Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt, 1898. September (Jahrgang 25, nr. 7511-7536)

1898-09-15 / nr. 7523

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Die Teilnahme der ganzen Welt an dem schweren Unglück, das das Herrscherhaus und das Vaterland getroffen, äußert sich in den zahllosen Be­­fundungen des herzlisten und unwärmsten Gefühls: „Aus den unzähligen Trauerfundgebungen, in denen sich das Volk ver­­einigt — schreibt die „Wiener Abendpost“” vom 12. d. M. —, aus den Manifestationen der öffentlichen Körperschaften, zumal aber aus den Stimmen der Presse klingt machtvol und ergreifend das Gelöbnis heraus, fester denn je um den Thron der Habsburger sich zu scharen und durch grenzenlose Liebe den Schmerz zu lindern, den ein unerbittliches Geschic bereitet hat. Niemals so sehr wie in diesen Tagen ist das schöne Wort: „Wir sind alle ein Haus und eine Familie“ zur erhebenden Wahrheit geworden. Und das ist an die Duelle, woraus die Herzen die Hoffnung schöpfen, daß unser Raiser aus der schwersten Prüfung gebeugt, doch nicht gebrochen hervorgehen werde. Alle die rührenden Weußerungen der Teilnahme drücken auch die feste Zuversicht aus, daß der Monarch ausharren und standhalten werde, neuerlich das er­­habene Scauspiel jenes heroischen Pflichtgefühles bietend, als bessen be­­wunderswertes Vorbild Kaiser Franz Sofer seit jeher der Mitwelt vor Augen stößt. Die schwarzen Fahnen mwallen hernieder, Stadt und Land rüften sie zur Totenfeier, mit düsterer Schwere Iastet es auf den Gemütern. Aber der wundersame, milde Glanz der Sonne dieser Tage läßt zugleich in den Herzen die Hoffnung reimen, daß unser Kaiser auch jecht sich bewähren werde als echter Fürst von Gottes nahen, als gottergebener Dulder und als starrer Held zugleich.“ So gräßlich und so ungeheuerlich ist aber das in Genf verübte Ver­­brechen, daß es niemanden Wunder nehmen kann, wenn die berechigte Wut darüber auch Gestalten annimmt, die nicht gebilligt werden können, wenn es­­­ zu Erieffen kommt, wie sie am 11. und 12. d. M. in Triest und Laibach zu Tage getreten sind. Niemand kann ein Vort vberantwortlich gemacht werden für die Schän­dlichkeiten des einzelnen, der diesem Volke angehört. Empfindet die italienische Nation doch selbst am tiefsten die Shhmadh und Schande, die dur folche Scheusale wie Lucheni ihr angethan wird. So schreibt die offiziöse „Gazette Di Venezia” unter den 12. d. M.: „&aferio, Angiolitto, Quecheni in wenig mehr al drei Jahren! Was wird man nun s­chon und im Auslande jagen, die wir so verhaßt, so verachtet sind und denen der Ruf anklebt, einem Lande anzugehören, das schon seit langer Zeit das verbrecherischeste der Welt ist, da es nur zu wahr ist, daß Sabre für Jahr viele Hundert Italiener dem Messer zum Opfer fallen ? 1” Nicht der italienische Wolfscharakter trägt die Schuld, wenn die apenninische Halbinsel ein so ungewöhnlich starkes­ Kontingent zu der anar­ Histischen Mordgesellschaft stellt. Die trostlosen, von allen italienischen Parteien eingestandenen und doch niemals gemilderten sozialen Zustände des Königreichs tragen die Schuld an der traurigen Thatsache. In Italien ist der sogenannte Sozialismus Sache nicht der Arbeiter, sondern des Bürgertums, und namentlich hochgebildeter Elemente des leßteren.