig, und mas für ein deutsches Auge darin vielleicht noch störender wirkte, das war der matt gelbliche Teint, welcher am Hals und Naden in einen beinahe Lichtbräunlichen Schimmer Ü verging. Mauds Rechte strich zärtlich über der Freundin, blondes Gel­d, als sie mit wehmütigem Kopfsgütteln erwiderte: „Was du Unabhängigkeit nennst, Vera, ist bloß trügerischer Schein ! Muß ich nit wider Willen fort? Unsichtbare Feffeln, die jedoch stärker als ‚eisengeschmiedete sind, rafen mich vergeblich ankämpfen gegen die Macht der Verhältnisse. Wenn ich könnte, wie ich wollte, dann würde ich nur zeit­weise nach Amerika auf Besuch gehen und weil lieber hier als arme Erzieherin mein Dasein fristen, weil der Gedanke an das heimatliche Leben, ja die Aussicht auf die Rückehe mich nicht im mindesten fröhlich zu stimmen vermögen. Im Gegenteil, Darling, ich bin um — sehr arm und befiche nicht den dritten Zeil von dem, was ein gütiges Gefhhd dir in den Schooß geworfen !“ „Über dein Vater — dein Bruder, von dem du mir schon so viel erzählt hast, Maud — die würden doch sicherlich nicht einverstanden sein?” warf das blonde Mädchen Schüchtern ein, während sie sich recht neben der Freundin niederließ und deren Schulter mit den Armen umschlang. „Mein Vater wird mich, wenn ich nach fünfjähriger Ab­wesenheit als erwachsene Dame wieder in sein Haus komme, mit Geschenten überschütten und mit allem erdenklichen Lurus umgeben, damit es der einzigen Tochter des Governor von Louisana­meer an Bequemlichkeit, noch an Vergnügen mangele. Allein sein Puls wird bei unserem Wiedersehen auch nicht um einen Schlag lebhafter gehen, als sonst. Denn sein Herz ist kalt und rennt die Gefühle nicht, wie sie von deinen Eltern dir entgegengebracht werden. Und mein Bruder . . .?" Die Sprecherin unterdrücke einen Seufzer. „Wer weiß, ob ich ihn überhaupt zu Hause antreffe? Der ist eine wilde, unftäte Natur, die sich an Familien­­verhältnisse niemals gewöhnt, noch gebunden hat. So lange ich denken kann, ist er stets seinen eigenen Weg gegangen, hat sich auch um das leibliche und geistige Ergehen der um neun Jahre jüngeren Schwester nie gekümmert. Troßdem aber zeigte der Vater, der sonst so Talte und strenge Mann, eine grenzenlose Schwäche gegen den Sohn, über des­sen oft recht gefragte Abenteuer und verwegene Streiche er nur lächelnd die Ad­eln zucht. Vielleicht liegt der Grund Hierzu in meines Bruders wunderbar bezwingenden Persönlichkeit, deren Zauber selten jemand zu widerstehen vermag — ein Zauber, der, wie ich fürchte, ihm selbst einmal verhängnisvoll werden kann, denn er pocht nur

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