­­Dieser eigenartige Sozialismus erstrebt seinen Umsturz, wohl jedoch einen Aufstieg aus dem entfeßlichen Massenelend, und fordert deshalb legislatorische Reformen und betreibt, teilweise vom Klerus unterstüßt, das Assoziationswesen. Gerade die Heimat des Genfer Mittelhäters ist die Heimat des italienischen Sozialismus, welcher gerade dort die heftigsten Anfehdungen durch den Anarchismus zu bestehen hat. Leider haben, eine nach der anderen, alle italienischen Regierungen die Wucht ihrer Schläge auf diesen reformatorischen Sozialismus gerichtet und so nicht wenig zum Anwachen des zerstörungswütigen Anarchismus beigetragen. SJebt, in den Tagen des schmerzvollen Aufschreies der Kulturvölfer, dämmert wenigstend in einzelnen italienischen Preßorganen die Erkenntnis der begangenen Irrtümer und Unterlassungen, wie der Pflichten der Herrschenden Volksschichten auf, und die Schwache Hoffnung wird gemwecht, daß eine Linderung des Elends der italienischen Massen angebahnt werde dur den Märtyrertod unserer er­­habenen Königin. Der Tod der Königin. Aus Genf wird hierüber unter dem 12. d. Mts. gemeldet: 8 ist nunmehr zweifellos festgestellt, daß die Königin mit der in einem Hause der Rue des Alpes aufgefundenen Feile ermordet worden ist. Der Mörder hat es eingestanden. Noch gestern abends erschienen­e­olizeikommissär Aubert und Untersuchungsrichter Peter im Gefängnis Saint-Antoine, wo Lucheni fi in Haft befindet. Sie wiesen ihm die Seile vor, welche wenige Schritte von dem Schauplage der That aufgefunden und welche nach Ergebnissen der Autopsie zur Ausführung des Mordes gedient hatte. Luckheni hat die Feile als ihm gehörig erkannt und gestanden, daß er sie derselben bedient habe, um die Königin anzugreifen. Bei dieser Vernehmung hat Quecheni denselben Zynismus gezeigt, mie früher. Er erklärte, befriedigt zu sein, daß er sein Werk ganz vollendet habe, und daß ihn die Strafe nicht erschrede. Luccheni, welcher anfangs vorgab, daß er nicht Französisch Spreche, sagte: „Also habe ich sie gut getroffen.” Er fügte bei: „Wenn jeder seine Pflicht erfüllen würde, wäre die bürgerliche Klasse bald im Nichts verschwunden.“ MUedrigens habe er persönlich gegen die Königin keine Feindfchaft gehabt und müsse zugeben, daß sein Verbrechen nicht viel nüßen werde. Er wiederholte, er bedauere, daß in Genf die Todesstrafe abgeschafft sei; er Hätte gerne auf dem Schaffet für seine That gebüßt. * * * Gräfin Sztaray, die Hofdame ihrer Majestät, welche Augenzeugin der Schwedensthat war, gab dem Korrespondenten der „N. SI. Presse” eine Darstellung, der wir folgende Details entnehmen: „Die Königin war sehr heiter, in bester Laune und bei ausgezeichnetem Wohlbefinden. Um Halb 2 Uhr verließen wir das Hotel und gingen zum Landungeplag. Wir schritten ruhig auf dem Trottoir des Montblanc Duat, da sah ich, wie ein Mann raschen Schritte vom Hafen her auf und herankam. Er näherte sich der Königin und passierte rasch einen Baum, der zwischen ihm und uns stand. Ganz in der Nähe der Königin schien es, als strauchte er. Er machte eine Bewegung mit der Hand. Ich meinte, um sich aufrecht zu erhalten. Dann rief er weiter. Die Königin machte eine Bewegung nach südwärts und tant zusammen. Ich fing sie in meinen Armen auf. „It Majestät nicht wohl?“ fragte ich. — „Ich weiß nicht!” mal die Antwort. — „Das ist wohl vom Schreden”, erwiderte ich. „Wollen doch Majestät meinen Arm nehmen,” — „Ich danke”, sagte die hohe Frau. — Ich versuchte, die Königin zu fügen, doch war dies kaum nötig. Wir bestiegen das Schiff. Die Königin fragte mich: „Bin ich blaß?” — „Sowohl, Majestät, das ist die Aufregung”, sagte ich. — Dann fand die Königin neuerlich zusammen und verlor das Bewußtsein. Ich und einige Damen auf dem Schiffe labten die hohe Frau. Ich hielt das Un­wohlsein für ein vorübergehendes. An ein Attentat dachte ich nicht und konnte davon auch Feine Ahnung haben, denn der Vorgang auf dem Dualtrottoir hatte sich sehr rasch abgespielt. Ich sah feine Waffe in der Hand des Mannes. ALS wir die Kleider ihrer Majestät Löften, um ihr Luft zu machen, bemerkte ich Blutspuren. Ihre Majestät kam zu si und sagte mit Harer Stimme: „Was it denn eigentlich geschehen?" Das waren ihre legten Worte.“ * . * Das amtliche Protofoll über die Autopsie enthält folgendes: Das Instrument, mit welchem die That begangen wurde, war ein feißiges, drei­­eckig zugeschliffenes Eisen oder ein Stahlftüch. Dasselbe ist bei der vierten Rippe in den Körper eingedrungen; die Rippe war von der Wucht des Großes zerbrochen. Die Wunde hatte einen Umfang von 21­­ Millimetern. Das Instrument nahm den Weg an der vierten Rippe entlang, durchstach die Lunge und den Herzbeutel und drang ins Herz, die linke Herzlammer durchschneidend. Die Waffe durchquerte das Herz von oben nach unten und trat bei dem un­­teren Teile der linken Herzlammer wieder aus dem Herzen heraus. Der Verlauf der Wunde reicht bis über diese Herzlammer hinaus, deren untere Wand gleichfalls durchohrt ist. Der Tod trat infolge des Blutergusses in den Herzbeutel ein. Das Herz zeigte fettigen Belag und war sonst gesund, sopiel man bei der Autopsie wahrnehmen konnte, melde sich bloß auf die Kontras­tierung der Todesursache und auf die Prüfung der Wunde beschränkte. Die Wunde ist 8­­, Zentimeter lang. Sie wurde mit einem sehr scharfen Instru­­mente beigebracht und zeigt zerrissene Ränder. Die Gestalt der Wunde sowie die Rißspuren Yassen mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Wunde von der zugeseigten Seile herrührt. Ihre Form entspricht auch der Form der Seile. An der Bahre der Königin. Der Spezialberichterstatter der „Reichswehr” schreibt hierüber unter dem 12. d. M. seinem Blatte: Im Banne eine unauslöschlichen Eindruckks schreibe ich diese Zeilen. Ich Tomme foeben von der Bahre der Kaiserin. Den in Genf meilenden Defterreichern ward die schmerzliche Wohlt­at zu Teil, von ihrer toten Kaiserin Abschied nehmen zu dürfen Ziefste Ergriffenheit bemächtigte sich eines jeden, der die Kaiserin auf ihrem Totenlager gesehen. Kaiserin Elisabeth Liegt im Erkerzimmer des Hotel Beaurivage aufs gebahrt. Das Gemach ist Schwarz ausgeschlagen. Zu Häupten des Sarges ist ein großes weißes Kreuz in schwarzem Stoff eingemwebt. Auf einigen wenigen, niederen Stufen steht die Teßte Behaurung der Frau: ein bdreifacher Sarg, außen helles Eichenholz, innen ein doppelter Bleisarg mit weißer Seide ausgeschlagen. Hier liegt in weiße Rosen gebettet der Leichnam der Raiserin. Die Erlauchte trägt ein schwarzes einfaches Seidenkleid, das Haar ist wie gewöhnlich geordnet. Kein Schmuckktüd ist auf der Leiche zu erbliden. Die Gestalt der Raiserin sieht im Sarge zart und schlant aus. Die auf der Brust gefalteten Hände ums­chließen ein Kreuz. Das edle Gesicht, das in so strahlender Schönheit geleuchtet, ist vom einer weißen Binde umschlungen. Kinn und Mund sind von einem weißen Tusche verhülft. Ueber die Leiche ist ein weißer Spihen­­schleier gebreitet, darin die Worte „Repose en paix“ eingemebt sind. Zu Seiten des Sarges stehen fünf brennende Lichter auf hohen Leuchtern, am Fußende des Sarkophags zwei Betichemel und ein Kessel mit Weihmarter. Keine Krone, sein Orden, ein kaiserlicher PBrunf erinnert daran, daß die Tote auf den höchsten Höhen der Menschheit gewandelt. Dafür sind überreiche Blumengewinde im Sterbegemache die Beweise der Liebe und Verehrung, die unserer Kaiserin überall entgegengebracht wurden. Gerade das Fehlen von ee bei der Leiche einer Kaiserin Hat etwas unendlich N Rührendes an sich. Der erste Kranz kam vom Fürsten von Bulgarien. Auch der Schweizer Bundesrat hat ein herrliches Gewinde von Palmen und Leviosen im Namen des Schweizer Volkes niederlegen lassen. Im Gemache wird noch seine Totenwache gehalten. GM. dr. Berzevichy empfängt die Kommenden und nimmt die Kondolenzen entgegen. Wir grüßen in stummer Ehrfurcht und tiefster Trauer wo einmal unsere Kaiserin, im Herzen den bitterst­en Gral über die brutale, unerhörte Grausamkeit de Schidjals. Nachdem die Aerzte die Leiche nach der Autopsie von der Bahre gehoben und die Einfargung vorgenommen hatten, wurden die beiden Särge sofort verlötet, so daß niemand mehr die Tote sehen kann. Benilfeton. Am Saum der Heide. Roman von B. Ernst. (22. Fortsehung.) Der Doktor war in der That übler Laune. Aus vielfachen Gründen. Erstens hatte er die vorhergehende Nacht bei einer Frau verbracht, die, nach­­dem sie einem Linde das Leben gegeben hatte, schwer kämpfend ihr eigenes aufgab. Die körperliche Anstrengung und die erlebte Szene stehten dem Doktor in allen Gliedern, und er hätte es vorgezogen, in seinem Bette aus­­zuruhen, anstatt hier im Tanzsaal als Zuschauer zu figurieren. Aber nirgend muß man mehr Konzessionen machen al am Kleinen Orte. Die Herren vom Kurvorstande waren ihm alle bekannt, und er fürchete, sie zu beleidigen, wenn er ihre Einladung ablehnte. Zweitens hatte er sich über Leo geärgert. Schon neulich verdroß er ihn, daß Leo, der sonst die Aufrichtigkeit selber ge­­­wesen war, Herten Beyer auf so seine Weise seine Sehnsucht nach dem Ge­­sange der Nachtigallen ausgesprochen Hatte, daß eine sofortige Einladung zur Fahrt nach Irmenthal und ein unvermeidliches Zusammensein mit Frau Smith die Folge ge­wesen war. Leos Einsilbigkeit am anderen Tage allen Fragen gegenüber hatte dem Doktor zu denken gegeben. Und Heute, während Golz ihn in seinem Wagen nach Irmenthal beförderte, teilte Leo dem Freunde mit, daß er in der Villa Beyer übernachten und auch den Sonntag dort ver­­leben werde. Um der That war es Leos erstes gewesen, si nach oben zu begeben und si bei seinen Wirten zu melden. Die Uhr war jeit zehn und wo immer war er nicht zurückgekehrt. Mutmaßlich verbrachte er den Abend in Braun Smiths Gesellscchaft und hatte die übrige Welt darüber hergeffen. Um der Verdrießlichkeit des Doktors die Krone aufzuregen, hatte Hanna Berg ihn beim Erscheinen gleich an der Thür abgefaßt und gab ihn seitdem nicht mehr frei, ein so wenig liebenswürdiger Gesellschafter er auch war. Er zürnte, um Grau Smiths willen, heute allen Frauen, in wenigstens allen denen, die feinen anderen Lebenszweck haben als ihr eigenes 36, die feine Pflichten fennen, die nur dem Vergnügen leben. Gegen Halb elf erschien Leo mit dem Beyer’­schen Ehepaar. Dem Doktor fiel er auf, daß Leo nicht so heiter als sonft war und daß sein offenes Gesicht deutlich den Ausdruch der Enttäuschung zu tragen schien. „Sie hat sich nicht überreden Lassen, die Reunion zu besuchen“, war des Doktor sofortiger Gedanke. Laut aber sagte er nur: „So spät?“ „Wir warteten bisher vergebens auf Frau Smiths Rückkehr”, erklärte Jan Beyer: „Sie ist bei der Gräfin Kurz auf Rosenhof, Ich mache m­ordentlich Sorge um sie. Der Weg über die Heide ist so einsam und­­ weit.” „It sie zu Pferde dort?” „Gott sei Dank, nein, sie fuhr im Wagen hin, es ist mein einziger Trost, daß K­utscher und Diener bei ihr sind, sonst wäre ich noch besorgter.” „Vielleicht übernachtet sie auf Rosenhoff, bemerkte der Doktor ziemlich gleichgiltig. „Das ist zwar sonst nicht ihre Art“, sagte Helene, „aber auch ich tröste mich jegt mit dieser Vermutung.” Um des Doktor ironischem Blide zu entgehen, bat Leo Frau Beyer um einen Tanz. . Dann tanzte er mit der Heinen Mimi und dann mit Hanna Berg. Die legtere fonnte nicht umhin, einige liebevolle Bemerkungen über Frau Smith zu machen, da sie gehört hatte, daß die junge Witwe ver­­mißt wurde. „Vermutlich ist der Baron Schree Heute auf Rosenhof“, meinte sie. „In solchem Tale pflegt Frau Smith die Stunde leicht zu vergessen. Hat sie da in ihm, selbst mitten in der Nacht, einen gereisten Begleiter. Er ist riefig verliebt in sie. Ich glaube, wir stehen am Vorabende großer Ereignisse." „Wahrhaftig?" fragte Leo gleichgiltig. „Man muntelt davon, daß er sein Schloß recht behaglich für die zukünftige Chatelaine herrichten läßt.” „Und­ es steht fest, waß Frau Smith die Chatelaine ist?* „Sa, darüber herrscht kein Zweifel.” Obgleich Leo nicht viel Gewicht auf diese Bemerkung legte, trug sie doch nicht bei, seine Verstimmung zu heben. Er hatte das Gefühl, als Habe Sau Smith ihm doch ihr Nichterscheinen eine persönliche Pränkung zuge­fügt. Sie wußte ja, wie jeder er­st auf das­­­iedersehen und den Tanz mit ihr gefreut. E38 war ein Beweis völliger Gleichgiltigkeit, der­ sie beiden aus dem Wege gegangen war. Zum ersten Male in seinem­­ Beben erfuhr er eine derartige Behandlung. Aber an zum ersten Male Hegite er Empfindlichkeit im Herzen, während es sonst seine Gewohnheit war, Handlungen zu entschuldigen, deren Motive ihm nicht völlig Kar lagen. Fast mechanisc tanzte er mit den ihm bekannten jungen Mädchen, stellte sich anderen, die er noch nicht fannte, vor, und münschte im stillen, der Abend hätte erst sein Ende erreicht. Etwas aufgerüttelt wurde er aus seinem Mißmut, als Herr Beyer sich ihm plöglich näherte und sagte: „Bald Sie Ihre Pflegeeltern suchen sollen, Herr Referendar, wir gehen in die Veranda. Graf und Gräfin Kurz, Frau Smith und der Baron Schred sind eben gekommen, wir jegen uns zu ihnen. Die Hige im Saale ist uns ae Säließen Sie sich uns an oder ziehen Sie es vor, meiter zu anzen ?" Leo entschied si für das Iehtere. Im nächsten Moment bereute er seine Entfeidung fon, aber ein eigenes Gefühl von Troß hielt ihn ab, sie rückgängig zu machen. Die Duadrille begann, er tanzte sie mit Fräulein Anna Willig, die ihn aufs lebhafteste unterhielt, ohne daß er eine Erineru­ng davon behielt, was er mit ihre gesprochen hatte. Dann folgte eine Tanz­­pause, die von den meisten dazu bewußt wurde, im Freien Luft zu schöpfen. Auch Leo trat in die große, vor dem Tanzsaale befindliche Veranda und trocknete seine Stirn. „Son der Stirne Heiß, rinnen muß der Schweiß“, sagte eine Heitere Ge­dicht neben ihm, und ein wohlbekanntes, melodisches Lachen berührte sein Ohr. Ohne unhöflich zu sein, konnte er nicht vorübergehen, um so weniger, als Herr Beyer seine Pflicht al Wirt auch Hier zu erfüllen für nötig fand und Leo einlud, sich zu einem Erfriehungstrante niederzulegen. (Fortlegung folgt.) * + *

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